Wer sich mit afrikanischer Bibellektüre, der Frage der Inkulturation oder afrikanischer Theologie aus Sicht von Frauen befasst hat, wird den Namen Teresa Okure kennen. Aber wer ist diese international so renommierte Exegetin?
Geboren wurde sie 1941 in jenem südöstlichen Teil Nigerias, der zwar nicht zu Igbo-Land gehört, aber ebenso unsäglich unter dem Biafra-Krieg gelitten hat. Teresa Okure trat vor 40 Jahren als erste afrikanische Schwester in die vorwiegend im Erziehungs- und Gesundheitswesen tätige Kongregation der Schwestern vom Heiligen Kinde Jesu (SHCJ) ein, deren weiterführende Schule sie in Uyo besucht hatte. Von entscheidender Bedeutung war dann der damals ungewöhnliche Schritt, daß ihre Oberinnen sie nach ihrem Grundstudium in Dublin/Irland, zur Spezialisierung im Fach Exegese des Neuen Testaments an die Fordham University (New York) sowie zu einem Forschungsaufenthalt an die École Biblique nach Jerusalem schickte. Sie promovierte 1984 mit einer viel beachteten Arbeit über das Missionsverständnis des Johannesevangeliums, exemplifiziert an der Begegnung Jesu mit der samaritischen Frau am Jakobsbrunnen (Joh 4,1–42). Vielleicht ist sie selber diese Frau am Jakobsbrunnen, die nicht müde wird, die Menschen in ihrem Volk von der befreienden Botschaft dieses Jesus von Nazareth zu überzeugen.
In ihrer Doktorarbeit zeigt sie auf, daß im Johannesevangelium Mission als die Sendung des Sohnes durch den Vater eine zentrale Rolle spielt. Alle Mission hängt ganz und gar von dem einen Missionar Jesus ab, nach dessen Vorbild Mission dann auch ein dialogisches, von Demut geprägtes Geschehen ist. Dabei spielt die Gemeinschaft, an die sich der Autor des Johannesevangelium wendet, eine zentrale Rolle. Die Gemeinschaft der Gläubigen ist der Ort jenes neuen Lebens (Joh 10,10), das Jesus schenkt. Sie weiß sich in gegenseitiger Liebe und im Dienen nach Jesu Vorbild in die Welt gesandt, um in der Geschichte Zeugnis für die Mission Jesu abzulegen.
In ihren späteren Arbeiten greift Teresa Okure unter dem Stichwort Inkulturation dieses ganzheitliche Verständnis von Mission, eben in Absetzung zu jener Eroberungsmentalität, die in Afrika so viel Leid verursacht hat, wieder auf. Als Afrikanerin, Ordensfrau in Nigeria, ist Okure sehr sensibel für die Abwertung afrikanischer Kultur und legt großen Wert auf die Verwurzelung der afrikanischen Theologie in den Alltagserfahrungen afrikanischer Männer und besonders Frauen. Im dynamischen Verhältnis von Kulturen, die immer auch religiös geprägt sind, und Evangelium, das immer (nur) in kulturellen Ausdrucksformen zur Sprache kommt, geht es einerseits um eine ständige Überprüfung traditioneller theologischer Inhalte, ihrer kulturellen Voraussetzungen und vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, andererseits um eine kritische Evaluierung der Kulturen (auf lokaler wie auf globaler Ebene) und ihrer unterdrückerischen und ausgrenzenden Mechanismen. In diesem Sinne ist eine Theologie der Inkulturation, orientiert am Alltag und der Spiritualität der Menschen »am Boden« (on the ground), immer auch eine genuine Befreiungstheologie.
Die Leidenschaft für die Bibel, in der Gott auch heute täglich zu uns spricht, durchdringt Teresa Okures Theologie. Immer wieder zeigt sie in ihren Veröffentlichungen Wege zu einer vor dem Text verantworteten Exegese, die den Bedürfnissen ihres heutigen afrikanischen und globalen Kontextes gerecht wird. Inwiefern kann Jesus Christus der bleibende Maßstab für heutige Bibellektüre sein? Wie können die geschichtlich bedingten Texte Antworten auf heutige Fragen geben?
Dabei sind die biblischen Texte zunächst von ihrem historischen Kontext her zu verstehen. Zur Disziplin der Exegese gehört aber auch die heutige (Wieder-) Aneignung eines Textes, die in der persönlichen und gemeinschaftlichen Auseinandersetzung die aktuelle Bedeutung, das Wort Gottes an uns, sucht. Diese Suche nach der bleibenden Relevanz der Texte, die in die heutigen Notsituationen hinein sprechen, ist für Okure ein spezifischer Beitrag der sehr vielfältigen afrikanischen Bibellektüre. Unsere Erfahrung, so formuliert sie, ist der erste Kontext für Theologie und Bibellektüre.
Vier Prinzipien bestimmen nach Okure die Bibellektüre in Afrika. Erstens: das Prinzip des Lebens. Das Leben ist das höchste Gut und Geschenk Gottes und steht in besonderem Zusammenhang mit dem Wort (dem Wort Gottes und dem mündlich tradierten Wort der afrikanischen Kultur), das eine persönliche Antwort des Lesers, der Leserin der Bibel einfordert. Zweitens: das Prinzip der Befreiung. Im Sinne des obigen Inkulturationsverständnisses ist einerseits die Bibel selbst zu befreien von unterdrückerischer und besonders patriarchaler Verfasstheit und Interpretation, andererseits ist der biblische Text auf eine Antwort hin zu befragen, Antwort auf Armut, Krankheit, dämonische Kräfte und die Martyrien, die »Mama Afrika« zu erleiden hat. Drittens: das Prinzip der Inklusivität. Die Befreiung darf nicht neuerliche Ausgrenzungen zeitigen. Es geht um eine ganzheitliche Befreiung von Unterdrückern und Unterdrückten, Erster und Dritter Welt, Männern und Frauen. Viertens: das Prinzip einer im Glauben verankerten Lektüre, die von der bleibenden Relevanz der biblischen Texte für das Leben heute überzeugt ist und sich am Vorbild Jesu orientiert, der eine geerdete, am alltäglichen Leben der einfachen Menschen orientierte Methode des Lernens und Lehrens vorgelebt hat. Wie Okure schreibt, haben die Nöte der Menschen, ihre Fragen und ihre Lebenserfahrungen Jesus den neuen hermeneutischen Schlüssel für seine Neuinterpretation der Schrift gegeben.
Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeiten Okures ist die Theologie aus der Sicht afrikanischer Frauen. Dies ist für sie vor allem eine Frage der theologischen Methode. Im Sinne der erwähnten Inklusivität geht es ihr bei der Überwindung patriarchaler Strukturen um eine konkrete, ganzheitliche Befreiung von Frauen und Männern. Als hermeneutische Anliegen nennt Okure:
Zum Verständnis des Wirkens von Teresa Okure gehört meines Erachtens, dass ihre berufliche Karriere eng mit den Höhen und Tiefen des Catholic Institute of West Africa (CIWA) in Port Harcourt verwoben ist, wo sie seit Jahrzehnten ihren Dienst in der Ausbildung von Ordensschwestern und Priestern tut. Dieses Institut der AECAWA (Association of Episcopal Conferences of Anglophone West Africa) wurde 1981 in Port Harcourt im Südosten Nigerias gegründet und hat seine Lehre und Forschung an der Inkulturationstheologie im oben dargestellten Sinne ausgerichtet. Es gibt ein Journal of Inculturation Theology heraus und veranstaltet jährlich zu einem kontextuell relevanten Thema die CIWA Theology Week – all dies trotz äußerst knapper finanzieller, personeller und infrastruktureller Ressourcen. Zum 20jährigen Bestehen von CIWA im Jahr 2001 meinte Teresa Okure: »Das Wunder ist, dass CIWA überhaupt lebt«. Der Familie von CIWA fühlt sie sich verbunden und verpflichtet, ihr zuliebe hat sie Professorenstellen im höher dotierten Ausland ausgeschlagen. Im Kontext einer durchaus klerikal geprägten Kirche in Nigeria vertritt und verkörpert diese nigerianische Ordensschwester eine lebensbejahende, inklusive Theologie. Hier zeigt sich, was es für Teresa Okure heißt, afrikanische Bibel theologin zu sein – mit Haut und Haaren. Es geht um ein Angesprochensein, um eine persönliche Überzeugung, um ein Engagement für »ihre Leute«, die Kinder, Frauen und Männer Afrikas, die in einer Welt der Globalisierung, des ungebremsten Kapitalismus, der kommerziellen Kriegsführung an den Rand gedrängt, geschunden und vergessen werden.
Dieser Globalisierung setzt sie die Vision einer Theologie entgegen, bei der sich Männer und Frauen, Schwarz und Weiß, Studierte und Nichtstudierte in einem Dialog von Angesicht zu Angesicht begegnen, voneinander lernen, ihre Gespräche und Handlungen selbst bestimmen, ehrlich zueinander sind und sich gegenseitig auf dem Weg der Befreiung aller unterstützen.
MARCO MOERSCHBACHER
Dr. theol., Afrikareferent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V., Aachen
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