Pius Rutechura, der derzeitige Rektor der Catholic University of Eastern Africa (CUEA) in Nairobi, Kenia, ist ein praktischer Theologe im besten Sinne des Wortes. In seiner klaren und auf konkrete Umsetzung angelegten Theologie geht es ihm vor allem darum, die Rolle der Kirche in den afrikanischen Gesellschaften zu reflektieren und voranzubringen sowie die afrikanischen Ortskirchen zum wahrhaftigen und glaubwürdigen Zeugnis für Jesus Christus und seine befreiende Botschaft aufzurufen.
Diese Anliegen erfordern theologische Schwerpunktsetzungen, die sich am konkreten afrikanischen Alltag orientieren, sowie eine neue Selbstbesinnung und -bestimmung der afrikanischen Kirchen – im Sinne einer besseren Organisation und Vernetzung. Nur so werde sie ihren Beitrag zur Bewältigung der lebensbedrohenden Probleme im heutigen Afrika leisten können.
Als Pius Rutechura im Jahr 2005 Generalsekretär der Vereinigung der Ostafrikanischen Bischofskonferenzen AMECEA wird, sind HIV und Aids das brennende Thema der Vollversammlung der Bischöfe. Sie hatten sich während einer Studienwoche intensiv mit der Problematik beschäftigt und schließlich ein »Common framework of action« verabschiedet, bei dem sich die Bischöfe verpflichteten, die Mauern des Schweigens und der Stigmatisierung um HIV und Aids zu brechen, die Diskriminierung von Menschen mit HIV zu überwinden und mit Regierungen und anderen gesellschaftlichen Kräften auf nationaler und internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, um eine ganzheitliche Antwort auf die Herausforderungen durch HIV und Aids zu finden. Denn diese betreffen nicht nur medizinische oder moralische Fragen, sondern auch Fragen der Menschenrechte und der internationalen Gerechtigkeit.
Pius Rutechura sieht hier die ekklesiologische Herausforderung einer authentischen und glaubwürdigen Kirche, die ihre eigene Betroffenheit – der Leib Christi hat Aids – thematisieren und sich auf die Seite der Marginalisierten und von HIV- und Aids Betroffenen stellen muss: »Kirche verstanden als heilende Gemeinschaft im Kontext von HIV/AIDS bedeutet zunächst, die Realität anzuerkennen und sich als Kirche in diese Realität hinein zu begeben.« In diesem Sinne erkennen die Bischöfe der AMECEA 2005 die Tatsache an, dass auch Priester und Ordensleute mit dem Virus infiziert sind. Weiter fordern sie weltkirchliche Instanzen auf, bei diskordanten Paaren die Möglichkeit des Kondomgebrauchs zum Schutz vor Ansteckung zuzulassen.2008 führt Pius Rutechura eine Evaluierung der Antworten der katholischen Kirche Ostafrikas auf HIV und AIDS durch, die zu dem Schluss kommt, dass die Sensibilität für das Thema in der Kirche gewachsen ist und erste stringent funktionierende Strukturen der Koordination und des »Mainstreaming« etwa in Äthiopien, Tansania und Uganda geschaffen wurden. Eine zentrale Rolle in der Sorge um von HIV und Aids betroffene Menschen spielen die kleinen christlichen Gemeinschaften, die Kirche als identitätsstiftende, heilende Gemeinschaft auf der Graswurzelebene erfahrbar machen.
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Zu den bleibenden Herausforderungen, denen sich die Kirche noch entschlossener und mit besserer strategischer Planung stellen muss, zählen klare praxisrelevante Aussagen und Richtlinien für die Gläubigen, Koordination mit staatlichen und internationalen Stellen, die verstärkte Sorge um verheiratete Paare, die Frage von Versöhnung und Gerechtigkeit bei bewaffneten Konflikten und der Einsatz gegen Analphabetismus und Armut. Im Sinne einer ganzheitlichen Sorge um die Menschen, die mit HIV und Aids leben, sind diese nicht als Objekte des Mitleids und der Caritas zu sehen, sondern als aktive Verkünder der befreienden Botschaft Jesu Christi, des Heilers, und als Zeugen für das Leben – mit dem Virus.
Diese gründliche Auseinandersetzung mit der nach wie vor lebensentscheidenden Herausforderung durch HIV und Aids hat auch dazu geführt, dass die Delegation der Fachleute – unter der Leitung von Pius Rutechura –, die im Jahr 2009 die 42 Bischöfe der AMECEA zur zweiten Afrikasynode nach Rom begleitet hat, mit ihrer kompetenten Beratung zu der sehr klar formulierten Propositio 51 beigetragen hat: »Aids… ist nicht als entweder medizinisch-pharmazeutisches Problem oder als alleinige Frage einer Änderung menschlichen Verhaltens zu sehen. In Wahrheit ist es eine Frage von ganzheitlicher Entwicklung und von Gerechtigkeit, die einen ganzheitlichen Ansatz und eine Antwort von der Kirche erfordert. Jene, die in Afrika an Aids erkrankt sind, sind Opfer von Ungerechtigkeit, zumal sie häufig nicht die qualitativ hochwertige Behandlung wie Menschen andernorts erfahren…«
Laut Pius Rutechura schließt die geforderte ganzheitliche Antwort der katholischen Kirche eine bessere Befähigung kirchlicher Mitarbeiter auf allen Ebenen ein: Priester, Ordensleute und Laien, insbesondere in den kleinen christlichen Gemeinschaften, müssen im Sinne eines strategischen »capacitiy building« sowohl mit den medizinischen und psychologischen Aspekten der Pandemie als auch mit der befreienden Botschaft und der Lehre der Kirche vertraut gemacht werden.
Das Thema der Zweiten Afrikasynode, nämlich Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden, benennt die großen Krisen der afrikanischen Gesellschaften, in denen die Kirche weiterhin danach sucht, aus der befreienden Botschaft Jesu Christi heraus eine gesellschaftsgestaltende Vision zu entwickeln und konkrete Antworten auf die Nöte der Afrikanerinnen und Afrikaner zu geben. Für Pius Rutechura überschneiden sich hier die Notwendigkeit einer individuellen und einer institutionellen Neubesinnung. Der und die Einzelne ist aufgefordert, seinen beziehungsweise ihren Glauben neu an der Botschaft Jesu Christi, seiner Option für die Armen und Ausgeschlossenen und seiner Option für Dialog und Versöhnung auszurichten. Und die Kirche muss die soziale Sprengkraft der Frohen Botschaft neu erfassen und in einer konzertierten strategischen Verbesserung ihrer Strukturen und ihrer Kommunikation stärker in die Gesellschaft einbringen.
Pius Rutechura hat sich in seinem pastoralen Wirken immer für die Jugendlichen eingesetzt – was gewissermaßen den Schnittpunkt dieser beiden Linien markiert: den Glauben authentisch leben und an die nächste Generation weitergeben und konkret eine Gesellschaft so gestalten, dass den Jugendlichen Lebensperspektiven geboten werden. Hier sieht er die katholische Soziallehre besonders gefordert. Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden sind nicht nur hehre Ideale, sondern erfordern konkrete Strukturveränderung in der Kirche und in der Gesellschaft. »Frieden bedeutet den Einsatz für Gerechtigkeit und für faire Arten, miteinander umzugehen und zu leben, die Errichtung gerechter Strukturen, Respekt und Förderung der Rechte und Pflichten der Bürger.« Dies wiederum erfordert kompetente und effektive Friedensförderer, die sich mit Konfliktlösungsstrategien auskennen und Advocacy- Arbeit für Versöhnung und Gewaltlosigkeit betreiben. Auf der Ebene der afrikanischen Ortskirchen fordert Rutechura eine »organische pastorale Solidarität«, was in seiner Amtszeit als AMECEA-Generalsekretär zum Beispiel für die Kirche im Südsudan von lebenswichtiger Bedeutung war.
Um in diesem Bereich glaubwürdig auftreten zu können, muss die Kirche in Afrika, so Rutechura, sich selbst evangelisieren. Sie muss weniger auf Zahlen und quantitatives Wachstum als auf qualitativ hochwertige Ausbildung, Rechenschaft und Glaubwürdigkeit setzen. Inkulturation ist in dieser Perspektive nicht nur eine theologische, sondern auch eine soziologische Größe, die traditionell afrikanische Muster des Zusammenlebens und der Konfliktlösung durch die transformative Kraft des Evangeliums von innen erneuert und auf Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden hin orientiert. Im Sinne eine glaubhaften Verkündigung ist die Kirche hier zu einer Vorbildfunktion aufgerufen.
Rutechura sieht diese Vorbildfunktion besonders in den kleinen christlichen Gemeinschaften erfüllt, in denen Solidarität konkret gelebt wird und in denen die Menschen ein Gefühl der Identität und der Zusammengehörigkeit entwickeln, das eine neue Art, Kirche zu sein, ermöglicht. Alle sind aufgerufen, ihre Berufung als Christinnen und Christen in der Gemeinschaft zu leben, was durch eine ausdifferenzierte Struktur neuer Dienste und Ämter auch kirchlich noch eine größere Anerkennung verdient. Die Bischöfe der AMECEA hatten bereits 1973 kleine christliche Gemeinschaften zur pastoralen Priorität erklärt, und Pius Rutechura führt seine eigene christliche Identität auf diese afrikanische Form des Kircheseins zurück.
In seiner neuen Funktion als Rektor der Catholic University of Eastern Africa in Nairobi mit über 7000 Studierenden steht Rutechura vor der Herausforderung, diese seine Grundüberzeugungen in eine Hochschulkultur einzutragen, die sich der Gesellschaft verpflichtet weiß und Kirche und Gesellschaft mit einer Theologie voranbringt, die »relevant, glaubwürdig und transformativ für das umfassende Leben der Menschen in der AMECEA-Region und in Afrika insgesamt ist.«Dabei steht er vor der großen Herausforderung, angesichts von immer stärker werdende Konkurrenz im universitären Bereich, eine qualitativ hochwertige akademische Lehre mit finanzieller Eigenständigkeit zu verbinden.Mit seiner praktischen Theologie, die kontextuelle theologische Reflexion mit praktischem Management verbindet, ist Pius Rutechura der geeignete Mann auf diesem Posten.
MARCO MOERSCHBACHER
Dr. theol., Afrikareferent am Missionswissenschaftlichen Institut Missio e.V., Aachen
1 Zitiert nach: Norbert Kößmeier, »Christus allein heilt«. Die Kirchen Ostafrikas antworten auf HIV/AIDS, in: Herder Korrespondenz 60 (2006) 360–365, hier 362.
2 Diese Propositio findet in etwas abgeschwächter, mehr auf das individuelle Verhalten abzielender Form ihren Widerhall in der postsynodalen apostolischen Exhortation Africae munus, Nr. 72. Vgl. http://www.vatican.va/roman_curia/synod/documents/rc_synod_doc_20091023_elenco-prop-finali_en.html
3 Pius Rutechura, Church in reconciliation: Justice and peace in the AMECEA region, in: Afer 50 (2008) No. 3 –4, 165–185, hier 167.
4 Vision der theologischen Fakultät der CUEA, zitiert nach: Rutechura et alii, Caring and sharing – How does HIV/AIDS affect the way of being Church in the AMECEA region?, in: A holistic approach to HIV/AIDS in Africa, Paulines Publications Africa (Nairobi 2008) 13 –16, hier 14.
5 So hat die CUEA unter Aufnahme hoher Kredite ein ultramodernes »Learning Resource Centre« gebaut, das sich amortisieren muss und zudem ständig weiterer Investitionen bedarf.