Forum Weltkirche - Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft mit weltweitem Blick

Astrid Lobo Gajiwala

Foto: Marie-Anna Ellmer

»Selig die Eheleute, die sich der Grenzen ihrer individuellen Spiritualität bewusst sind und sich der Gotteserfahrung ihrer andersgläubigen Partner öffnen, denn Ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Familien, die trauern, weil für sie kein Raum ist in ihren religiösen Traditionen und Herkunftsfamilien, denn sie werden getröstet werden. Selig die Eltern, die es wagen, ihre Kinder zu lehren, sich IHM zu öffnen, der alle menschlichen Grenzen sprengt, denn sie werden Gott schauen.«

Die »Seligpreisungen für religiös plurale Familien« der indischen Theologin Astrid Lobo sprechen eine deutliche Sprache. Astrid Lobo weiß, wovon sie spricht. Verheiratet mit einem gläubigen Hindu erlebt sie jeden Tag hautnah, was es heißt, in einem religiös pluralen gesellschaftlichen Umfeld zu leben und die eigene Spiritualität bewusst in Beziehung zu anderen und nicht in Abgrenzung von ihnen zu entwickeln. Dass sie ihre drei Kinder als katholische Christin bewusst nicht taufen lässt und gemeinsammit ihremMann zu leben versucht, was sie als eine hindu-christliche Identität beschreibt, hat ihr immer wieder Anfeindungen eingetragen. »Seit mehr als zehn Jahren kämpfe ich dagegen, dass meinen Kindern das exklusive Etikett ›Hindu‹ aufgezwungen wird. Ich ziehe es vor, sie als Hindu-Christen zu bezeichnen, um ihre christliche Identität anzuerkennen. Ironischerweise stoßen wir gerade in der Kirche auf die größten Widerstände.« Schmerzhafter als die Kritik von außen seien jedoch die Fragen und das Unverständnis ihrer drei Kinder, die nicht verstehen können, warum sie etwa als Nichtgetaufte vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen sein sollen, so schreibt Lobo in einem bewegenden Beitrag über die Bedeutung der Eucharistie für religiös verschiedene Familien.

»Manchmal fällt es mir schwer, der Eucharistie in meinem Leben Sinn zu geben. Mein hinduistischer Ehemann und ich sind eins vor Christus (Mt.19, 6), doch er ist selbst dann nicht zum Tisch des Herrn zugelassen, wenn er seinen Glauben an die wahrhaftige Gegenwart Jesu Christi ausdrückt. Ich frage mich, kann es wirklich Christi Willen für uns sein, als Eheleute in der denkbar intimsten Weise vereinigt zu sein, nur um in der Eucharistie getrennt zu werden, die wir das Sakrament der Einheit nennen? Ist es richtig, dass ich davon abgehalten werde, diese spirituelle Quelle, die mich trägt, mit dem einzigen Menschen zu teilen, mit dem ich alles andere auch teile? Wie viel wert ist unsere eheliche Beziehung als ein Abbild der Gemeinschaft zwischen Christus und seiner Kirche (Eph. 5:25 –32)? Wäre sie mehr wert, wenn die Kirche davon absehen würde, uns durch ihre Regeln der Tischgemeinschaft zu trennen? Was ist hier unvollkommen? Unsere Ehe oder die Kirche?

Biographische Daten

  • geboren 1954
  • Studium der Mikrobiologie, Doktor in Medizin–Leiterin der Gewebebank des Tata Memorial Hospitals in Mumbai
  • berufsbegleitende Ausbildung als Laientheologin
  • 1984 Gründung des feministisch-theologischen Kollektivs Satyashodhak
  • 1992–2003 Beraterin der Frauenkommission der Indischen Bischofskonferenz
  • Mitglied des Kernteams des Frauenreferats der Diözese Mumbai
  • Mitglied der Indischen Theologischen Vereinigung
  • Referentin in der theologischen Erwachsenenbildung und in der Ausbildung von Ordensfrauen und Seminaristen

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Englisch erschienen:

  • The Passion of the Womb. Women Re-living the Eucharist, in: Francis Gonsalves SJ, (Hrsg.): – Body, Bread, Blood. Eucharistic Perspectives from the Indian Church, Vidyjyoti/ ISPCK, 2000, S. 120–132.
  • Power struggles, in: In God’s Image, 19 (2000), H. 1, S. 51–57.
  • The wedding garment. Eucharist and interfaith family, in: Vidyajyoti. Journal of Theological Reflection 64 (2000), H. 12, S. 888–902.
  • Oscar Romero <1+2>: A saint within our grasp, in: The Examiner 151 (2000), H. 14/15.
  • Weaving the human web. Inter-faith families as basic human communities, in: Word and worship, 34 (2001), H. 3/4, S. 119–127.
  • Exploring the mind of Christ, in: The Examiner 154 (2003).
  • Planning for life, in: In God’s Image 22 (2003), H. 2, S. 18–23.

Erfahrungen wie diese haben die Arbeit der engagierten Theologin geprägt, die hauptberuflich am Tata Memorial Hospital in Mumbai arbeitet, das seinen Schwerpunkt in der Behandlung von Krebspatienten und -patientinnen hat. Als Spezialistin für die radialogische Sterilisation biologischer Gewebe und Vizepräsidentin der Asiatisch-Pazifischen Vereinigung chirurgischer Gewebebanken leitet die promovierte Medizinerin die bislang einzige Gewebebank Indiens, eine Einrichtung zur Herstellung, Lagerung und Abgabe von zu Transplantationszwecken konservierten Geweben.

Auch wenn sie nie eine formale akademische Ausbildung in Theologie durchlaufen hat, wie die Inderin immer wieder betont, ist sie in Asien eine bekannte und gefragte Referentin und Autorin. Zweimal wurde das Mitglied der Indischen Theologischen Vereinigung von der katholischen Presse für journalistische Beiträge ausgezeichnet; namhafte theologische Organisationen laden die Theologin zu ihren Konferenzen ein, die sich neben ihrer Arbeit zu Fragen des interreligiösen Dialogs vor allem als Vertreterin einer Theologie aus der Perspektive indischer Frauen einen Namen gemacht hat.

Astrid Lobo ist eine sorgfältige Beobachterin und scharfe Analytikerin: Ihre Themen findet sie in ihrer eigenen Biographie, im Leben der Familie, in den alltäglichen Erfahrungen derMenschen, mit denen sie arbeitet, in ihrem Engagement in der kirchlichen Frauenbewegung. Nie wirken die Reflexionen abgehoben oder blutleer. Stets sprechen sie eine Sprache, die spüren lässt, dass hier jemand über Dinge schreibt, die sie zutiefst bewegen. Lobo ist sich bewusst, dass sie mit ihren theologischen Reflexionen nicht selten die Grenzen der offiziellen katholischen Lehre überschreitet, die sie vor dem Hintergrund der indischen Wirklichkeit und ihrer eigenen spirituellen Reise oft als zu eng empfindet. Durch ihre interreligiöse Ehe habe sich ihr ein Weg geöffnet Theologie zu treiben, der so in der katholischen Kirche nicht beschritten würde, obwohl der interreligiöse Dialog eine existentielle Bedeutung für die indische Kirche habe. Die laufenden Dialoganstrengungen in der indischen Kirche leiden nach Auffassung Lobos unter anderem daran, dass sie weitgehend akademischer Art sind. Für die Theologin müsste es dem Lehramt heute vor allem darum gehen, von den Erfahrungen der Menschen zu lernen, die den interreligiösen Dialog an ihrem Arbeitsplatz, in ihren Gemeinschaften, in karitativen Projekten oder in religionsverschiedenen Ehen leben. Nur eine Theologie, die aus einem Dialog des Lebens erwächst, könne Antworten auf die brennenden Fragen geben, die sich der Kirche in Indien heute stellen: Immer mehr Nicht-Katholiken drückten ihr Bedürfnis aus, nach den Werten des Evangeliums zu leben und an der eucharistischen Gemeinschaft teilzuhaben, ohne formal der Kirche angehören zu wollen, etwa weil sie befürchten, durch die Taufe aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.

Lobos innerkirchliches Engagement gilt vor allem der kirchlichen Frauenbewegung. In Publikationen, Kursen und Seminaren versucht sie Frauen darin zu unterstützen, ein Verständnis für die eigene spirituelle Kompetenz, die eigene Autorität und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Die indische Kirche, so sagt sie, habe einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation der Frauen in ihrem Land geleistet, allerdings falle es ihr immer noch leichter, für die Rechte von Frauen in der Gesellschaft einzutreten als die Rechte von Frauen in der Kirche zu thematisieren. Die maßgeblich von Frauen getragene Bewegung der Kleinen Christlichen Gemeinschaften habe hier etwas in Bewegung gebracht, eröffne sie den Frauen doch die Möglichkeit, mit offiziellem kirchlichen Mandat pastorale und katechetische Aufgaben wahrzunehmen. Doch auch wenn viele Frauen in den Kleinen Christlichen Gemeinschaften Orte gefunden hätten, ihre eigenen Fähigkeit zu entwickeln, sei es bisher kaum gelungen, die Vorstellungen in den Köpfen der Menschen nachhaltig zu ändern. Immer wieder erlebt Lobo, dass Frauen ihre Tätigkeit aufgeben müssen, weil die Ehemänner nicht damit einverstanden sind. »Solche und ähnliche Erfahrungen zeigen mir, dass das Problem der Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern in den Kleinen Christlichen Gemeinschaften tiefer reicht. Vordergründig wird das Engagement von Frauen begrüßt, aber sobald dadurch traditionelle Machtstrukturen, das herrschende Eheverständnis oder die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in Frage gestellt werden, müssen die Frauen mit erheblichem Widerstand rechnen.«

Unter anderem der Initiative Lobos ist es zu verdanken, dass die indischen Bischöfe 1992 die Anliegen von Frauen erstmals auf ihre Tagesordnung setzten und als erste asiatische Bischofskonferenz ein eigenes Frauenreferat einrichteten, das 1996 in den Rang einer Kommission erhoben wurde. Astrid Lobo hat diesen Prozess der Institutionalisierung kirchlicher Frauenarbeit mit großem Engagement begleitet – von 1992 bis 2003 als offizielle Beraterin der Kommission. Heute fällt es ihr zunehmend schwerer, Entscheidungen zu akzeptieren, die sie für theologisch und kirchengeschichtlich fragwürdig hält. Jüngstes Beispiel hierfür: Die Auseinandersetzung um den Diakonat der Frau. Gemeinsam mit anderen Theologinnen und kirchlichen Aktivistinnen setzt Lobo sich für eine Zulassung von Frauen zum diakonischen Dienst in der indischen Kirche ein. »2003 wurde in unserer Kirche entschieden, verheiratete Männer zu ständigen Diakonen zu weihen. Die Zulassung von Frauen wurde in dem Entscheidungsprozess jedoch überhaupt nicht erst thematisiert. Den Gemeinden wurde ein Bild über die diakonische Tradition in der frühen Kirche vermittelt, das die bedeutende Rolle von Frauen komplett ausblendet. Deshalb sind wir mit unseren Fragen, unseren kirchengeschichtlichen Erkenntnissen und theologischen Reflexionen an die Öffentlichkeit gegangen.Wenn die Kirche sagt, dass es im Moment nicht möglich sei, Frauen zum Diakonat zuzulassen, so akzeptieren wir das. Was wir nicht akzeptieren können, ist die Haltung der Bischöfe, die uns sagen, die Nichtzulassung von Frauen sei eine Entscheidung des Lehramts und dürfe deshalb nicht debattiert werden. Wir möchten die öffentliche Debatte fortsetzen, um Ideen und Haltungen der Menschen zu verändern. Verstecken sich nicht auch diejenigen hinter Traditionen und religiösen Lehren, die Sati (Anm.: gemeint ist die Selbstverbrennung von Witwen) verteidigen?Wir leben im 21. Jahrhundert in einer Gesellschaft, die immer sensibler wird für die Frage der Menschenrechte. Mit welcher moralischen Autorität kann die Kirche ihren Platz unter den säkularen Befreiungsbewegungen einnehmen, die für die Würde und die Rechte der Frauen kämpfen, wenn sie sich weigert, ihre eigene Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen zu untersuchen? Ist die Kirche nicht gesandt, mit Christus an der Spitze der Bewegungen für Gerechtigkeit zu stehen, anstatt sich durch die Menge antreiben zu lassen? Ist es nicht unglaublich, wenn wir in einer Kirche, die danach strebt, die Liebe Gottes für alle Menschen erfahrbar zu machen – unabhängig von Klasse, Kaste oder Geschlecht –, immer mehr Hierarchien einführen? Ganz oben die exklusiv zölibatär lebenden Männer, dann die exklusiv männlichen Diakone…Was ist das Kriterium? Ist die physische Männlichkeit der alles bestimmende Faktor, um den Rang in der kirchlichen Hierarchie zu bestimmen? Was bedeutet das für die Berufung der 76160 Ordensfrauen? Und für all die anderen Frauen, die unermüdlich imWeinberg des Herrn arbeiten? Dürfen wir uns wirklich wundern, wenn viele von ihnen eine Glaubenskrise in dieser Kirche durchleiden?«

In ihrer eigenen Diözese ist es Astrid Lobo inzwischen untersagt, als Referentin aufzutreten oder in der Diözesanzeitung zu publizieren. Das hält die Theologin nicht davon ab, sich weiter für eine Kirche einzusetzen, die den Menschen dient. Unterstützung findet sie bei anderen Theologinnen und Theologen, aber auch bei manchen Bischöfen. Besonders freut Lobo, wenn sie eingeladen wird, mit Ordensfrauen und Seminaristen zu arbeiten. Eine theologische Heimat findet sie in dem feministischen Kollektiv Satyashodhak (Die SucherInnen der Wahrheit), das sie 1984 mitgegründet hat. Die Frauen und Männer treffen sich einmal im Monat zu theologischen Reflexionen, Gottesdiensten, und Studientagen, um sich gegenseitig in ihrem Kampf gegen den Sexismus zu unterstützen. »Während es uns wichtig ist, unsere Autonomie zu bewahren, sehen wir es zugleich als unsere Aufgabe an, die Kirche in ihrem Einsatz für Frauen zu unterstützen. Deshalb engagieren wir uns in kirchlichen Gremien und Institutionen, diözesan, national und kontinental. Darüber hinaus versuchen wir uns mit feministischen Theologinnen weltweit zu vernetzen.

Feministisch-theologisch zu arbeiten bedeutet für Lobo vor allem von den Erfahrungen der indischen Frauen auszugehen, die nicht so privilegiert sind wie sie selbst. 80 % der Menschen leben in ländlichen Gegenden und die Alphabetisierungsrate ist vor allem unter den Frauen immer noch sehr niedrig. Die Überlebenskämpfe dieser Frauen bestimmen die Art und Weise, wie sich Lobo ihren Themen theologisch nähert. »Wie kann ich über die Bedeutung der Eucharistie und des Opfers Jesu nachdenken und dabei die tägliche Selbsthingabe meiner unterernährten Schwestern vergessen? Ihre Körper protestieren gegen die sich wiederholenden Schwangerschaften, die ihnen etwas abverlangen, das sie nicht mehr geben können, und doch weigert sich ihr Geist, ihr Fleisch aufzugeben. Mit kleinen Kindern, die sich um ihre ausgezehrten Körper schlingen, führen sie ihre ermüdende Arbeit in den Feldern oder auf Baustellen fort. Lasten, die sie nicht absetzen können, selbst wenn sie kilometerweit laufen, um nach Feuerholz oder Wasser zu suchen. Zu Hause bereiten sie ein Mahl, wobei sie an ihren spärlichen Reserven zehren, und wobei der Körper und das Blut die Nahrung für hungrige Münder darstellen. Zu häufig werden sie zu einer Zahl in der Statistik der hohen Sterblichkeitsraten für indische Mütter und Säuglinge. Tod und Leben sind für sie eng miteinander verwoben – wie es auch für das Opferlamm Gottes war.«

KATJA HEIDEMANNS
Abteilungsleiterin Spendenkommunikation bei missio Aachen