Zeitalter der Migration

Zeugnis durch Nähe

Pastorale Begleitung der Migranten in Asien

von Gemma Tulud Cruz

Asien blickt auf eine lange Geschichte temporärer, dauerhafter und zyklischer Migration. Die Globalisierung hat die Wanderungsbewegungen noch verstärkt. Viele Menschen verlassen ihre Heimat, um anderswo Arbeit zu finden. Ihre Situation ist äußerst prekär. Auch wenn die Kirche mit Angeboten pastoraler Begleitung vor Ort ist, besteht doch weiterhin Handlungsbedarf.

Autorin

Gemma Tulud Cruz
Dr. theol., ist Dozentin für Theologie an der Australian Catholic University, Melbourne (Australien)

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Bereits in vorkolonialen Zeiten war auf der Malaiischen Halbinsel und den Inselstaaten Indonesien und Philippinen Mobilität von Menschen verschiedener Ethnien zu verzeichnen, insbesondere über den Seeweg. Die Kolonialisierung verstärkte die Migrationsbewegungen noch. Zunächst führten Gebietseroberungen und die Regulierung des Handels durch die europäischen Kolonialreiche zur Migration zwangsverpflichteter Arbeitskräfte aus Asien. Von 1834 bis 1937 wurden rund 30 Millionen Männer und Frauen vom indischen Subkontinent nach Südostasien, Afrika, in die Karibik und den Pazifischen Raum gebracht, um auf britischen Plantagen zu arbeiten. Die zwei Weltkriege lösten ebenfalls eine Migrationswelle in der Bevölkerung Asiens aus, weil viele Kolonialherren ihre früheren Untertanen im Krieg als Fußsoldaten einsetzten und danach noch mehr Migranten anlockten, damit diese beim Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Volkswirtschaften halfen. Ende des 20. Jahrhunderts haben drei wichtige politische Ereignisse massive Migrationsbewegungen in Asien ausgelöst: Der Bangladesch- Krieg zwischen Westpakistan (dem heutigen Pakistan) und Ostpakistan (dem heutigen Bangladesch) führte zur Vertreibung von rund zehn Millionen Menschen. Der Vietnam- Krieg, der auch auf Laos und Kambodscha übergriff, löste einen Exodus von drei Millionen Menschen in der Region aus. In Afghanistan haben die Besatzungswellen und politischen Krisen Millionen von Menschen in 71 verschiedene Länder zerstreut. Moderne Transport- und Kommunikationstechnologien, anhaltende politische und wirtschaftliche Krisen, Umweltkatastrophen, Kriege und religiöskulturell motivierte Konflikte in vielen Ländern Asiens sowie wahre oder erfundene Geschichten von einem besseren Leben in den Zielländern haben zur – legalen oder illegalen – Migration von vielen weiteren Asiaten seit den 1990er Jahren geführt. Die Migration in Asien hat sich dabei aufgrund der Globalisierung stark verändert. Laut einem UN-Bericht von 2013 bilden Asiaten mit 19 Millionen in Europa, ungefähr 16 Millionen Migranten in Nordamerika und rund 3 Millionen in Ozeanien die größte Diaspora außerhalb ihres Geburtslandes. Außerdem hat Asien selbst seit dem Jahr 2000 mit 20 Millionen Migranten in 13 Jahren im Vergleich zu anderen Zielregionen den größten Zuwachs an internationalen Migranten zu verzeichnen. Die steigende Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften in den ölproduzierenden Staaten Westasiens und in den Schwellenländern Südostasiens verursacht diesen Zuwachs.1 2012 verließen mehr als eine Million Filipinos ihr Land, um in einem Land auf der Arabischen Halbinsel, in Singapur oder in Hongkong zu arbeiten. Seit 2008 haben jedes Jahr mehr als 250.000 Arbeiter aus Sri Lanka und 100.000 aus Thailand ihr Land verlassen.2 Dies zeigt, dass sich in der globalen Migration im Allgemeinen und in der Migration in Asien im Besonderen ein neuer Trend abzeichnet, nämlich dass die Süd-Süd-Migration genauso üblich ist wie die Süd-Nord-Migration.

Die Not der Arbeitsmigranten in Asien

Die massenhafte Arbeitsmigration innerhalb Asiens wurde durch zwei Entwicklungen ausgelöst: den Ölboom Mitte der 1970er Jahre, der zu enormen Investitionen in die Infrastrukturen der Staaten des Nahen Ostens führte, und den wirtschaftlichen Aufschwung in den sogenannten Tigerstaaten, Südkorea, Singapur, Thailand, Taiwan, Hongkong und Malaysia. Das schnelle Wirtschaftswachstum in diesen Staaten, verbunden mit der Industrialisierung Japans, führte zu einer massiven Nachfrage nach billigen Arbeitskräften, die viele arme asiatische Länder aus der Not heraus befriedigten. Die Nachfrage nach qualifizierten und ungelernten Arbeitskräften in diesen asiatischen Ländern und der steigende Bedarf in den westlichen Ländern, die eine Überalterung der Gesellschaft und niedrige Geburtenraten ausgleichen müssen, befeuerte das stetige Wachstum der Arbeitsmigration in Asien. Die Mehrheit der asiatischen Arbeitsmigranten geht von weniger entwickelten Ländern in Industrieländer, meist auf temporärer Basis und in Hilfsarbeitsverhältnissen. Diese Arbeiter, meist ohne Papiere, bilden die Unterklasse der asiatischen Migranten. Sie sind die Hauptleidtragenden dreier diskriminierender Überzeugungen: 1. Einwanderern sollte nicht erlaubt werden, sich dauerhaft niederzulassen; 2. ausländischen Einwohnern sollte die Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen gewährt werden; 3. externe Einflüsse sollten die nationale Kultur und Identität nicht verändern. Infolgedessen gibt es tausende staatenlose Kinder von Migranten in Ländern wie Südkorea, Saudi-Arabien und Japan. Die ungerechten Arbeitsbedingungen sowie eine restriktive und ausbeuterische Einwanderungspolitik verschärfen die Situation zusätzlich. In Hongkong ist die Situation besonders problematisch, weil entlassenen Arbeitern lediglich ein Zeitraum von zwei Wochen gewährt wird, um eine neue Arbeit zu finden, anderenfalls werden sie ausgewiesen. Im Nahen Osten können die Arbeitsmigranten nur unter dem Bürgschaftssystem Kafala ins Land gelangen. Sie müssen ihrem Bürgen (Kafala) ihren Ausweis aushändigen, sobald sie das Land betreten. Der Bürge muss den Arbeiter erst freigeben, wenn dieser das Land verlassen will. Darüber hinaus ist es den Arbeitern nicht erlaubt, den Arbeitgeber zu wechseln. Sie sind auf das Wohlwollen ihres Bürgen angewiesen. In ein illegales Beschäftigungsverhältnis zu wechseln, ist oft die einzige Möglichkeit, dieser Knebelsituation zu entfliehen. So entsteht eine Unterklasse innerhalb der Unterklasse: illegale ungelernte Arbeiter.

Die Antwort der Kirche in Asien

Die Kirche in Asien erkennt die enormen Schwierigkeiten und Herausforderungen für die Migranten in Asien an, besonders für verwundbare Gruppen wie Arbeiter ohne Papiere in ungelernter Arbeit. Sie bietet pastorale Begleitung auf zwei Arten an. Die wichtigste Form der pastoralen Begleitung von Migranten durch die Kirche in Asien sind die moralische Begleitung und Hilfe zur Orientierung. Auch wenn die Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (Federation of Asian Bishops, FABC) noch keine umfassende Stellungnahme zur Migration herausgegeben hat, haben die Bischöfe auf den Philippinen (1988) und in Taiwan (1989) ihre eigenen Aussagen veröffentlicht. In der Abschlusserklärung zur fünften Vollversammlung (1990) hat die FABC erstmals einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Armut und Migration festgestellt und betont, wie Armut sowohl Männer als auch Frauen dazu treibe, zu Arbeitsmigranten zu werden.3 1993 hat das Justice and Peace Committee der koreanischen katholischen Kirche in einer Stellungnahme auf das Problem der illegalen Migranten aufmerksam gemacht und betont, dieses müsse aus einer globalen Menschenrechtsperspektive betrachtet werden. Darüber hinaus wird das Thema Migration auf den Vollversammlungen der FABC seit 1990 diskutiert und immer wieder erwähnt. Auf der sechsten Vollversammlung der FABC wurden die Gläubigen dazu aufgerufen, ausgegrenzte und ausgebeutete Menschen willkommen zu heißen. Die katholische Kirche Asiens reagiert außerdem auf das Elend der Migranten, indem sie für sie eintritt und christlich handelt. Die Kirche Asiens gibt zu, dass Diskussionen, Analysen und Stellungnahmen nicht reichen. Die FABC sieht in den verletzlichen Menschen unterwegs eine Herausforderung für die Kirche Asiens »innerhalb der geistlichen Mission der Kirche lebensspendende, dienstleistungsorientierte Aktionsprogramme zu entwickeln« (FABC VII, Art. 5).4 Dies ist nicht auf taube Ohren gestoßen. Bei intensiven Begegnungen in Asien und der ganzen Welt habe ich erlebt, wie Migranten eine vielfältige pastorale Begleitung in religiöser und sozialer Hinsicht erfahren haben. Die häufigste Form der pastoralen Begleitung ist die Einsetzung eines Kaplans, der den gleichen kulturellen Hintergrund wie die Migranten hat. Die Messe in der Sprache der Migranten abzuhalten, ist ebenso verbreitet. Des Weiteren wird im asiatisch-pazifischen Raum wertvolle Arbeit von verschiedenen religiösen Kongregationen oder glaubensgebundenen Organisationen geleistet. Viele Diözesen und Bischofskonferenzen unterhalten Einrichtungen, Kommissionen oder Zentren speziell für die Migranten und ihre Familien. Die Diözese Hongkong etwa, die sich vor die Herausforderung der Betreuung von tausenden ausländischen Hausangestellten insbesondere aus den Philippinen gestellt sieht, hat ein pastorales Zentrum für philippinische Migranten, das auch Migranten aus anderen Ländern offensteht. Es bietet eine breite Palette von Dienstleistungen an, von Sprachunterricht und Rechtsberatung für Menschen in Not bis hin zu Existenzsicherungsprojekten und Integrationsprogrammen. Das Zentrum bietet auch Platz, damit die ausländischen Hausangestellten sich treffen können und sich durch ihre freiwillige Arbeit nicht nur um ihre eigenen Bedürfnisse, sondern auch die ihrer Mitmigranten und der Gemeinschaft vor Ort kümmern können. Darüber hinaus unterhält die Diözese Hongkong ein pastorales Zentrum für Arbeiter, das allen ausgegrenzten geringfügig Beschäftigten in Hongkong dienen soll.5 Auch die Migranten selbst leisten in vielfacher Weise pastorale Begleitung für ihre Mitmigranten. Die häufigste Form ist die Hilfe für Mitmigranten in Not. Philippinische Hausangestellte in Saudi-Arabien, die problematischen Arbeitsbedingungen entfliehen wollen, kommen beispielsweise in den Stadtteil Batha in Riad, weil sie wissen, dass dort viele Filipinos leben, so dass sie dort höchstwahrscheinlich Hilfe finden. Informelle und offizielle Netzwerke wie Migrantenverbände, die sich nach Volkszugehörigkeit oder Beschäftigungsgruppen organisieren, sind ebenfalls gut geeignet, um mit soziokulturellen, politischen und wirtschaftlichen Problemen im Zusammenhang mit Migration fertigzuwerden. Schließlich sind vor allem die immateriellen Werte der pastoralen Begleitung so wichtig: Wärme, Kameradschaft und tiefes Gemeinschaftsgefühl – Werte, die die Gruppentreffen, die gemeinsamen Mahlzeiten und Eucharistiefeiern auszeichnen.

Fazit

Es gibt noch viele Bereiche, in denen pastorale Begleitung nötig ist. Die pastorale Begleitung der Migranten in Asien bleibt eine facettenreiche Aufgabe der gemeinsamen Mission, die sich auf die Grundlage eines inkarnatorischen Evangelisierungsverständnisses stützt. Sie erfolgt nicht nur durch Priester und Seelsorger, sondern auch durch die Migranten selbst. Im Kern geht es darum, Zeugnis abzulegen, indem man Nähe und intensive Begleitung anbietet. Es geht um eine Kirche der Armen, in der die Armen nicht nur passiv Empfangende, sondern aktiv Handelnde sind, und deren Ziel es deshalb nicht nur sein kann, das Leben der Einzelnen, sondern der Kirche und Welt im Ganzen zu verwandeln.

Foto: Hartmut Schwarzbach
Weit entfernt von der Familie leben und arbeiten: Philippinische Hausangestellte vermissen ihre Kinder, die sie zurücklassen mussten.
Foto: Hartmut Schwarzbach
In der libanesischen Gesellschaft gilt es als schick, ein Hausmädchen zu haben. Auch der oberste Verfassungsrichter des Landes beschäftigt eine Hausangestellte aus dem Ausland. Sie wohnt in einer vier Quadratmeter kleinen Kammer.
Foto: Hartmut Schwarzbach
Im Libanon arbeiten viele junge Frauen aus Sri Lanka, dem Sudan oder den Philippinen. Die Arbeitsagentur Saliba in Beirut sieht sich als faires Unternehmen in der Arbeitsvermittlung.

Väter allein Zuhaus – Beispiel Philippinen

Die internationale Arbeitsmigration verändert die Elternrollen. Sind früher vor allem Männer für große Infrastrukturprojekte in die ölreichen Golfstaaten gegangen, sind es in jüngster Zeit vorwiegend Frauen, die als Hausangestellte zum Geldverdienen ins Ausland ziehen. Während es naheliegend wäre zu glauben, dass die Abwesenheit der Mütter dazu führt, dass Väter die Betreuung der Kinder und Aufgaben im Haushalt an andere delegieren, zeichnen qualitative Studien und neuere Forschungsergebnisse ein gegenteiliges Bild: Väter – sei es als zurückgekehrte Migranten oder als zurückgelassenes Elternteil – sind stärker in die Betreuungsverantwortung eingebunden, als angenommen wurde. Dies hat auch zu Rollenänderungen geführt, wie die Einschätzung eines elfjährigen Mädchens im Rahmen einer qualitativen Studie zeigt: »Danke dafür, dass du dich um mich kümmerst, dass du jeden Tag für uns kochst, weil Mama nicht da ist. Du wäschst unsere Kleider, du spülst ab und machst sogar sauber. Du bist nicht nur mein Papa, du bist auch meine Mama.« Die Folgen der Trennung von Migrantenfamilien werden heute durch moderne Kommunikation zwar gelindert, sind aber nach wie vor eine große Herausforderung.

Quelle: Maruja M. B. Asis/Valentin Mendoza/Cecilia Ruiz- Marave, Väter allein zuhaus. Internationale Arbeitsmigration und veränderte Elternrollen auf den Philippinen    , in: Klaus Krämer/Klaus Vellguth (Hrsg.), Migration und Flucht. Zwischen Heimatlosigkeit und Gastfreundschaft (ThEW 13), Freiburg i. Br. 2018, S. 97–106.

Theologie der Einen Welt (ThEW 13): Migration und Flucht Bild: Herder Verlag / missio
Theologie der Einen Welt (ThEW 13): Migration und Flucht

Anmerkungen

1 Vgl. »232 million international migrants living abroad worldwide – new UN global migration statistics reveal«, esa.un.org/unmigration/wallchart2013.htm (Zugriff am 09.09.2016).

2 Asian Development Bank Institute, Labor Migration, Skills, and Student Mobility in Asia, Tokio 2014, S. 4.

3 Gaudencio Rosales/Catalino Arevalo (Hrsg.), For All the Peoples of Asia. Federation of Asian Bishops’ Conferences Documents from 1970–1991, New York 1992, S. 276 –277 (2.2.1).

4 Franz-Josef Eilers (Hrsg.), For All the Peoples of Asia (Bd. 3: Federation of Asian Bishops’ Conferences Documents from 1997–2001), Quezon City 2002, S. 11.

5 Siehe die Website des Zentrums: dpcwkln.hkccla.org.hk/main_ENG.htm (Zugriff am 19.08.2017).


Der Artikel ist eine gekürzte Fassung des Beitrags in: Klaus Krämer/Klaus Vellguth (Hrsg.), Migration und Flucht. Zwischen Heimatlosigkeit und Gastfreundschaft (ThEW 13)    , Freiburg i. Br. 2018.