Der Name Sebastiano D’Ambra ist unverwechselbar verbunden mit dem interreligiösen Dialog – nicht nur auf den Philippinen. Der italienische Priester und Theologe wurde am 9. Mai 1942 in Acitrezza auf Sizilien geboren. Nach seiner Schulausbildung wollte er zunächst Weltpriester in seiner Diözese werden, schloss sich dann aber der Mailänder Missionsgesellschaft an und wurde am 25. Juni 1966 zum Priester geweiht. 1977 ging er als Missionar auf die Philippinen, wo er auf der Insel Mindanao im Dorf Siocon in der Provinz Zamboanga del Norte unter der Landbevölkerung arbeitete. In diesem Teil der Philippinen stellten die Muslime lange Zeit die Mehrheit der Bevölkerung, fühlen sich aber durch die starke Zuwanderung vornehmlich christlicher Siedler in ihrer kulturellen und religiösen Identität bedroht. Von der Zentralregierung in Manila sehen sie sich benachteiligt und verlangen größere Autonomie und Selbständigkeit, Forderungen, welche die Muslimische Befreiungsfront (Moro National Liberation Front) in einem seit Jahrzehnten geführten Guerillakampf mit Waffengewalt durchzusetzen versucht. Während seiner Pastoralarbeit unter der Landbevölkerung aus Christen, Muslimen und Angehörigen der Stammesgesellschaft, der Suban-on, wurde Sebastiano D’Ambra in diese Auseinandersetzungen verwickelt. Unter großem persönlichen Einsatz und Risiko gelang es ihm einige Male, schlichtend auf die streitenden Parteien einzuwirken. Dabei wurde ihm deutlich, wie stark die Vorurteile und die negative Sicht auf die jeweils andere Religion waren und wie sehr sie eine Verständigung erschwerten.
Für ihn selber war es schmerzhaft, dass seine Friedensbemühungen auf beiden Seiten oft missverstanden und er verdächtigt wurde, einseitig Partei für die einen oder anderen Konfliktgegner ergriffen zu haben. Die Christen fragten kritisch, warum er seine pastoralen Aufgaben ihnen gegenüber vernachlässige und sich stattdessen mit den Muslimen, den »Moros«, wie sie verächtlich genannt werden, einlasse. Den Muslimen waren seine Dialogbemühungen wiederum suspekt, weil sie in ihnen versteckte Missionsabsichten vermuteten. Diese widersprüchlichen Erfahrungen waren es dann auch, die ihm die Notwendigkeit eindringlich deutlich machten, langfristig an einer Verständigung und Versöhnung zwischen Christen und Muslimen zu arbeiten. In den Begegnungen mit Muslimen und Angehörigen der Stammesreligionen war ihm die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen vor Gott deutlich geworden. Vertieft wurde diese Einsicht, als Sebastiano D’Ambra für einige Monate in einer kleinen Hütte wohnend das einfache und arme Leben der muslimischen Fischer teilte. Aus diesen spirituellen Erfahrungen resultiert seine ganz persönliche Berufung zum interreligiösen Dialog. Sie basiert auf der theologischen Einsicht, dass »der Dialog ursprünglich von Gott ausgeht und die Menschen zu Gott zurückführt«. Diese Einsicht wurde für ihn die bleibende Rechtfertigung und steter Antrieb, den interreligiösen Dialog zum Mittelpunkt seines Wirkens zu machen. Die Gefährdungen, die aus einer Vermittlungsarbeit und Dialog erwachsen, hatte er während seiner Friedensbemühungen hautnah erlebt, als er buchstäblich zwischen die Feuer der beiden verfeindeten Parteien geriet. Für seine religiösen Obern war dies der Anlass, Sebastiano D’Ambra 1981 nach Rom an das Päpstliche Institut für Arabisch-Islamische Studien (PISAI) zu schicken, wo er ein Spezialstudium in Islamwissenschaften machen sollte. Dieses »erste Exil«, wie er selbst diese Entscheidung nannte, ermöglichte es ihm, sein eigenes Verständnis des Islam und seiner Theologie und Geschichte zu vertiefen. Die so gewonnenen theoretischen Einsichten vertiefte er durch eine Reihe von Reisen in die Länder des Nahen Osten, wo er islamische Institutionen kennen lernen und den Alltag des islamischen Lebens persönlich erfahren konnte. Nach seiner Rückkehr auf die Philippinen im Jahr 1983 wurde Sebastiano D’Ambra zunächst zum Regionalobern seiner Gemeinschaft gewählt. Während dieser Zeit gründete er am 09. Mai 1984, seinem 42. Geburtstag, die »Islamisch-Christliche Silsilah-Dialog-Bewegung «, die in ihrer Zielsetzung zunächst vornehmlich den Dialog zwischen Christen und Muslimen voranbringen sollte. Da sich die Bewegung aber bald generell für den Dialog mit allen Religionen öffnete, benannte sie sich um und heißt seitdem »Silsilah-Dialog-Bewegung«. Das arabische Wort »Silsilah« bedeutet wörtlich »Kette« oder »Verbindung« und wird in der mystischen Sufi-Tradition als Metapher für die Verbindung zu Gott verstanden. Es eignet sich aber auch gut, um die grundsätzliche Verbindung aller Menschen im von Gott geschenkten Menschsein auszudrücken, die wieder herzustellen und sichtbar zu machen ein wesentliches Ziel des interreligiösen Dialogs ist. Inspiriert wurde Sebastiano D’Ambra in seinem Ansatz, die Lösung von Konflikten in einem »Dialog des Lebens« resp. in einem »Leben im Dialog« zu finden, durch Ideen Mahatma Gandhis über Gewaltlosigkeit und der grundsätzlichen Anerkennung des Anderen und seiner jeweils eigenen spirituellen Tradition. Ein anderer wichtiger Einfluss ging von Bienvenido (Benny) Tudtud (1931–1987), dem Bischof von Marawi, später Iligan, aus, der bis zu seinem frühen Tod durch einen Flugzeugabsturz die Arbeit von Silsilah mittrug und durch seine ihm eigene Spiritualität dem interreligiösen Dialog auf den Philippinen nachhaltige Anstöße gab.
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Damit Dialog nicht in Geschäftigkeit ausartet und nur eine Technik der Friedensstiftung bleibt, muss er eine spirituelle Bemühung sein, die zunächst auf die individuelle persönliche Veränderung gerichtet sein sollte, damit er dann zu einer Kraft der gesellschaftlichen Umgestaltung werden kann. Es gilt, eine Kultur des Dialogs zu entwickeln, die sich aktiv um Harmonie und Konfliktlösung bemüht, die alle Bereiche des menschlichen Lebens umfasst. Es geht um die Entwicklung eines Lebensstils, der die tiefere Beziehung des Menschen zu Gott und zur Transzendenz respektiert und daraus Respekt für die Verschiedenheit von Kulturen und Religionen entwickelt, um gemeinsam mit den Angehörigen anderer kultureller und religiöser Traditionen eine Gesellschaft von Harmonie, Solidarität und Frieden aufzubauen. Ein wichtiges Element war und ist das Gebet, das – nach den Bräuchen der jeweiligen Tradition ausgeführt – eine wichtige »Kette« (silsilah) der Verbundenheit zwischen den Gläubigen verschiedener religiöser Traditionen schaffen kann. Die verschiedenen Mitglieder der Silsilah-Bewegung, ihre Förderer und Sympathisanten sind in einer Art Gebetskette, »Kette der Harmonie « genannt, zusammengefasst, in der sie weltweit, wo immer sie sich befinden, individuell oder miteinander regelmäßig um Frieden und Harmonie beten und Kontakt halten (vgl. http://www.silsilahdialogue.com/ ). Vertieft wird das »Leben im Dialog« in Dialoggemeinschaften, von denen die im Februar 1987 in Sta. Catalina in Zamboanga gegründete »Emmaus-Dialog- Gemeinschaft« katholischer lediger Frauen als erste Gründung eine besondere Rolle einnimmt. Die Emmaus- Dialog-Gemeinschaft ist eine Lebensgemeinschaft von Frauen mit Gelübden, die sich im Geiste der Silsilah-Dialog-Bewegung auf der spirituellen Basis der Seligpreisungen in sozialen und pädagogischen Projekten engagieren. Wenn es auch im Islam eine Tradition gemeinschaftlichen religiösen Zusammenlebens für Frauen nicht gibt, so haben 2006 sich doch einige muslimische Frauen zusammengefunden, um innerhalb der Silsilah-Dialog-Bewegung die Gemeinschaft »Muslimah im Dialog für den Frieden« zu gründen. In Verbindung mit der »Emmaus-Dialog-Gemeinschaft« möchten diese muslimischen Frauen aus dem Geist des Korans sich bemühen, ein vertieftes spirituelles Zusammenleben zu führen und sich in gesellschaftlichen Projekten zu engagieren. Eine andere Form eines »Lebens im Dialog« stellten einzelne Basisgemeinschaften des interreligiösen Dialogs dar, die Formen des Zusammenlebens von Christen und Muslimen in einem Geist guter Nachbarschaft und intensiver Kooperation im Alltag praktizieren. Nach einigen Jahren der Aufbauarbeit, die sich vornehmlich auf die Stadt Zamboanga konzentrierte, schenkten Freunde und Gönner der Silsilah-Bewegung einige Kilometer außerhalb von Zamboanga ein 10 Hektar großes Grundstück, auf dem das »Harmonie- Dorf« entstand. Auf dem Gelände wurden im Laufe der Jahre die »Oase des Dialogs«, ein Zentrum mit Räumen für Begegnung und Studienveranstaltungen, eine Bibliothek, eine Kapelle, eine Moschee und seit 2006 ein Medien-Zentrum für Dialog und Frieden errichtet. Um die Dialogarbeit methodisch und inhaltlich auf eine festere Basis zu stellen, wurde das »Silsilah- Dialog-Institut« gegründet. Ein wichtiges Instrument für die Schulung im christlich-islamischen Dialog sind die Sommerkurse, die seit 1987 jährlich durchgeführt werden. Der vierwöchige Grundkurs vermittelt eine Einführung in die zentralen Elemente der beiden Traditionen, während der einwöchige Spezialkurs einzelne Themen unter der Mitarbeit von eingeladenen Experten vertieft. Dazu gibt es noch einen ebenfalls einwöchigen Intensiv-Kurs, der mit dem Angebot des Mitlebens in einer entweder islamischen oder christlichen Familie Erfahrungen im interkulturellen und interreligiösen Leben vermittelt. Neben den mehr akademischen Lehrveranstaltungen spielt auch das Zusammenleben mit Angehörigen der jeweils anderen Religion unter Berücksichtigung z. B. der Speisegebote und anderer rituellen Eigenarten eine wichtige und prägende Rolle. In den zwanzig Jahren seit Beginn dieser Kursarbeit haben mehr als 2.000 meist junge christliche und muslimische Frauen und Männer für einige Wochen zusammen gelebt, studiert und gebetet, um die jeweils andere, aber auch die eigene Spiritualität und religiöse Tradition tiefer zu verstehen. Die ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmer bleiben durch die »Alumni-Vereinigung« in Verbindung mit der Silsilah- Bewegung, treffen sich regelmäßig und helfen, den Geist und die Praxis des interreligiösen Dialogs in ihren Gemeinschaften und Gemeinden voranzubringen. 1990 wurde Sebastiano D’Ambra zum Sekretär der Kommission für den interreligiösen Dialog innerhalb der Philippinischen Bischofskonferenz ernannt, eine Aufgabe, die ihm die Möglichkeit gab, über den Bereich von Mindanao hinaus das Anliegen des interreligiösen Dialogs auf nationaler Ebene voranzutreiben. Im Großraum Manila hat die Silsilah-Bewegung 1992 die »Bewegung für den islamisch-christlichen Dialog« gegründet, die vornehmlich unter den Studenten der Universität der Philippinen das Anliegen des interreligiösen Dialogs vorantreiben will. In Silang-Cavite, in der Nähe von Manila, wurde die »Oase des Gebets« als »interreligiöser Ashram« gegründet, der Angehörigen verschiedener Religionen die Möglichkeit bieten soll, in Gebet, Stille und Meditation allein oder in Gruppen einige Zeit verbringen zu können, um sich ihrer eigenen Lebenssituation und Sendung, vor allem auf dem Gebiet des interreligiösen Dialogs und der Verständigung tiefer bewusst zu werden. Ein tiefer Einschnitt und eine Krise in den Dialoganstrengungen mit den Muslimen stellte der gewaltsame Tod von Salvatore Carzedda, ein Mitbruder und enger Mitarbeiter von Sebastiano D’Ambra, dar, der am 20. Mai 1992 in Zamboanga in seinem Wagen erschossen wurde. Die eigentlichen Täter sind nie gefasst worden, aber es waren offensichtlich Kräfte, die gegen eine Verständigung zwischen Christen und Muslimen waren. Hinzu kam die mehr als nur nahe liegende Vermutung, dass die Täter eigentlich Sebastiano D’Ambra hatten ermorden wollen und Salvatore Carzedda mit ihm verwechselten, der so das Opfer wurde. Die mit dieser Gewalttat verbundene bleibende Gefahr bewog Sebastiano D’Ambra sich für einige Zeit – sein zweites Exil – nach Italien zurückzuziehen, wo er neue Freunde für die Silsilah-Bewegung gewinnen konnte. Aus dieser Zeit resultiert auch die Gründung der »Communità Dialogo«, eine Gruppe von Christen in Italien, die von der Spiritualität der Silsilah-Dialog-Bewegung und dem Lebenszeugnis von Salvatore Carzedda inspiriert sind und sich im interreligiösen Dialog engagieren. Um den Geist und das Vermächtnis von Salvatore Carzedda zu bewahren, hat diese Gemeinschaft den »Harmonie Preis« gestiftet, mit dem jährlich arme und einfache islamische oder christliche Familien in Gemeinden in Mindanao ausgezeichnet werden, die von ihren Nachbarn als Menschen benannt wurden, die sich auf vorbildliche Weise für Frieden, Dialog und Verständigung eingesetzt haben. Der gewaltsame Tod von Salvatore Carzedda hat somit, anders als die Täter dies intendiert hatten, nicht das Ende der Silsilah-Dialog- Bewegung eingeläutet, sondern im Gegenteil, eher zu einer Stärkung des Entschlusses geführt, auf dem begonnenen Weg weiterzuschreiten. Es waren christliche und islamische Freunde und Unterstützer, die mit den Worten »Padayon!« – »Mach weiter!« – Sebastiano D’Ambra und seine Mitstreiter aufforderten, die Dialogarbeit fortzuführen. Seit nunmehr 30 Jahren, als Sebastiano D’Ambra 1977 erstmals auf die Philippinen gekommen ist, ist das Anliegen des interreligiösen Dialogs mit den Muslimen der Mittelpunkt seines pastoralen Wirkens und theologischer Reflexion. Gefragt, warum er trotz vieler Anfeindungen und Schwierigkeiten sich weiterhin um die Begegnung zwischen Christentum und dem Islam einsetze, antwortete er: »Dies ist meine Mission, ich glaube an den interreligiösen Dialog«. Und er fügte hinzu: »Ich bin von der islamischen Spiritualität fasziniert. « Sebastiano D’Ambra hat ein »Leben im Dialog « – so der Titel eines seiner Bücher – geführt, das in seiner theologischen und spirituellen Geschlossenheit überzeugt. Die Silsilah-Dialog-Bewegung ist zu einer der hoffnungsvollsten Initiativen im Bereich des interreligiösen Dialogs geworden. Sie ist zu einem Beispiel einer theologisch und spirituell verantworteten interreligiösen Dialogarbeit geworden, die nicht nur dem besonderen Kontext der Philippinen, sondern darüber hinaus auch Asiens und weltweit dienlich ist.
GEORG EVERS
Missionswissenschaftler