Afghanistan

 

Eine »desaströse Niederlage« des Westens

Kirchenvertreter dringen auf schnelle Hilfe für das Land

Angesichts der Lage in Afghanistan hat Papst Franziskus die internationale Gemeinschaft zur Hilfe aufgefordert. »Wir können in historischen Momenten wie diesen nicht gleichgültig bleiben«, mahnte er. Die leidgeprüfte Bevölkerung in Afghanistan benötige dringend Unterstützung – vor allem die Frauen und Kinder. Die vom Papst angestoßene Solidaritätsinitiative »Economy of Francesco« hat einen internationalen »Marsch für die Rechte afghanischer Frauen« ins Leben gerufen. Daran beteiligten sich Aktivisten in mehreren Ländern. Unter anderem in Italien, Guatemala und Argentinien gingen sie mit blauen Tüchern als Erkennungszeichen auf die Straßen. Nach Ansicht der Deutschen Bischofskonferenz stellt die Machtübernahme der Taliban »eine desaströse Niederlage« der USA und anderer westlicher Staaten dar. »Die jetzt eingetretene Lage zehrt das politische Vertrauenskapital der westlichen Länder auf und wird von vielen in aller Welt als moralischer Boykott verstanden «, sagt der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing. Dieser Einschätzung stimmt der libanesische Menschenrechtler und missio-Partner Fadio Daou zu. »Das Vertrauen in die USA, Europa und den politischen Westen, die von einem Teil der christlichen Hierarchien im Nahen Osten weiterhin als ›Schutzmächte‹ angesehen werden und jetzt ausfallen, ist nach den dramatischen Ereignissen in Afghanistan sehr stark geschwunden. Das ist auch für die Christinnen und Christen im Nahen Osten gefährlich«, sagt er. Die radikalen islamistischen Kräfte im Nahen Osten feierten Afghanistan unabhängig von ihrer Ausrichtung oder Konkurrenz als großen Sieg. Sie verbreiteten auf allen Kanälen die Nachricht, dass sie jetzt überall im Nahen Osten endlich islamische Emirate etablieren könnten, sagt Daou. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) fordert eine Debatte über Deutschlands Rolle während der vergangenen 20 Jahre am Hindukusch. Dabei müsse es auch darum gehen, wie Entwicklungspolitik und militärisches Engagement künftig aussehen sollen. ZdK-Vizepräsidentin Karin Kortmann unterstrich, dass das Konzept des »nation building« gescheitert sei. Der Westen habe die zivilen, friedensfördernden Kräfte nicht ausreichend geschützt. »Über humanitäre Korridore muss die Versorgung der notleidenden Bevölkerung durch Hilfsorganisationen aufrechterhalten werden«, sagte Kortmann. Der Deutsche Caritasverband sprach von einem massiven politischen Versagen auch der Bundesregierung, das zu einer wachsenden Zahl an Flüchtlingen führen werde. Präsident Peter Neher forderte umfassende Maßnahmen, um die humanitäre Katastrophe innerhalb Afghanistans und in den Erstfluchtstaaten abzuwenden. Der Präsident der ökumenischen Konferenz Europäischer Kirchen, Christian Rieger, und der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Jean-Claude Hollerich, erklärten, die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich an die Spitze internationaler Solidaritätsbemühungen stellen. Die Kirchen appellierten an die EU, bei der Einrichtung humanitärer Korridore sowie Umsiedlungen und der Schaffung anderer sicherer Wege mitzuwirken, um Flüchtlinge an sichere Orte außerhalb Afghanistans zu bringen. Angesichts der Grausamkeiten in Afghanistan gehe es um den Beweis, dass die Werte der EU »nicht leere Rhetorik« seien, sondern über bloße politische oder wirtschaftliche Überlegungen hinausführten, erklärten die Kirchenvertreter.

FOTO: KNA
Papst Franziskus fordert Unterstützung für die afghanische Bevölkerung – vor allem für Frauen und Kinder. Deren Alltag wird sich unter der Herrschaft der Taliban wohl am stärksten zum Negativen hin verändern.