Mission und Digitalisierung

Koloniales Denken weit verbreitet

 

»Afrika« in den deutschen Medien

von Marcel Kolvenbach

Ein Blick in die Archive zeigt: Die Berichterstattung in deutschen Medien über das südliche Afrika während der Apartheid wurde fast zwei Jahrzehnte lang von der südafrikanischen Propaganda gesteuert. Das verstärkte ein koloniales Afrikabild und hat Folgen bis heute.

Autor

Marcel Kolvenbach

ist Dokumentarfilmemacher, Redakteur beim SWR und Professor für Dokumentarfilm an der Kunsthochschule für Medien Köln. Seine Filme wurden international ausgezeichnet. Für den SWR berichtet er über die Apartheidpropaganda in deutschen Medien und die Forschungsarbeiten von Andreas Kahrs

 

Vor kurzem sendete der Kindersender von ARD und ZDF eine dänisch-südafrikanische Co-Produktion aus dem Jahre 2015. Das Bild, das diese Sendung in Inhalt, Besetzung, Ausstattung und Kamerasprache von Afrika vermittelt, könnte aus dem Handbuch der Apartheidpropaganda zu ihren schlimmsten Zeiten stammen. Und gleichzeitig kommt es so vertraut, so normal, so alltäglich daher, dass es wohl kaum einem Zuschauer auffallen würde. Die Geschichte »Fünf in der Wildnis« spielt in einer atemberaubenden, unbewohnten Landschaft mit wilden Tieren. Eine dänische Familie erlebt Afrika als einen großen Safaripark, der von weißen Rangern gehegt und gepflegt werden muss. Stilecht eingekleidet im Safari- Dress und unterwegs im klassischen Range Rover – man könnte auch sagen im »Retro look« – ist die Familie hin und her gerissen zwischen Lust auf Exotik und Angst vor dem wilden, unzivilisierten Kontinent. Die Rollenverteilung der Geschlechter ist dabei selber so klischeehaft wie der Blick der Europäer auf Afrika. Das heutige Afrika, das alltägliche Leben der Menschen dort, ist bewusst ausgeblendet, sie kommen einfach nicht vor. Die filmische Erzählung findet in einem fiktionalisierten Sehnsuchtsort statt, einem Freizeitpark gleich, jede Verortung in einen geografischen, politischen oder sozialen Kontext – Fehlanzeige.

 

Unsichtbares Afrika

Afrikanische Alltage sind selten in den deutschen Medien zu finden. Alltage im Plural, weil wir es mit mehr als 50 Ländern, vielleicht 2.000 Sprachen, die von über einer Milliarde Menschen gesprochen werden, und mit den unterschiedlichsten Kulturen, politischen Systemen, Wirtschaftsformen und klimatisch-geografischen Begebenheiten zu tun haben. Wenn wir dennoch über dieses »Afrika« im Allgemeinen sprechen wollen, dann wäre als Erstes festzustellen, dass mittlerweile mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land leben und sich in diesen Städten teilweise sehr ähnliche Probleme stellen wie in vielen Ländern des globalen Südens: der morgendliche Stau auf dem Weg zur Arbeit, übergewichtige Kinder durch Fast-Food, Atemwegserkrankungen durch Umweltverschmutzung, Wohnungsnot und Verteilungsungerechtigkeit. In einigen Bereichen gibt es rasante Entwicklungen, etwa in der Energieversorgung oder im Straßenbau. In Sachen Technologie ist Afrika teilweise Vorreiter, etwa beim Bezahlen mit dem Handy – Mobile Money (Mobiles Geld) »M-Pesa« wurde in Kenia 2007 eingeführt und funktioniert heute bis in die entlegensten Regionen auf dem Land. Bei der Programmierung von Apps, etwa zur Ferndiagnostik im Gesundheitsbereich oder in Fragen der Sicherheit, sind Programmierer aus Kenia oder Uganda weltweit führend, Studierende lernen von IT-Profis aus Indien, die Chinesen sind der wichtigste Partner in der Infrastruktur geworden, rund 40 Atomkraftwerke sind auf dem Kontinent in Planung und an der Makerere Universität in Kampala entwickeln Ingenieure E-Mobile. Ruanda hat gerade das erste afrikanische Smartphone auf den Markt gebracht – im Übrigen wurde im ganzen Land Glasfaserkabel für High-Speed-Internet verlegt.

Doch dieses Afrika, das Afrika der Mehrheitsbevölkerung, man könnte auch sagen die »Afrikanische Leitkultur«, findet medial nicht statt. Nicht in Kinderbüchern, nicht in Schulbüchern, nicht in den Filmen, die auf KiKa (Kinderkanal) laufen. Dokumentationen und Reportagen zur aktuellen Entwicklung in Afrika gehören zu einem ganz seltenen Genre.

Drei Jahre lang habe ich von Uganda aus über den Kontinent berichtet. Die Mehrzahl der Produktionen, für die ich in dieser Zeit von deutschen Produktionsfirmen und Sendern beauftragt wurde, handelten von einem geheimnisvollen Kontinent, den weiße Abenteurer erkunden – meist auf der Suche nach sich selbst, die restlichen Berichte verfielen auf Hunger, Kindersoldaten und Flüchtlingselend. Es gab zwei Ausnahmen: Für eine Berliner Produktionsfirma entstand eine 3Sat-Reportage über die Digitalisierung Afrikas und für den WDR konnte ich in meinem Dokumentarfilm Atomic Africa die nuklearen Pläne für den Kontinent enthüllen und dabei nebenbei ein wenig über die Herausforderungen des Alltags erzählen.

Die Antwort auf alle anderen Themenvorschläge über das junge, moderne, digitalisierte, mobile, globalisierte, unternehmerische Afrika lautete einhellig: Dafür gäbe es keine Sendeplätze. So bleiben die aktuellen Entwicklungen auf dem Kontinent südlich der Sahara weitgehend unsichtbar.

Meine These ist: Der afrikanische Alltag widerspricht einem tradierten kolonialen Narrativ. Dass mit diesem kolonialen Bild Afrikas in Deutschland nie wirklich gebrochen wurde, liegt nicht zuletzt an einem medialen Skandal, den der Berliner Historiker Andreas Kahrs aktuell im Rahmen seiner Dissertation erforscht und über den ich im Vorfeld gemeinsam mit meiner Kollegin Monika Anthes für die Sendung Report Mainz berichten durfte.  

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FOTO: PRIVAT
Historiker Andreas Kahrs studiert historische Dokumente, die aus der Zeit der Apartheid in Südafrika stammen.