Aloysius Pieris SJ

»Theologie ist mehrsprachig« – so formuliert es der Theologe Aloysius Pieris aus Sri Lanka. Es ist der berechtigte Hinweis darauf, dass es heute vielfältige Entwicklungen im Bereich kontextueller Theologien gibt, die Einfluss ausüben auf die Ortskirchen weltweit. Dieses Anliegen greift KM Forum Weltkirche auf, in dem ab dieser Ausgabe unter der neuen Rubrik »Zur Person« Theologinnen und Theologen aus Afrika, Asien und Lateinamerika gezielt vorgestellt werden und ihr theologischer Ansatz in aller Kürze charakterisiert wird. Es handelt sich um Personen, die in unseren Breiten mal mehr oder mal weniger bekannt sind. Aufgrund ihres Wirkens haben sie wichtige Beiträge zur »theologischen Mehrsprachigkeit« geleistet. Diese zu entdecken und sich mit ihnen kritisch auseinander zu setzen, ist eine lohnende und zugleich spannende Aufgabe, die vielfältige Impulse auch für unsere eigene Ortskirche hervorbringen kann.

Ihr europäischen Theologen seid zu Hause in der abendländischen Tradition und den abendländischen Sprachen. In unserer Ausbildung haben wir asiatischen Theologen uns mit dieser Tradition und dem Idiom der traditionellen westlichen Theologie vertraut gemacht, ja vertraut machen müssen. Aber darüber hinaus fühlen wir uns unseren asiatischen Traditionen und Religionen verpflichtet. Neben den europäischen Sprachen benutzen wir auch Sanskrit, Pali und andere asiatische Sprachen.« Diese Worte gebrauchte Aloysius Pieris, als er wegen seines Beitrags zu einer asiatischen Christologie kritisiert wurde. Er wollte damit auf die neue Gegebenheit aufmerksam machen, dass Theologie in der heutigen Weltkirche »mehrsprachig« geworden ist. Pieris weist damit zugleich auf die multikulturelle und multireligiöse Verankerung seiner eigenen Theologie wie auch der anderer asiatischer Theologen hin. Es geht ihm bei seinen Überlegungen als asiatischer Theologe nicht darum, die westliche Theologie abzulehnen, sondern für Asien zu fordern, was westliche Theologie Jahrhunderte hindurch selbstverständlich getan hat, nämlich bei der Reflexion auf die »Länge und Breite, die Höhe und Tiefe… Christi « (Eph 3,18) religiöse und kulturelle Kategorien Asiens zu benutzen, um eigene inkulturierte Formen der Theologie zu finden. Mit anderen asiatischen Theologen erhebt er seinerseits dabei nicht den Anspruch, dass ihre theologischen Antworten allgemein gültig und erschöpfend sind. Vielmehr fordert Pieris einen »inter-kirchlichen Dialog«, um z. B. verschiedene Christologien, die es seiner Meinung nach legitimerweise in der Kirche geben soll, miteinander im Gespräch zu halten.Dem Theologen aus Sri Lanka geht es in seiner Neubesinnung auf das »Geheimnis Jesu Christi« darum, den »kolonialen Christus« aus seiner Begrenzung zu befreien und neue Formen des »Sprechen vom Sohn Gottes in Asien« – so der Titel einer seiner Beiträge – zu finden. Dieses Anliegen hat er über Jahre verfolgt. Sein neuester Versuch, »Christologie im Kontext der Religionen und der Armen« zu betreiben, trägt den Titel »Christus jenseits des Dogmas«.

Biographische Daten

  • 1934 geboren in der alten Königsstadt Kandy in Sri Lanka
  • 1953 Eintritt in den Orden der Jesuiten; nach dem Noviziat in Sri Lanka Studien der Philosophie in Shembaganur / Indien und Studien der Theologie in Neapel /Italien
  • 1961 Abschluss eines gesonderten Studiums der Sprachen Pali und Sanskrit in London / England
  • 1965 Priesterweihe; anschließend Studium buddhistischer Philosophie an der buddhistischen Universität in Kelaniya /Sri Lanka, das er mit einem Doktorgrad abgeschlossen hat
  • Vor etwa 25 Jahren Gründung des »Tulana Research Centre« in Kelaniya / Sri Lanka – einem Forschungszentrum, das sich der theologischen Reflexion und dem Dialog mit dem Buddhismus widmet
  • Von 1986–1994 gehörte er dem Herausgeberkreis der internationalen theologischen Zeitschrift Concilium an
  • Seit 1982 ist er Herausgeber der Zeitschrift »Dialogue«

Eine Auswahl von Publikationen

Die Fülle der Publikationen des Theologen aus Sri Lanka ist enorm. Die folgende Auswahl beschränkt sich auf Bücher und Artikel in deutscher Sprache.

  • Theologie der Befreiung in Asien: Christentum im Kontext der Armut und der Religionen, Freiburg 1986.
  • Liebe und Weisheit: Begegnung von Christentum und Buddhismus, Mainz 1989.
  • Feuer und Wasser: Frau, Gesellschaft, Spiritualität in Buddhismus und Christentum, Freiburg 1994.
  • Der Ort der nichtchristlichen Religionen und Kulturen in der Entwicklung einer Theologie der Dritten Welt; in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, 66 (1982), H. 4, S. 241–270.
  • Der Buddhismus als eine Herausforderung für die Christen; in: Concilium, 22 (1986), H. 1, S. 40–44.
  • Reinkarnation im Buddhismus: Eine christliche Bewertung; in:Concilium, 29 (1993), H. 5, S. 389–393.
  • Universalität und Inkulturation in unterschiedlichen theologischen Denkmodellen; in: Concilium, 30 (1994), H. 6, S. 526–532.
  • Christliche Präsenz in Sri Lanka: Zwei Beispiele; in: Christlicher Glaube in multireligiöser Gesellschaft. Erfahrungen, theologische Reflexionen, missionarische Perspektiven / Hrsg. Anton Peter. Immensee: Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft, 1996 (Supplementa der Neuen Zeitschrift für Missionswissenschaft, 44), S. 52–57.

Pieris geht es darum, das theologische Sprechen über Jesus, den Christus, aus der dogmatischen Erstarrung zu befreien und einen neuen Zugang zu finden, der die kulturellen Begrenzungen der europäischen Theologie überwindet und asiatischen Kategorien angepasst ist. Alternativ zu den traditionellen dogmatischen Formulierungen möchte er für Asien eine neue Christologie in der Form eines »Christus-Sutra« entwickeln. In einem früheren Beitrag hatte Pieris die »Rückkehr zur Jesus Formel« gefordert, um eine »Bundes-Christologie« zu begründen, bei der das Bekenntnis zur Mission mit dem spirituellen Programm zusammenfällt, dem Christus von heute zu dienen, der in den Armen in Asien gegenwärtig ist. Die von ihm so genannte »Jesus-Formel« spricht von »Gottes Herrschaft«, die in den »Armen Gottes« die vorrangigen Adressaten und Verkünder dieser Botschaft findet. In der »Jesus-Formel« sind die beiden Elemente vereint, dass, wo immer Gott geliebt und ihm gedient wird, es die Armen sind, die herrschen, und nicht die Armut. Und wo immer die Armen geliebt und bedient werden, es Gott ist, der herrscht und nicht der Mammon. Die Inkarnation bedeutet für Pieris, dass Gott in der Person Jesus ein Armer wurde zum Zeichen des Bundes Gottes mit den Armen.

Aloysius Pieris gilt zu Recht als einer der Mitbegründer einer genuin asiatischen Theologie der Befreiung. Schon früh gehörte er der »Ökumenischen Vereinigung von Dritte Welt Theologen« (EATWOT) an. Es ist nicht zuletzt sein Verdienst, die Ansätze der lateinamerikanischen Befreiungstheologie durch die Hereinnahme und in der Konfrontation mit dem Erbe der asiatischen Religionen und Mystik fruchtbar erweitert zu haben. Pieris zeigte in der Entwicklung eines eigenständigen Ansatzes einer »asiatischen Theologie der Befreiung« auf, wie »Religion« und »Armut« sowohl »versklavende« wie auch »befreiende« Aspekte haben (vgl. sein Buch: »Theologie der Befreiung in Asien, Christentum im Kontext der Armut und der Religionen, Freiburg 1986).

Pieris hat sich neben seiner theologischen und dialogischen Arbeiten auch immer auf dem sozialen Sektor engagiert. Nicht zuletzt gilt er u. a. als einer der besten Kenner des Marxismus, der sich kritisch und konstruktiv mit der dort enthaltenen Gesellschaftsund Wirtschaftskritik auseinander gesetzt hat. Während der Zeit seiner Promotionsstudien an der Universität von Kelaniya in den 70er Jahren, hatte die marxistisch inspirierte Jugendrevolte ihren Höhepunkt erreicht. Aloysius Pieris war für viele dieser Studenten, die sich in Sri Lanka für eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft einsetzten, ein gesuchter Gesprächspartner. Unter großem persönlichen Einsatz hat er sich für eine Synthese von genuinem Einsatz für die Belange der Armen in einer an religiösen und ethischen Werten orientierten Grundlage eingesetzt und gegen die brutale Gewalt, mit der die Auseinandersetzungen geführt wurden, protestiert.

Die vielen Beiträge, die er für theologische Zeitschriften verfasst hat, sind z.T. in Büchern gesammelt erschienen. Es ist ein reiches und vielfältiges Werk, das er in seiner rastlosen Tätigkeit zusammengetragen hat. Als kritischer Theologe ist A. Pieris weithin bekannt geworden. Seine Anfragen, Anstöße und Einlassungen auf dem Gebiet der Theologie, der Spiritualität, der Kirchen- und Gesellschaftskritik haben nicht immer nur Zustimmung gefunden, sondern wurden auch als zu weit gehend abgelehnt. Unbestritten ist aber, dass seine Beiträge neue Aspekte aufgezeigt haben, die die Diskussion vorangetragen und neueWege in erster Linie für die asiatische Theologie aber auch weltweit gewiesen haben.

GEORG EVERS
Missionswissenschaftler