von Clara Braungart
Weltkirchliches Lernen in internationalen Freiwilligendiensten heißt Begegnung von Menschen aus unterschiedlichen Lebenswelten – im Ausland und in Deutschland. Freiwillige selbst, aber auch die Trägerund Partnerorganisationen sowie Menschen im Umfeld der Freiwilligen lernen im Bereich der internationalen Freiwilligendienste voneinander und erleben so Weltkirche als Lernort.
Clara Braungart
Dr. phil., ist Referentin der Geschäftsführung bei Agiamondo (ehemals Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe e.V., AGEH) in Köln. Zu Agiamondo gehört auch die fid-Stelle Internationale Freiwilligendienste[4]
Wo genau ist eigentlich diese Weltkirche? Oder besser gefragt: Wo müssen wir uns hinbegeben, um Weltkirche zu erleben und in dieser Weltkirche zu lernen?
»Lernort Weltkirche« heißt aus Perspektive der internationalen Freiwilligendienste: Lernen in der Begegnung mit verschiedenen Menschen und Lebenswelten. Freiwillige lernen im Ausland eine neue Umgebung kennen und erfahren andere Lebensrealitäten – ganz klar: So findet weltkirchliches Lernen statt!
Man ist geneigt, direkt an deutsche Jugendliche zu denken, die den Koffer packen und für ein Jahr in einem anderen Land leben. Denn jährlich leisten rund 1.000 deutsche Freiwillige über kirchliche Träger einen Freiwilligendienst im Ausland. Aber Begegnung findet in den internationalen Freiwilligendiensten auf vielen weiteren Ebenen statt. Zunächst sind die über 100 Freiwilligen aus aller Welt zu nennen, die über kirchliche Träger einen Freiwilligendienst in Deutschland machen (»Reverse- Freiwillige«). Außerdem finden Lernen und Begegnung in Gastfamilien und im Umfeld der Freiwilligen – im Ausland und hier in Deutschland – statt. Nicht zuletzt lernen deutsche Trägerorganisationen und internationale Partnerorganisationen kontinuierlich voneinander, weil sie intensiv zusammenarbeiten.
Junge Menschen haben verschiedene Möglichkeiten, sich als Freiwillige im Ausland zu engagieren: Eine Vielfalt an Trägern, Förderprogrammen und Formaten bietet ihnen eine große Auswahl. 2017 wurden 8.021 junge Menschen aus Deutschland von 191 Trägerorganisationen entweder über einen staatlich geförderten Freiwilligendienst, einen privatrechtlichen Freiwilligendienst oder ein Workcamp[1] ins Ausland vermittelt. Die Zahl junger Menschen aus dem Ausland, die sich freiwillig in Deutschland engagierten, lag 2017 bei 5.159.[2]
Selbst wenn sich Freiwillige für einen katholischen Träger entscheiden, um Weltkirche zu erleben, gilt es, aus einer Vielzahl an Trägern zu wählen: Bistümer, Jugendverbände, Ordensgemeinschaften, Hilfswerke und ehrenamtliche Vereine pflegen oft jahrzehntelange Partnerschaften in der ganzen Welt. Freiwilligendienste machen diese Partnerschaften lebendig und ermöglichen Begegnungen zwischen Partnergemeinden und -bistümern, Ordensgemeinschaften und Projektpartnern. Weltkirchliches Lernen findet also in diesen langjährigen Partnerschaften statt, durch Begegnungen von internationalen Freiwilligen in Deutschland und von deutschen Freiwilligen im Ausland. Die Einsatzplätze von Freiwilligen sind vielseitig: Kindergärten, Schulen, Nichtregierungsorganisationen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Waisenhäuser, Hospize etc. In erster Linie eignen sich Orte, die die Begegnung mit unterschiedlichen Menschen ermöglichen und so dazu beitragen, dass Freiwillige neue Perspektiven kennenlernen.
Internationale Freiwilligendienste haben sich in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs etabliert: Katholische Träger begannen verstärkt nach der Würzburger Synode 1975, durch internationale Freiwilligendienste Frieden und Versöhnung zu fördern. Beispielsweise schlossen sich Ordensgemeinschaften und Missionsorden 1980 zusammen und starteten das Programm »Missionare auf Zeit«. Seitdem hat es sich eine Vielzahl an Trägern zur Aufgabe gemacht, Freiwillige zu entsenden oder aufzunehmen: Aktuell sind im katholischen Trägerfeld rund 70 Organisationen als Entsende- und Aufnahmeorganisationen aktiv.
Aber Freiwilligendienste müssen auch finanziert werden: Kosten fallen unter anderem für Vorbereitung, Begleitung, Flug und Gesundheitsvorsorge der Freiwilligen an. Viele Jahre wurden diese von den Freiwilligen selbst, von Spenderinnen aber auch von Bistümern oder den Entsendeorganisationen getragen. Seit 2008 haben sich verschiedene staatliche Förderprogramme etabliert. Die staatliche Förderung von Freiwilligendiensten erfolgt nach dem Subsidiaritätsprinzip: Programme wie das weltwärts-Programm des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) oder der Internationale Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fördern zivilgesellschaftliche Träger finanziell, welche für die Durchführung und Gestaltung der Freiwilligendienste zuständig sind. Zwar geht die staatliche Förderung immer wieder mit Auflagen für die Träger einher, doch ist sie im Grundsatz so angelegt, dass die Vielfalt verschiedener (kirchlicher) Organisationen zum Tragen kommen kann. Die politische Interessenvertretung, der Katholische Verbund Internationale Freiwilligendienste3, erinnert die staatlichen Behörden immer wieder an diesen Grundsatz der Subsidiarität. Deshalb ist die Unterstützung durch Spender, Bistümer oder den Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) von besonderer Bedeutung: Sie ermöglicht, die Qualität kirchlicher Freiwilligendienste auch dann aufrecht zu erhalten, wenn die staatliche Förderung nicht ausreicht!
Ein Freiwilligendienst ermöglicht Lernerfahrungen, weil er den Alltag »unterbricht «. Dieser Überzeugung sind die katholischen Träger, und so haben sie es auch in ihrem Profilpapier von 2015 formuliert. »Unterbrechung«, »Einladung«, »Berührung« und »Sendung« – diese vier biblischen Grunderfahrungen beschreiben den Charakter eines katholischen Freiwilligendienstes. Ein junger Mensch lässt sich auf eine Erfahrung jenseits des Alltags ein, unterbricht diesen, um sich von neuen Lebenswelten einladen zu lassen. Die Begegnungen mit neuen Menschen ermöglichen es, sich berühren zu lassen. Und durch die Berührung kann die eigene Verantwortung in der Welt neu erfahren werden, so dass viele Freiwillige stärkere Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen (»Sendung«).
Gerade das Lernen in weltkirchlichen Kontexten kann nur dann gelingen, wenn die neuen Erfahrungen eingebettet sind in eine umfassende Begleitung. Im Freiwilligendienst findet vor allem nonformales Lernen statt: Tag für Tag kommen Freiwillige in Berührung mit neuen Menschen, Lebensrealitäten und Situationen; doch das bloße Aufeinandertreffen hat noch lange keinen Lerneffekt, wenn es nicht eingebettet wird. So beschreibt Ezi Medetognon, der über die Initiative Christen für Europa e.V. einen Freiwilligendienst bei Agiamondo macht, wie er sein Einführungsseminar in Deutschland erlebt hat: »Das Seminar hat mir ermöglicht, richtig in Deutschland anzukommen.«
Vorbereitungs-, Zwischen- und Nachbereitungsseminare sind wichtige Bestandteile eines Freiwilligendienstes, weil sie ermöglichen, die Erfahrungen zu reflektieren und einzuordnen. Die Themenvielfalt ist groß: kultursensible Kommunikation, Entwicklungspolitik, Mission und Missionsgeschichte, Sicherheit, die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte etc. Dieser räumen wir in der fid-Stelle (Fachstelle für Internationale Freiwilligendienste) einen besonderen Stellenwert ein. Mit welchem Gepäck im Rucksack ziehe ich ins Ausland? Was und wer hat mich im Nachhinein geprägt? Was ist seelisch-moralischer Ballast, den es noch aufzuarbeiten gilt?