Die katholische Kirche im Igboland in Nigeria gehört sicherlich zu einer der faszinierendsten religiösen Gemeinschaften des afrikanischen Kontinents. Mit ihrer großen Gefolgschaft, ihrer gut strukturierten Organisation und der großen Anzahl von Berufungen, sowohl für den priesterlichen Dienst als auch für das Ordensleben, ist sie in der Lage, den Gläubigen sowohl den notwendigen sakramentalen Dienst als auch zahlreiche katechetische, soziale und medizinische Dienste zukommen zu lassen. Trotz dieser unbestreitbar positiven Aspekte wird beklagt, »dass es zwar zahlreiche Priester gibt, die zugleich Doktoren der Theologie sind, so viele, dass man mit ihnen sämtliche katholische Kathedralen Nigerias umzingeln könnte, ihr akademischer Einfluss ist jedoch innerhalb der Ortskirche kaum spürbar« (Ikenga R. A. Ozigboh, Igbo Catholicism).
Eugene Uzukwu CSSp ist einer der vielen Theologen der Igbos. Die obige Beschreibung ist für seine Person jedoch sicherlich nicht zutreffend, da der Einfluss seiner theologischen Arbeit sowohl das ureigene Leben der Igbo-Kirche als auch das der Universalkirche durchdringt. Seine theologischen Studien in Toronto widmeten sich in erster Linie der Liturgie, was insofern nicht verwundern sollte, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die späten 60er und frühen 70er Jahre diejenigen waren, die sich insbesondere durch die liturgische Erneuerung der Igbo-Kirche auszeichnen. In der Hoffnung, diesem neuen katholischen Leben in Afrika einen Dienst erweisen zu können und aufgrund seiner besonderen Sensibilität für die Traditionen seines eigenen Volkes sah der junge Priester in dem Studium der Liturgiewissenschaft seine Chance. Es verwundert deshalb nicht, dass seine Magisterarbeit sich dem Thema »Anamnesis in Africa: The Jewish-Christian Concept of Memorial and the Igbo of Southern Nigeria« widmete. Seine Doktorarbeit mit dem Titel »Blessing and Thanksgiving among Igbo: Towards the Eucharistica Africana« setzte sich mit der Feier der Eucharistie im afrikanischen Kontext auseinander.
Eine fundamentale Voraussetzung oder ein Vorurteil, wenn man es denn so nennen mag, vonseiten des nigerianischen Theologen ist seine Zugehörigkeit zu einer nigerianischen Kultur, die sich notwendigerweise in seinen Reflexionen einer kontextuellen Theologie, die aus dieser Kirche selbst hervorgegangen ist, manifestiert. Die Lehre und auch die Praxis dieser Kirche ist ihm vertraut.
Als Igbo greift der Liturgiewissenschaftler Uzukwu auf die Tradition seines Volkes zurück, in welcher Religion und ihre Ausdrucksweisen eine eminent wichtige Rolle spielen. Innerhalb dieser Tradition schließt das Gebet eines Mitgliedes dieser Gemeinschaft die Totalität der Erfahrung dieser Gemeinschaft, innerhalb derer das Individuum seinen rechtmäßigen Platz findet, mit ein. Eugene Uzukwu ist vollkommen davon überzeugt, dass die Kultur eines jeden Volkes lebendig und dynamisch ist und eine große Bandbreite an Handlungsweisen beinhaltet, angefangen bei leicht zu verändernden Elementen, wie zum Beispiel die Frage der aktuellen Mode, das Tanzen u. ä., über stabile Gebilde sozio-ökonomischer und politischer Institutionen bis hin zu Strukturelementen, die wahrlich zum Herzen einer Kultur zählen und sich kaum ändern. Auf der strukturellen Ebene einer Kultur wird ein Volk mit den Fragen des Lebens und des Sinns konfrontiert oder – anders ausgedrückt – es erfährt Gott und Geister auf der Basis ihres Universums. Folglich verbirgt sich auch diese sehr lebendige Überzeugung hinter den Worten des Theologen, wenn er schreibt: »Mein Studium der Gebete der Igbos ist nicht einfach eine akademische Übung«.
Für Uzukwu ist es eine unbestrittene Realität, dass die Igbo ein sehr lebensbejahendes Volk sind und dass sie lebensfördernde Muster begünstigen, seien es nun sehr alte oder moderne, die sich sowohl auf die Entwicklung der Gemeinschaft als auch des Einzelnen beziehen. Der Theologe drückt es in seinen Worten so aus: Für die Igbo ist das Leben der Wert schlechthin, von dem alle anderen Werte seine Bedeutung erhalten. Da Leben in Gemeinschaft empfangen worden ist, ist Gemeinschaft ein Muss für das Leben, welches wiederum einen sicherenWeg des Fortschritts darstellt. Innerhalb dieser Sichtweise versteht Uzukwu seinen Ruf zum Theologen in der Tradition der Lehrer (didaskalos) des Neuen Testaments, die das Wirken des christlichen Glaubens in einem bestimmten sozio-kulturellen Gebiet fördern. Ausgehend von dieser Perspektive wird der Dialog des Theologen innerhalb der christlichen Gemeinschaft notwendigerweise zu einer Auseinandersetzung zwischen der kulturellen Tradition und dem ursprünglichen christlichen Ereignis.
Das Erfordernis liturgischer Inkulturation als eine Notwendigkeit für eine durchaus sorgfältige inkulturierte christliche Reflexion im Kontext Nigerias wurde nicht immer von allen als solches eingesehen und begrüßt. Als sich der Theologe mit seinem Beitrag »Sacramental Administration and Inculturation among the Igbo« an die Diözesansynode von Okigwe wandte, erfuhr er Opposition, die er taktvoll mit den Worten beschrieb: »Einige der Teilnehmer waren nicht glücklich. «
Trotz allem blieb Uzukwu seiner Überzeugung treu und erbat die Erlaubnis, ein Team von Experten zu gründen, um im Bereich der Liturgie Studien machen und neue Wege beschreiten zu können, indem das Leben der christlichen Igbo reflektiert werde. Für ihn war klar, dass die Wahl der nigerianischen Kirche kontrolliert werden müsse durch die originären Handlungsweisen des neutestamentlichen Jesus, welche die Jünger im freudigen rituellen Mahl feierten. Bedenkt man die Art und Weise, auf welche diese originäre Handlung im Laufe der Geschichte ihren Weg nahm, sollten auch die Menschen in Nigeria sich diese entsprechend ihrer Zeit und ihrem Kontext aneignen.
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Der Liturgiker Uzukwu wandelte sich nach und nach zu einem Wissenschaftler mit einem weiten theologischen Horizont. Aufgrund intensiver Beziehungen zu Theologen in Afrika, Asien, Lateinamerika und Europa lernte er den großen Beitrag der Ortskirchen des Südens zu schätzen, welche als Schwerpunkt ihre aufgrund des Kontextes bedingten Fragestellungen und Engagements als Ort der Erfahrung der Heilsgeschichte eingebracht haben. Dies hat durch die originellen Antworten auf das Evangelium neue Formen der christlichenWahrheit hervorgebracht. Seiner Ansicht nach beschreitet die christliche Theologie einen unumkehrbaren Weg, der sich in erster Linie mit Fragen von Inkulturation und Befreiung auseinandersetzt. Unzweifelhaft muss die grundlegende Entscheidung des Theologen sein, dem Neuen Testament den Vorrang einzuräumen, jedoch muss er zur gleichen Zeit die Notwendigkeit der Befreiung der Theologie für wichtig erachten. Es ist nur schwerlich möglich, ein größeres Bewusstsein für den Wert kontextueller theologischer Arbeit zu formulieren und als Folgerung daraus den unverzichtbaren Dienst des Theologen im Leben der Kirche anzuerkennen. Die Kirche ist kein fertiges Gebilde; vielmehr wird sie durch den Geist Gottes immer wieder aufs neue jenseits ihrer eigenen Grenzen und in eine neue und unbekannte Zukunft geführt. Die christliche Botschaft, d. h. das Evangelium, ist in sich unerschöpflich. Wenn Kirchenführer jedoch von einem Standpunkt aus agieren, welcher nahe legt, dass die Kirche mit ihren Dogmen und ihren Gesetzen ein fertiges Produkt darstelle und folglich nicht verändert werden könne, hat ein Theologe das Recht und die Pflicht, dagegen zu protestieren.
In Uzukwus Denken ist es kein Widerspruch, dass die erste Aufgabe, die sich ein Theologe in Nigeria zu stellen hat, in dem innigen und zugleich kritischen Studium der eigenen kulturellen Tradition und der empfangenen westlich geprägten christlichen Tradition besteht. Eugene Uzukwu hatte schon immer Schwierigkeiten zu verstehen, warum nigerianische Kirchenführer und Theologen davor zurückgeschreckt sind, die brennende theologische Aufgabe der Interpretation der empfangenen Botschaft des Evangeliums in kontextuellen nigerianischen Begriffen in Angriff zu nehmen. Die Botschaft des Evangeliums Jesu Christ im nigerianischen Kontext zu deuten, setzt voraus, dass es eine lebendige christliche Gemeinschaft des Glaubens gibt, welche durch die Praxis des Glaubens und der Reflexion über diesen zu ihrer Deutung der Botschaft gelangt. Anstatt das empfangene lateinische Christentum als die Norm schlechthin anzusehen, die nicht verändert werden dürfe, betrachtet der Theologe Uzukwu die Deutung des Evangeliums im nigerianischen Kontext als einenWeg der Inkulturation der christlichen Botschaft in der Geschichte Afrikas, wie ihn zum Beispiel die Kirche Äthiopiens oder die koptische Kirche von frühester Zeit an beschritten haben. Gemeinsam mit Ehrerbietung und Dankbarkeit muss dem Westen sicherlich die Referenz dafür, dass das Christentum empfangen wurde, erwiesen werden, jedoch darf solch hohe Achtung nicht dazu führen, die Aufgabe, nämlich die Botschaft des Evangeliums in die Gemeinschaft der nigerianischen Kirche zu inkulturieren, zu verhindern.
Als nigerianischer Theologe folgt Eugene Uzukwu dem richtigenWeg, wenn er sich zunächst und in erster Linie um fundamentale Fragestellungen des christlichen Lebens im nigerianischen Kontext kümmert. Im eigentlichen Sinn übt er damit als Theologe eine Führungsrolle innerhalb der Ortskirche aus, indem er bei der Geburt einer neuen theologischen Sprache und Tradition in einer aufstrebenden Ortskirche behilflich ist. Und wo es sich insbesondere um gesamtafrikanische Fragestellungen handelt, untersucht Uzukwu durchaus beide vorherrschenden Modelle sozialer Organisation: dasjenige, das Autorität vielen Händen anvertraut, und das andere Modell, welches Autorität in die Hand eines Königs, jedoch unter strikter Kontrolle eines Rates, legt. Der Theologe unterstreicht, dass beide Systeme der Konsultation auf verschiedenen Ebenen eine starke Bedeutung beimessen, bevor Entscheidungen, die die Gesellschaft betreffen, getroffen werden. In jedem dieser beiden Modelle ist das Zuhören eine Metapher für die Organisation. Uzukwu argumentiert, dass die Annahme dieses Modells des Zuhörens, um christliche Gemeinschaften in Afrika aufzubauen, den Kirchen helfen mag, Zeugnis abzulegen für einen alternativen Weg des Aufbaus der Gesellschaft in Afrika.
HENRY C. HOEBEN SMA
Missionswissenschaftler, bis 1999 Referent des Missionswissenschaftlichen Instituts Missio e.V., Aachen