Jacob Kavunkal SVD

Jacob Kavunkal wurde am 12. Oktober 1943 in Kurumpanadom im indischen Bundesstaat Kerala in einer zu den Nachkommen der Thomas-Christen gehörigen Familie geboren. Wie er selber später schrieb, wurde sein Interesse für die Mission der Kirche in der indischen Welt der vielen Religionen schon als Kind geweckt. Sein Elternhaus befand sich direkt neben dem Haus einer Hindu-Familie. Jacob war stolz darauf, zu den Thomas-Christen in Indien zu zählen. Aber er beobachtete auch, dass der Lebensstil seiner im »einzig wahren Glauben« lebenden katholischen Familie sich nicht wesentlich von dem der hinduistischen Nachbarn unterschied. In beiden Familien wurde gebetet und die Feste der jeweiligen Religion entweder in der Kirche oder im Tempel gefeiert. Nur die Essgewohnheiten waren verschieden, da in der hinduistischen Familie weder Rind- noch Schweinefleisch gegessen, noch Alkohol getrunken wurde. Beide Familien halfen sich gegenseitig bei Krankheiten und in anderen Notfällen. Im Katechismusunterricht allerdings wurde ihm beigebracht, dass allein in der katholischen Kirche Heil zu finden sei und »die anderen« in Dunkelheit und Unwissenheit gefangen seien. Dies war eine harte Lehraussage, die so gar nicht zu seinen Erfahrungen passte. Zum Glück wurde diese Einstellung zu den anderen Religionen vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum Teil korrigiert, das eine neue Sicht auf die anderen Religionen eröffnete.

Nach Abschluss der üblichen Schulausbildung trat Jacob Kavunkal 1966 ins Noviziat der Steyler Missionare ein und wurde nach der ordensüblichen Ausbildung 1975 zum Priester geweiht. Seine Fachausbildung zum Missionstheologen erhielt er in Rom, wo er an der Gregorianischen Universität die akademischen Grade des Lizentiats und des Doktorats erwarb. Seine Doktorarbeit behandelte das Thema der »Evangelisierung im heutigen Indien. Ein Prozess des Aufbaus von Gemeinschaften «. (To Gather Them Into One, Evangelization in India today. A Process of building community, Indore 1985). Nach Indien zurückgekehrt begann er seine Tätigkeit als theologischer Lehrer, die er über fast 30 Jahre vor allem am Päpstlichen Athenäum Jnana- Deepa Vidyapeeth in Pune ausübte. Daneben war er auf den Philippinen, in den USA und in Australien als Gastprofessor tätig. Neben eigenen Büchern und einer Vielzahl von Fachbeiträgen in Zeitschriften war er als Herausgeber einer Reihe von Büchern auf dem Gebiet der Missionstheologie tätig. Wichtige Impulse für die Entwicklung einer eigenständigen indischen Missionstheologie hat er als Leiter des missiologischen Zentrums Ishvani Kendra in Pune beigetragen, dessen Leiter er 1993–1996 gewesen ist. Dabei war es für ihn immer selbstverständlich, dass die Arbeit des Zentrums nur in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus den verschiedensten Fachgebieten sowie in ökumenischer und interreligiöser Zusammenarbeit geleistet werden kann. Seine organisatorischen Gaben, Menschen zur Zusammenarbeit zusammenzuführen, hat er bei der Gründung der »Vereinigung indischer Missionstheologen« (Fellowship of Indian Missiologists) gezeigt, deren erster Präsident er wurde. Über Indien hinaus war er auch der erste Präsident der »Asiatisch-pazifischen Vereinigung von Missionswissenschaftler« der SVD (Asia-Pacific Association of Mission Researchers).

Für die Missionstheologie, die Jacob Kavunkal aus seinen Erfahrungen in Indien entwickelt, ist die Einsicht entscheidend, dass Gottes Heilswillen seit der Schöp- fung alle Menschen einbezieht und damit weit über den Bereich der Kirche hinausgeht und letztlich mit der Menschheitsgeschichte identisch ist. Als Inder und Asiat ist er weniger an dogmatischen Aussagen über das Wesen und die Natur Jesu von Nazareth sondern an seinem Leben und Handeln interessiert. Christen in Asien fragen sich: Was heißt, Christ zu sein inmitten der Masse der Angehörigen der anderen Religionen? Jacob Kavunkal hat sich mit dem Problem befasst, dass das Christentum, das auf asiatischem Boden entstanden und in seinen ersten Ausdrucksformen, in seiner Mentalität, seinen Symbolen und seinem Menschenbild geprägt wurde, Jahrhunderte später nach Asien in einem europäischen Kleid im Verbund mit den kolonialen Mächten zurückgekehrt ist. Das hat seine Akzeptanz in Asien erschwert und oft unmöglich gemacht.

Die christlichen Missionare aus Europa und Nordamerika kamen als Vertreter der »einzig wahren Religion «, um den »Heiden« den wahren Gott zu verkünden und sie vor der ihnen drohenden ewigen Verdammnis zu retten. Neben der religiösen Überlegenheit waren die Missionare aber auch Vertreter des rassischen, kulturellen, wissenschaftlichen und technischen Überlegenheitsdünkels des Westens. Die Kirche hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und neue Formen der Missionstätigkeit entwickelt. In Asien, und besonders in Indien, wo die christliche Mission und alle Bemühungen, die Menschen, im Falle Indiens meistens Hindus, zu bekehren, einen schlechten Ruf haben, muss die Verkündigung der Frohen Botschaft in einer Haltung der Demut, des Dienstes und der Achtung vor den gewachsenen kulturellen und religiösen Traditionen erfolgen.

Jacob Kavunkal hat sich in einer Vielzahl von Publikationen dafür eingesetzt, dass die missionarische Tätigkeit der Kirche in Indien in Respektierung der Pluralität der Religionen und Kulturen als Bemühen um Inkulturation erfolgen muss. Inkulturation darf dabei nicht nur als Aufgabe verstanden werden, die christliche Botschaft mit Hilfe von Symbolen, Gesten, Gebetsformen und anderer Elemente aus den anderen Religionen auszudrücken, wie dies in den ersten Anstrengungen direkt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil in Indien versucht wurde. So gut einige dieser Ansätze waren, blieben sie doch zu sehr auf das binnenkirchliche Leben beschränkt, lehnten sich zu sehr an die brahmanische Hochkultur der Hindus an und übersahen die gewaltigen gesellschaftlichen Probleme der Armut, Unterdrückung und Missachtung der Menschenrechte der aus der indischen Gesellschaft ausgegrenzten Menschengruppen der Dalits und der Stammesbevölkerung. Die Bemühungen, die christliche Botschaft in Indien zu inkulturieren, müssen daher in Solidarität mit den Dalits, den Angehörigen der Stammesbevölkerung, den unterdrückten Frauen und den zur Arbeit gezwungenen Kinder erfolgen, und die Kirche muss sich für deren Rechte einsetzen. Die christliche Mission ist nicht individualistisch auf die Bekehrung des Einzelnen ausgerichtet, sondern ist immer auch Aufruf zum gesellschaftlichen Wandel im Kampf gegen die Strukturen der Ungerechtigkeit, der Ausgrenzung und Versklavung.

Jacob Kavunkal gehört seiner Herkunft nach zu den Nachfahren der Thomas-Christen, die wie immer man die historische Richtigkeit ihrer apostolischen Herkunft auch beurteilen mag, spätestens seit dem 3. Jahrhundert in Indien gelebt haben. Über Jahrhunderte hinweg habe die Thomas-Christen ihren Glauben bewahrt und friedlich mit ihren Mitbürgern anderen Glaubens gelebt. Geleitet wurden sie von dem Grundsatz, dass »jeder Weg für die Nachfolger dieses Weges heilsam ist«, eine Grundeinstellung zu anderen Religionsformen, die nach Jacob Kavunkal auch heute die Grundlage einer indischen und asiatischen Missionstheologie sein könnte. Denn in Asien wird der Anspruch des Christentum auf Einzigartigkeit und ausschließlichen Wahrheitsbesitz durchweg abgelehnt. Daher muss neu gefragt werden, ob diese Aussage wirklich zum Grundbestand der christlichen Wahrheit gehört. Jacob Kavunkal vertritt in diesem Zusammenhang die These, dass die Missionstheologie normativ für die Ekklesiologie sein sollte und nicht umgekehrt, wie dies traditionell der Fall gewesen ist. Die Sendung Gottes erstreckt sich in erster Linie auf die Welt und geht der Sendung der Kirche voraus. Gottes Liebe zur Welt wurde in der historischen Person des Jesus von Nazareth in einzigartiger Weise sichtbar und sein Vermächtnis wird von der Kirche weitergetragen. Aber Gottes heilswirksame Mission in die Welt ging dieser Sendung voraus und wird auch heute nicht nur durch die Kirche, sondern darüber hinaus auch außerhalb der Kirche fortgesetzt. Die Kirche ist das »Sakrament des Heils für die Welt« und steht damit stellvertretend für die ganze Menschheit. Um ihre Sendung der Stellvertretung für die ganze Menschheit auszuüben, muss sie aber nicht deckungsgleich mit der gesamten Menschheit werden, sondern muss diese Aufgabe als »kleine Herde« ausüben. Jacob Kavunkal widerspricht vehement dem weitverbreiteten Urteil, dass die christliche Mission in Asien »gescheitert« sei, da es der Kirche nur gelungen sei, eine kleine Minderheit zu gewinnen. Er hält dagegen, dass das Christentum nur in Asien erfolgreich gewesen ist, seinen Einfluss über die Kirche hinaus in der Gesellschaft wirksam werden zu lassen, gerade dadurch erreicht, dass es nur eine kleine Minderheit darstellt, die aber als Salz und Sauerteig wirkt. So versteht er die Taufe als »Sakrament einer Existenz für die anderen«, das heißt als Beauftragung, die Liebe Gottes, der unser aller Vater (Abba) ist, zur Welt und den Menschen beispielhaft zu leben im Dienst an den Werten des Reiches Gottes, in dessen Dienst die Kirche steht. Diese positive Annahme der Gegebenheit, Minderheit innerhalb der religiösen Vielfalt Asiens zu sein, ist für die asiatischen Kirchen eben nicht das Eingestehen einer Niederlage, sondern Bekenntnis zu einer besonderen Aufgabe und einem besonderen Zeugnis. Mit Blick auf die Kirche in Indien hält er fest, dass es ihr gelungen sei, von einem Objekt der Mission zum Subjekt der Mission zu werden und damit eine der dynamischsten Kirchen in der katholischen Weltkirche zu sein. Die Kirche Indiens ist zum Partner der Schwesterkirchen geworden, der aktiv an der Sendung der Weltkirche teilnimmt. Wenn es ihr gelingt, ihre Abhängigkeit von finanzieller und materieller Unterstützung aus dem Ausland zu überwinden, hat sie die Chance, auch in den Augen ihrer Mitbürger als eigenständige Kirche in Indien anerkannt zu werden. Die anderen Religionen dürfen daher nicht als Vorbereitung auf das Evangelium als zum Aufgehen in die Fülle des Evangeliums und damit dem Untergang geweiht gesehen werden, sondern als Weggefährten auf dem gemeinsamen Weg, die Werte des Reiches Gottes zu leben und gemeinsam unterwegs zum endgültigen Kommen der Gottesherrschaft zu sein. Die Verpflichtung zum Dialog mit den Angehörigen der anderen Religionen ergibt sich hieraus als ein wesentlicher Bestandteil der Sendung der Kirche als Minderheit in Asien. Es ist daher kein Trick, die alte, direkt auf die Bekehrung möglichst vieler zielende Missionsstrategie mit »anderen Mitteln« fortzusetzen, sondern ist Ausdruck des Bewusstseins, dass die Kirche als Sakrament des Heils für alle eine Sendung für alle zu erfüllen hat, für mehr Menschlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Verständigung in der Gesellschaft sich einzusetzen.

Eine indische Missionstheologie lehnt das in der westlichen Missionstheologie gängige Verständnis von Mission als Sendung in heidnische Gebiete, »Missio Ad Gentes«, ab, weil es die Sendung der Kirche auf bestimmte geographisch, soziologisch und heilstheologisch bestimmte Gruppen festlegt und damit auf die Kirchenzugehörigkeit einschränkt. Die eigentliche Sendung Gottes, und abgeleitet die der Kirche, zielt dagegen auf die Welt, die überall da, wo die Werte des Reiches Gottes missachtet werden, zur Umkehr und Bekehrung aufgerufen ist. Die Aufgabe jedoch, mehr Menschlichkeit in dieser Welt herbeizuführen, ist nicht allein der Kirche aufgetragen, sondern kann angesichts der Vielfalt der Religionen nur gemeinsam mit ihnen angepackt werden. In Asien haben die Christen gerade aus ihrer Situation heraus, Minderheit zu sein, gelernt, dass die Vielfalt der Religionen in Gottes Heilsplan liegt, sie also nicht ein Hindernis darstellt, das durch die Bekehrung dieser Religionen zum Christentum überwunden werden kann und muss. Aus dieser Einsicht heraus eröffnet sich die Möglichkeit und die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit mit den anderen Religionen auf die Verwirklichung von Gottes Herrschaft und der Werte seines Reiches in Gerechtigkeit, Frieden und Harmonie hin zu arbeiten. Von den asiatischen Kirchen fordert Jacob Kavunkal, dass sie angesichts der Herausforderungen des gegenwärtigen sozio-ökonomischen, religiösen und kulturellen Kontextes Asiens eine neue prophetische Identität entwickeln müssen, um den Problemen der Globalisierung und der damit verbundenen Entfremdung und Spaltungen innerhalb der Gesellschaft zu begegnen. Seine Überlegungen für eine der heutigen Zeit angepasste Missionstätigkeit hat Jacob Kavunkal so zusammengefasst: »Die Missionstätigkeit in der nachkolonialen Zeit wird in einem wahrhaften Dienst an der Welt bestehen, in dem sich die Kirche gegenüber der Welt öffnet und als Licht, Salz und Sauerteig wirksam wird. Das Ziel der Mission wird das gesamtmenschliche Heil sein, das zugleich Frieden, Ganzheit, Gemeinschaft, Harmonie und Gerechtigkeit beinhaltet. Ihr Motto wird lauten: Es gibt kein Heil, nicht außerhalb der Kirche, sondern außerhalb des Kosmos. Die Mission soll zu einer Gemeinschaft von Kosmos, Gott und Menschheit führen.« (Jnanadeepa 1, Nr. 2, 1998, S. 89).

GEORG EVERS,
Missionswissenschaftler