Mit Anne Béatrice Faye aus dem Senegal meldet sich eine leise, aber eindringliche Stimme der afrikanischen Theologie (und Philosophie) zu Wort, die sich deutlich und beharrlich für die Rechte von Frauen in Afrika einsetzt und dabei die mit Frauen in Verbindung stehenden Chancen auf eine ganzheitliche, alle einbeziehende Entwicklung in den globalen Dialog einbringt.
Anne Béatrice wird 1963 im Senegal in einer kinderreichen Familie auf dem Land geboren. Nach ihrer Schulausbildung tritt sie in die Kongregation der »Soeurs de l’Immaculée Conception de Castres« ein, auch »blaue Schwestern« genannt. Es handelt sich um eine im 19. Jahrhundert in Frankreich gegründete Ordensgemeinschaft mit sozialem Apostolat. Im Senegal legen die Schwestern ihren Schwerpunkt auf die Ausbildung und Förderung von Mädchen und Frauen sowie auf die ländliche Entwicklung.
Schwester Anne Béatrice durchläuft die Studiengänge der Philosophie und Theologie in Dakar und Kinshasa und entschließt sich, nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Institutionen, zu einem Promotionsstudium in Philosophie an der Universität von Dakar über die Gender-Frage in Afrika. Zeitgleich wird sie zur Provinzoberin ihres Ordens im Senegal gewählt. Die Frage der Frauenförderung vor dem Hintergrund der Entwicklungsproblematik in Afrika bestimmt seitdem ihr Denken und Tun. Seit 2008 ist sie in der Leitung des Generalats ihres Ordens in Rom tätig.
In den Schriften von Faye wird immer wieder die Spannung deutlich, in der Afrika in der heutigen globalen Welt steht und die auch die beiden Pole von Fayes Arbeit (Senegal und Rom) umfasst. Wir befinden uns »zwischen zwei Welten«: Zwischen Norden und Süden ist eine Kluft, »die die kleine Zahl derer, die sich rasch entwickeln, von der überwiegenden Mehrheit jener trennt, die immer ärmer werden.…In bestimmten Fällen haben die verhängnisvollen Auswirkungen des Paradigmas eines Wirtschaftswachstums, das vorgibt, alle Probleme zu lösen, mehr Armut erzeugt und die Kluft zwischen den Ländern, Regionen und Kontinenten, weiter vertieft.… Diese skandalöse, tiefe Kluft wirft die Frage nach den kulturellen und moralischen Prinzipien und Werten auf, die dem sozialen Leben zugrunde liegen sollen.« (Anm. 1)
Zu dieser nüchternen Situationsanalyse gehört, dass in Afrika Frauen die Hauptlast dieser Fehlentwicklung tragen. »Im Alltag kämpfen die meisten Afrikanerinnen gegen Kräfte aller Art, die ihnen ihre Persönlichkeit rauben und sie daran hindern, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie alle machen die Erfahrung einer dreifachen Unterdrückung: aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesellschaftsschicht und aufgrund einer Rassendiskriminierung, die in Kirche und Gesellschaft manifest wird.« (Anm. 2)
Nach Ansicht Fayes haben insbesondere die Kirchen in Afrika eine entscheidende Rolle zu spielen, um die Kluft zu überwinden sowie um Frauen die ihnen zustehende Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen zu ermöglichen. So ruft sie ihrer Kirche zu: »Kirche in Afrika, hab keine Angst vor der Frau!« (Anm. 3)
Die Zweite Sonderversammlung der Römischen Bischofssynode für Afrika, an der Faye im Oktober 2009 in Rom als »Assistentin« teilnahm, hat zaghafte Zeichen in diese Richtung gesetzt. Sie hat die Situation mit ihren Ungerechtigkeiten analysiert, mit deutlichen Worten gebrandmarkt und eine bessere auch innerkirchliche Partizipation von Frauen eingefordert. »Ihr seid das Rückgrat unserer Ortskirche.« Allerdings hat das Apostolische Schreiben Africa munus gegenüber den von den Synodenvätern vorgelegten Propositiones an Deutlichkeit eingebüßt. (Anm. 4)
Für Faye liegt der Schlüssel zur Überwindung der doppelten Marginalisierung von Frauen in Gesellschaft und Kirche sowie von Afrika in der globalen Kräftekonstellation in einer Neubesinnung auf Werte, die einerseits traditionell in den afrikanischen Kulturen verwurzelt sind, die andererseits mit der Frau als lebensstiftende, lebensbewahrende und Leben ermöglichende Kraft zusammenhängen. Faye nennt beispielhaft »Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Hingabe, Mitleid, Geduld, Voraussicht, Solidarität, Aufmerksamkeit und Verständnis.« (Anm. 5)
In Wiederaufnahme eines alten Bildes nennt Faye die seit circa 50 Jahren politisch unabhängig gewordenen Afrikanerinnen und Afrikaner die »Enfants de Minuit «, die Kinder der Mitternacht. Um Mitternacht geboren, müssen die afrikanischen Staaten eine Zeit der dunkelsten Nacht durchqueren, bevor sie eine neue Morgenröte am Horizont erahnen können.
Auf Deutsch erschienen:
Auf Französisch erschienen:
Faye greift hier ein altes Bild des Propheten Jeremia auf, das des Mandelbaums, der als erster Baum blüht und damit die neue Zeit ankündigt. Eine in diesem Sinne prophetische Kirche lebt eine Spiritualität der Communio, Gemeinschaft miteinander und nach außen, eine Kultur der Gastfreundschaft. Sie legt einen Schwerpunkt auf die Ausbildung und Befähigung von Laien, erinnert die Politiker (die nach der Unabhängigkeit die Hoffnungen der afrikanischen Bevölkerung verraten haben) an ihre Verantwortung und eröffnet der Jugend Perspektiven der Beteiligung in Kirche und Gesellschaft. Sie versteht in ihrer Verkündigung Heil und Heilung als Einheit und schafft Räume interreligiöser Begegnung. Denn »der Glaube wird der Motor der Renaissance des (sc. afrikanischen) Kontinents sein, einer Renaissance, zu der die traditionellen afrikanischen Religionen, der Katholizismus, der Protestantismus und der Islam ihren Beitrag leisten müssen.« (Anm. 6)
Bei allen diesen Herausforderungen geht es um eine »Desakralisierung« der prophetischen Dimension der Kirche, nach dem Beispiel des ersten Schriftpropheten Amos, der als Bauer und Viehzüchter berufen wird, das Unrecht seiner Zeit anzuprangern und soziale Gerechtigkeit als den Willen Gottes zu verkünden. Ein Zeichen für heutiges Unrecht ist, so Faye, die Emigration und Flucht vieler Afrikanerinnen und Afrikaner sowohl innerhalb Afrikas als auch von Afrika nach Europa und Amerika, sowie die unmenschliche Behandlung, die diese Flüchtlinge in den verschiedenen Gesellschaften erfahren.
Ein weiteres Zeichen der Zeit ist die ökologische Herausforderung: »Die Krise der Umwelt lässt sich nicht auf eine einfache technische Frage reduzieren. Wegen ihrer Auswirkungen, ihrer Tragweite und Komplexität erschüttert sie die geläufigen Vorstellungen vom Platz des Menschen in der Welt und in der Natur. « (Anm. 7) Der Mensch ist in einen Fluss des Lebens hineingestellt, der ihn in der Abfolge der Generationen umfasst und zugleich übersteigt.
Entwicklungspolitisch zeigt sich diese Krise vor allem im Umgang mit den natürlichen Ressourcen Land und Wasser. Eine das Auskommen sichernde Landnutzung sowie Landbesitz überhaupt ist vielen Frauen in Afrika nach wie vor unmöglich. Die lebenswichtige Ressource Wasser ist für Faye Symbol für die lebensstiftende und lebenserhaltende Rolle, die Frauen in Afrika vielfach für ihre Familien und Gesellschaften übernehmen.
Der »Körper« der Frau in der Spannung zwischen Zerbrechlichkeit und Übernahme von Verantwortung spiegelt nach Faye das Dilemma, die Kluft der heutigen globalen Welt wider. Durch Diskriminierung, Ausbeutung, Vergewaltigung und Gewalt aller Art werden Frauen an den Rand der Gesellschaft gedrückt. Dabei sind sowohl die vielen Kriegssituationen in Afrika, in denen Frauen als »Kriegswaffe« missbraucht werden, im Blick als auch traditionelle afrikanische Praktiken, die Frauen ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Möglichkeiten der Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen berauben. Auf der anderen Seite gewährleisten Frauen in Afrika durch vielfache Übernahme von Verantwortung den Erhalt und die Organisation des Lebens auf den verschiedenen Ebenen von Familie und Gesellschaft.
Faye geht es darum, stereotype Geschlechterrollen zu überwinden und die afrikanischen Frauen von der Peripherie (den »marges«) in das Zentrum eines gesellschaftlichen und kirchlichen Aufbruchs zu rücken. Anders sei eine ganzheitliche Entwicklung, die allen zugute kommt, nicht möglich.
Afrikanische Frauen stehen dabei vor der Herausforderung, »Zukunftsperspektiven zu entwerfen, bei denen die Person im Mittelpunkt steht, eine Wiederaneignung unseres Weges vorzunehmen, der auf unserer Sprache, unseren Vorstellungen und auf uns vertrauten Werten der Kultur und Gesellschaft beruht.« (Anm. 8) Ein Beispiel, das Faye anführt, ist das Verständnis der Erde als Mutter, die alles Leben und darin das menschliche Leben hervorbringt und nährt. Die hier verborgene »Fähigkeit zum anderen« gilt es vor dem Hintergrund der alltäglichen Lebenserfahrungen afrikanischer Frauen für eine Neubestimmung des gesellschaftlichen und globalen Zusammenhalts fruchtbar zu machen. Denn gegen Gewalt ist friedliche Konvivenz jeden Tag im Alltag neu zu verwirklichen, und jegliches Konzept von Entwicklung entscheidet sich in seinem Einfluss auf das alltägliche Leben. Frieden und Entwicklung gehören zusammen. »Es gibt keine Entwicklung ohne Frieden, und kein Frieden kann Bestand haben, wenn er nicht durch Entwicklung gestützt wird.« (Anm. 9)
Die hierfür erforderliche Neubestimmung des Verhältnisses zwischen »Süden« und »Norden«, so schlägt Faye vor, muss auf die grundlegenden Werte der Gastfreundschaft, der Solidarität und auf eine neue Qualität von persönlichen Beziehungen im Alltag aufbauen. (Anm. 10) Es geht um eine Pluralität von Subjekten, die die individuellen Identitäten nicht im Paradigma der Nützlichkeit und des Profits, sondern in einem gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Wir – auf lokaler wie auf globaler Ebene – verortet. Hier habe Afrika einen entscheidenden Beitrag zu leisten.
Faye leitet daraus klare Prioritäten für die afrikanische Kirche ab: »Ich träume von einer Kirche, außerhalb der institutionellen Mauern, die sich am Beispiel der ursprünglichen Hauskirchen orientiert und die immensen Bedürfnisse unseres Afrika erfüllt.… Wir appellieren an die Kirche in Afrika, sich ernsthaft und mutig auf die Erfahrungen von Frauen einzulassen. Durch ein Zuhören, dem eine partnerschaftliche, egalitäre Einstellung zugrunde liegt, gibt die Kirche jene konkrete Antwort, die zu geben sie imstande ist und die die Grundlage unserer Partnerschaft ist mit dem Ziel, ungerechte Strukturen zu reformieren.« (Anm. 11)
Möge Anne Béatrice Faye weiterhin an den Schnittstellen der Zeichen der Zeit ihren Beitrag zur Bewältigung der lokalen und globalen Herausforderungen von heute leisten.
MARCO MOERSCHBACHER
Dr. theol., Afrikareferent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V., Aachen
1 Die »Matte« der endogenen Entwicklung: Primat der sozialen Beziehungen in Afrika, in: Raúl Fornet-Betancourt (Hrsg.), Kapital, Armut, Entwicklung, Wissenschaftsverlag (Mainz 2012) 167–178, hier 169.
2 Der Beitrag von Frauen zur Mission: Hoffnung inmitten aller Probleme Afrikas, in: Richard Brosse / Katja Heidemanns (Hrsg.), Für ein Leben in Fülle. Visionen einer missionarischen Kirche, Herder (Freiburg Basel Wien 2008) 165–172, hier 167.
3 Hierzu und zum Folgenden: Héritiers et héritières des »Enfants de minuit«. Considérations à la lumière de Africae Munus, Les Éditions du CERAP (Abidjan 2012).
4 Vgl. ebd. 55–58.
5 Frauen als Rückgrat der Kirche in Afrika. Wunsch oder Wirklichkeit?, in: Forum Weltkirche 129 (2010) No. 3, 12–16, hier 16.
6 Héritiers et héritières des »Enfants de minuit«, a. a. O. 45f.
7 Ebd. 106.
8 Héritiers et héritières des »Enfants de minuit«, a. a. O. 69.
9 Ebd. 89.
10 Faye leistet mit dem regelmäßig von ihr gepflegten Blog http://resolidaire.blog4ever.com einen Beitrag zu dieser Kultur von Beziehungen.
11 Der Beitrag von Frauen zur Mission: Hoffnung inmitten aller Probleme Afrikas, in: Für ein Leben in Fülle. Visionen einer missionarischen Kirche, Herder (Freiburg Basel Wien 2008), 165–172, hier 171f.