Der junge libanesische Theologe Fadi Daou denkt nicht nur neue Wege der Inkulturation und des Dialogs im Kontext der arabischen Kultur, sondern er praktiziert sie auch.
Fadi Daou wurde dort 1971 geboren und ist Priester der maronitischen Diözese Jbeil (Byblos). Zunächst hatte er Architektur studiert, bevor er das Theologiestudium begann. 1996 erhielt er das Lizenziat von der maronitischen Universität in Kaslik (Libanon) und 2002 den Doktortitel in Theologie von der Universität Straßburg.
Seine Doktorarbeit mit dem Titel »L’inculturation dans le ›croissant‹. Les églises orientales catholiques dans la perspective d’une église arabe« ist eine typische französische umfangreiche Arbeit von knapp 900 Seiten. In ihr befasst er sich im Besonderen mit den katholischen orientalischen Kirchen in der Perspektive einer arabischen Kirche. Er greift damit eine programmatische Schrift von Jean Corbon »L’église des arabes« (1977) auf.
Es geht dem Autor um die Erstellung einer Struktur für eine Erneuerung der orientalischen katholischen Kirchen des arabischen Halbmonds durch Inkulturation – er vermeidet den Begriff Orient, da er ideologisch belastet ist (siehe Edward Said, Orientalismus 1981). Eine tief greifende und konsequente Inkulturation in die geänderten Realitäten des Nahen Ostens würde am Ende zu der einen arabischen (katholischen) Kirche führen, die allerdings die Vielfalt bewahrt. Diesen Prozess würde man wohl normalerweise mit Kontextualisierung beschreiben, denn es geht nicht darum, das Evangelium in eine neue Kultur zu übertragen, da es ja von Anfang an in der Kultur des Nahen Ostens beheimatet war. Daou distanziert sich in seiner Arbeit ausdrücklich von dem Konzept der Inkulturation als Missionsmethode oder als Konzept der Beziehung zwischen Glaube und Kultur. Er will die Inkulturation als Theo-praxeo-logie ins Zentrum des Glaubensvollzugs stellen. Bei der Erklärung dieses Konzeptes geht er von der Erkenntnis aus, dass die »universelle Präsenz und Aktion des Wortes und des Geistes aus der menschlichen Geschichte eine Erzählung Gottes macht oder besser eine Erzählung der Vergöttlichung des Menschen «. Theo-praxeo-logie bedeutet zu zeigen, dass die Gesamtheit der Geschichte die Geschichte des Liebesbundes Gottes mit der Menschheit ist. Inkulturation ist eine diskursive Realität (logos) über die Beziehung des Glaubens mit den Kulturen, genauso und untrennbar damit ist sie eine Aktion (praxis), die aus der menschlichen Aktivität des Kulturschaffens entsteht. Gleichzeitig ist es eine Theologie, ein Diskurs über das göttliche Handeln in derWelt im Rahmen der Heilsgeschichte. Der Heilige Geist stellt dabei den gemeinsamen Raum der Begegnung zwischen Gott und den Menschen dar und ist erster Agent jeder Inkulturation, die einem menschlichen Reifungsprozess in der göttlichen Pädagogik entspricht. Inkulturation muss somit als Teil einer Haltung des Empfangens und des Hörens auf das Wirken des Heiligen Geistes und des Wortes Gottes verstanden werden, die jedem Missionar und Theologen auf den verschiedenen Wegen der Menschheit vorausgehen.
Auf dem Hintergrund dieses Inkulturationverständnisses betrachtet er die orientalischen katholischen Kirchen unter den drei Aspekten: Mission, Kommunion und Katholizität. Er sieht seine Doktorarbeit als eine Pionierarbeit. Das bedeutet aber nicht, dass es noch keine Ansätze für eine gemeinsame Inkulturation gibt. Diese findet er in den gemeinsamen Pastoralbriefen der Katholischen Patriarchen des Orients.
Das Ziel der Einheit sieht er als eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes des Kirche im Orient. Berechtigterweise sind in den unterschiedlichen Kulturen des Patriarchats von Antiochien verschiedene Kirchen entstanden, doch sie standen in Kommunion, was sich darin zeigt, dass die theologischen, spirituellen und pastoralen Schriften zwischen den Kirchen zirkulierten. Erst der Aufstieg und der Imperialismus von Byzanz hat diese Vielfalt in der Einheit zerstört und es entstanden die Einzelkirchen.
Nicht dogmatische Gründe, sondern übertriebenes Nationalbewusstsein und byzantinisches Hegemonialstreben führten zur Trennung. Ein übertriebenes Nationalbewusstsein in der Form des Konfessionalismus ist auch heute noch der wichtigste Grund für die Trennung der Kirchen trotz der dogmatischen Erklärungen und der Feststellung, dass der Glaube an Christus identisch ist. Neben dem Konfessionalismus steht seiner Interpretation nach auch eine inkohärente Ekklesiologie der Einheit in Vielfalt entgegen. Die römische kennt eigentlich nur zwei Stufen, nämlich das Papstamt und die Diözese. Daneben steht die orientalische Ekklesiologie, die auch für die orientalischen katholischen Kirchen gilt. Hiernach gibt es drei Stufen: nämlich die Diözese, die Synode und das Papstamt. Eine solche Ekklesiologie ermöglicht es, besser die Einheit in der Vielfalt abzubilden, da die verschiedenen Kulturen, in denen die Kirche verankert ist, an den Synoden festgemacht werden können.
Das zweite große Thema ist für Daou der Dialog. In seinem heilsgeschichtlichen Denken sind Inkulturation und Dialog eng verbunden. Dabei legt Daou weniger Wert auf den akademischen Dialog. Unter Berufung auf den 3. Pastoralbrief der katholischen Patriarchen sieht er in der Präsenz des Anderen die Stimme Gottes in unserem Leben. Deshalb wird im Dialog der Andere in der Fülle seiner Persönlichkeit anerkannt und als die Vollendung seiner selbst empfangen. Das wichtigste Resultat des islamisch-christlichen Dialogs in dieser spirituellen Dynamik ist nicht die Kenntnis der anderen Religion und nicht die Konversion zur anderen Religion, sondern die Konversion jedes Akteurs zu Gott und der Eintritt in eine spirituelle Solidarität, die die Beziehungen auf dem täglichen Niveau reinigt und festigt. Eine praktische Dimension kommt hinzu: Gemeinsam vor Gott stehen bedeutet auch gemeinsam für das Gemeinwohl arbeiten.
Kirche soll deshalb solidarisch mit den Zivilgesellschaften und Partner anderer Gruppen des »bienvivre- ensemble« sein. In diesem Zusammenhang und in dem Kontext des Nahen Ostens stellt Daou die Frage an seine Kirche, ob sie für die Verteidigung ihrer Gläubigen da ist oder im Dienst des anderen und des Gemeinwohls steht.
Sofort nach seiner Doktorarbeit kehrte er in den Libanon zurück und lehrte an den beiden katholischen Universitäten »Saint Joseph« in Beirut und »Saint Eprit« in Kaslik. 2005 wurde er schließlich Direktor des Institut Suprieur des Sciences Religieuses, welches aus der theologischen Fakultät der Jesuiten-Universität »Saint Joseph« hervorgegangen ist. Es ist bekannt für seine Arbeiten zu Kultur und Religion.
Er war Mitglied der bischöflichen Kommission für Kultur und kulturelle Güter im Libanon und anderer Kommissionen. Als Experte hat er an der wichtigen Maronitischen Synode (2003–2006) teilgenommen. Er ist Gründer oder Mitglied zahlreicher theologischer und kultureller Organisationen im Libanon.
2005 veröffentlichte Daou einen Aufsatz in der Zeitschrift Proche-Orient Chrétien, der zu einem neuen Ansatz im Dialog zwischen Christen und Muslimen führte. In seinem Beitrag fragte er nach der Art der Begegnung zwischen arabischen Christen und Muslimen. Er zeigte, dass die Begegnung Voraussetzung für das Gelingen des Dialogs ist. Diese Begegnung ist aber heute auf Seiten der Muslime von der Last der Verantwortung, von der Frustration des Versagens und dem Ärger über die Ungerechtigkeit geprägt, während die Christen vor dem Dilemma stehen, sich in die arabisch- muslimische Kultur zu inkulturieren oder ihrer alten pluralistischen Tradition zu folgen. Daou plädierte für eine offene Begegnung. Drei Jahre später antwortete Nayla Tabbara, eine Muslimin, in derselben Zeitschrift, indem sie die These aufstellte, dass die theologische Krise und die Identitätskrise des Islam nicht erst seit dem Beginn des 20. Jh. besteht, sondern bis in die Anfänge des Islam zurückverfolgt werden kann, als die Religion von der Politik als Geisel genommen wurde. Sie systematisierte die verschiedenen Strömungen im Islam und ihre Beziehungen zum Christentum. Im zweiten Teil antwortete sie auf die doppelte Resignation der Orientalischen Christen und fragte, ob sie Gefangene der Krise des Islam seien. Im letzten Teil entwickelte sie eine islamische Theologie der christlich-muslimischen Begegnung und sah die Grundlage in der spirituellen Solidarität.
Aus diesem Dialog entstand das Vorhaben, eine Theologie im Dialog zu entwickeln. Diese unterscheidet sich von einer Theologie der Religionen dadurch, dass der jeweils Andere auf Fragen und Anfragen antwortet und nicht aus der eigenen Theologie die Antwort gesucht wird. Auch von einem vergleichenden Ansatz unterscheidet sich diese Theologie, da hier nicht versucht wird, die Position eines neutralen Beobachters einzunehmen, sondern aus der Glaubensmitte geantwortet wird.
maronitischer Priester der Diözese Jbeil (Libanon) geboren 1971
Studien:
Wissenschaftliche Tätigkeiten:
Sonstige Aktivitäten
Ein erstes Werk der Theologie im Dialog ist die arabische Veröffentlichung der »Göttlichen Gastfreundschaft «. Das Buch möchte nicht die Unterschiede zwischen den Gesprächspartnern verwischen, im Gegenteil sollen die Differenzen zwischen Islam und Christentum aus der Glaubensperspektive herausgearbeitet werden. Dem Anderen soll man nicht als jemanden begegnen, der mit einer religiösen Identität »bewaffnet« ist, sondern als Träger einer spirituellen Botschaft, die nicht dem Plan Gottes fremd sein kann und die aus dem eigenen Glauben heraus wahrgenommen werden kann. Dies ist das Programm des Buches. Es werden nicht Positionen gegenübergestellt und dann diskutiert. Sondern es erfolgt die Beantwortung der Fragen des Anderen aus der hinterfragten religiösen Tradition selbst, um so über die Reflexion zu einer gemeinsamen Einsicht und Verantwortung gegenüber der Kohärenz und Güte des göttlichen Willens zu kommen. Aufgabe der Theologie der Religionen sei es nicht, sich um die Identitätsdifferenzen zu kümmern, sondern um die Einheit des göttlichen Planes für das Gesamt der Schöpfung. Sein grundlegendes Christusverständnis im Kontext der verschiedenen Religionen formuliert der Autor dahin gehend, dass Christus nicht in erster Linie der Gründer einer neuen Religion ist, sondern dass er zuerst als neuer Adam, Vater einer neuen Menschheit, verstanden wird. Deshalb steht im christlichen Glauben auch jeder Mensch mit Christus in Verbindung bevor er mit anderen in Verbindung steht. Diese Verbundenheit mit allen Menschen fordert von jedem Christen, dem Anderen mit Respekt zu begegnen. Dieser ist nämlich ebenso mit dem Heilsmysterium verbunden, das den Menschen von innen erneuert und ihm die Türen der Seligkeit und des Lebens öffnet (LG 16, vgl. GS 22,5). Die Intention dieses Ansatzes ist es nicht, das Gute im Anderen als verborgenen christlichen Wert und Anknüpfungspunkt für die Mission zu sehen, sondern es ist in erster Linie die Ablehnung eines christlichen Exklusivismus des Heilsmysteriums. Es geht hier weniger um den Status der Religion des Anderen und ihr Verhältnis zum Christentum als um den Blick auf den Anderen.
Davon ausgehend, dass Christus der einzige Vermittler zwischen Gott und den Menschen ist und er im Mittelpunkt jeder authentischen spirituellen Erfahrung steht, sieht Daou drei Möglichkeiten, wie die Mediation vollzogen wird und die der Christ anerkennen kann: den Heiligen Geist, die Kirche und die spezifischen Mittel der Gnade und der Heiligkeit in den anderen Religionen. Die wahre Herausforderung besteht in der Fähigkeit, den spirituellen Reichtum des Anderen zu schätzen und zwar in seiner Besonderheit und Differenz zur eigenen. Damit der spirituelle Reichtum der Anderen geschätzt werden kann, müssen zuerst die eigenen Grenzen anerkannt werden. Man muss bescheiden werden angesichts der Größe und Güte Gottes, damit man die Offenheit und die Gastfreundschaft den Mitgliedern anderer Religionen gegenüber praktizieren kann.
Im August 2006 gründet er mit der Muslimin Nayla Tabbara und anderen die libanesische Organisation Adyan für interreligiöse Studien und spirituelle Solidarität, deren Vorsitzender er heute ist. Seine wichtigsten Arbeitsgebiete sind »interkulturelle Bildung zu Verschiedenheit und Demokratie«, »Bewusstsein über das Zusammenleben und inklusive Bürgerschaft« und »Interreligiöse Solidarität, nachhaltige Entwicklung und Versöhnung«. In der maronitischen Kirche befasst er sich als Koordinator der Abteilung für interreligiöse und ökumenische Beziehungen mit dem christlichmuslimischen Dialog und der Präsenz der Christen im Nahen Osten. Als wissenschaftlicher Direktor des Euro- Arabischen Programms »Führer für das interreligiöse Verständnis« sind seine Hauptgebiete »Religionsund Gewissensfreiheit«, »Religion, Säkularismus und Politik« sowie »Politische Dimension des interreligiösen Dialogs«. An der Universität setzt er seine Vorlesungen über den interreligiösen Dialog fort.
Fadi Daou verbindet so Praxis und Theorie. Was er theologisch durchdacht hat, setzt er in der praktischen Arbeit um. Er ist ein libanesischer Theologe, der den Kirchen und dem Zusammenleben im Libanon neue Impluse geben kann.
HARALD SUERMANN
Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio e.V. Aachen