Länderbericht: Turkmenistan

Repression und Kult

Turkmenistan: Wer wie glauben darf, bestimmt der Staat

von Hendrik Meurs

Turkmenistan ist einer der autoritärsten und repressivsten Staaten der Welt. Im Zentrum des umfassend kontrollierten öffentlichen Lebens steht der ausgeprägte Personenkult um den Präsidenten des Landes, der wahlweise als Vater der Nation, Prophet oder Beschützer verehrt wird. Neben diesem Kult bleibt wenig Raum für gelebten Glauben jedweder Konfession.

Autor

Hendrik Meurs
hat am Lehrstuhl für Anthropogeographie in Heidelberg über die Politische Geographie Turkmenistans promoviert. Seit 2014 arbeitet er für den DLR-Projektträger und ist dort als Länderreferent für die Zusammenarbeit mit den fünf zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan sowie mit dem Iran zuständig

Geschichte, Politik, Gesellschaft

Als der turkmenische Präsident im Jahr 1991 die nationale Unabhängigkeit verkündete, war das Land weder gesellschaftlich noch wirtschaftlich auf die Loslösung von der implodierenden Sowjetunion vorbereitet. Gleichwohl gelingt der turkmenischen Regierung seitdem in einem unruhigen Umfeld die Wahrung innerstaatlicher Stabilität. Deren Grundlage ist eine nahezu ausschließlich auf den Machterhalt ausgerichtete Regierungspolitik. Im Zentrum steht dabei ein dichtes System von Herrschaftsmechanismen, Repressionen und Inszenierungen. Dem Ziel der Wahrung politischer Stabilität sind alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens untergeordnet. Dementsprechend eingeschränkt sind die Möglichkeiten der freien Entfaltung von Persönlichkeitsrechten, obgleich die turkmenische Verfassung die meisten Menschen- und Bürgerrechte, darunter in Artikel 12 und 24 auch die Religions- und Gewissensfreiheit, grundsätzlich garantiert. So herrscht die turkmenische Regierung mit der eisernen Hand eines neostalinistischen Regimes über die Einwohner des Landes.
Die ältesten Spuren der Besiedlung im Gebiet des heutigen Turkmenistans lassen sich bis in die Steinzeit zurückverfolgen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert lebten die meisten Turkmenen als Nomaden. Aus dem Nomadismus übernommene Traditionen, Bräuche und Riten prägen den Alltag der meisten Turkmenen bis in die Gegenwart. Die erste umfassende Zäsur bedeutete die arabische Eroberung im Jahr 651. Zuvor prägten drei Religionen das Leben in Turkmenistan: der noch sehr junge und nur im Osten des Landes verbreitete Buddhismus, das sehr weit verbreitete Christentum der dem Nestorianismus nahestehenden Assyrischen Kirche und der Zoroastrismus. Nach der arabischen Eroberung konnte sich der Islam schnell durchsetzen. Der Buddhismus, das Christentum und der Zoroastrismus verschwanden nahezu vollständig. Um 1100 entsprach die relative Bevölkerungsverteilung in Turkmenistan weitgehend der bis heute bestehenden: Die Karakum-Wüste im Zentrum des Landes wird aufgrund der extremen Temperaturen weitgehend gemieden. Siedlungszentren finden sich entlang der Flussoase des Amu Darja im Norden, entlang des Murgab im Südosten sowie in den Hangfußoasen des Kopet-Dag-Gebirges im Süden des Landes.

1223 wurde die Region von Dschingis Khan erobert. Im Zuge der Pax Mongolica¹ gelangten Seidenstraßenstädte wie das im Süden des Landes gelegene Merw zu kultureller und wirtschaftlicher Blüte. Der Buddhismus und das Christentum konnten sich entlang der Seidenstraße ausbreiten und erreichten erneut auch Turkmenistan, wo erhebliche Teile der Bevölkerung konvertierten. Ihr jähes Ende fand diese Epochemit der Eroberung Turkmenistans durch den Usbeken Timur im Jahr 1370. Der Blutzoll dieses Eroberungszuges war so gewaltig, dass die turkmenische Bevölkerungszahl erst 500 Jahre später wieder das Niveau der Zeit vor Timur erreichte. Erst nach der Eroberung durch die russischen Zaren ab 1881 erfolgte die dann umso schnellere Modernisierung insbesondere der Infrastruktur, der Siedlungen und des zuvor bestenfalls rudimentären Bildungswesens. Im Zuge dessen kam es zu einer verstärkten Einwanderung aus dem russischen Reich und damit einhergehend zur Verbreitung des orthodoxen Christentums.

Nach der Revolution von 1917 war Turkmenistan eines der Zentren des antibolschewistischen Widerstandes, der hier erst nach 1923 gebrochen werden konnte. 1925 wurden die bis heute gültigen Staats- und Provinzgrenzen festgelegt. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung floh vor der erzwungenen Kollektivierung und Sesshaftwerdung. Zugleich wurde das arabische Alphabet durch das kyrillische ersetzt. Im Zuge der kulturellen Umerziehung wurden von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen auch alle Moscheen und die allermeisten Kirchen abgerissen oder umgewidmet. Ein erheblicher Teil der verbliebenen Bevölkerung wehrte sich noch bis in die späten 1930er Jahre in einem hartnäckigen Guerillakrieg gegen die Sowjetpolitik. Erst Jahrzehnte später konnte die turkmenische Sowjetrepublik zu dem vorrevolutionären Wirtschaftsniveau aufschließen. Der Viehbestand erreichte erst in den 1970er Jahren wieder den Wert der 1910er Jahre. Trotz der Erschließung umfangreicher Gasreserven blieb die turkmenische Sowjetrepublik bis zur Unabhängigkeit Nettoempfänger von Leistungen und damit für die Sowjetunion ökonomisch verlustbringend.

Im Jahr 1991 erklärte Saparmurat Nijasow, der bisherige Präsident der turkmenischen Sowjetrepublik, die nationale Unabhängigkeit. Mit 99,5 Prozent der Stimmen als Präsident des Landes bestätigt, ließ er sich bald darauf nur noch als Turkmenbaschi (Vater der Turkmenen) ansprechen und behielt das Amt des Präsidenten – seit 1994 ohne weitere Präsidentschaftswahlen – bis zu seinem Tod im Jahr 2006. Turkmenistan entwickelte sich zu einem der repressivsten und isoliertesten Staaten der Welt. Seit der Machtübernahme von Präsident Berdimuhamedow – genannt Arkadakh (»schützender Berg«) – hat sich daran nichts geändert.

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