Michael Amaladoss SJ

Foto: Georg Evers
Michael Amaladoss

Geboren wurde Michael Amaladoss in Dindigul, einem Dorf in Tamil Nadu, im Jahr 1936. Wie er mir in einem Interview später erzählte, war seine Familie neben einer anderen die einzige katholische unter 1.000 Familien von Hindus, die in diesem Dorf wohnten. Von Kind an waren ihm das Leben, die Frömmigkeit und Feste der Hindus vertraut. Hinduismus war die Religion der Freunde seiner Kindheit. Später lernte er mehr über die Spiritualität der Hindus und die Ernsthaftigkeit ihrer Suche nach einer Begegnung mit Gott. Dabei entdeckte er, dass der Hinduismus für ihn nicht irgendein fremdes System ist, sondern den Rahmen für den Glauben und die religiöse Praxis darstellt, aus denen seine Ahnen gelebt haben. Die spirituellen und religiösen Werte dieser Tradition erscheinen ihm daher als der Grund seiner Kultur, seiner religiösen Heimat und Sprache, die seine Identität zutiefst bestimmen und zu den unaufgebbaren Wurzeln seiner Person gehören, die es mit seiner Identität als indischer Christ zu integrieren gelte. Aus diesem Verständnis heraus bezeichnet sich Michael Amaladoss als Hindu- Christen, womit er nicht einen Eklektizismus oder eine Vermischung beider religiöser Systeme in seiner Person meint, sondern vielmehr eine fundamentale Gemeinsamkeit in der Ausrichtung auf die eine absolute Wirklichkeit Gottes, die gerade in der Verschiedenheit der Symbole und religiösen Methoden ihren ganzen vielfältigen Reichtum zeigt. Gerade die aus der kulturellen und historischen Entwicklung erwachsenen verschiedenen Erfahrungen machen es möglich, dass sie sich gegenseitig ergänzen und erfüllen. Nicht alle Menschen sind in der Lage, eine solche »doppelte Zugehörigkeit« zu leben, aber als indischer Christ, der so tief in die hinduistische Welt sich einbezogen vorfindet, fühlt er sich berufen, dies beispielhaft in der Freiheit des Geistes, der restriktive Strukturen zerbricht, vorzuleben.

Michael Amaladoss trat 1953 in den Jesuitenorden ein. Als junger Jesuit machte er eine kurze intensive Ausbildungszeit in dem von P. Ignatius Hirudayam SJ, einen der herausragenden Pioniere im christlich-hinduistischen Dialog, gegründeten Aikiya Ashram in Madras. Der junge Jesuit kam hier in einen intensiven Kontakt mit Fragen der Inkulturation, der Theologie der Religionen und der südindischen klassischen Musik. Das Interesse an dieser Musikform hat ihn dann durch die weitere Ausbildung begleitet. Schon während seiner Ausbildung in scholastischer Philosophie gehörte er zu einer Gruppe junger Jesuiten, die sich intensiv mit indischer Philosophie befassten. Danach studierte er südindische klassische Musik am Tamil Nadu College of Music, wo er als einziger Christ einen tiefen Einblick in die mystische Spiritualität der Hindus machen konnte, die diese Musik prägt. Die dort gewonnenen musikalischen Fähigkeiten hat Michael Amaladoss später gut umgesetzt und über 200 Lieder und Bhajans komponiert, von denen viele heute in der Liturgie gesungen werden, sowie einige Stücke für indischen liturgischen Tanz. Für einige Jahre war er auch Geschäftsführer des musikalischen Verlags Isai Maravi (»Quelle der Musik«) für liturgische Musik.

Die theologischen Studien in Kurseong im Norden Indiens gaben ihm viel Gelegenheit, die klassischen hinduistischen Pilgerstätten zu besuchen und Ansätze für eine inkulturierte indische Theologie und Liturgie zu finden. Das Thema seiner theologischen Doktorarbeit am Institut Catholique in Paris befasste sich konsequenterweise mit den Grundlagen einer indischen Liturgie. Dabei ging es ihm um die Frage, was die »Substanz«, d. h. die unveränderlichen symbolischen Elemente, in den christlichen Sakramenten seien und welche Elemente verändert und an indische Gegebenheiten angepasst werden könnten. Nach seiner Rückkehr nach Indien hat er als junger Theologieprofessor an den Se minaren des Nationalen Biblischen Katechetischen und Liturgischen Zentrums (NBCLC) mitgearbeitet, das damals unter Leitung des bedeutenden indischen Theologen D.S. Amalorpavadass (1932–1990) entscheidende Anstöße für die Umsetzung des II. Vatikanischen Konzils für die indische Kirche gegeben hat. So gehörte er zu dem Expertenteam, das an der Entwicklung eines »indischen Ritus« für die Liturgiefeier arbeitete. Michael Amaladoss übernahm zu dieser Zeit ebenfalls die Schriftleitung der Zeitschrift Vidyajyoti, die er zur führenden theologischen Zeitschrift des Landes entwickelte und in der er selber viele Beiträge zu Fragen der Inkulturation, der Theologie der Religionen und des interreligiösen Dialogs veröffentlicht hat. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit im regionalen Priesterseminar in Tiruchirapalli wurde Michael Amaladoss Professor für Dogmatik im Vidyajyoti-Kolleg in New Delhi. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer eigenständigen indischen Theologie hat er als Verantwortlicher für die theologische Ausbildung der Jesuiten mit der Einführung der »regionalen Seminare« geleistet, in denen junge Theologen nach einem Grundstudium in englischer Sprache in den Regionalsprachen des Landes, d. h. in Hindi,Malayalam, Tamil, Gujarati und Bengali, Theologie zu treiben lernen.

Durch seine Berufung als Assistent des Generaloberen der Jesuiten verlagerte sich sein Lebensschwerpunkt für mehrere Jahre nach Rom. Zunächst bedeutete dies eine Trennung vom indischen Kontext mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und Herausforderungen. Aber zugleich weitete es seinen Horizont durch den Kontakt mit der katholischen Weltkirche, den vielen ökumenischen Gesprächspartnern, mit denen er über seine Mitarbeit in der Internationalen Vereinigung von Missionstheologen (IAMS) in Kontakt kam. Michael Amaladoss hat es in einem erstaunlichen Maß verstanden, auch in »Rom« immer ein »indischer Theologe« zu bleiben. Es hat den Anschein, als ob der Abstand vom indischen Alltag ihm oftmals einen besseren Zugang zu bestimmten indischen Fragestellungen gegeben hat. Ganz sicher hat er verstanden, die Anliegen der indischen Theologie einem weiterem Kreis nahe zu bringen und verständlich zu machen. Während seiner Zeit in Rom wurde Michael Amaladoss immer wieder zu Vorträgen und Lehrveranstaltungen in verschiedenen Ländern eingeladen und hat als Experte für eine Reihe theologischer Seminare innerhalb der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) wichtige Beiträge geleistet. Aus diesen verschiedenen Verpflichtungen erwuchs zugleich seine reiche Publikationstätigkeit mit zahlreichen Buchveröffentlichungen und noch mehr Zeitschriftenbeiträgen. Als ihm zum 60. Geburtstag 1996 eine Festschrift überreicht wurde, umfasste die damals veröffentlichte Bibliographie schon 13 Bücher und 195 Zeitschriftenbeiträge. Eine weitere Festschrift zu seinem 65. Geburtstag steht vor der Veröffentlichung.

Der eigene Beitrag von Michael Amaladoss zur indischen Theologie liegt einmal in der Vielfalt der von ihm behandelten Themen, mit denen er die theologische Reflexion angestoßen und weitergebracht hat. Zentral ist bei ihm der Ansatz aus der indischen philosophischen Tradition des Advaita, d. h. der »Nicht- Zweiheit«, die anders als die westliche Tradition einer Logik des ausgeschlossenen Dritten (»non datur tertium! «), mit der Annahme eines »Sowohl-als-auch« viele Möglichkeiten bietet, logischen Engpässen zu entkommen und weiterführende Perspektiven offen zuhalten. Dies zeigt sich z. B. in Fragen der Christologie, der Theologie der Religionen und des interreligiösen Dialogs. Michael Amaladoss ist überzeugt, dass Gottes Wirken im Heiligen Geist sich auch auf die anderen Religionen und ihre Heiligen Schriften erstreckt. Für ihn ist daher der interreligiöse Dialog aus seiner besonderen Stellung als Hindu-Christ, der sich beiden Traditionen, wenn auch unterschiedlich, verpflichtet und verbunden fühlt, eine Selbstverständlichkeit.

Biographische Daten

  • 1936 geboren in Dindigul, einem Dorf in Tamil Nadu, Südindien.
  • 1953 Eintritt in den Jesuitenorden.
  • 1958–61 Studium der Philosophie am Sacred Heart College in Shembaganur.
  • 1961– 63 Studium der klassischen indischen Musik (karnatische Musik) im Tamil Nadu College of Music mit Erreichung des Titels eines Sangita Vidwan.
  • 1965–69 Studium der Theologie in Kurseong, Nordindien.
  • 1969–72 Doktorat in Theologie am Institut Catholique in Paris.
  • 1973–76 Professor für dogmatische Theologie im St. Paul’s Seminary in Tiruchirapalli.
  • 1973–1977 Editor, Vidyajyoti Journal of Theological Reflection, Delhi.
  • 1973– 83 Professor am Vidyajyoti Kolleg in New Delhi.
  • 1983–1995 Assistent des Generaloberen der Jesuiten in Rom.
  • 1985–1991 Mitglied des Exekutivrats des Dokumentationszentrum SEDOS in Rom.
  • 1988 Vizepräsident und 1990–94 Präsident der International Association of Mission Studies (IAMS).
  • 1995– 99 Professor am Vidyajyoti Kolleg in New Delhi.
  • Seit 1999 Direktor des Institute for Dialogue with Cultures and Religions in Chennai.

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Deutsch ist erschienen:

  • Wir werden bei ihm wohnen: Das Johannesevangelium in indischer Deutung. Hrsg. von George M. Soares-Prabhu. Mitarbeit von Michael Amaladoss. Freiburg i. Br. 1984 (Theologie der Dritten Welt 6)
  • Befreiung, ein interreligiöses Projekt, in: Verlaß den Tempel: Antyodaya – indischer Weg der Befreiung / Hrsg. von Felix Wilfred. Freiburg i. Br., 1988 (Theologie der Dritten Welt 11), S. 146–178.
  • Volksreligion in Indien, in: Pro Mundi Vita Studien, 1988, H. 6, S. 12–18.

Auf Englisch ist erschienen:

  • Theologizing in India: Selection of papers presented at the seminar held in Poona on October 26–30, 1978. Ed. by Michael A. Amaladoss, T. K. John, and George Gispert- Sauch. Bangalore: Theological Publication in India, 1981. – 445 S.
  • Faith, culture and inter-religious dialogue. New Delhi: Indian Social Institute, 1985, 38 S.
  • Theological basis for religious pluralism: Its cultural expression and justification for its acceptance, in: Communalism in India: A challenge to theologizing. The statement, papers and the proceedings of the Eleventh Annual Meeting of the Indian Theological Association, Bangalore, December 28–31, 1987 / Ed. by S. Arulsamy. Bangalore, 1988, S. 115–138.
  • Mission today: Reflections from an Ignatian perspective. Anand: Gujarat Sahitya Prakash; Rome: Centrum Ignatianum Spiritualitatis,1989. – VII, 128 S.
  • The pluralism of religions and the significance of christ, in: Vidyajyoti Journal of Theological Reflection, 1989, S. 401–420.
  • Théologies Africaine et Indienne vers un dialogue, in: Theologie Africaine, bilan et perspectives. Actes de la Dix-septième. Semaine Théologique de Kinshasa, 2–8 avril 1989. Kinshasa: Fac. Cath. De Kinshasa, 1989, S. 411–421.
  • Making all things new: Dialogue, pluralism and evangelization in Asia. Maryknoll: Orbis Books, 1990. – X, 203 S.
  • Liberation: An inter-religious project, in: East Asian Pastoral Review, 1991, S. 4 –33.
  • Walking together: The practice of inter-religious dialogue. Anand: Gujarat Sahitya Prakash, 1992. – 185 S. (Gujarat Sahitya Prakash <Anand>: Series 11. Jesuit Theological Forum, Reflections; 7)
  • Becoming Indian: The process of inculturation. Rome: Centre for Indian and Interreligious Studies; Bangalore: Dharmaram College, 1993, 114 S.
  • Images of Jesus in India, in: East Asian Pastoral Review, 1994, H. 1/2, S. 6 –20.
  • Towards fullness: Searching for an integral spirituality. Lectures in memory of Fr. D. S. Amalorpavadass (1932–1990) 1993, Bangalore: NBCLC, 1994. – 101 S.
  • A call to community: The caste system and Christian responsibility. Anand: Gujarat Sahitya Prakash, 1994. – XV, 159 S.
  • The kingdom of God and the goal of mission, in: Vaiharai, 1996, H. 4, S. 277–292.
  • Life in freedom: Liberation theologies from Asia. Maryknoll: Orbis Books, 1997, 180 S.
  • Can one be a Hindu-Christian? in: Ishvani documentation and mission digest, 1997, H. 2, S. 88–93.
  • Beyond inculturation: Can the many be one? Delhi: Vidyajyoti Education & Welfare Society ; ISPCK, 1998. – XV, 148 S.
  • Globalization and its victims: As seen by the victims. Ed. by Michael A. Amaladoss. New Delhi: Vidyajyoti Education & Welfare Society ; ISPCK, 1999. – XII, 246 S.
  • Love or justice? Dindigul: Vaigarai Publications, 1999. – 128 S.
  • The Asian face of the good news, in: Mission Today, 2 <2000>, H. 2, S. 166–172.
  • Missionary challenges in Asia, in: Jeevadhara, 30 <2000>175–180, H. 178, S. 339–350.
  • Peace admist terror, in: Vidyajyoti Journal of Theological Reflection, 2001, S. 849– 853.

Es ist verständlich, dass diese Offenheit für die Werte in den anderen religiösen Traditionen in den Augen mehr traditionell denkender Mitchristen, besonders außerhalb Indiens, auch Widerspruch hervorgerufen hat. So hat z. B. Kardinal Tomko, der damalige Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung, 1991 im Hinblick auf Entwicklungen innerhalb der indischen Theologie von »Indien als dem Epizentrum aller Häresien« gesprochen und sich auch ausdrücklich auf Arbeiten von Michael Amaladoss bezogen. Diese scharfe Kritik von Kardinal Tomko war zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt. Die theologischen Einsichten, die Michael Amaladoss über die anderen Religionen, die Aufgabe der Inkulturation und den interreligiösen Dialog gewonnen hatte, haben allerdings die Inhalte der traditionellen Missionstheologie stark verändert. Es ist aber gerade der Vorzug seiner Theologie, dass er einerseits immer seine indischen Wurzeln hoch geschätzt und bewahrt hat, andererseits aber in den Jahren seines Romaufenthalts den Kontakt mit vielen Strömungen der katholischen Weltkirche hatte und in seiner Eigenschaft als Präsident von IAMS auch mit den in der Ökumene verbreiteten missionstheologischen Strömungen bekannt wurde. Diese ökumenische Weite seines theologischen Erfahrungshintergrunds macht ihn zu einen der seltenen Vermittler und Brückenbauer, die innerhalb der Vielfalt theologischer Strömungen dafür sorgen, dass diese Vielfalt befruchtend wirken kann, ohne die tiefere Einheit innerhalb der einenWeltkirche zu gefährden.

GEORG EVERS
Missionswissenschaftler