»Was mich mehr als alles andere beeindruckt hat: Allen Ortskirchen wurde das Wort gegeben. Ich denke an die über 100 schwarzen Bischöfe, die gerade erst von Papst Johannes XXIII. ernannt worden waren. Ähnliches geschah mit Asien: es gab Bischöfe aus China, Japan, aus Indonesien, es war eine Kirche mit 100 verschiedenen Gesichtern. Und dann die Stärke der Kirche Lateinamerikas mit ihren mehr als 600 Bischöfen. Wir hatten eine ganz lebendige Kirche mit Stimme und Stimmrecht. Auch hat mir sehr die aufmerksame Art gefallen, wie der Papst die Dinge zusammenbrachte; mit Ruhe, aber doch, indem er Schlüsselthemen benannte: die Ökumene, die Gegenwart der Kirche in der modernen Welt, den Dialog mit den anderen Religionen, die Frage des Friedens. Johannes XXIII. schaute auf das Wesentliche: das Evangelium für die Armen.«
So antwortet José Oscar Beozzo, als er nach seinen Erinnerungen an das II. Vatikanische Konzil gefragt wird. Von 1960 bis 1964 studierte er Theologie an der Gregoriana in Rom; ganz jung, als 19-Jähriger, war er im Sommer 1960 nach Rom gekommen – das Konzil war angekündigt, wurde vorbereitet, 1962 dann eröffnet; die beiden ersten Sitzungsperioden im Herbst 1962 und im Herbst 1963 (schon unter Paul VI.) hat José Oscar Beozzo in der Ewigen Stadt miterlebt. Am 14. März 1964, genau 23 Jahre und zwei Monate alt, wurde Beozzo in Rom zum Priester geweiht, wo er am folgenden Tag seine Primiz feierte.
Als viertes von insgesamt acht Kindern einer italienischstämmigen Familie erblickte er 1941 in Santa Adélia (SP) das Licht der Welt; der Vater, Oscar Modesto Beozzo, arbeitete bei einer Bank, die Mutter Gessy, geb. Martins, war Lehrerin. Von 1947 bis 1951 besuchte er die Grundschule; dann kam er auf das Kleine Seminar »Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz« in Lins im Westen des Bundesstaates São Paulo. In den Seminarien von Ipiranga (São Paulo) und Aparecida schlossen sich ab 1958 die philosophischen Semester an. Mit der Priesterweihe wurde er in das Presbyterium der Diözese Lins inkardiniert, die einige Monate später den Niederländer Pedro Paulo Koop MSC, zuvor Regens des Priesterseminars in Bauru (SP), zum Bischof erhielt (* 1905, Bischof von Lins 1964 –1980, † 1988). Bischof Koop hat den jungen Priester José Oscar Beozzo nachhaltig geprägt; ihm und seinen Eltern hat er sein wissenschaftliches Hauptwerk gewidmet: A Igreja do Brasil no Concilio Vaticano II (1959 –1965), São Paulo: Edicões Paulinas 2005.
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Nach der Priesterweihe absolvierte Beozzo ein Zweitstudium in Soziologie und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Universität in Löwen. Er schloss es 1968 mit dem Lizentiat ab; Thema der wissenschaftlichen Arbeit waren die Verbände und Bewegungen der Katholischen Aktion an den Universitäten in Brasilien. Die Jahre in Löwen waren die ersten Jahre der Militärdiktatur in Brasilien; Philosophie- und Theologiestudium hatten hingegen in der Zeit der »Entwicklungsregierungen« der Präsidenten Kubitschek und Goulart stattgefunden. In Rom, vor allem aber auch in Löwen, wo damals viele Lateinamerikaner studierten, knüpfte Beozzo langwährende Freundschaften, die in späteren Jahren seinem Anliegen der Vernetzung der brasilianischen Kirche mit dem übrigen Lateinamerika förderlich waren.
Während der harten Jahre des Militärregimes, von 1968 bis 1981, unterbrochen 1971/72 von einem weiteren Studienjahr in Löwen, wirkte Beozzo in der Diözese Lins; neben der normalen Pfarrpastoral arbeitete er vor allem in der Jugend- und Stadtrandseelsorge. Lehrtätigkeit kam hinzu, seit 1974 als Rektor des Instituto Teológico von Lins; er engagierte sich besonders für die theologische Fortbildung der Laien.
1982 wechselte Beozzo als Professor für Kirchengeschichte und Religionssoziologie an die Theologische Fakultät »Nossa Senhora da Assunção« nach São Paulo. Von hier aus entwickelte er seitdem einen großen Aktionsradius, unter anderem in der Studienkommission für lateinamerikanische Kirchengeschichte (CEHILA), im Ökumenischen Zentrum für Evangelisierung und Volksbildung (CESEP), als Berater der kirchlichen Basisgemeinden (CEB), als Mitglied der nationalen Theologenvereinigung (SOTER) und der Ökumenischen Vereinigung von Theologen der Dritten Welt (EATWOT). Lange Jahre gehört er dem Herausgeberkreis der Internationalen Theologischen Zeitschrift »Concilium« an.
Historisch hat José Oscar Beozzo zu allen Epochen der brasilianischen und lateinamerikanischen Kirchengeschichte gearbeitet. Die frühe Missionsgeschichte, das Schicksal der indigenen Bevölkerung, die Intentionen der Missionare haben ihn ebenso beschäftigt wie die Sklaverei der Afroamerikaner, die Brasilien so besonders stark beeinflusst hat. Im 19. Jahrhundert sind es die Einwandererströme aus Süd-, Mittel- und Osteuropa, denen sein detailliertes Interesse gilt, später auch die Migrationen aus dem Vorderen Orient und aus Ostasien, die dem Schmelztiegel des brasilianischen Katholizismus neue Facetten hinzufügten. Nach dem Ende des Kaiserreiches (1889) expandierte die Kirche Brasiliens; ausländische Orden und Kongregationen strömten ins Land, neue wurden in Brasilien gegründet. Beozzo kennt diese unübersichtliche Entwicklung wohl besser als jeder andere. Er arbeitet immer von den Quellen aus und mit hoher Präzision. Von ihm erstellte Statistiken sind absolut verlässlich. Je näher man der Gegenwart kommt, um so mehr verfügt er auch über mündliche Quellen, deren Seriosität er sehr sicher einzuschätzen weiß. Prägend für seine Arbeit als Kirchenhistoriker sind das jahrzehntelange Wirken in CEHILA, deren Präsident er von 1992 bis 1996 war, und die Zusammenarbeit mit Giuseppe Alberigo, an dessen Geschichte des II. Vatikanischen Konzils er seit Jahren mitgearbeitet hat; er ist verantwortlicher Herausgeber von deren portugiesischsprachiger Ausgabe.
José Oscar Beozzo begleitet aber auch mit höchstem Engagement denWeg der brasilianischen Kirche. Er war und ist Freund vieler Bischöfe und hat wesentlich die befreiungstheologisch ausgerichteten Sommerkurse des CESEP in São Paulo konzipiert. Er ist ein irenischer Mensch mit vielen Verbindungen in die nationale und kontinentale Ökumene. Und er hat von Brasilien aus weltweit Kontakte geknüpft, nicht zuletzt in die portugiesischsprachigen Länder Afrikas und Asiens. Tief verbunden blieb er über Jahrzehnte seiner armen Pfarrei am Stadtrand von Lins, in der er das Elend, das Leiden, die Entrechtung der Menschen miterlebt und mitträgt. Die Kirche dieser Gemeinde steht unter dem Patrozinium von São Benedito o Negro, dem schwarzen hl. Benedikt, der in Rio de Janeiro und Salvador da Bahia seit dem frühen 17. Jahrhundert besonders von den Sklaven verehrt und 1807 kanonisiert wurde. Immer wieder zieht es den Mann der Weltkirche, der Gastvorträge in zahllosen Ländern auf allen Kontinenten gehalten hat, zu den kleinen und armen Leuten am Stadtrand von Lins, von denen er, wie er sagt, am meisten gelernt hat.
JOHANNES MEIER
Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte, Mainz