Innerhalb Asiens hat die katholische Kirche in Südkorea eine besondere Stellung inne. Ist doch Südkorea das einzige Land in Asien, in dem die Zahl der Katholiken lange Zeit regelmäßig gewachsen ist. Innerhalb nur eines halben Jahrhunderts ist die Zahl der Katholiken von wenigen Tausend auf über vier Millionen gestiegen. Die Zahl der Priesterberufungen hielt lange Zeit mit diesem Wachstum Schritt, und die Zahl der Priesterseminare ist heute auf sieben angestiegen. In diesen theologischen Ausbildungsstätten wird als Unterrichtssprache Koreanisch gebraucht. Koreanische Theologen veröffentlichen ihre Zeitschriften- oder Buchpublikationen ebenfalls in der Landessprache. Auf den ersten Blick scheint es also ein reges theologisches Leben innerhalb der katholischen Kirche in Südkorea zu geben. Bei genauerem Hinsehen werden aber neben den positiven Aspekten bald auch Schwachstellen deutlich.
Am Beispiel der Biographie und des theologischen Wirkens von Shim Sang-Tai lassen sich die positiven und problematischen Seiten der Entwicklung von Kirche und Theologie in Südkorea gut nachzeichnen. Shim Sang-Tai, der am 29. Juli 1940 in Seoul geboren wurde, hat seine philosophischen und theologischen Studien in Seoul begonnen, die er 1968 mit dem Grad des Bakkalaureat abschloss. 1968 setzte er zunächst seine theologischen Studien in Innsbruck fort, ging 1969 nach Münster und wurde 1971 zum Priester der Diözese Suwon geweiht. 1971 begann Shim Sang-Tai bei Walter Kasper in Münster mit einer theologischen Dissertation in der Auseinandersetzung mit der von Karl Rahner angestoßenen Problematik der »Anonymen Christen«, die er 1975 in Tübingen beendete. Von 1976 bis 1993 war er als Professor für Dogmatik an der theologischen Fakultät der Katholischen Universität in Seoul tätig. Aus dieser Vorlesungstätigkeit resultierten in der Folge eigene Buchveröffentlichungen zur Erlösungslehre, zur christlichen Anthropologie und Ekklesiologie in koreanischer Sprache. Zugleich nutzte Shim Sang-Tai seine ausgezeichneten Deutschkenntnisse, um eine Reihe theologischer Werke deutscher Theologen ins Koreanische zu übersetzen. Neben der »Einführung in den Glauben« seines Doktorvaters Walter Kasper finden sich Übersetzungen von G. Greshake, W. Beinert, H. Vorgrimler, G. Hasenhüttl und J. B. Lotz. Es kennzeichnet die Situation der Theologie in Südkorea zu dieser Zeit damit, dass es sich noch weitgehend um eine aus der europäischen und besonders der deutschen theologischen Tradition bestimmte »über-setzte« Theologie handelte. D. h. um solide akademische Kost, die aber kaum oder nur sehr wenig Rücksicht auf den spezifischen koreanischen Kontext nahm.
Die theologischen Impulse des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) veränderten auch das theologische Klima in Südkorea und es gab erste Schritte, eine eigenständige koreanische Theologie zu entwickeln. Erste Anstöße gingen dabei z. B. von ausländischen Missionaren aus. Hier ist der Beitrag des irischen Columbaners Fr. Sean Dawn zu nennen, der mit einem Arbeitskreis und der von ihm gegründeten Zeitschrift »Inculturation« einige Jahre lang versuchte, das Anliegen der Inkulturation der christlichen Botschaft in das koreanische kulturelle und religiöse Erbe voranzutreiben.
Bei der Zweihundertjahrfeier der katholischen Kirche in Korea 1984 wurde auf der einen Seite das erstaunliche Wachstum der Kirche gefeiert, zugleich aber auch die Schwächen benannt, dass diese junge Kirche noch einen weiten Reifungsprozess zu bewälti gen habe, um eine authentische koreanische Ortskirche zu werden. 1987 wurde als Beratungsorgan für die koreanischen Bischöfe das »Nationale Pastorale Forschungsinstitut « gegründet, das in den folgenden Jahren eine Reihe von Seminaren zu Fragen der Inkulturation durchführte und z. B. eine Reihe von Vorschlägen für eine inkulturierte Liturgie ausarbeitete.
Shim Sang-Tai sah sich lange Zeit in den theologischen Betrieb des Priesterseminars an der Katholischen Universität von Seoul eingesperrt. Neben seinen Vorlesungen hatte er als Direktor die Leitung der Bibliothek (1976 –1982) und des Instituts für Dogmatische Theologie (1978 –1993) sowie des Dekans der theologischen Fakultät (1985 –1988) inne. Shim Sang-Tai seinerseits ergriff die Initiative und gründete mit einigen Gleichgesinnten 1992 das »Korean Christian Thought Institute« als eigenes Institut zur Entwicklung eines inkulturierten Christentums in Korea und Förderung einer eigenständigen koreanischen Theologie. Der von ihm gegründete Verein umfasst eine Reihe von Priestern und engagierten Laien. Das »Korean Christian Thought Institute« begann seine Arbeit zunächst in Seoul und zog später in einen Neubau nach Suwon um, in dem sich neben den Arbeitsräumen des Instituts eine Bibliothek, Studienplätze für Forscher und Versammlungsräume befinden. Shim Sang-Tai konnte sich zwar nicht ganz den Lehrverpflichtungen als Professor für dogmatische Theologie in Seoul und Suwon entziehen, konzentrierte seine Tätigkeit aber in der Folge im Wesentlichen auf das Gebiet der Inkulturation des Christentums in die koreanische kulturelle und religiöse Tradition. Das Anliegen der Inkulturation in der katholischen Kirche voranzutreiben, sah Shim Sang-Tai von Anfang an als eine Pionieraufgabe an. Galt es doch die weithin bei der Hierarchie, den Priestern aber auch den Laien vorherrschende Vorstellung zu verändern, dass die katholische Kirche in Korea, um authentisch »katholisch« zu sein, möglichst getreu das Vorbild der abendländischen Kirchen kopieren müsse. In der Folge zeigte sich, dass es nicht einfach war, Ergebnisse von regelmäßigen Studienseminaren und Publikationen zu Fragen der Inkulturation weiteren Kreisen innerhalb der katholischen Kirche in Korea zu vermitteln. Die ständig wachsende Zahl von Taufbewerbern verdeckte längere Zeit die Schwächen der katholischen Kirche in Korea, dass nämlich das quantitative Wachstum nicht von einer ihm entsprechenden Spiritualität getragen war. Die sich in diesem Phänomen abzeichnende Krise hat sicher viel mit einem Mangel des Christentums in Korea an Inkulturation zu tun. Um die Jahrtausendwende befindet sich die katholische Kirche in Korea auf der Suche nach neuer Aufgabenstellung. Neben der Übersetzung der Enzyklika »Tertio Milennio Adveniente« ins Koreanische hat Shim Sang-Tai mit eigenen Beiträgen zur Rolle und Aufgabe der koreanischen Kirche im 3. Jahrtausend beigetragen, sich mit Fragen der Evangelisierung, der Globalisierung, der Theologie und anderen zentralen Aufgabenstellungen der Kirche in der Auseinandersetzung mit den heutigen Herausforderungen zu befassen.
Als Direktor eines Instituts, das sich das Anliegen der Inkulturation als Hauptaufgabe gestellt hat, bemühte sich Shim Sang-Tai darum, Kontakte mit ähnlichen Einrichtungen und Initiativen innerhalb Asiens und weltweit zu knüpfen. Unter anderem nahm er an einigen der internationalen Forschungsseminare des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio in Aachen zu Fragen der Ortskirchen und der Inkulturation teil. Bei der Weltumfrage zur Zukunft der Theologie im 3. Jahrtausend, die vom Missionswissenschaftlichen Institut Missio Aachen veranstaltet wurde, steuerte Shim Sang-Tai einen eigenen Beitrag bei (vgl. R. Fornet-Betancourt, Hrsg., »Theologie im III. Millennium: Quo Vadis?«, Frankfurt 2000, S. 240 –244). Shim fordert darin, die Entwicklung einer Theologie, die sich mit den sozio-politischen Problemen der globalisierten Welt auseinander setzt, in einen Dialog mit den Religionen eintritt und das Wirken des Heiligen Geistes in seiner ganzen Vielfalt respektiert.
Die meisten Titel sind in koreanischer Sprache verfasst; Titel in anderen Sprachen sind eigens gekennzeichnet.
Theologische Werke:
Artikel:
Herausgeberschaft:
Übersetzungen ins Koreanischen:
Die theologische Arbeit von Shim Sang-Tai hat in Südkorea wie auch international Beachtung und Anerkennung gefunden. So wurde ihm 1998 der »Korea Catholic Academy Award« zuerkannt, 1999 wurde er vom International Biographical Centre in die Liste der »500 führenden Intellektuellen« sowie in die Gruppe der »The Global 500 Leaders of the New Century« von Barons »Who'sWho« aufgenommen.Wesentlich bodenständiger ist dagegen seine Tätigkeit im »Haus der Hoffnung«, eine katholische Wohlfahrtseinrichtung für Tuberkulosepatienten in der Kyounggi Provinz, und in einem Kinderheim in Seoul, die er seit 1980 als Ratgeber und Direktor in der Verwaltung und im Management unterstützt.
Shim Sang-Tai ist ein »Theologe des Übergangs«, der die Umwälzungen in der Kirche und der Theologie seit dem II. Vatikanischen Konzil mit vollzogen und kritisch begleitet hat. Zugleich ist er ein wichtiger Zeitzeuge und Mitgestalter der rapiden Entwicklungen innerhalb seiner eigenen koreanischen Ortskirche. Für seinen Teil hat er versucht, auf die damit gegebenen Herausforderungen zu reagieren und sie positiv mitzugestalten. Die gegenwärtige Situation der katholischen Kirche in Südkorea wird von ihm einer schonungslosen Analyse unterzogen, welche die Schwächen auf der Leitungsebene, in der Theologenausbildung und der mangelnden Beteiligung der Laien aufzeigt. Zugleich möchte Shim Sang-Tai mit seinem Institut und den daran beteiligten Personen positiv dazu beitragen, das große Potential der katholischen Kirche in Südkorea für das eigene Land, aber darüber hinaus für die asiatischen Nachbarländer und die Welt fruchtbar zu machen.
GEORG EVERS
Missionswissenschaftler