von Katharina Wenzel-Teuber
Am 14. März 2013 wurde in Peking der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Xi Jinping, zum Staatspräsidenten der Volksrepublik China ernannt. Nur wenige Stunden vorher war in Rom weißer Rauch aufgestiegen, um die Wahl des neuen Papstes, Franziskus, anzuzeigen. Vor welchen Herausforderungen stehen Politik und Gesellschaft, Religionen und Kirchen Chinas heute? Und wie haben sich die Beziehungen zwischen Peking und dem Heiligen Stuhl seit 2013 entwickelt? Einige Streiflichter zur Situation in einem großen und komplexen Land.
Katharina Wenzel-Teuber
Chefredakteurin der vom China-Zentrum e.V. herausgegebenen Zeitschrift „China heute"
China, seit 2010 die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist zu einem Global Player geworden, der in Afrika Straßen baut, in Deutschland Firmen kauft, mit Shanghaier Schülern PISA-Testsieger stellt und einen Anteil von fast 20 Prozent an den wissenschaftlichen Veröffentlichungen weltweit hält. Durch die Politik von „Reform und Öffnung" seit Ende der 1970er Jahre ist es der Kommunistischen Partei (KP) Chinas gelungen, das Land wirtschaftlich und politisch wieder stark zu machen. Chinas neues Selbstbewusstsein spiegelt sich in Xi Jinpings Regierungsdevise wider, den „chinesischen Traum von der großen Wiedergeburt der Nation" zu verwirklichen.
China hat seit 1978 mehr als 700 Millionen Menschen aus der Armut gehoben, so dass nach UN-Angaben heute nur noch rund 4 Prozent der chinesischen Bevölkerung in extremer Armut leben. Politik und Gesellschaft stehen aber weiter vor großen Herausforderungen. Das Wirtschaftswachstum und der gewaltige gesellschaftliche Umbruch haben, neben mehr Wohlstand, auch eine wachsende soziale Ungleichheit mit sich gebracht. Der Gini-Koeffizient, der soziale Ungleichheit misst, lag 2014 bei 0,469 und damit alarmierend hoch. Besonders groß ist die Diskrepanz zwischen Stadt und Land. Dazu kommt der ungleiche Zugang zur Gesundheits- und Altersversorgung. Noch im Jahr 2003 waren 50 Prozent der städtischen und 80 Prozent der ländlichen Bevölkerung nicht von der Gesundheitsversorgung erfasst. Seither hat China enorme Anstrengungen in den Aufbau staatlich subventionierter Sozialversicherungssysteme gesteckt. Beispielsweise waren im Jahr 2009 nach amtlichen Angaben bereits 94 Prozent der Landbevölkerung im neuen dörflichen kooperativen Gesundheitssystem basiskrankenversichert. Allerdings sind die Leistungen dieser Versicherung niedrig, so dass schwere Krankheit auf dem Land immer noch ein Armutsrisiko darstellt.
Urbanisierung – mit begrenztem Zuzug in die Metropolen und Ausbau der kleinen und mittleren Städte – wird von der chinesischen Regierung weiter als Wachstumsmotor gesehen und gefördert. Dabei kommt es zu großen sozialen Verwerfungen durch das bestehende Einwohnermeldesystem, das strikt zwischen ländlicher und städtischer Bevölkerung unterscheidet und Sozialleistungen an die Wohnsitzregistrierung koppelt. Ende 2015 lebten nach offiziellen Angaben zwar bereits 56,1 Prozent der chinesischen Bevölkerung in Städten. Jedoch hatten nur 39,9 Prozent eine Wohnsitzregistrierung in der Stadt und damit Anrecht auf Zugang zum städtischen Gesundheits- und Schulsystem. Durch die Abwanderung der Generation im Erwerbsalter entsteht auf dem Land das Problem der „zurückgelassenen Kinder" – ihre Zahl wird auf 61 Millionen geschätzt – und der alten Menschen, die ohne Hilfe der Jüngeren zurechtkommen müssen. Im Oktober 2016 stellte der Staatsrat Lockerungen für den Erwerb einer städtischen Wohnsitzregistrierung in den nächsten Jahren in Aussicht.
Ein großes Problem für den Aufbau der Sozialversicherungssysteme, aber auch für die Wirtschaft ist die zu erwartende rasche Alterung der chinesischen Gesellschaft. Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 30 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Um diesen Trend zu bremsen, hat China die 1979 eingeführte Ein-Kind-Politik, die mit Zwangsmaßnahmen durchgesetzt wurde und 400 Millionen Geburten verhinderte, modifiziert – ohne die staatliche Geburtenplanung grundsätzlich aufzugeben: Seit 2016 darf jedes Paar zwei Kinder bekommen. Allerdings zeichnet sich ab, dass der demographische Effekt gering sein dürfte, da viele Paare sich gegen ein zweites Kind entscheiden.
Der Umbruch der letzten Jahrzehnte hat in großen Teilen der Bevölkerung zu einer Auflösung traditioneller Bindungen, stärkerer Vereinzelung der Menschen und dem Verlust an verbindlichen Werten geführt. Zur Pluralisierung der Lebensmodelle und Weltanschauungen hat auch die zunehmende Internationalisierung der Kontakte seit den 1980er Jahren beigetragen. Unter der neuen Führung Xi Jinpings hat sich ein Trend zur Abschottung gegen ausländische Einflüsse verstärkt. Er wird von vielen Beobachtern als Ausdruck der Sorge vor einem Kontrollverlust der Kommunistischen Partei gesehen. So identifizierte das interne Parteidokument Nr. 9 (April 2013) die Befürwortung der westlichen konstitutionellen Demokratie, universaler Werte und der Zivilgesellschaft als „falsche ideologische Trends", die die Grundlagen der Parteiherrschaft zu unterminieren suchten. Um ausländische Einflüsse auf die chinesische Zivilgesellschaft zu kontrollieren, wurde ein Gesetz über die Aktivitäten ausländischer Nichtregierungsorganisationen (NROs) auf chinesischem Gebiet erlassen, das am 1. Januar 2017 in Kraft tritt. Viele NROs befürchten deshalb, dass sie ihre Zusammenarbeit mit chinesischen Partnern nicht oder nur noch eingeschränkt fortführen können.
Zwar setzt die chinesische Führung auf eine „Herrschaft durch das Gesetz", doch stoßen Rechtsanwälte, die Klienten in politisch heiklen Fällen vertreten, oft auf massive Probleme. Im Juli 2015 ging die Regierung gegen mehr als 300 Bürgerrechtsanwälte und Rechtsaktivisten vor. Die ideologische Kontrolle wurde auch im Bereich der Schulen und Hochschulen, der Medien und des Internets und nicht zuletzt innerhalb der Kommunistischen Partei selbst verstärkt. Dabei propagiert die chinesische Führung neben den „sozialistischen Kernwerten" zunehmend auch die „vorzügliche traditionelle Kultur Chinas" und greift dabei besonders auf konfuzianische Konzepte zurück. Über englischsprachige staatliche Medien und andere Kanäle versucht sie, ihr Chinabild international durchzusetzen und gegen die (manchmal zu Recht) als einseitig negativ empfundene Darstellung Chinas in westlichen Medien anzugehen.
China strebt eine multipolare Weltordnung an, die es selbst aktiv mitgestalten will. Ein zentrales Instrument dafür ist Xi Jinpings „Seidenstraßen"-Initiative. Sie soll 64 Länder Asiens, Afrikas und Europas durch ein großes Infrastrukturnetz miteinander verbinden. Mit diesem geostrategischen Projekt knüpft China an ein großes historisches Erbe an.
(Festlandchina, ohne die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau sowie ohne die Republik China auf Taiwan)
Fläche: 9.572.419 km²
Bevölkerung: 1,34 Milliarden (Zensus 2010)
56 Ethnien davon 91,5 Prozent Han-Chinesen (1,2 Mrd.) sowie Zhuang (16,9 Mio.), Uiguren (11,5 Mio.), Hui (10,5 Mio.), Mandschu (10,3 Mio.), Miao (9,4 Mio.), Yi (8,7 Mio.), Tujia (8,3 Mio.), Tibeter (6,2 Mio.), Mongolen (5,9 Mio.) u. a.
Human Development Index 2014: Rang 90 von 188 Staaten
Religionen: (es liegen sehr unterschiedliche Schätzungen vor) Buddhismus 185 Mio., Daoismus und Volksglaube 173 Mio., Islam 23 Mio., Protestantismus 23– 60 Mio. oder mehr Katholiken 9 –12 Mio.
Quelle: China-Zentrum e.V.
Über die historischen Seidenstraßenrouten, die ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. China mit Zentralasien, Europa und dem Nahen und Mittleren Osten verbanden, wurden nicht nur Waren gehandelt, sondern auch Ideen ausgetauscht. Religiöse Strömungen gelangten auf diesem Weg nach Osten und wurden Bestandteil der multireligiösen Landschaft Chinas. Im 1. Jahrhundert n. Chr. erreichte der Buddhismus das Reich der Mitte, wo er im Lauf der Jahrhunderte eine enge Synthese mit der chinesischen Kultur einging und diese nachhaltig beeinflusste. Mit dem Daoismus und dem Konfuzianismus verband er sich zu den „Drei Lehren" des alten China. Zur Zeit der weltoffenen Tang-Dynastie (618–907) kamen der Islam, das Christentum (in Form der assyrischen Kirche des Ostens) und das Judentum erstmals nach China. Alle Religionen mussten sich jedoch stets dem Kaiser unterordnen und empfingen von ihm ihre Legitimierung. Diese historische Konstante setzt sich in der heutigen Religionspolitik der KP Chinas fort.
Die Verfassung der Volksrepublik China sieht die Freiheit des religiösen Glaubens und den Schutz „normaler religiöser Aktivitäten" vor. In der Volksrepublik China haben heute fünf Religionen den Status einer anerkannten Religion: Daoismus, Buddhismus, Islam, Protestantismus und Katholizismus. Im Prinzip können nur diese fünf Religionen im Rahmen des staatlichen Religionsverwaltungssystems öffentlich ihren Glauben praktizieren. Dabei müssen sie die Kontrolle durch den Staat akzeptieren, die dieser mit Hilfe der offiziellen Dachverbände der Religionen ausübt, welche nach stalinistischem Vorbild Ende der 1950er Jahre gegründet wurden und vom Staatlichen Büro für religiöse Angelegenheiten beaufsichtigt werden. Alle Kleriker, religiösen Versammlungs- und Ausbildungsstätten müssen über diese offiziellen Dachverbände beim Staat registriert sein. Religiöse Aktivitäten außerhalb dieses Systems sind aus staatlicher Sicht illegal und können entsprechend geahndet werden, werden aber teilweise auch toleriert. De facto praktizieren viele ihren Glauben außerhalb dieses streng reglementierten Rahmens im sogenannten „Untergrund" oder in Grauzonen dazwischen. Auch innerhalb des offiziellen Rahmens kann es Freiräume geben. Von Ort zu Ort und je nach Religion ist die Situation sehr unterschiedlich. Allerdings geht die Tendenz derzeit hin zu einer strikteren „Verwaltung nach dem Gesetz". Ein Beispiel dafür ist der Anfang September 2016 veröffentlichte, stark erweiterte Revisionsentwurf der „Vorschriften für religiöse Angelegenheiten". Um staatliche Anerkennung bemühen sich die kleine orthodoxe Kirche Chinas, die bisher nur lokal zugelassen ist, die Mormonen und andere Religionsgemeinschaften. Hingegen wird eine Reihe von neuen religiösen Bewegungen und Splittergruppen (manche davon christlichen Ursprungs) von den Behörden als „böse Kulte" eingestuft und verfolgt.
Von den offiziellen Religionsgemeinschaften wird erwartet, dass sie sich loyal zur KP Chinas verhalten, zum Aufbau einer „Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand" beitragen und die aktuelle Parteipolitik unterstützen. Eine prophetische, d.h. die Regierungsarbeit kritisch begleitende Rolle können sie unter diesen Umständen kaum spielen. Die Religionsgemeinschaften sollen außerdem unabhängig vom Ausland autonome Selbstverwaltung üben. Dieser Punkt wird in letzter Zeit wieder stärker betont und es wird vor „religiöser Infiltration" gewarnt. Präsident Xi Jinping hat in einer Grundsatzrede im April 2016 außerdem „Sinisierung" in der Religionsarbeit gefordert; er sagte, die Religionen sollen ihre Lehren so interpretieren, dass sie „der vorzüglichen traditionellen Kultur Chinas" entsprechen.
Heute gibt es in China ein sehr vielfältiges religiöses Leben – auch wenn (nach den Ergebnissen einer WIN/Gallup-Umfrage 2015) sich 61 Prozent der Chinesen als Atheisten bezeichnen. Dies ist dem starken Wiederaufleben der Religionen zu verdanken, das ab den 1980er Jahren, nach dem Ende der Unterdrückung des religiösen Lebens in der Kulturrevolution (1966–1976), einsetzte und bis heute anhält. Der einheimische Daoismus wird oft in enger Verbindung mit traditionellen volksreligiösen Praktiken ausgeübt. Letztere sind zwar in der Regel nicht vom Staat zugelassen, werden aber inzwischen oft toleriert, manchenorts sogar gefördert. Der Buddhismus ist weiterhin einflussreich, auch in der städtischen Elite, für die er beispielsweise spirituelle Angebote wie Seminare zum „Lebens-Zen" bereithält. Interessanterweise findet auch der tibetische Buddhismus unter Han-Chinesen immer mehr Anhänger. In den tibetischen Gebieten der Volksrepublik, wo er für die meisten Tibeter ein Ausdruck ihrer nationalen Identität ist, wird er allerdings äußerst restriktiv behandelt, da Chinas Führung von ihr befürchtete separatistische Tendenzen und die Loyalität zum Dalai Lama unterbinden will. Eine ähnliche Rolle spielt der Islam für die Uiguren im Autonomen Gebiet Xinjiang, das im Westen an Indien (Kaschmir), Pakistan, Kirgistan und Kasachstan grenzt. Vor allem im Südwesten Xinjiangs kommt es zu einer Spirale von staatlicher Repression und teils gewaltsamen Protesten, wobei die Situation durch das Problem des internationalen Terrorismus zusätzlich verkompliziert wird. Insgesamt sind zehn Ethnien in China überwiegend muslimisch. Sie hängen einer großen Bandbreite von unterschiedlichen islamischen Schulen und Sufi-Orden an. Die Religion mit dem stärksten Zuwachs seit dem Ende der Kulturrevolution ist der Protestantismus: 1949 gab es nur eine Millionen einheimische protestantische Christen in China, heute könnten es um die 60 Millionen sein. Der chinesische Protestantismus ist stark pfingstlerisch-evangelikal geprägt, Intellektuelle der städtischen Elite fühlen sich eher vom Neuen Calvinismus angezogen. Von den fünf anerkannten Religionen ist die katholische Kirche die kleinste – nur knapp 1 Prozent der Bevölkerung Chinas ist katholisch.
Das katholische Christentum in China ist traditionell besonders auf dem Land verwurzelt, wo es in manchen Gegenden, missionsgeschichtlich bedingt, sogar katholische Dörfer gibt. Katholische Clans bezogen ihre Identität aus der Religionszugehörigkeit und waren stolz, Priester oder Schwestern hervorzubringen. Der Glaube wurde in den Familien weitergegeben, auch in Zeiten der Verfolgung.
Der gesellschaftliche Umbruch der letzten Jahrzehnte hat hier vieles verändert. Durch Migration und Urbanisierung gibt es in vielen ländlichen Gemeinden keine jungen Leute mehr, während die katholischen Migranten in den Städten leicht den Kontakt zur Kirche verlieren. Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe für die Kirche, katholische Studierende und junge Arbeitsmigranten in den Städten zu erreichen, sie miteinander zu vernetzen (dabei spielen die sozialen Medien eine wichtige Rolle) und Angebote zur Vertiefung des Glaubens zu machen. Das Bibelteilen hat dabei einen hohen Stellenwert. Kennlernangebote sind wichtig, wenn junge Katholiken in der Stadt einen passenden Lebenspartner finden wollen. Auch sonst stößt man auf kreative Vernetzungsideen. So haben sich in einer Provinzhauptstadt mehr als 500 katholische Taxifahrer, alle Migranten vom Land, zur „Glaubensfamilie der Autofreunde" zusammengeschlossen, was sie durch ein entsprechendes Logo an ihrem Taxi kenntlich machen.
Gleichzeitig gibt es in den Städten viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, die entwurzelt sind oder aus anderen Gründen nach Sinn und Orientierung suchen. Städtische Pfarreien versuchen auf diese Bedürfnisse einzugehen und richten Anlaufstellen für Nichtchristen oder Evangelisierungskurse ein – an manchen Orten mit beeindruckenden Ergebnissen. Beispielsweise wurden in der Metropole Tianjin am 11. Juni 2016 in der Xikai-Kathedrale, die fortlaufend zwei Taufbewerberkurse anbietet, 93 erwachsene Katechumenen getauft. In solchen Evangelisierungsprogrammen arbeiten viele Laien ehrenamtlich mit, manchmal sind sie die treibende Kraft.
An vielen Orten setzen sich katholische (wie evangelische) Christen für Menschen in Not ein. Tatsächlich erwartet die Regierung von allen Religionen, dass sie durch Wohltätigkeit zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen, setzt diesem Engagement gleichzeitig jedoch enge Grenzen. Trotzdem ist der karitative Einsatz vielfältig. Es gibt katholische Waisenheime und Einrichtungen für Behinderte, Hilfe für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke, Katastrophenhilfe, psychologische Beratung, Studienstipendien für Kinder aus armen Familien und Spendenappelle über katholische Websites, wenn bei schwerer Krankheit das Geld für die medizinische Behandlung fehlt. Es gilt oft, mit begrenzten Mitteln auszukommen und aus der Not eine Tugend zu machen. So initiierte ein Priester, der einsehen musste, dass kirchliche Altenheime nicht finanzierbar waren, ein Netzwerk von Freiwilligen. Sie besuchen mittellose alte Menschen auf dem Land, die keine Angehörigen haben, um für sie aufzuräumen, Haare zu schneiden, Wäsche zu waschen, frische Eier zur Aufbesserung der kargen Ernährung zu bringen und ihnen zuzuhören.
1951, zwei Jahre nach ihrer Gründung, brach die Volksrepublik China die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl ab. 1957 wurde auf Druck der kommunistischen Regierung die „Chinesische katholische patriotische Vereinigung" gegründet, die die Unabhängigkeit der chinesischen Kirche (von Rom) in ihren Statuten hat. 1958 fanden die ersten Weihen selbstgewählter Bischöfe ohne päpstliche Zustimmung statt. Seither ist die Streitfrage, wer das Recht auf die Ernennung der chinesischen Bischöfe hat, zwischen Rom und Peking ungelöst. Die chinesische Kirche ist in einen offiziellen, von der Regierung anerkannten Teil und einen Teil im „Untergrund" gespalten, der eine Kooperation mit der von der Regierung gesteuerten Patriotischen Vereinigung aus Gewissensgründen ablehnt, wobei es fließende Übergänge zwischen beiden Teilen gibt.
Bald nach dem Amtsantritt von Papst Franziskus und Präsident Xi Jinping, im Sommer 2014, wurden die einige Jahre zuvor abgebrochenen Verhandlungen wieder aufgenommen. Es gab mehrere Treffen zwischen hochrangigen Delegationen beider Seiten, und eine Arbeitsgruppe zur Lösung der anstehenden Probleme wurde eingerichtet. Konkrete Ergebnisse wurden bisher nicht bekanntgegeben. Medienspekulationen zufolge soll es u.a. einen Lösungsvorschlag für die Bischofsernennungen geben, der vorsieht, dass von chinesischer Seite vorgeschlagene Kandidaten vom Papst bestätigt werden, wobei dieser ein zu begründendes Veto einlegen kann. Der Hongkonger Bischof Kardinal John Tong hat die chinesischen Katholiken in einem Schreiben vom August 2016 darauf vorbereitet, dass Bischofskandidaten künftig dem Heiligen Stuhl von der chinesischen Bischofskonferenz vorgeschlagen werden könnten, vorausgesetzt, dass diese selbst rechtmäßig sein wird. Das ist derzeit noch nicht der Fall, insbesondere weil ihr acht offizielle Bischöfe angehören, die nicht vom Papst anerkannt sind, während die rund 30 vom Papst ernannten Untergrundbischöfe keine Mitglieder sind. Die Mehrheit der rund 100 chinesischen Bischöfe ist sowohl vom Papst als auch von den chinesischen Behörden anerkannt. Weil die Bischofskonferenz zudem eng mit der Patriotischen Vereinigung verquickt ist und sehr stark von den staatlichen Religionsbehörden kontrolliert wird, hat sie bei vielen chinesischen Katholiken kein gutes Ansehen. Dass Kardinal Tong in seinem Schreiben versichern musste, der Heilige Stuhl werde bei seinem Dialog mit China keinesfalls die Prinzipien des Glaubens opfern, zeigt, wie groß die Verunsicherung in Teilen der chinesischen Kirche ist. Tong betonte auch, dass die römischen Verhandlungsführer die inhaftierten Untergrundbischöfe – das Schicksal zweier 1997 bzw. 2001 verschwundener Bischöfe ist bis heute ungeklärt – nicht vergessen würden. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass „viele Brüder und Schwestern in der Untergrundkirche" den Dialog ebenfalls unterstützen.
Immer wieder melden Medien, dass ein Abkommen zwischen China und dem Vatikan – wahrscheinlich noch keine vollen diplomatischen Beziehungen – bald zu erwarten sei. Die sichtbaren Anzeichen sind bisher (Stand Mitte November 2016) jedoch widersprüchlich. So verpflichten die staatlichen Religionsbehörden die chinesische Kirche weiter mit Nachdruck auf das Prinzip der Unabhängigkeit und setzen Untergrundpriester unter Druck, sich über die patriotische Vereinigung registrieren zu lassen. Nach dem Tod des offiziellen (päpstlich anerkannten) Bischofs von Wenzhou im September 2016 schickten sie dessen von Rom designierten Nachfolger, Koadjutorbischof Peter Shao, der die Untergrundgemeinschaft der Diözese leitet, erst einmal auf „Zwangsurlaub". Andererseits konnte am 10. November 2016 nach längerer Zeit wieder ein chinesischer Bischof im Einvernehmen beider Seiten geweiht werden, und es gibt freundliche Gesten: Am 2. Oktober 2016 enthüllte Papst Franziskus in einem Interview, dass Präsident Xi Jinping ihm ein Geschenk übersendet hat. Die Zukunft wird zeigen, ob in der Amtszeit dieser beiden Protagonisten der jahrzehntelange Konflikt zwischen Peking und Rom so gelöst werden kann, dass die katholischen Christen in China ihren Glauben in voller Gemeinschaft mit der Weltkirche leben und sich in größerer Freiheit in die chinesische Gesellschaft einbringen können.
Das China-Zentrum e.V. besteht seit 1988. Zweck des als gemeinnützig anerkannten Vereins ist die Förderung von Begegnung und Austausch zwischen den Kulturen und Religionen im Westen und in China. Mitglieder des China-Zentrums sind katholische Hilfswerke, Orden und Diözesen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.
Zu den Aufgaben des China-Zentrums gehören:
Viermal im Jahr gibt das China-Zentrum die Zeitschrift China heute heraus, die aktuelle Informationen, Dokumente, Hintergrundberichte und Analysen zu Religionen im chinesischen Kulturraum liefert. www.china-zentrum.de