Thomas Hohenschue
Kirche, Kolonialismus und Rassismus: ein düsteres und zwiespältiges Kapitel, das erst anfanghaft öffentlich betrachtet wird. Manch einer und eine möchte dabei gleich zur Versöhnung übergehen, ohne sich mit schmerzhaften historischen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Doch wirkliche Heilung kann nur entstehen, wenn man sich der Verantwortung stellt und daraus Konsequenzen zieht. Durch Kooperationen auf vielen Ebenen können konstruktive Korrekturen angebahnt werden, welche Grundlagen für ein gelingendes, auf Respekt beruhendes Zusammenleben legen.
Thomas Hohenschue
lebt und arbeitet als freier Journalist in der Weltkirche-Stadt Aachen. Er unterstützt Non-Profit-Organisationen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Von Juli 2011 bis Juni 2021 war er als Chefredakteur der Aachener KirchenZeitung tätig.
Unter dem Titel »Zwischen Unterdrückung und Widerstand. Debatte über Kirche, Kolonialismus und Rassismus« organisierte die Bischöfliche Akademie Aachen in Kooperation mit den drei kirchlichen Werken missio, Misereor und Kindermissionswerk »Die Sternsinger« am 22. September 2021 einen Austausch, der unter Moderation von Abdou-Rahime Diallo einige Linien für die notwendige Auseinandersetzung nachzeichnete. Auf dem Podium saßen mit dem Theologen Boniface Mabanza Bambu, der Journalistin Tina Adomako und der Politik- und Rechtswissenschaftlerin sowie UN-Botschafterin der Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft Elisabeth Kaneza ausgewiesene Fachleute. Im Plenum: vorrangig Mitarbeitende der drei Aachener Hilfswerke.
Eine zentrale schmerzliche Wahrheit: Der heutige strukturelle und individuelle Rassismus hat viele Wurzeln in der Verstrickung der Kirche in koloniale Eroberungen. Andere Religionen und Spiritualitäten wurden verdrängt, als mit den Kolonialherren auch deren Kirchenfürsten die Menschen und ihre Reichtümer ausbeuteten. Die Bevölkerung in den Kolonien wurde in Europa als »heidnisch« und »unzivilisiert« stigmatisiert, als »minderwertig«, als »bedauernswert « und »bekehrungsbedürftig« dargestellt. Ihre Seelen galt es demnach zu retten, als vermeintliche Heilsbringer galten der christliche Glaube und die europäische Kultur.
Diese Bilder setzen sich bis heute in der europäischen Art und Weise fort, die Welt zu sehen, zu interpretieren und zu bewerten, erläuterte Tina Adomako, Eine- Welt-Fachpromotorin für Empowerment und Interkulturelle Öffnung. In Medien und Werbung sieht sie ebenso eine weiße Sicht der Dinge wie in Schulbüchern, welche die Wirklichkeit einer divers geprägten Gesellschaft ausblende und verzerre. Die rassistisch bedingte Ausgrenzung und Benachteiligung auf Wohnungs-, Arbeits- und Ausbildungsmarkt sei wenig im Blick, das Erleben von Alltagsrassismen ebenso.
Die kolonialen Muster, welche die Kirche mit etabliert hat, wirken auch auf administrativer und politischer Ebene weiter. Als Koordinator der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika (KASA) analysiert Boniface Mabanza Bambu den Rassismus, der ihm in Entwicklungshilfe- Konzepten europäischer Institutionen regelmäßig begegnet, zum Beispiel im Kontext von Gesprächen über Abkommen zwischen der EU und afrikanischen Staaten. Dort verschleiert die europäische Seite ihre Interessen hinter der alten Erzählung »Afrika Gutes zu tun«. Gleichberechtigte Verhandlungen aber erforderten die ehrliche Offenlegung aller Interessen.
Um in der Debatte um die historische Verantwortung und Verpflichtung der Kirche im Kontext von Kolonialismus und Rassismus weiterzukommen, ist eine Differenzierung hilfreich. Und dazu gehört die Tatsache, dass es bei aller Verstrickung der Institution auch einige wenige Missionar:innen gab, die unter hohen persönlichen Risiken Widerstand gegen Unrecht und Willkürherrschaft leisteten. Die Ambivalenz der Rolle der Kirche drückt sich sehr plastisch in der Rolle der Bibel aus: Die Heilige Schrift war sowohl Quell der Begründung von Unterdrückung als auch Quell der Legitimation von Widerstand.
Auch heute ist die Kirche vielerorts an der Seite der Zivilgesellschaft, begleitet und unterstützt Menschen, die sich für ein besseres (Zusammen-)Leben einsetzen. Die Programme der Aachener Hilfswerke richten sich immer stärker auf diesen Empowerment-Ansatz aus. Um einen authentischeren Blick auf die Situation der Bevölkerungen auf anderen Kontinenten zu erhalten, sei es notwendig, dass die Belegschaften der Hilfswerke diverser würden, sagte Elisabeth Kaneza. Das würde den eingeschlagenen Weg der Zusammenarbeit auf Augenhöhe verstärken.
Überhaupt können die Hilfswerke einiges tun, um das koloniale Erbe der Institution hinter sich zu lassen, in die sie eingebettet sind. Das fängt bei der Erfassung und Rückgabe von Raubkunst an, die in ihren Archiven schlummert. Sie können öffentlichkeitswirksam wichtige Initiativen wie die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft unterstützen. Und sie können durch Zuschüsse und Kooperationen auch in Deutschland Empowerment von afrodiasporischen Communitys fördern, nicht zuletzt damit sie in einen fruchtbaren Dialog mit der Mehrheitsgesellschaft treten und Diversität erlebbar wird. Elisabeth Kaneza sprach eine offizielle Einladung aus, sich mit den Communitys zu vernetzen und an gemeinsamen Themen zu arbeiten.
Anmerkung
Die Podiumsdiskussion zur Rolle der Kirche im Zusammenhang mit Kolonialismus und Rassismus war eingebettet in die Veranstaltungsreihe »Aachen postkolonial. Verbindungen. Verflechtungen. Nachwirkungen« des Bündnisses Aachen postkolonial. Sie fand als öffentlicher Teil des Mitarbeiter:innentages von Misereor, missio und dem Kindermissionswerk »Die Sternsinger« statt. Tagungsleiterin seitens der Bischöflichen Akademie Aachen war Laura Büttgen.