Peter Kanyandago

Wer Artikel von Peter Kanyandago liest und ihn persönlich kennen lernt, stellt bald fest, dass dieser Theologe lebt, was er lehrt. Verwundern mag zunächst, dass er Kirchenrechtler ist. Er hat Beiträge über Kontextualität als Voraussetzung für Interkulturalität, über die Bedeutung der afrikanischen Wissenstraditionen, die Verantwortung der Christen in Gewaltsituationen, die Marginalisierung Afrikas, Kultur und Entwicklung in Afrika, Ämter und Dienste in Kleinen Christlichen Gemeinschaften, Korruption, Menschenrechte, Migration und Flüchtlinge geschrieben. Und doch spannt sich ein Bogen von seiner ersten Spezialisierung im Fach Kirchenrecht zu all diesen für den Kontinent Afrika brennend aktuellen Themen, die Kanyandago bedenkt.

Peter Kanyandago wird 1951 in Uganda geboren und durchläuft in der Diözese Mbarara die klassische Priesterausbildung vom Kleinen über das Große Seminar bis zur Priesterweihe im Jahr 1979. Aufgrund seiner guten akademischen Leistungen wird er mit einem Stipendium des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio zum Weiterstudium nach Belgien an die Katholische Universität von Louvain(-la-Neuve) geschickt, um dort ein Aufbaustudium im Fach Kirchenrecht zu absolvieren. Die Jahre in Europa sind für ihn von prägender Bedeutung. Er erlebt Europas verschwenderischen Reichtum, die Brüche in unserer Gesellschaft, den Rassismus und den fortdauernden Imperialismus, den er in einer späteren Publikation (Anm. 1) als Gegenreaktion auf eine innere Schwäche diagnostiziert. Er findet aber auch in der Gemeinschaft von Taizé, dem dortigen gemeinsamen Leben und Feiern, eine spirituelle Heimat. Wie er später schreibt, ist für ihn die Tatsache, dass in diesen Jahren in seinem Heimatland Uganda ein grausamer Krieg tobt, nach seiner Rückkehr Ansporn, eine »relevante Theologie« zu betreiben. Thematisch befasst er sich in seiner Dissertation (Promotion 1985) mit der kirchenrechtlichen Bewertung der traditionellen afrikanischen Ehe (customary marriage) im Licht universalkirchlicher und ortskirchlicher (afrikanischer) Lehramtstexte. Das Eheverständnis war für die europäischen Missionare in Afrika in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das komplexeste pastorale Problem, das übrigens angesichts vielfacher »irregulärer« Ehesituationen in afrikanischen Ortskirchen bis heute nicht pastoral zufriedenstellend gelöst ist. Für Kanyandago wird hier begreiflich, warum Paul VI. in Evangelii Nuntiandi den Bruch zwischen Evangelium und Kultur als das Drama unserer Zeitepoche bezeichnet. Es gelingt den europäischen Missionaren nicht, die afrikanische Kultur auf den Weg der Missionierung mitzunehmen. Über die schwierige Frage der Polygamie hinaus geht es dabei insbesondere um den prozesshaften und gemeinschaftsbezogenen Charakter des afrikanischen Eheverständnisses, der in der kanonischen Betonung von Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe nicht hinreichend zum Tragen kommt. Kanyandagos Option ist dann auch die einer konsequenten Stärkung des ortskirchlichen Magisteriums im Sinne partikularrechtlicher Lösungen.

In seiner Heimatdiözese Mbarara wird Peter Kanyandago als Kanzler in der Diözesanverwaltung und später dann als Rektor eines Kleinen Seminars in der Seminaristenausbildung eingesetzt. Seine Erfahrungen dort finden unter anderem in einem kritischen und pointierten Artikel (Anm. 2) ihren Niederschlag, in dem Kanyandago in der Ämterfrage die Bedürfnisse der afrikanischen Gemeinschaften und Menschen in den Vordergrund stellt und die Unzulänglichkeit und auf Distanzierung zur Basis ausgerichtete Priesterausbildung nach europäischem Muster beklagt. Methodisch folgt er dabei, wie in vielen späteren Artikeln, dem Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln und bezieht in den Schritt »Urteilen« eine fundierte biblische Reflexion ein. Die pointierte Analyse, der biblische Bezug und seine Gesamtausrichtung an der Menschenwürde und Befreiung der Afrikanerinnen und Afrikaner in der geteilten Welt qualifizieren ihn unzweifelhaft als einen afrikanischen Befreiungstheologen. Kanyandago ist dieser »relevanten Theologie« seit nunmehr zwei Jahrzehnten treu. Immer wieder verweist er auf die Ausbeutung und Herabwürdigung, die Afrikanerinnen und Afrikaner im Laufe der Geschichte und bis heute erfahren haben. Ein besonders drastischer Ausdruck dieser Abwertung sind, historisch gesehen, der Sklavenhandel und der oft mit der Missionierung Hand in Hand gehende Kolonialismus. So hat die nordatlantische Welt in die afrikanische Seele tiefe Wunden geschlagen. »Die kollektive afrikanische Seele ist verletzt worden,« (Anm. 3) schreibt Kanyandago. Die Tiefe dieser Wunden ist für Nichtafrikaner nur schwer zu ermessen, lässt aber die Bestimmung der kulturellen Identität für Afrikanerinnen und Afrikaner zu einer zentralen Frage werden. Wie bereits am Beispiel der Ehe angedeutet, führte die als selbstverständlich vorausgesetzte europäische Superiorität, die nach Kanyandago nichts anderes ist als anthropologische Gewalt (Anm. 4), zu einer kulturellen und auch religiösen Schizophrenie vieler Afrikanerinnen und Afrikaner, unter der bis heute deren Selbstwertgefühl leidet. Dass die der anthropologischen Gewalt zugrunde liegenden Mechanismen von Rassismus und Imperialismus bis heute funktionieren, belegt Kanyandago an vielen Beispielen und Situationen. Noch 1997 wurde in einem Museum in Spanien ein ausgestopfter Buschmann als Touristenattraktion präsentiert.Der Bogen vom Kirchenrecht zur kulturellen Identität Afrikas spannt sich über die Veröffentlichungen von Peter Kanyandago, der seit 1995 als Professor für Afrikanische Ethik und Entwicklungswissenschaften an der Uganda Martyrs University in Nkozi (Uganda) lehrt. Dort hat er das Afrikanische Forschungs- und Dokumentationszentrum aufgebaut und jahrelang als Prorektor für akademische Angelegenheiten den Aufbau dieser jungen katholischen Universität vorangetrieben. Dort hat er auch den Konflikt zwischen den Kulturen am eigenen Leibe erfahren müssen, da ihm die Position des Rektors dieser Universität verwehrt blieb. Kanyandago ist Mitglied in der Ecumenical Association of Third World Theologians (EATWOT) und Mitbegründer des Ecumenical Symposium of Eastern Africa Theologians (ESEAT). Diese Gruppe, die sich als ostafrikanische Regionalgruppe von EATWOT versteht, spielt für sein theologisches Denken, wie Peter Kanyandago selber angibt, eine große Rolle. Im Rahmen dieser ökumenischen Forschungsgruppe werden brennende Problemstellungen in Projekten erarbeitet, die in den von J.N.K. Mugambi und anderen herausgege- benen Reihe »African Christianity Issues« veröffentlicht wurden. So ging es um afrikanische Christologie, Ekklesiologie, Moraltheologie und Gesellschaftsethik. Auch die in Südafrika bekannt gewordene »Theology of Reconstruction« (= Theologie des gesellschaftlichen Neuaufbaus) entstammt dieser Forschungsgruppe. Aufgrund seiner Studien in Louvain-la-Neuve spricht Kanyandago fließend Französisch, so dass er den Graben zwischen frankophonem und anglophonem Afrika zu verkleinern versucht.

Biographische Daten

  •  Geboren 1951 im Süden Ugandas
  • Schulbesuch in Kitabi
  • Prieserseminar in Allokolum und Katigondo
  • 1979 Weihe zum Priester der Diözese Mbarare, Uganda
  • 1979–1985 Aufbaustudien in Louvain-la-Neuve, Belgien
  • 1985 Doktor des Kirchenrechts, Louvain-la-Neuve, mit einer Arbeit über das Eheverständnis in Afrika
  • 1986–1990 Kanzler der Diözese Mbarare
  • 1990–1995 Rektor des Kleinen Seminars in Kitabi
  • seit 1995 Professor für Afrikanische Ethik und Entwicklungsstudien sowie Deputy Vice-Chancellor an der Uganda Martyrs University (UMU), Nkozi, Uganda
  • Gründungsdirektor des dortigen African Research and Documentation Centre
  • Direktor der School of Postgraduate Studies and Research an der UMU

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Deutsch erschienen:

  • An die Weihe und nicht an die Weihe gebundene Ämter in der Ortskirche Ostafrikas, in: Alternativen zur traditionellen Pfarrstruktur. Die Communio-Ekklesiologie und ihre Rezeption in Afrika, Ozeanien und Europa, hrsg. v. L. Bertsch, H. Janssen und M. Moerschbacher, Forum Weltkirche Bd. 7 (Mainz 1997), S. 110–130.
  • Die Verantwortung von Christen in Gewaltsituationen. Eine Herausforderung für die Kirchen, in: Concilium 39 (2003), S. 82–91.
  • Die afrikanischen Kirchen und die Krise des Christentums, in: Concilium 41 (2005), S. 277–282.

Auf Englisch erschienen:

  • Customary Marriages and evangelisation in Sub-Saharan Africa. A study of the Holy See’s and African Bishops‹ Documents, Dissertation (Louvain-la-Neuve 1985).
  • A biblical reflection on the exercise of pastoral authority in the African churches, in: Jesus in African Christianity. Experimentation and diversity in African Christology, hrsg. v. J.N.K. Mugambi und L. Magesa (Nairobi 1989), S. 112–122.
  • The disfigured body of Christ and African ecclesiology, in: The Church in African Christianity. Innovative essays in ecclesiology, hrsg. v. J.N.K. Mugambi und L. Magesa (Nairobi 1990), S. 179–193.
  • Evangelizing polygamous families. Canonical and African approaches, Spearhead 116–118 (Eldoret 1991).
  • Who is my neighbour? A Christian response to refugees and the displaced in Africa, in: Moral and ethical issues in African Christianity, hrsg. v. J.N.K. Mugambi und A. Nasimiyu-Wasike (Nairobi 1992), S. 171–184.
  • Corruption: The elite are to blame, in: Leadership Nr. 360 (1997), S. 9–12.
  • Culture and development in Africa, in: Leadership Nr. 393 (2001), S. 17–24.
  • Marginalized Africa. An international perspective, hrsg. v. Peter Kanyandago (Nairobi 2002).
  • Rich but rendered poor. A Christian response to the paradox of poverty in Africa, in: The cries of the poor in Africa: Questions and responses for African Christianity, hrsg. v. Peter Kanyandago (Kisubi 2002), S. 33–56.
  • The experience of negation of particularity and Africa’s struggle for survival, in: chakana 1 (2003) 1, S. 43–58.
  • The hidden treasure of African wisdom: Reflections on the African education system, in: Mtafiti Mwafrika, Celebrating 10 years of academic excellence, hrsg. v. Peter Kanyandago, Uganda Martyrs University Press (Nkozi-Kampala 2004), S. 49–61.
  • New colonialisms: A theologico-political reflection from Africa, in: Neue Kolonialismen in den Nord-Süd-Beziehungen, hrsg. v. Raúl Fornet-Betancourt (Frankfurt 2005), S. 101–122.
  • Contextuality as a requirement for interculturality, in: Utopia hat einen Ort. Beiträge für eine interkulturelle Welt aus vier Kontinenten, hrsg. von A. Meuthrath und E. Steffens (Frankfurt/M 2006), S. 23–30.
  • International Solidarity from an African Perspective: Who is Giving Who?, in: Perspektiven internationaler Gerechtigkeit und solidarischen Handelns im heutigen Weltkontext, hrsg. v. Raúl Fornet-Betancourt (Frankfurt/ M 2006), S. 143–154.

Auf Französisch erschienen:

  • Un droit particulier pour les Églises d’Afrique. Rêve ou réalité?, in: Pour une institution des laïcs dans l’Église. Africains et européens en quête de renouveau conciliaire, hrsg. v. F. Malolo et alii (Paris 2004), S. 135–159.

Auf einem Symposium in Kinshasa über die Laiendienstämter im Jahr 2004 hielt er einen viel beachteten Vortrag (Anm. 5) über die Möglichkeit eines Afrikanischen Kirchenrechts – Traum oder Wirklichkeit? Beides, so seine Antwort. Aber die afrikanischen Ortskirchen müssten noch viele stärkere Anstrengungen unternehmen, um selbstbestimmt auf die Herausforderungen, die sich auf diesem geschundenen Kontinent stellen, eine Antwort zu finden. In Kinshasa sagte Kanyandago auch: Afrika ist nicht arm, Afrika wird arm gemacht. Diesen Gedanken entfaltet er insbesondere in seinen jüngeren Beiträgen zu verschiedenen internationalen Symposien, etwa zu den Internationalen Seminaren des Dialogprogrammes Nord-Süd (2004 in Sevilla, 2005 in Eichstätt), organisiert und publiziert vom Lateinamerikareferat des Missionswissenschaftlichen Instituts.

Peter Kanyandago lebt selbst nicht auf dem Campus der Universität, sondern im nahe gelegenen Dorf Nkozi, in einer einfachen Hütte, wo er sich sein eigenes Essen zubereitet und zum Beispiel auch selber Heilpflanzen gegen Malariaanfälle kultiviert. Die einfachen Leute, die in Afrika um ihr Überleben kämpfen und die verschiedensten Überlebensstrategien entwickeln, stellt er in den Mittelpunkt seiner theologischen Überlegungen. »Sei demütig genug, um hinauszugehen und zu sehen, wie die einfachen Afrikanerinnen und Afrikaner leben, und dort zu entdecken, dass Solidarität und Teilen keine leeren Worte sind.« (Anm. 6) In diesem Sinne ist sein lang gehegter Traum, eine Schule und Hochschule aufzubauen, die der Afrikanischen Weisheit einen prominenten Platz im Curriculum einräumt und zudem für arme Leute zugänglich ist – etwa, indem sie zu den Dörfern hinkommt. Diese »Open School for Education« hat er auch bereits gegründet, die operationelle Umsetzung steckt aber noch in den Anfängen.

Was benennt Peter Kanyandago als Herausforderungen für die Theologie im 21. Jahrhundert? (Anm. 7)

  • die gerechte Verteilung der Güter der Erde zur Überwindung der Trennung zwischen Arm und Reich, die weltweit so viele Konflikte verursacht, und eine entsprechende Weiterentwicklung der katholischen Soziallehre,
  • Versöhnungsarbeit unter besonderer Berücksichtigung der Konfliktursachen und Maßnahmen der Restitution bzw. Wiedergutmachung,
  • eine differenzierte Aufarbeitung der ethnischen Frage und die theologische Berücksichtigung von Pluralität und Partikularität,
  • der interreligiöse Dialog, insbesondere der Dialog zwischen Christen und Muslimen,
  • eine ökologische Theologie, die der hemmungslosen Ausbeutung der Natur durch den Menschen entgegenwirkt und die Welt als Schöpfung Gottes begreift.

Alle diese Fragen dürfen nicht jeweils einer bestimmten theologischen Disziplin zugewiesen werden, sondern sind Aufgabe aller theologischen Diszplinen und erfordern zudem den interdiszplinären und interkulturellen Dialog, zu dem Peter Kanyandago einen wichtigen Beitrag leistet.

MARCO MOERSCHBACHER
Dr. theol., Afrikareferent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V., Aachen

Anmerkungen

1 New colonialisms: A theologico-political reflection from Africa, in: Neue Kolonialismen in den Nord-Süd-Beziehungen, a. a. O., S. 101–122.

2 An die Weihe gebundene und nicht an die Weihe gebundene Ämter in der Ortskirche Ostafrikas, in: Alternativen zur traditionellen Pfarrstruktur, a. a. O., S. 110–130.

3 The experience of negation of particularity and Africa’s struggle for survival, in: chakana 1 (2003) 1, S. 43–58, hier S. 56.

4 Vgl. Contextuality as a requirement for interculturality. An African perspective, in: Utopia hat einen Ort, a. a. O., S. 25.

5 Un droit particulier pour les Églises d’Afrique – rêve ou réalité?, in: Pour une institution des laïcs dans l’Église, a. a. O., S. 135–159.

6 »Be humble enough to go down to see how ordinary Africans are living and find that the values of solidarity and sharing are not empty words.« in: Who is my neighbour? A Christian response to refugees and the displaced in Africa, S. 181.

7 Vgl. Theologie im III. Millenium – Que vadis? Antworten der Theologen. Dokumentation einer Weltumfrage, hrsg. v. Raúl Fornet-Betancourt (Frankfurt/M 2000), S. 147–150.