Emmanuel Asi

Foto: Norbert Kössmeier

Emmanuel Asi wurde am 12. Juni 1949 in eine Familie geboren, die, wie er später in einem Interview sagte, zu den eher ärmeren Gruppen in seinem Heimatort gehörte. Während seiner Kindheit und Jugend hat er unter der Diskriminierung, der Armut und der Unterdrückung, der seine Familie ausgesetzt war, sehr gelitten. Zugleich erinnert er sich mit Dankbarkeit daran, dass seine Eltern für die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder alles geopfert haben. Geprägt hat ihn die einfache starke Frömmigkeit seiner Eltern, vor allem die Liebe zur Heiligen Schrift, die sein Vater zeigte und die für die Berufswahl und spätere Spezialisierung des Sohnes bestimmend wurde. Nach seiner Schulausbildung entschied er sich, Priester zu werden und durchlief die normale Ausbildung in Philosophie und Theologie. Am 16. April 1974 wurde er zum Priester der Erzdiözese Lahore geweiht. Nach kurzer Zeit in der Seelsorge wurde er 1977 nach Rom geschickt, um am Bibelinstitut ein Spezialstudium auf dem Gebiet der Exegese zu machen, das er mit dem Lizentiat abschloss. Nach seiner Rückkehr wurde er 1981 zum Professor für Exegese des Alten und Neuen Testaments ernannt und hat 9 Jahre lang am zentralen Priesterseminar »Christ the King« in Karachi unterrichtet. Als erster Punjabi wurde er 1983 zum Rektor dieses zentralen Seminars für die Priesterausbildung in der katholischen Kirche Pakistans ernannt, ein Amt, das er bis 1987 ausübte. Die eher akademische Tätigkeit eines Theologieprofessors im Priesterseminar befriedigte ihn allerdings nicht, da er den Kontakt mit der Basis und den pastoralen Einsatz vermisste. So kehrte er für einige Jahre in die pastorale Arbeit zurück und wurde in seiner Heimatdiözese Lahore Pfarrer in Mariamabad, dem Ort der nationalen Marienwallfahrt in Pakistan. Danach war er Pfarrer in Gujranwala, wo er zunächst für seine eigene Gemeinde und dann für die Gemeinden der Regionen Hafizabad und Gujranwala und später in einer Serie von Schulungsseminaren für Priester der Diözese Faisalabad seine Vorstellungen einer effektiven Pastoralarbeit vorstellte. In einer Reihe von Pastoralprogrammen hat er seine Vorstellungen über das Kirchesein im Kontext Pakistans konkretisiert. Im Laufe seines pastoralen Einsatzes hat er insgesamt Leitungsaufgaben in 10 Pfarreien der Erzdiözese Lahore innegehabt. Über die pastorale Tätigkeit vor Ort hinaus ist Emmanuel Asi ein vielgefragter Prediger und Lehrer, der durch Exerzitienkurse und Seminare für Laien, Priester, Angehörige von Ordensgemeinschaften im Land, aber auch im Ausland, sich einen großen Wirkungskreis geschaffen hat.

Angesichts der Tatsache, dass es in der katholischen Kirche Pakistans für Laien keine Möglichkeit gab, sich intensiver mit theologischen Fragen zu beschäftigen, hat er 1989 zusammen mit Hamid Henri das Zentrum »Maktaba-e-Anaveen Pakistan« (MAP) als Forum für kontextuelle Theologien (People Forum for Contextual Theologies) und als theologisches Ausbildungs- und Schulungszentrum für Laien (Theological Institute for Laity) in Sadhoke im Distrikt Gujranwala gegründet. Der Name »Maktaba-e-Anaveem« ist mit Bedacht gewählt und bedeutet »Schule für das Denken der Armen«, womit die Zielsetzung der Einrichtung knapp aus-gedrückt wird, ein Ort für eine Theologie zu sein, die den Kontext Pakistan mit seinen vielfältigen Problemen ins Zentrum rückt und sich daher vornehmlich mit Fragen der Befreiungstheologie und der Option für die Armen beschäftigt. Für sein Interesse und Engagement auf dem Gebiet der Befreiungstheologie waren ihm Gustavo Gutierréz, der »Vater der Befreiungstheologie«, Tissa Balasuriya aus Sri Lanka und Karl Gaspar aus den Philippinen Vorbild und Anregung. In die Kontroverse um Tissa Balasuriya, Theologe aus dem Oblatenorden in Sri Lanka, der 1997 wegen angeblicher oder wirklicher Verstöße gegen die kirchliche Orthodoxie in seinem Buch »Mary and Human Liberation« von der Glaubenskongregation exkommuniziert wurde, wurde Emmanuel Asi verwickelt, weil er eine Übersetzung des kontroversen Buchs auf Urdu herausgegeben hatte. Die Bischofskonferenz nahm daran Anstoß und verbot den Vertrieb des Buches in Pakistan. Der Versuch von Emanuel Asi, durch die Übersetzung zu einer Versachlichung der Diskussion beizutragen und interessierten Personen in Pakistan die Möglichkeit zu geben, sich selber ein Bild zu machen, war somit gescheitert.

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Deutsch ist erschienen:

  • Minderheit mit einer Mission in Pakistan: Zu einem neuen Missionsmodell (1) in: Missio Korrespondenz, (2004), H. 3, S. 4 –5;
  • Minderheit mit einer Mission in Pakistan: Zu einem neuen Missionsmodell (2), in: Missio Korrespondenz, (2004), H. 4, S. 4 –5;
  • Das menschliche Antlitz Gottes in Nazaret: Eine Nazaret-Spiritualität / Emmanuel Asi. – Kempen: Eigenverlag der Gemeinschaften Charles de Foucaulds in Deutschland, 1999. – 149 S.;

Auf Englisch ist erschienen:

  • Minority with a mission in Pakistan: Towards a new mission model. Minderheit mit einer Mission in Pakistan, in: Viele Wege – ein Ziel: Herausforderungen im Dialog der Religionen und Kulturen. Festgabe für Georg Evers zum 70. Geburtstag / Hrsg.: Ludwig Bertsch, Martin Evers und Marco Moerschbacher. – Freiburg i. Br.; Basel; Wien: Herder, 2006, S. 227–237;
  • In the world, of the world, for the world, in: Al-Mushir, 47 (2005), H. 3, S. 63 –72;
  • Spiritual legacy: History, spirituality and vision of religious families in Pakistan / ed. by Emmanuel Asi and Hamid Henry. – Sadhoke: Maktaba-e-Anavem Pakistan, 2005, 262 S.
  • Socio-religious harmony, in: Al-Mushir, 44 (2002), H. 1, S. 1–17;
  • Local episcopal leadership, in: Al-Mushir, 43 (2001), H. 1, S. 1–40;
  • Christianity in Egypt, in: Al-Mushir, 43 (2001), H. 2, S. 63–88;
  • Widow women and the male judge (LK: 18:1– 8), in: Al-Mushir, 41 (1999), H. 2, S. 38–46;
  • Visioning a new model of the church: A people’s church, in: Al-Mushir, 40 (1998), H. 1, S. 1–12;
  • Mammon: Blessing, evil, challenge, in: Focus, 16 (1996), H. 2, S. 86–98;
  • Church with vision, in: Focus, 14 (1994), H. 3, S. 159–164;
  • The human face of God at Nazareth: A Nazareth spirituality / Emmanuel Asi. – Dhaka: Asian Jesus Caritas, 1993. – 140 S.;
  • Spirituality of justice, in: Umeed-e-Nau, 3 (1990/91) 5–7, H. 5, S. 4–10;
  • Liberation theology: A Pakistan perspective, in: Logos, 28 (1989), H. 1, S. 1–53;
  • Ministry in the Pakistani context, in: Focus Supplement, 9 (1989), H. 2, S. 11–33;
  • Concept, charism and practice of the prophetic, in: Focus, 8 (1988), H. 3, S. 155–166.

Das Zentrum Maktaba-e-Anaveems MAP versteht sich als eine Initiative von und für Laien, die innerhalb der Kirche mit anderen gleichgearteten Organisationen und Personen, aber nicht von ihnen kontrolliert, theologisch reflektieren wollen. In seinem Amt als Präsident (Chairman) des MAP, das Emmanuel Asi seit der Gründung innehat, wird er von einem Beratungskomitee unterstützt, das aus 12 Vertretern der Erzdiözese Lahore, der Konferenz der Ordensoberen, der Kommission für die Laien, von Frauen, Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und einem Vertreter der muslimischen Gemeinschaft besteht und die Ausrichtung der Arbeit bestimmt, die auf die Befreiung der Menschen und auf gesellschaftliche Veränderung ausgerichtet ist, indem sie Laien eine Ausbildung anbietet, die sie zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit und zur Übernahme von Führungsaufgaben in der Kirche befähigen soll. Dies geschieht in einer Vielzahl von Seminaren und Arbeitstagungen, durch Publikationen und durch Exposure- Programme, bei denen die Teilnehmer in verschiedenen kulturellen, historischen, sozialen Umfeldern vor Ort Erfahrungen sammeln können, die dann in weiterführenden Kursen in konkrete Programme umgesetzt werden. Das Zentrum arbeitet mit einer Reihe internationaler Organisationen zusammen, wie der Ökumenischen Vereinigung von Theologen der Dritten Welt (EATWOT), der Kommissionen der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) und anderen ökumenischen Gremien. Durch eine Vielzahl an Publikationen, die neben Englisch vor allem in Urdu erscheinen, hat MAP die theologische Arbeit auf den Gebieten der kontextuellen Theologie, der Befreiungstheologie und der feministischen Theologie einem weiten Kreis von engagierten Laien zugänglich gemacht. Für Pakistan war das MAP die Vermittlungsstelle der von der FABC unterstützten Programme einer auf Asien abgestimmten pastoralen Methode (AsIPA) und anderer Initiativen der FABC. Emmanuel Asi selber hat sehr viel auf Urdu publiziert. Neben einigen Übersetzungen aus dem Englischen ins Urdu hat er selber auf Urdu zum Beispiel eine »Theologie der Minderheit« geschrieben und mehrere Bücher zu biblischen Themen veröffentlicht. Aus Anlass seines Silbernen Priesterjubiläums 1999 organisierten seine Freunde eine Festschrift mit dem für Emmanuel Asis theologischer Arbeit bezeichnenden Titel »Aus Liebe für sein Volk« (Lok Lagan), in dem sie seinen Beitrag für eine pakistanische kontextuelle Theologie herausstellten und in einer ihm gewidmeten Seminartagung würdigten.

Emmanuel Asi hat häufig Überlegungen und konkrete Vorschläge über die Sendung der katholischen Kirche in Pakistan vorgetragen. Auch wenn die Christen nur eine kleine Minderheit sind, sind sie doch aufgerufen, sich für die vielen Tausende Armer und Entrechteter im Land einzusetzen, die ihrer Menschenwürde und -rechte beraubt sind. Gerade als Minderheit müssen die Christen ein Modell einer Gegenkultur, basierend auf den Werten des Evangeliums, vorleben und in die Tat umsetzen. Emmanuel Asi plädiert für ein neues Modell von Kirche in Pakistan, für eine Kirche, die eine Spiritualität der Minderheit lebt und in Solidarität, im Dienst, im Mitleiden und Teilen mit den Armen selber zu einer Kirche der Armen wird. In einer Haltung der Hochachtung vor dem Wert einer jeden Person, aller Religionen und Kulturen wird eine diesen Idealen verpflichtete Kirche von den vielen Vorurteilen befreit werden, durch die sie auf andere Religionen und Kulturen herabschauend einen Herrschaftsanspruch meinte behaupten zu müssen. Die Sendung einer Kirche der Minderheit wird vorrangig nicht darin bestehen, möglichst viele Einzelpersonen zu bekehren und für sich zu gewinnen, sondern darin, durch eine prophetische Präsenz und Praxis sowie durch ihr überzeugendes Zeugnis auf die Schaffung einer besseren Gesellschaft zu hoffen und tatkräftig für ihre Verwirklichung zu arbeiten.

Seit 1992 ist Emmanuel Asi Mitglied in der Priestergemeinschaft »Jesus Caritas«, in der sich weltweit Priester zusammengeschlossen haben, die aus der Spiritualität von Charles de Foucauld ihren priesterlichen Dienst gestalten und sich in besonderer Weise mit den Kleinen Brüdern und Schwestern verbunden wissen. Von 1993–2000 war er der für Asien verantwortliche Koordinator der Gemeinschaft und zugleich auch Mitglied der internationalen Beratergruppe von Jesus Caritas. Aus dieser Arbeit und der Beschäftigung mit der Spiritualität von Charles de Foucauld ist sein Buch »Das menschliche Antlitz Gottes in Nazaret. Eine Nazaret Spiritualität« entstanden, in dem er seine Überlegungen zur theologischen und spirituellen Bedeutung des verborgenen Lebens, das Jesus 30 Jahre lang in Nazaret verbracht hat, zusammengefasst hat. Von diesem Buch erschienen unter anderem deutsche, italienische, spanische, französische, koreanische, arabische Übersetzungen, insgesamt 10 an der Zahl. Als Sekretär der Kommission für Bibelarbeit in der katholischen Kirche Pakistans hat Emmanuel Asi das Anliegen, die Bibel für die Pastoral und das geistige Leben der Gläubigen fruchtbar zu machen, mit großem Einsatz und Kompetenz vorangetrieben. Er selber hat viele Kommentare und andere biblische Werke auf Urdu publiziert, die bei der Umsetzung dieses Vorhabens hilfreich sind.

Fr. Emmanuel Asi hat eine starke Beziehung zu Deutschland, wo er viele Freunde hat. 2007 war er bei der Vorbereitung des Weltmissionssonntags in Schulen und Pfarreien unterwegs, wo er mit seinen Beiträgen immer einen starken Eindruck hinterließ. Überzeugend wirkte auf die Menschen das Engagement für die benachteiligten Gruppen in seinem Heimatland Pakistan, zu dem er trotz der Anfeindungen, die sich die kleine christliche Minderheit ausgesetzt sieht, eine starke Bindung hat. Seine eigene theologische, pastorale und erzieherische Aufgabe hat er immer darin gesehen, die aus der Kolonialzeit herrührenden Altlasten in Mentalität, Sprache und Verhalten zu überwinden. Schließlich ist die katholische Kirche in Pakistan für viele Pakistani immer noch ein aus dem Westen importierter Fremdkörper geblieben. Emmanuel Asis Arbeit zielte von Anfang an daraufhin, für den Aufbau einer echten Ortskirche zu arbeiten, die in allen Belangen inkulturiert ist und die Geschichte, Bräuche und Traditionen der eigenen Kultur mit dem christlichen Erbe verbindet. Emmanuel Asi hat sich immer stolz dazu bekannt, zur Volksgruppe der Punjabis zu gehören, die in der katholischen Kirche Pakistans die Mehrheit der Gläubigen stellt, aber in Führungspositionen der Kirche nur schwach vertreten ist. Um die katholische Kirche in der lokalen Kultur zu verankern, hat er durch seine zahlreichen Publikationen auf Urdu einen wesentlichen Beitrag geleistet. Emmanuel Asi ist überzeugt, dass nur eine in den lokalen Gegebenheiten und Traditionen verwurzelte Kirche ihre befreiende Aufgabe erfüllen kann. Die theologischen Ansichten und Aktivitäten von Emmanuel Asi sind in der katholischen Kirche Pakistans nicht unumstritten. Man hat ihm vorgeworfen, dass sein Einsatz für die Sprache und Kultur seiner punjabischen Heimat romantisierende Züge aufweise, was sich auch darin zeige, dass er den Islam nicht ernst genug nehme. Unbestritten ist aber, dass durch sein Wirken und die vielfältigen Aktivitäten des von ihm gegründeten Zentrums »Maktabae- Anaveem« vielen einfachen Christen in Pakistan erstmalig ein Zugang zu einer Theologie für Laien eröffnet wurde, die ihnen sonst inhaltlich und vor allem auch sprachlich unzugänglich geblieben wäre.

Georg Evers
Missionswissenschaftler