Marcelo Barros OSB

Foto: Kloster der Verkündigung / Brasilien

... Und ein sehr brasilianischer Theologe! Warum? Weil er aus dem Nordosten des Landes kommt, wo die Mischung einheimischer indianischer Kulturen mit den Kulturen der portugiesischen Eroberer und der afrikanischen Sklaven vielleicht am stärksten die Menschen prägt und als »echte« Brasilianer erkennen lässt? Weil er, wenngleich als Mönch zu einem bestimmten Kloster gehörig, »unruhig und ständig auf Wanderschaft« ist – wie seine biographischen Notizen überschrieben sind, die er mir zugänglich gemacht hat? Oder weil er so viele verschiedene Tätigkeiten, Aufgaben, Verantwortungen und Ausdrucksweisen in seiner Person vereint? Aus all diesen Gründen, aber vor allem aus dem letzten.

In verschiedenen Bereichen zu arbeiten und sich zu engagieren ist typisch für viele Brasilianer, und Marcelo Barros verkörpert die Pluralität, der all sein Denken, Schreiben und Leben gehört. In den kurzen Fußnoten, die ihn als Autor eines Artikels vorstellen, heißt es: »Benediktinermönch, Bibeltheologe, Berater der Landpastoral, Theologe der Ökumene, Berater in der Kommission der Basisgemeinden, Autor vieler Bücher«. Er schreibt über Gottesdienste und Bibelarbeit, über Theologie und Spiritualität der Erde, über Liebe und Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher religiöser Traditionen. Seine schriftstellerische Arbeit macht offenkundig, was ihm am Herzen liegt: Glauben und Leben, Kampf und Kontemplation zusammenzubringen und einer Spiritualität ihren angemessenen Platz zu geben, so dass sie für Christen und andere eine stärkende Nahrung sein kann und sie nicht »essen müssen, was sie nicht ernährt« (vgl. KM Forum Weltkirche 1/2000, S. 18).

Marcelo Barros habe ich in Brasilien zunächst durch kleinere Bücher, seine Einführung in die Bibel und in die Möglichkeiten gemeinschaftlichen Betens schätzen gelernt. Seine Schriften zeigten uns, die in der Pastoral tätig waren, wie wir »demütiger den Boden des Herzens und des Glaubens des anderen betreten« nämlich der Frauen und Männer, mit denen wir Gemeinden aufbauten und die sich keinerlei Kompetenz für die Leitung der Gottesdienste und Versammlungen zutrauten. Seine Schriften erlaubten ihnen, in Bibel und Liturgie eine Geschichte des Glaubens und des Betens wiederzufinden, die ihnen doch nicht so fremd war, wie sie anfangs befürchtet hatten. Im Gegenteil, sie entdeckten sich selber in dieser Geschichte, nämlich ihre Väter und Mütter, als Ansprechpartner Gottes! Die Art und Weise, wie Marcelo Barros in das Gotteslob und in die Psalmen einführt oder alttestamentliche Geschichte erzählt, zeigt, dass hier seine eigenen Wurzeln sowohl für seine Spiritualität als auch für seine Theologie liegen und dass er Lust und Begabung zum Erzählen hat.

Persönlich begegnet bin ich Marcelo Barros dann an dem Ort, an den er immer wieder zurückkehrt und der als Mitte und Ausgangspunkt seinen verschiedenen Sendungen ihre Einheit gibt: das Kloster der Verkündigung – Mosteiro da Anunciação do Senhor, dessen Prior er ist.

Marcelo Barros – Benediktinermönch? Ja, zugleich sind Ergänzungen angebracht. Sein Kloster ist eine monastische Gemeinschaft von Männern – und Frauen. Es hat keine Klausur – die Türen stehen von morgens bis abends offen für jeden; alle sind willkommen, ob Christen anderer Kirchen oder Menschen anderer Religionen. Es zieht gerade junge Menschen an, die auf der Suche sind – und ihrenWeg nach einerWeile oft in anderen Gemeinschaften weitergehen. Sein Kloster gehört zur großen Familie derer, die der Regel des heiligen Benedikt von Nursia folgen – und schließt andere Inspirationen nicht aus: Eine andere christliche Inspiration kommt von Franz von Assisi hinzu, erstaunlicher ist aber die Freundschaft mit einem der ältesten afrikanischen Kultorte in Salvador, Opô Afonjá, und die Inspiration durch die dort gelebte und gefeierte Religion. Die Gemeinschaft ist katholisch – und ökumenisch. Die Brüder beten als Christen – und in Gemeinschaft mit anderen: mit den orientalischen Religionen und mit den afro-brasilianischen Religionen. Das Klosterleben ist geprägt vom Rhythmus des Betens und Arbeitens – und zugleich von der Verwurzelung im Alltag der Landbevölkerung, die in der Nähe siedelt. Die monastische Gemeinschaft lebt aus der Stille – und verstärkt solidarisch den Schrei der um Land Kämpfenden, der Verfolgten und Unterdrückten. Sie lebt ihre eschatologische Berufung, indem sie sich von der Welt als solcher distanziert – und sich um so tiefer auf die Gemeinsamkeit mit dem Volk Gottes einlässt. Die Mönche stellen sich in den Dienst ihrer Gemeinschaft – und sie stellen sich in den Dienst der Welt der Armen sowie in den Dienst ihrer Ortskirche – was für Marcelo Barros bedeutet, dass nicht nur die Gemeinschaft sein Zuhause ist, sondern auch die Straßen, auf denen er in Brasilien und außerhalb unterwegs ist.

 

Biographische Daten

  • Geboren 1944 in Camaragibe (im Großraum Recife) / Brasilien.
  • 1962 Eintritt ins Benediktinerkloster in Olinda.
  • 1966 Dom Helder Camara vertraut dem jungen Benediktiner eine ökumenische Gemeinschaft an, die sich nach dem Konzil aus Brüdern der Gemeinschaft von Taize und Benediktinern in Olinda gründete. Bis 1970 gehörte Marcelo Barros dieser Fraternidade da Reconciliaçao an.
  • 1969 von Dom Helder Camara zum Priester geweiht.
  • 1977 Gründung des Kloster der Verkündigung – Mosteiro da Anunciaçao do Senhor — in Goiás.
  • Von 1978–1982 Lehrtätigkeit als Theologe und Exeget im Priesterseminar von Goiania.
  • Von 1986–1990 Koordinator einer Gruppe von Bibelwissenschaftlern und Liturgikern, die u. a. Vorschläge für ein inkulturiertes brasilianisches Stundengebet erarbeiteten.
  • Marcelo Barros ist Mitglied der ökumensichen Vereinigung von Theologen der Dritten Welt (EATWOT), engagiert sich insbesondere in der Landlosenpastoral und ist Professor des Centro Ecumenico de Evangelizaçao e Serviços à Pastoral (CESEP) in Sao Paulo und des Instituto de Pastoral Andino in Cuzco / Peru. Zudem Lehrtätigkeit als Theologieprofessor in Verona /Italien.
  • Neben seiner Lehrtätigkeit ist er Assessor der Kommission »Pastoral da Terra« und der kirchlichen Basisgemeinden der brasilianischen Bischofskonferenz und der Kommission »Bibel und Kultur« der bolivianischen Bischofskonferenz.
  • Zahlreiche Publikationen im In- und Ausland.

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Deutsch erschienen:

  • Marcelo Barros, Jose Luis Caravias: Theologie der Erde, Düsseldorf: Patmos-Verlag, 1990, 240 S.
  • Das Gebet der Straße: Gebetsformen im lateinamerikanischen Volkskatholizismus, in: Concilium, 1990, H. 3, S. 244–250.
  • Die Geburtswehen des Reiches Gottes: Die Apokalypsen der Armen in Lateinamerika, in: Concilium, 1998, H. 4, S. 439– 446.
  • Elija und das leise Säuseln auf dem Berg Horeb: Spiritualität und Globalisierung aus brasilianischer Perspektive, in: KM Forum Weltkirche, 2000, H. 1, S. 18–23.

Auf Spanisch erschienen:

  • A Biblia e a luta pela terra. Ed. Vozes, 1981.
  • A vida vira oração; Ed. Paulinas, São Paulo, 1983.
  • Seu louvor em nossos lábios, Ed. Paulinas, São Paulo, 1986.
  • Espiritualidade da terra; in: Revista Eclesiástica Brasileira, 1988, H. 190, S. 353–367.
  • Celebrar o Deus da Vida. Ed. Loyola, 1992.
  • A Festa dos Pequenos. Ed. Paulinas, 1995.
  • A terra e os céus se casam no louvor: Os Salomos e a ecologia, in: Revista de Interpretação Bíblica Latino- Americana, 1995, H. 21, S. 186–198.
  • O reencontro do primeiro amor: A recepção da reforma litúrgica do Concílio na América Latina, in: Medellín, 1996, H. 86, S. 329–355.
  • Um tempo para amar, Ed. Paulinas, 1997.
  • Helder, o dom de Deus que o mundo ganhou, in: Revista Eclesiástica Brasileira, 1999, H. 235, S. 697–698.
  • A Igreja que dança e a Igreja que caminha, in: Revista Eclesiástica Brasileira, 2000, H. 237, S. 184–186.
  • Bajar al encuentro de Dios: La experiencia monástica de Dios en medio de los pobres, in: Alternativas, 2000, H. 15, S. 129–147.
  • Buscando razões para ter esperanza: V. Assembléia Geral da Associação Ecumênica de Teologia do Terceiro Mundo, in: Revista Eclesiástica Brasileira, 2001, H. 244,S. 905– 908.

Die Klostergemeinschaft, zu der Marcelos Wanderungen in unterschiedlicher Mission immer wieder zurückführen, spiegelt etwas wieder von dem Wagnis der Weite, von der Offenheit für die Pluralität, von der »großen Ökumene«, die so zentral zu seiner Person und Theologie gehört, dass sie zugleich den Schlüssel zu seiner Vielseitigkeit liefert. »Wir glauben an die Möglichkeit der menschlichen Beziehung, wenn wir von der Achtung für die persönlichen Unterschiede ausgehen, wenn wir nicht danach fragen, was wir davon haben, und uns auch keine Sorgen um die Ergebnisse machen. Wir möchten darin einwilligen, bis zum allerunbekanntesten Menschen hinzugehen und den Fremden, der in der Tiefe des eigenen Herzens eines jeden von uns wohnt, nicht auszuschließen.« So heißt es im letztjährigen Weihnachtsbrief von Marcelo Barros und seinen Brüdern.

Mit dieser Spiritualität, die über die eigene religiöse Identität hinausgeht und keine Scheu hat, sich mit jedem Ausdruck von Liebe und Frieden zu verbinden, macht Marcelo Barros sich angreifbar, zumal sie bei ihm mit der Option für »eine wahrhaftig arme, missionarische und österliche Kirche« verbunden ist, »die sich von weltlicher Macht losgelöst hat und mutig für die Befreiung eines jeden menschlichen Wesens und der ganzen Menschheit einsetzt« (Medellin 5, 15a). Seine ökumenische Spiritualität hat nichts mit einer Strategie der Anbiederung oder Anpassung zu tun, durch die sich Kirchen, die leer geworden sind, wieder füllen könnten. Die radikale Offenheit für den anderen, die Marcelo von sich fordert, verbindet sich mit einer sorgfältigen Unterscheidung der Geister. Mit derselben Aufmerksamkeit, mit der er die Vorliebe für die Apokalypsen in den klassischen Pfingstkirchen als etwas erkennt, was sie mit den Basisgemeinden verbindet, kritisiert er die neuen Pfingstkirchen, weil sie die verarmte Bevölkerung noch mehr ausbeuten. Die Teilnahme des 80 - jährigen Dom Helder Câmara am Tanzen des ihn ehrenden Volkes beschreibt Marcelo Barros als Beispiel für eine Kirche, die in der Freude der Befreiung unterwegs ist; in dem singenden und tanzenden Priester M. Rossi aus São Paulo hingegen, der Hunderttausende um sich versammelt und den Medien und seiner Kirche Gewinn bringt, sieht er die Rückkehr zu einer Religion, die Menschen entfremdet.

Die Quelle, aus der Marcelo seinen unbestechlichen Mut zur großen Ökumene, seine Freiheit und die eigentümliche Verbindung von Weite und Tiefe schöpft, hat einen Namen: Dom Helder Câmara. Der damalige Erzbischof von Olinda/Recife weihte Marcelo zum Diakon und Priester (1969). Aber Jahre zuvor schon berief er den jungen Benediktiner zu seinem Sekretär für die ökumenische Arbeit der Diözese. Dom Helder war ein Prophet der Ökumene und der Freundschaft mit ande ren Religionen. Seine mitreißende Weitherzigkeit kam aus der Tiefe seiner Frömmigkeit. Er holte 1967 evangelische Brüder von Taizé, mit deren Prior Roger Schutz er während des Konzils Freundschaft geschlossen hatte, nach Recife, um eine ökumenische Gemeinschaft zusammen mit Mönchen aus dem Benediktinerkloster in Olinda zu gründen. Diese Gründung (1967–1970) vertraute er Marcelo Barros an.

Von Dom Helder lernte Marcelo die Wertschätzung des Unterschieds, der mir vom anderen als Widerspruch oder auch als Kränkung entgegenkommen kann. Ein Wort wiederholte Dom Helder gern, das Marcelo Barros ebenso gern zitiert: »Wenn du mit mir übereinstimmst, bestätigt mich das. Wenn du jedoch anderer Meinung bist, so hilft mir das mehr, denn es zwingt mich, meinen Gesichtspunkt zu vertiefen.« Die Kraft zu dieser Liebe zum anderen in seinem/ihrem Unterschied schöpft Marcelo Barros aus einem Glauben, der sich am Evangelium orientiert und aus den Psalmen nährt, und der zugleich aus der Nähe zu den verarmten und entrechteten Menschen lebt. Auch dies, was es konkret heißen kann, diese Option zu leben, zeigt ihm Dom Helder: Es geht darum, sich stören zu lassen. Jedes Mal, wenn jemand an die Tür seiner kleinen Behausung klopfte, ging der Erzbischof selber, um zu öffnen – und unterbrach so ständig, was er gerade tat. Als Marcelo ihn einmal fragte, ob er nicht jemanden damit beauftragen könnte, an die Tür zu gehen, wenn es klopfte, antwortete ihm Dom Helder: »Ich habe schon daran gedacht, den Gedanken aber verworfen. Denn wenn es ein Armer ist, der an meine Tür klopft, so will ich nicht, dass Jesus denkt, ich hätte jemanden beauftragt, der sich an meiner Stelle um die Armen kümmern soll.« Die Zustimmung zu Störungen ist eine Askese und für Marcelo Barros eine wichtige spirituelle Haltung, als eine der absichtslosesten Formen der Einwurzelung in das alltägliche Leben.

Die Suche nach der Nähe zu verarmten Menschen und nach der Teilnahme an ihren Kämpfen um Gerechtigkeit führt ihn übrigens 1976 von Olinda zum Kloster der Verkündigung, einer in der Arbeit mit der Landbevölkerung engagierten Mönchsgemeinschaft, die damals in der Nähe von Curitiba lebte und 1977 auf Bitten des Bischofs Tomás Balduino von Goiás nach Goiás Velho ging. Solidarität mit den um ihre Rechte Kämpfenden und große Ökumene – das gehört für Marcelo Barros untrennbar zusammen. »Das verschiedene Gesicht des Göttlichen« ist ein Thema, über das zu arbeiten Marcelo zu afrikanischen Benediktinern gerufen wurde. Es ist sein Thema – das für ihn auch in der umgekehrten Formulierung gilt: »Das göttliche Gesicht des Verschiedenen«.

HADWIG MÜLLER
Dr. theol., war Referentin des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio e.V., Aachen, und Mitglied des Beirats der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen e.V. Sie ist eine gefragte Referentin und Gesprächspartnerin in Fragen internationaler pastoraler Lernprozesse in Bildung und Pastoral