Jean-Marc Ela gehört zu den führenden afrikanischen Theologen aus dem französischen Sprachraum, deren Veröffentlichungen rasche Übersetzungen erlebt haben. Auch außerhalb kirchlicher Kreise hat die Rezeption seiner Bücher nicht auf sich warten lassen.
Nach seiner Habilitation 1969 in Straßburg über »Martin Luther« kehrte Jean-Marc Ela nach Kamerun zurück. Eine Frage quälte ihn: Was heißt es, als Afrikaner Priester zu sein? Einen Augenblick war er im Begriff, zu den Pygmäen zu gehen, um deren Leben zu teilen. Dann fiel ihm ein, dass lange vor ihm ein afrikanischer Priester eine innere Stimme vernommen hatte: Verlasse die Ruhe und Gewohnheiten der klassischen Pfarrhäuser deiner Heimatprovinz und gehe in die Berge von Nord-Kamerun. Simon Mpeke, als Baba Simon (1906 –1975) bekannt, war einer der 8 ersten Priester seines Landes. Geweiht wurde er 1935. Jahrelang wirkte er bei den Kirdis von Nordkamerun wie Johannes der Täufer. Er war der legendäre barfüßige schwarze Missionar aus dem Süden, der sich ganz mit seiner neuen Heimat identifiziert hatte. Jean-Marc Ela folgte ihm. Von 1971 bis 1975 lebte und arbeitete der aus Ebolowa stammende Akademiker zusammen mit dem »Vater der Kirdis«. Bei ihm lernte er, sich vorbehaltlos auf eine andere Kultur einzulassen und mit deren Träger das Risiko des Glaubens einzugehen. Im Umgang mit ihm verstand er, dass eine verankerte Theologie unter dem Baum des Palavers entsteht, das heißt im offenen Austausch miteinander über »das, was der Geist der Kirche sagt«. »Solange Du nicht fähig bist, auf den Rhythmus der Kirdis zu tanzen, kannst Du hier nicht arbeiten« sagt der weise Mann seinem geistlichen Erben. So entschloss sich der junge Ela, sich mit den Gesängen und den Tänzen der Kirdis vertraut zu machen. In vielen Kirchen Kameruns ertönte die Stimme Baba Simons: »Das Elend ist der Feind Gottes! Arm sein bedeutet, gegen das Elend zu kämpfen… Jesus muss das Gesicht eines Kirdis annehmen, um die Kirdis zu retten«. Wie Ela selber eingesteht, gehen die wichtigsten Intuitionen seines Lebens, die er später zur Entfaltung gebracht hat, auf die gemeinsame Zeit mit Baba Simon zurück. Nach seiner akademischen Ausbildung an den Universitäten besuchte Ela bei Simon Mpeke die Schule des Lebens!Wie jeder ernstzunehmende Theologe, so erfüllt Ela eine doppelte kritische Funktion: Zum einen begleitet er mit besonderem Interesse die Entwicklung der Lehre und der Praxis der Kirche, indem er sie ständig mit der Heiligen Schrift konfrontiert; und zum anderen stellt er schonungslos die Strukturen der afrikanischen Gesellschaft in Frage. Bevor er 1980 »Le cri de l’homme africain « veröffentlichte, hatte man den Eindruck, dass in derMehrzahl die Theologen aus Zentralafrika vor allem mit der Frage nach der kulturellen Identität beschäftigt waren. Doch diese an und für sich lobenswerten Bestrebungen der Inkulturation schienen Ela die Afrikaner von den gegenwärtigen Probleme abzulenken. Bereits in dem Titel seines bei weitem bekanntesten Buches spricht Ela von dem Schrei des afrikanischenMenschen, den die Theologen endlich wahrnehmen müssten. Damit war Ela der erste Theologe aus Zentralafrika, der in dieser Deutlichkeit nicht mehr die kulturelle, sondern die politische Dimension der Evangelisierung unterstrich. Der gebürtige Kameruner klagt darüber, dass in der Verkündigung der missionarischen wie der einheimischen Kirche das Buch Exodus ausgeklammert wurde. Alles verlief, als ob Gott nichts mit der konkreten Geschichte der Menschen zu tun hätte. Diese auf den ersten Blick harmlose Haltung lässt sich aus der irreführenden Vorstellung ableiten, das Wesentliche an dem Menschen sei seine Seele, um deren Heil sich die Religion zu kümmern habe. Die biblische Anthropologie sieht aber in dem Menschen eine Einheit. Die ganze Geschichte Israels beruft sich auf das Exodusereignis, das heißt auf den befreienden Gott. Der Name, den Gott preisgibt, ist weniger der Ausdruck des Geheimnisses seines Wesens als vielmehr der Beginn einer zukunftsorientierten Befreiungsgeschichte. Gott steht also nicht außerhalb der Geschichte. Er ist nicht neutral. Im gleichen Atemzug hält Ela der Kirche vor, zu der Befreiung Afrikas nichts beizutragen, indem sie bis in die Liturgie hinein die Abhängigkeit von anderen Kontinenten zulässt. Die Feier der Eucharistie zum Beispiel ist nur gültig mit fremden Elementen. Weizen und Trauben sind nicht die Früchte der afrikanischen »Erde und menschlichen Arbeit«.
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Darf die Feier des zentralen Geheimnisses einer befreienden Botschaft selbst abhängig machen? Provokativ gegenüber dem Klerus stellt er die Frage, warum lebendige Gemeinden, in deren Mitte Christus lebt, auf die Feier der Eucharistie verzichten müssen, wenn ein geweihter Amtsträger fehlt. Ela ist es unverständlich, dass bei Themen wie die Vielehe oder der Brautpreis die Kirche sehr eloquent ist. Da spart sie nicht an Sanktionen und Drohungen. Sie wird aber plötzlich wortkarg, wenn nicht stumm, wenn es darum geht, die Botschaft des Exodus Wirklichkeit werden zu lassen. In der politischen Landschaft Afrikas, wo die Diktatoren keine abweichende Meinung zulassen, sollte sie die Stimme der Stimmlosen und die Anwältin der »Verdammten dieser Erde« sein. Mit Erstaunen und Sorge beobachtet Jean-Marc Ela, wie einige afrikanischen Ortskirchen hinter das zweite Vatikanum zurückfallen. Sie erwecken den Eindruck, als ob sie ihre Zukunft in der Vergangenheit anderer Kirchen und Kulturen suchen würden. So entstehen junge Ortskirchen, die schon bei der Geburt Symptome eines fortgeschrittenen Alters aufweisen. Sie wagen nicht, ihre eigenen Wege zu gehen. Sie sind von der Angst gefesselt und nicht von dem befreienden Gott des Exodus ergriffen. Sonst würden sie Mut fassen, um vom afrikanischen Kontext ausgehend, die Bibel neu zu lesen. Dies würde zwangsläufig zu der Entwicklung einer neuen Theologie führen. Erst dann könnte man berechtigterweise von einer Ortskirche sprechen.
Aber Jean-Marc Ela richtet seinen kritischen Blick nicht nur auf die Kirche, um sie auf ihre gegenwärtige Aufgabe aufmerksam zu machen, sondern er geht genauso offensiv vor, wenn er auf die Verantwortung der afrikanischen Politiker hinweist. Wie die Amtsträger der Kirche, so leisten sie sehr wenig, um die politische Unabhängigkeit des schwarzen Kontinents zu Ende zu führen. Im Gegenteil: Sie verlängern die Kolonialzeit durch die faulen Kompromisse, die sie mit dem Norden eingehen. Gegen die Arbeitslosigkeit der Jugend, die Verelendung der Massen und der Landbevölkerung, die Verbreitung tödlicher Krankheiten unternehmen sie nichts nennenswertes. Die Verantwortung dafür, dass eine immer größere Kluft zwischen den Reichen und den Armen entsteht, liegt bei diesen Diktatoren. Menschenrechte sind für sie ein gefährliches Fremdwort. Um jede Diskussion über die Befreiung Afrikas zu vermeiden, haben sie den Baum des Palavers geschnitten und aus den Dörfern entfernt. Heißt dies nun, dass für Ela jeder »Kulturkampf« sinnlos und somit überflüssig ist? Keineswegs. Eine der tragenden Säulen der afrikanischen Traditionen ist die Religion. Diese Religion hat eine Symbolik, eine Weltanschauung, eine Dynamik, die den heutigen afrikanischen Christen inspirieren könnte. Sie kann zur Befreiung Afrikas beitragen. Aber wenn der »Kulturkampf « oder die verzweifelte Suche nach der kulturellen Identität zum Betäubungsmittel wird, das die Menschen in die Vergangenheit versetzt und sie die akute Gefahr, vor der sie stehen, vergessen lässt, ist die Pflege der Kultur verwerflich.
Jean-Marc Ela ist wie jeder Theologe, ein »Hörer des Wortes«. Baba Simon war für ihn ein geistlicher Vater, der in die Fußstapfen Johannes des Täufers trat, um dem Herrn den Weg zu bereiten. So versteht Jean-Marc Ela auch die Aufgabe der Kirche wie die der Theologen: Vorläufer Christi und nicht Mitläufer der Welt zu sein. Der Gestalt von Johannes dem Täufer kommt bei Ela also eine besondere Bedeutung zu. Er ist der Prophet, der zur Bekehrung anspornt. Er ist auch der Mensch, der um seine Grenzen weiß. Er ist vor allem der mutige Mann Gottes, der die Wahrheit nicht verstummen lässt. Will man die Kirchen Afrikas reformieren? Dann sollte man bei der Bekehrung ansetzen. Auf diesem Weg sind ihm Baba Simon und Johannes der Täufer lebendige Beispiele.
Die hier grob skizzierten kirchlichen und politischen Themen durchqueren fast alle Publikationen Elas. Seine Leser wissen, dass er nicht müde wird, sich zu wiederholen, solange der Notschrei des afrikanischen Menschen von der Kirche und der Politik nicht vernommen wird. Beiden ist er ein unbequemer Gesprächpartner. Obwohl viele Studenten von der katholischen Universität von Yaoundé ihre Diplomarbeiten über die Werke Elas geschrieben haben, ist er selber nie gefragt worden, ob er theologische Vorlesungen an der gleichen Universität halten wollte. Er ist inzwischen Ehrendoktor der katholischen Universität Leuven in Belgien und immer noch kein Professor der Theologie in seiner Heimat. Seit der Ermordung seines Landsmannes, des Jesuiten Pater Engelbert Mveng, lebt Ela im Exil in Kanada. Sein Notschrei war den Politikern, die den gewaltsamen Tod Mvengs nicht aufklären wollten, zu laut geworden.
ACHILLE MUTOMBO-MWANA
Dr. theol., Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Hohenneuffen