Der Jesuit, Anthropologe und Theologe Jojo Fung gehört zur christlichen chinesisch-stämmigen Minderheit in Malaysia. Nach seiner Schulausbildung trat er in den Jesuitenorden ein und machte nach dem Noviziat und dem Studium der Philosophie 1983–1986 seine theologischen Studien an der Loyola School of Theology in Manila, wo er den Magistergrad in Theologie erwarb. Genau zu dieser Zeit hatte in den Philippinen der Kampf gegen die Militärdiktatur von Fernando Marcos seinen Höhepunkt erreicht. Jojo Fung hat sich an vielen der damals stattfindenden Protestdemonstrationen gegen das Regime von Marcos und seiner Clique beteiligt. Oft war er auch in Mindanao, wo zwei Jesuiten, Francisco Claver and Federico Escaler als Bischöfe tätig waren, die in ihrer Pastoral sehr stark die christlichen Basisgemeinden unter der armen Bevölkerung förderten und der Theologie der Befreiung nahestanden.
Als Diakon hat er einige Zeit in Jakarta in Indonesien gelebt und sich dort im sozialen Einsatz unter den Obdachlosen engagiert, den der indonesische Priester Mangunwijaya (1929–1999) initiiert hatte. Großen Einfluss auf seine theologische Position in Hinblick auf die anderen Religionen hatten die Jesuitentheologen Karl Rahner mit seiner These von den anonymen Christen und später Aloysius Pieris aus Sri Lanka, Michael Amaladoss aus Indien und ganz besonders Carlos Abesamis aus den Philippinen. Nach Abschluss der theologischen Studien wurde Jojo Fung nach London geschickt, um an der »School of Oriental and African Studies« einen Magister in sozialer Anthropologie zu machen. 1999 unternahm er Feldstudien unter der Stammesbevölkerung der Orang Seletar an der Küste des Bundesstaates Johore und unter den Muruts, einer Stammesbevölkerung in den Bergen von Sabah in Nord-Borneo. In dem kleinen Dorf Bantul erlangte er das Vertrauen des örtlichen Schamanen Garing, der ihm einen tiefen Einblick in die Spiritualität und Kosmologie der Muruts vermittelte und ihn 2001 durch einen Initiationsritus in seine Familie aufnahm. Die Erfahrungen mit dem Schamanen Garing hat Jojo Fung später in einem Buch »Ripples on the Water« (Leichtes Kräuseln auf dem Wasser) zusammengefasst und veröffentlicht. Danach hat er in Chicago bei Robert Schreiter eine Doktorarbeit geschrieben, die sich kritisch mit den Beziehungen zwischen dem christlichen Glauben und den einheimischen kulturellen und religiösen Glaubensvorstellungen und Ritualen, hier besonders dem Schamanismus, auseinandersetzte. Sein Ziel dabei war es, Elemente für eine malaysische inkulturierte Theologie zu finden. Nach einigen Jahren pastoralen Einsatzes als Pastor in einer Pfarrei in Kuala Lumpur fragte er sich, wie man in Malaysia, das von der Vielfalt von Religionen und Kulturen geprägt ist und in dem die Christen knapp 8 Prozent der 18 Millionen Einwohner ausmachen, sinnvoll Theologie betreiben könne. In Malaysia stellen die ethnischen Malaien, die fast ausschließlich Muslime sind, die Mehrheit der Bevölkerung. Die anderen beiden großen Volksgruppen sind die Chinesen und dann die Inder, die alle als Einwanderer nicht zur Volksgemeinschaft der »Söhne des Landes« (Bhumi Putra) gerechnet werden. Eine Sonderstellung nehmen die einheimischen Volksgruppen ein.
Barfuß unterwegs
Jojo Fung hat sich intensiv mit der Spiritualität und den religiösen Traditionen dieser ethnischen Gruppen auseinandergesetzt, um Elemente für eine inkulturierte Theologie für die Kirche in Malaysia zu finden. Zu diesem Zweck hat er immer wieder für längere Zeit unter diesen Volksgruppen, zum Beispiel unter den Dhusun in der Provinz Sabah und den Ban in der Provinz Sarawak auf Nord- Borneo und den Orang Asli auf der Halbinsel Malaysia gelebt und geforscht. Jojo Fung ist wie andere asiatische Theologen überzeugt, dass die traditionell angewandte Methode, theologische Texte aus Europa nur zu übersetzen, die Entwicklung eigenständiger theologischer Reflexion in Malaysia bisher verhindert hat. Eine einheimische Theologie können malaysische Theologen nur entwickeln, wenn sie auf die kulturellen Ressourcen im Lande zurückgreifen. Einen ersten Versuch, eine einheimische malaysische Theologie zu entwickeln, hat Jojo Fung 1994 in dem Buch mit dem originellen Titel: »Schuhe ausziehen – wir gehen barfuß «, im englischen Original: »Shoes-Off, Barefoot We Walk«, vorgelegt. Sein Ausgangspunkt ist der für die malaysische Gesellschaft typische Brauch, dass die Menschen ihre Schuhe ausziehen, wenn sie das Innere eines Hauses, und ganz sicher, wenn sie das Innere eines Tempels, einer Moschee oder einer Kirche, betreten. Neben der Funktion, für hygienische Reinheit in den Häusern und heiligen Stätten zu sorgen, sieht Jojo Fung in dem durch das Ausziehen der Schuhe ausgedrückten Respekt den Ausgangspunkt für eine dem malaysischen Denken entsprechende Theologie, die gleichsam sich der Schuhe entledigt, um mit bloßen Füßen sich dem Heiligen zu nähern. In der Bibel findet Jojo Fung die symbolische Handlung, sich der Schuhe zu entledigen zum Beispiel bei Moses, der sich bei der Begegnung mit Gott im brennenden Dornbusch (Ex. 3) ebenfalls nur barfuß dem Heiligen nähern darf. Ein anderes biblisches Beispiel ist Petrus, der in Antwort auf den Ruf Jesu, sich seiner Schuhe entledigt und barfuß auf dem Meer wandelnd sich Jesus zu nähern versucht (Mt 14,24 –26). Jojo Fung berichtet freimütig von seinen eigenen Erfahrungen, »barfuß« unterwegs gewesen zu sein, die er machte, als er gegen seinen Wunsch zum Pfarrer einer großen Gemeinde ernannt wurde. Eine andere Erfahrung war sein Experiment, das Leben der Armen tiefer zu verstehen, indem er einige Zeit in einem Verschlag lebte. Wieder andere Barfuß- Erfahrungen brachten ihm das Mitleben auf Zeit in einem buddhistischen Tempel in Thailand und das mehrmalige Beobachten des Ramadan in Solidarität mit seinen muslimischen Nachbarn. Wieder andere Erfahrungen, »barfuß« zu sein, ergaben sich durch sein Mitleben wiederum auf Zeit mit den Orang Asli, der ethnischen Urbevölkerung in Zentral-Malaysia. Das zentrale Beispiel für das »Barfuß-Unterwegssein« ist Jesus von Nazareth, der in der Menschwerdung sich erniedrigt und »barfuß« zu uns kommt und sich als derselbe Gott offenbart, der auch Moses erschienen ist. Für die Christen in Malaysia, die sich aus den »dunkelhäutigen « Malaien, den »gelben« Chinesen, den »braunen« Indern und den »weißen« Europäern rekrutieren, ist der barfüßige Jesus die malaysische Form der Offenbarung Gottes. Die Kirche in Malaysia ist gerufen, dem barfüßigen Jesus nachzufolgen und in ihrer Mission sich solidarisch mit den Angehörigen der anderen Religionen zum Wohl der malaysischen Nation einzusetzen. Aus der malaysischen Erfahrung, in einem Land mit einer Vielzahl von Religionen zu leben, resultiert auch ein weiterer Grundsatz für eine malaysische Theologie, nämlich die Anerkennung, dass Gott nicht das Monopol der Christen ist, sondern sich auch in anderen Religionen und Kulturen offenbart. Die Einsicht, dass »Gott alles in allem ist« (1Kor 15,28) versteht Fung zugleich als Aufforderung, sich für Gerechtigkeit und Solidarität für alle einzusetzen und befreiend zu wirken und zu kämpfen. Jojo Fung versteht die Aufgabe des Theologen dahingehend, dass er ausgehend von den Erfahrungen aus der Lebenswelt des einfachen Volkes, die in der Bibel enthaltenen Erfahrungen des Gottesvolkes, die Erfahrungen und Erwartungen der Christen in Malaysia und dann die möglichen Antworten der Kirche in Malaysia in einer aufsteigenden Spiralbewegung reflektiert. Dabei ist die feste Vertikale, um die sich diese Aufwärtsbewegung abspielt, die Heilsgeschichte, die in der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus gipfelt und ihre Erfüllung gefunden hat.
Missionieren und sich missionieren lassen
Jojo Fung gehört zur chinesischen Volksgruppe in Malaysia und nicht zu den »Söhnen des Landes«, der malaiischen Bevölkerungsgruppe, die so gut wie ausschließlich islamischen Glaubens ist und die Macht im Land für sich beanspruchen. Selber zu einer Minderheit zu gehören, war sicher eine gute Voraussetzung für Jojo Fung, sich für die Belange der ursprünglichen Bevölkerung, die Orang Asli, einzusetzen und ihrer Kultur und ihren Traditionen mit großer Sensibilität zu begegnen. Begegnungen in Indien und in Nordamerika mit Mitgliedern ethnischer Minderheiten während seiner Ausbildung waren eine wichtige Voraussetzung. Eine seiner wichtigen Erkenntnisse ist, dass die Kirche nicht nur »missionarisch« unter der einheimischen Bevölkerung wirkt, sondern im Hören und Wahrnehmen des in der traditionellen Religiosität schon »anwesenden Gottes« sich auch selber von der einheimischen Kultur und Tradition »missionieren« lassen muss und so eine »reverse mission« (umgekehrte Mission) erfährt. Diese Einsichten verarbeitet Jojo Fung gerade in einem Buch, in dem er seine weitreichenden Erfahrungen, Begegnungen und Interaktionen mit der schamanistischen Frömmigkeit der verschiedenen Stammesgruppen für die christliche Theologie fruchtbar zu machen sucht. Das Buch wird den Titel tragen: »An Asian Liberation Theology of Sacred Sustainability: Indigenous Shamanism and Christianity in Dialogue« (Eine asiatische Theologie einer heiligen Nachhaltigkeit: Einheimischer Schamanismus und Christentum im Dialog). Dabei geht es ihm darum, diese in Malaysia und in vielen anderen asiatischen Ländern so starke Spiritualität des Schamanismus biblisch zu verorten, um sie für die Entwicklung einer asiatischen Theologie der Befreiung fruchtbar zu machen. Als Grundstein für eine ökologisch ausgerichtete Theologie der Bewahrung der Schöpfung dient ihm die Achtung vor der Schöpfung und die Ehrfurcht vor dem Heiligen, die sich in den Formen der schamanistischen Spiritualität finden. Jojo Fung hat aus seinen Erfahrung in der Begegnung mit der Stammesbevölkerung in Malaysia, die eng verbunden mit der Natur und damit auch dem Schicksal ihres Beheimatetseins im tropischen Regenwald leben, ein besonderes Gespür für Fragen der Umweltpolitik und damit verbunden für die Umweltethik entwickelt. Malaysia verfügt immer noch über ein riesiges Gebiet von 32.86 Hektar tropischen Regenwalds mit einem reichem Bestand an Säugetieren und Fischen. Die Bedeutung des Erhalts des Regenwalds für das weltweite Klima steht außer Frage. Jojo Fung hat einige grundlegende ethische Regeln vorgelegt, die den Erhalt dieser für die gesamte Menschheit wichtigen Ressource sicherstellen sollen. An erster Stelle steht die Schaffung eines Bewusstseins für die Verantwortung für die Umwelt innerhalb der malaysischen Gesellschaft im Dialog mit allen Betroffenen. Dabei stellt er heraus, wie wichtig die spirituelle Komponente dabei ist, die sich in den alten Traditionen innerhalb der Stammesbevölkerung Malaysias findet, die geprägt sind von einer tiefen Ehrfurcht vor der Schöpfung und dem Schöpfer. Diese Ansätze sollten in einem ganzheitlichen und integrativen Ansatz dabei vorrangig genutzt werden. Bei der wirtschaftlichen Ausbeutung des Regenwalds muss immer im Blick behalten werden, dass diese Nutzung nicht ausschließlich nur wirtschaftlichen Kriterien folgen darf, sondern immer auch die nationale und internationale Verpflichtung zur Nachhaltigkeit beachten muss. Die katholische Kirche fordert er auf, in den verschiedenen liturgischen Feiern das Anliegen des Regenwaldes mit einzubeziehen. So könnten zum Beispiel während der Lesung des Schöpfungsberichts in der Ostervigil Diabilder des Regenwalds eingeblendet werden und zuWeihnachten könnte das Geheimnis der Inkarnation in ähnlicher Weise »plastisch« gemacht werden.
Jojo Fungs Art und Weise, Theologie zu betreiben, zeichnet sich durch eine große Kreativität und durch eine lebendige Form der mündlichen und schriftlichen Darstellung aus. Aus diesem Grund ist er als Redner und Inspirator für viele Gruppen, zum Beispiel die katholischen Studentenvereinigungen in Malaysia und in anderen asiatischen Ländern sehr beliebt und gefragt.
GEORG EVERS
Missionswissenschaftler