Aus den »Wilden« sollten gute Christen werden. Zu diesem Zweck wurden die Söhne und Töchter der Indigenen Kanadas in katholische Internate geschickt, wo sie misshandelt und missbraucht wurden, viele kehrten nie mehr zu ihren Familien zurück. Ermittler fanden auf dem Grundstück der früheren katholischen Marieval Indian Residential School in der zentralkanadischen Provinz Saskatchewan die Überreste von Verstorbenen in 751 nicht markierten Gräbern. Es war der zweite große Gräberfund binnen eines Monats. Ende Mai wurden auf dem Gelände eines früheren katholischen Internats nahe der Kleinstadt Kamloops in Westkanada die Überreste von 215 Kinderleichen entdeckt. In den Reservaten wurden daraufhin katholische Kirchen in Brand gesteckt, die Indigenen fordern von Papst Franziskus eine Entschuldigung. Zu Recht, sagt der Luzerner Historiker Manuel Menrath, der über die Geschichte der katholischen Sioux und die Indianer Kanadas geforscht hat. »Wohl fast jede indigene Familie in Kanada hat ein Kind in einer solchen Zwangsumerziehungsanstalt verloren, von dem sie nicht weiß, wo es bestattet liegt.« Heute lebten noch etwa 70.000 sogenannte »Survivors«, also Indigene, die als Kinder in den »Residential Schools« (Internaten) waren. »Sie sind nun alt und möchten wissen, was mit ihren Geschwistern oder Cousins und Cousinen geschehen ist.«
Eine Entschuldigung des Papstes wäre für das indigene Verständnis enorm wichtig, so der Historiker. Denn nach Auffassung der Indigenen müsse bei einer Verletzung das gesellschaftliche Gleichgewicht wiederhergestellt werden. »Die indigene Gesellschaft lässt sich mit einem Kreis vergleichen. Es gibt keine klaren Hierarchien. Jeder muss dem anderen auf Augenhöhe begegnen können«, erklärte der Historiker in einem Interview mit KNA. »Durch die Internate wurde der Kreis in vielerlei Hinsicht zerbrochen. Daher ist für die Indigenen eine Entschuldigung des Papstes unerlässlich. Erst dadurch kann der Kreis wieder in ein Gleichgewicht kommen und Heilung beginnen.« Die kirchenrechtlichen Probleme seien zwar bekannt: »Aber meines Erachtens wäre es – nachdem man Jahrzehnte lang die eigenen kulturellen Maßstäbe auf die Indigenen übertragen hat und ihnen sagte, was sie zu tun haben – nun an der Zeit, ihnen ausführlich zuzuhören und einen Dialog auf Augenhöhe zu suchen.«