Paulin Poucouta

Wer die Theologiestudenten der Université Catholique de l’Afrique Centrale (UCAC) in Yaoundé, Kamerun, nach Lehre und Forschung an ihrer Universität fragt, erhält eine Antwort, in der unweigerlich der Name des Bibelwissenschaftlers Paulin Poucouta vorkommt. Er steht für gute und immer wieder aktuelle Vorlesungen, gründliche Forschungsarbeiten und wissenschaftliche Publikationen, die in zugänglicher Sprache heutige Probleme im Umgang mit der Bibel in Afrika thematisieren.

Paulin Poucouta wird 1952 in Pointe Noire in der Republik Kongo (dem »wahren Kongo«, wie er in Absetzung zum großen Nachbarn Demokratische Republik Kongo sagen würde) geboren. Nach Schul- und Seminarausbildung im Land wird er 1978 zum Priester der Diözese Pointe Noire geweiht. Nach einigen Jahren in der pastoralen Arbeit wird er für Bibelstudien nach Paris und ein Studienjahr nach Jerusalem geschickt. Mit einer Arbeit über die Offenbarung des Johannes erlangt er im Jahr 1987 das »Doctorat conjoint« (Institut Catholique de Paris und Sorbonne Paris IV) in Bibelwissenschaften und Geschichte der Religionen.

Zurück in seinem Land wird Paulin Poucouta Professor am Priesterseminar in Brazzaville, Verantwortlicher für das Laienapostolat und die Ausbildung der Laien sowie Mitglied in der Theologenkommission der nationalen Bischofskonferenz. Als Gastprofessor unterrichtet er auch am Priesterseminar Jean XXIII. in Kinshasa (DR Kongo) und am Priesterseminar von Bangui (Zentralafrikanische Republik). Im Jahr 1994 wird er Professor an der kurz zuvor gegründeten Université Catholique de l’Afrique Centrale in Yaoundé (Kamerun), die von der ACERAC, dem Zusammenschluss der Bischofskonferenzen mehrerer französischsprachiger Länder in Zentralafrika, getragen wird.

Seitdem lehrt und forscht er dort, auch unter widrigen äußeren Bedingungen, und bringt durch seine internationalen Kontakte, seine zahlreichen Veröffentlichungen und durch gezielte Netzwerkarbeit innerhalb Afrikas, etwa mit den Facultés Catholiques de Kinshasa und der Université Catholique de l’Afrique de l’Ouest in Abidjan, die afrikanische Theologie voran. Er ist ein wichtiger Akteur bei den alle zwei Jahre stattfindenden Kongressen der Panafrican Association of Catholic Exegetes (PACE) und nimmt regelmäßig Lehraufträge auch in Europa, etwa am internationalen Institut Lumen vitae in Brüssel, wahr.

Sein zentrales Anliegen ist ein verantwortlicher und an den Herausforderungen der heutigen Zeit und des afrikanischen Kontextes orientierter Umgang mit den biblischen Texten. In seinen Veröffentlichungen wendet Poucouta das akademische exegetische Instrumentarium auf die in Afrika anstehenden Herausforderungen an. Seine Arbeiten in der für die Bibelarbeit in Gemeinden und Gruppen herausgegebenen Reihe »Bible et Mission« zu Texten wie die Apostelgeschichte, der Erste Petrusbrief, das Buch Jona, Ezechiel und Apokalypse könnte man populärwissenschaftlich nennen, sie zeugen aber von seinem Geschick, Forschung und Vermittlung in zugänglicher Weise zu verbinden.

Das Wort Gottes, so Poucouta, ist süß und bitter zugleich (vgl. Offb 10,10) – bitter, weil es die Geister zwischen Lüge und Wahrheit unterscheidet und zur Umkehr aufruft, – süß, weil es einen neuen Himmel und eine neue Erde verheißt, weil es hier und heute die Möglichkeit eines neuen Umgangs miteinander, eine neue Qualität von Beziehungen schafft.

Häufig kommt Poucouta auf die Offenbarung des Johannes zurück. Er sieht viele Parallelen zwischen deren Adressatengemeinden gegen Ende des 1. Jahrhunderts in Nordafrika und Kleinasien und den Gemeinden im heutigen Afrika: Die christlichen Gemeinden haben sich konsolidiert, stehen aber einerseits vor der Gefahr einer Verflachung von Verkündigung und Glaubenszeugnis und andererseits vor der Tendenz zur esoterischen Abschottung von der Gesellschaft in politisch turbulenten Zeiten.

Die apokalyptische Sprache mit ihren reichen Bildern und Symbolen spricht Afrikanerinnen und Afrikaner besonders an. Und sie erscheint besonders gut geeignet, die historische Erfahrung Afrikas einzuholen. Diese ist geprägt von der Epoche des Kolonialismus, dem Aufwind der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten, der Enttäuschung über afrikanische diktatorische Regimes, einem demokratischen Aufbruch zu Beginn der 90er Jahre, dem durch einen neoliberalen Kapitalismus angetriebenen Rückfall in Gewalt und Ausbeutung. So besteht heute die Gefahr von Fatalismus und Resignation. »Die apokalyptische Sprache zielt darauf ab, sich durch die Schrift eine Geschichte wieder anzueignen, die von Betrügern fehlgeleitet und vereinnahmt wurde.« Zentraler Text ist das 20. Kapitel der Offenbarung, das die das ganze Buch durchziehende Atmosphäre des Todes, wie sie auch in Afrika vielfach herrscht, zuspitzt, aber auch den Sieg des Lebens über den Tod aufzeigt. Jesus Christus, das Lamm, ist der Herr des Lebens.

Esoterischen Tendenzen, zu denen die symbolreiche apokalyptische Sprache durchaus auch verleitet, hält Poucouta die enge Verbindung von »Himmel« und »Erde« in der Offenbarung des Johannes entgegen. Das Leben, um das es geht, muss ständig neu geboren werden, verwirklicht sich in der Geschichte, durch die das Lamm die christlichen Gemeinden führt, und ist zugleich ständiger Aufruf, die Geschichte gerade in schwieriger Zeit neu zu gestalten. »Die johanneische Apokalypse ist eine österliche Theologie der Schöpfung und der Geschichte… Für Johannes wird die himmlische Stadt auf der Erde gebaut, in der grundlegenden Zusammenarbeit zwischen Gott und Mensch.«Und dies umso mehr in Krisenzeiten, wie sie Afrika zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlebt. In diesem Sinne stehen die Kirchen in Afrika laut Poucouta heute vor der Herausforderung, Wächter zu sein, vor den Gefahren der Nacht zu warnen, aber auch die aufkommende Morgenröte zu begrüßen.

Die der Krise zugrundeliegenden Probleme sind ethischer Natur. Inkulturation fordert die afrikanische Kirche zur Umkehr auf. Die Zukunft Afrikas hängt wesentlich ab von einer spirituellen und moralischen Kraftanstrengung, einem gemeinsamen Unterwegssein, einer Synode (syn-hodos – gemeinsamer Weg) mit anderen Kirchen, Glaubensüberzeugungen, ja mit allen Kräften der afrikanischen Gesellschaft.

»Heute geht es darum, das Afrika des 21. Jahrhunderts zu erfinden. Die in Gemeinschaften der Hoffnung versammelten Christen stehen vor der Aufgabe, der prophetische Atem dieser Kreativität zu sein. Sie müssen sich demütig und entschlossen in den Dienst des Aufbaus dieses Kontinents stellen«.

 

Biographische Daten

  • geboren 1952 in Pointe Noire, Kongo-Brazzaville
  • Theologiestudium im dortigen Priesterseminar
  • 1978 Priesterweihe
  • 1981–1987 theologische Aufbaustudien in Paris und Jerusalem
  • 1987 Doktor in biblischer Theologie, Institut Catholique de Paris, und Geschichte der Religionen, Université de la Sorbonne Paris IV
  • 1987–1991 Professor am Priesterseminar von Brazzaville, Kongo, Gastprofessor am Priesterseminar von Bangui, Zentralafrikanische Republik
  • 1991–1994 Professor am Priesterseminar Jean XXIII in Kinshasa, DR Kongo
  • seit 1994 Professor für Biblische Theologie an der Université Catholique de l’Afrique Centrale (UCAC) in Yaoundé, Kamerun
  • Mitglied in der Panafrican Association of Catholic Exegetes (PACE), der Association Oecuménique des Théologiens Africains (AOTA), der Association Française pour l’Étude de la Bible (ACFEB), Redaktionsmitglied der Zeitschrift Spiritus
  • Gründungsmitglied der Association des Théologiens Africains (ATA)

Eine Auswahl von Publikationen

Auf Deutsch erschienen:

  • Die Erforschungs des historischen Jesus in Afrika, in: Concilium 42 (2006) 423–432.

Auf Französisch erschienen:

  • Les communautés johanniques et le pouvoir impérial dans Apocalypse 13, in: Communautés johanniques. Actes du Quatrième Congrès des Biblistes Africains, Nairobi, 24–29 juillet 1989, éd. Par Wynnand Amewowo et alii, Facultés Catholiques de Kinshasa (Kinshasa 1991) 242–264.
  • La dynamique missionnarie dans l’Apocalypse, Éditions Cerf (Paris 1992).
  • Une parole douce et amère: Ap 10,8 –11, in: Universalisme et mission dans la Bible. Actes du Cinquième Congrès des Biblistes Africains, ed. par Patrick Adeso, BICAM (Nairobi 1993) 245–262.
  • L’Église dans la tourmente. La mission dans l’Apocalypse, Bible et Mission 2, Éditions L’Épiphanie (Kinshasa 1996).
  • Les exigences de la mission. L’aventure prophétique d’Ezéchiel, Bible et Mission 4, Éditions L’Épiphanie (Kinshasa 1997).
  • La mission à tous vents. Le livre de Jonas, Bible et Mission 5, Éditions L’Épiphanie (Kinshasa 1997).
  • Engelbert Mveng: une lecture africaine de la Bible, in: Nouvelle Revue Théologique 120 (1998) 32–45.
  • Missionnaires de la paix. La paix dans la Bible, Bible et Mission 6, Éditions L’Épiphanie (Kinshasa 1998).
  • La Bible en terres d’Afrique. Quelle est la fécondité de la parole de Dieu?, Collection Questions ouvertes, Les Éditions de l’Atelier (Paris 1999).
  • L’espérance, un combat quotidien. La première lettre de Pierre, Bible et Mission 7, Éditions L’Epiphanie (Kinshasa 2000).
  • Paul, notre ancêtre. Introduction au corpus paulinien, Presses de l’UCAC (Yaoundé 2001).
  • L’aventure de la Bible en Afrique, in: Églises d’Afrique (2001) Nr. 2, 78–100.
  • Afrique, quelles alternatives à la mondialisation?, in: Spiritus 43 (2002) Nr. 166, 40–53.
  • Lectues africaines de la Bible, Presses de l’UCAC (Yaoundé 2002).
  • Violence et religion selon l’Apocalypse johannique, in: Jahrbuch für kontextuelle Theologien 10 (2002) 53–69.
  • Réflexion sur les programmes de l’enseignement de la théologie en Afrique, in: Faire la théologie et la philosophie en contexte africain, Denktraditionen im Dialog 17, IKO-Verlag (Frankfurt am Main 2003) 263–273.
  • Sous le souffle de l’Esprit. La mission dans les Actes des Apôtres, Bible et Mission 10, CIAM – Éditions L’Épiphanie (Kinshasa 2003).
  • Études bibliques sur l’église-famille de Dieu. 10 ans après le Synode africain, in: Revue de l’Université Catholique de l’Afrique de l’Ouest RUCAO (2004) Nr. 20, 105–121.
  • Du neuf et de l’ancien. L’Évangile de Matthieu en dix étapes, Presses de l’UCAC (Yaoundé 2004).
  • La théologie africaine au défi de l’écologie, in: Revue Africaine de Théologie RAT 28 (2004) Nr. 56, 171–186.
  • Pour une Église de veilleurs! Apocalypse johannique et théologie africaine. Éditions Clé (Yaoundé 2006).
  • Letters aux Églises d’Afrique. Apocalypse 1–3, Presses de l’UCAC (Yaoundé 22007).
  • La sagesse dans l’Apocalypse johannique, in: Sagesse humaine et sagesse divine dans la Bible, Mélanges offerts à S.E. Laurent Monsengwo Pasinya à l’occasion de ses 25 ans d’épiscopat, Kinshasa du 04 au 11 septembre 2005, éd. par Jean-Bosco Matand (Nairobi 2007) 241–260.

In diesem Sinne buchstabiert Poucouta »Mission« für die Kirche im heutigen Afrika wie folgt. Sie ist 1. ein Dienst an der Gesellschaft, besonders durch Stärkung der Frauen und durch Begleitung der Jugendlichen in ihren existentiellen Ängsten angesichts der vielfältigen Krise, 2. ein Protest gegen die Resignation, gegen die fatalistische Hinnahme von Armut, Analphabetismus, Korruption, Ungerechtigkeit und Führungskrise, 3. ein Vorschlag, dass eine andere politische Kultur unter Beachtung der Menschenrechte möglich ist, 4. eine ständige Einladung zum Dialog, um Gewalt zu überwinden und Konflikte zu lösen, 5. das Programm einer Utopie des Lebens, das ständig neu erfunden werden muss, heute in Afrika besonders im Kampf gegen die ständig fortschreitende Verschlechterung der Lebensbedingungen.

Vor diesem Hintergrund greift Poucouta in seinen Arbeiten auch immer wieder aktuelle Probleme der afrikanischen Gesellschaften auf, wie etwa die Frage der Globalisierung und besonders die Frage nach der ökologischen Verantwortung von Kirche und Theologie. Denn diese hängt seiner Meinung nach eng mit den drängenden Problemen von Frieden, Gerechtigkeit und Entwicklung zusammen. Die anstehende Zweite Römische Bischofssynode für Afrika sieht Poucouta als Gelegenheit, alle Kräfte zur Lösung dieser Probleme zu bündeln. Dabei ist ihm besonders wichtig, dass die katholische Kirche einen differenzierenderen Umgang mit Unterschieden lernt und dass sich die Ortskirchen verschiedener Kontinente, ganz im Sinne der Apostelgeschichte, nicht als Mutter- und Tochterkirchen, sondern als Schwesterkirchen von gleichem Rang und gleicher Würde begegnen.

Paulin Poucouta ist zutiefst davon überzeugt, dass das Wort Gottes, verantwortet interpretiert und verkündet, Entscheidendes zur Art und Weise der Lösung dieser Probleme beizutragen hat. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient seiner Meinung nach der populäre Umgang mit der Bibel, wie er zum Beispiel in der afrikanischen Musik oder auch auf Autoaufklebern zum Ausdruck kommt. Dabei ist, gerade in Afrika, der Gefahr des Fundamtentalismus, einem »Selbstmord des Denkens« zu begegnen, der unbewusst die menschlichen Begrenzungen der biblischen Botschaft mit der göttlichen Substanz dieser Botschaft verwechselt.Und es bedarf einer ständigen Anstrengung des Begriffs und der Anschauung, der Forschung und der Lehre, um das Bewusstsein für die uns aufgegebenen Zeichen der Zeit, für unsere prophetische Aufgabe zu schärfen.

In Anlehnung an die alttestamentlichen Propheten fasst Poucouta diese Aufgabe wie folgt zusammen: 1. das Wort Gottes aufzunehmen und alle Instrumente, es zu verstehen, in Bewegung zu setzen, 2. sein Schicksal mit dem des Wortes Gottes zu verbinden, sich ihm zu unterstellen, 3. sein Schicksal mit dem Volk zu vereinen, dem man das Wort Gottes verkündet, und 4. das Wort Gottes so getreu wie möglich weiterzugeben.

Damit hat Paulin Poucouta auf den Punkt gebracht, wie er seine Aufgabe als afrikanischer Bibelwissenschaftler heute versteht und lebt.

MARCO MOERSCHBACHER
Dr. theol., Afrikareferent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V., Aachen

Anmerkungen

1 Pour une Eglise de veilleurs! Apocalypse johannique et théologie africaine (Yaoundé 2006) 146.

2 Ebd. 176.

3 La Bible en terre d’Afrique. Quelle est la fécondité de la parole de Dieu? (Paris 1999) 92.

4 Vgl. Lettres aux Églises d’Afirque. Apocalypse 1–3 (Yaoundé 2007) 229–233.

5 Paul, notre ancêtre. Introduction au corpus paulinien (Yaoundé 2001) 171.

6 Vgl. Pour une Église des veilleurs!, a. a. O., 166.

7 Vgl. ebd. 123.