Forum Weltkirche - Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft mit weltweitem Blick

Länderbericht: Algerien

Bewegte Geschichte in der Diaspora

 

Algerien: Erneutes Erwachen einer christlichen Präsenz

von Hans Vöcking

Die Christen sind in Algerien in einer Minderheit. Aber ihr Engagement im karitativen und kulturellen Bereich ist wichtig für das Land und wird von der muslimischen Mehrheitsgesellschaft gerne angenommen. Für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in Algerien ist der christlich-muslimische Dialog von großer Bedeutung.

Autor

Hans Vöcking

gehört zum Orden der Afrikamissionare (Weiße Väter) und ist Islamwissenschaftler. Ab 1978 leitete Vöcking 20 Jahre lang die in Frankfurt von den Weißen Vätern neu gegründete Christlich-Islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO). Ab 1998 lehrte er am Päpstlichen Institut für arabische Studien in Rom. Im Jahr 2002 berief ihn die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft als Berater und Experte für den christlichislamischen Dialog nach Brüssel

 

Am 8. Dezember 2018 wurden in der Wallfahrtskirche von Notre-Dame de Santa Cruz in Oran Bischof Pierre Claverie, fünf Schwestern und 13 Brüder und Patres seliggesprochen. Sie waren Opfer des Hasses und wurden während des Bürgerkrieges in den 90er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts von algerischen Islamisten umgebracht. Zahlreiche Algerierinnen und Algerier, Freunde der Seligen, nahmen an der Feier teil. Papst Franziskus bedankte sich am folgenden Tag bei der algerischen Regierung für die Unterstützung bei der Organisation der Feier. Er betonte, dass die Kirche mit der Seligsprechung der 19 Märtyrer ihren Wunsch bezeugen wolle, »weiterhin für Dialog, Harmonie und Freundschaft zu arbeiten«.

 

Rückblick

Das Christentum ist seit seinen Anfängen in Nordafrika vertreten. Papst Victor (189–199) stammte aus dem Gebiet, das heute zu Libyen gehört. Die Heiligen Perpetua und Felicitas erlitten 203 den Märtyrertod in Karthago, heute ein Vorort von Tunis. Ebenfalls von Karthago aus wirkten die Heiligen Tertullian und Cyprian. Der bekannteste Nordafrikaner ist aber der heilige Augustinus (354–430), Bischof und Kirchenlehrer. Er ist in Tagaste, dem heutigen Souk Ahras geboren und war Bischof in Hippo Regius. Beide Orte gehören heute zu Algerien. Für Kardinal Newman war er die »Intelligenz Europas«. Zur Zeit des Augustinus gab es in Nordafrika über 300 Diözesen, deren Namen heute als Sitze der Weihbischöfe in Europa weiterleben.

Seit 430 wanderten die germanischen Vandalen in Nordafrika ein. Sie brachten den Arianismus mit und schwächten dadurch die christliche Präsenz. Eine nicht beantwortete Frage ist immer noch, warum das christliche Mönchs- oder Einsiedlerwesen von Ägypten und Syrien nicht im Maghreb Fuß fasste, sondern direkt vom Vorderen Orient über die Insel Lérins (vor Cannes) weiterzog nach Irland und Großbritannien.

Seit dem 7. Jahrhundert wurde das Gebiet von den arabischen Muslimen erobert. Viele Christen wanderten nach Italien aus, andere bekehrten sich zum Islam. Kleine christliche Gemeinden existierten noch bis ins 11./12. Jahrhundert. In den folgenden Jahrhunderten lebten dort nur noch christliche Sklaven, der bekannteste war wohl Cervantes, der spanische Nationaldichter. Die Orden der Mercedarier und Trinitarier wurden zum Zweck des Loskaufs der christlichen Sklaven gegründet. Spanien und Frankreich unternahmen mehrere militärische Expeditionen, um den Sklavenhandel der »Barbaren« zu unterbinden.

1830 eroberte Frankreich Nordafrika oder den Maghreb und es entstanden auf dem Gebiet drei politische Einheiten: Marokko, Algerien und Tunesien. Während Marokko und Tunesien als Protektorate von Frankreich verwaltet wurden, wurde der Norden Algeriens integraler Bestandteil des französischen Staates. Das Gebiet wurde in die drei Départements Alger, Constantine und Oran aufgeteilt. Die Sahara wurde von Frankreich als Protektorat verwaltet. Die muslimische Bevölkerung bekam ein rechtliches Sonderstatut, während den Juden 1870 die französische Staatsbürgerschaft anerkannt wurde.

Die Besitznahme Algeriens wurde zwischen 1830 und 1847 von Aufständen begleitet. Der Widerstand des vom Osmanischen Reich unterstützten Emirs Ab del- Kader sowie des Regenten von Constantine, Ahmed Bey, konnte nur mit militärischem Vorgehen gebrochen werden. Um das Land zu befrieden, betrieb der französische Staat eine intensive Immigrationspolitik. Die Migranten kamen aus Frankreich, Italien und Malta. Später kamen die Siedler auch aus dem 1871 verlorenen Elsass und aus dem von Hungersnot geplagten Andalusien. Algeriens Bevölkerung verlor nahezu den gesamten Besitz und die Immigranten wurden aufgefordert, sich den Großteil des fruchtbaren Landes anzueignen.

Mit den Immigranten kam auch die katholische Kirche wieder nach Algerien. 1838 wurde in Algier die erste Diözese errichtet, es folgten Constantine und Oran, während im südlichen Teil das Apostolische Vikariat Ghardaia/Laghouat errichtet wurde. Die Kirche gehörte zur französischen Bischofskonferenz, allerdings bestand sie aus eingewanderten Katholiken, die verschiedene Sprachen redeten sowie von verschiedenen katholischen Kulturen geprägt worden waren. Eine weitere Herausforderung bestand darin, dass sich die Kirche in einem mehrheitlich muslimischen Umfeld einrichten musste.

In den Jahren 1838 bis 1962 stieg die Zahl der Katholiken auf etwa eine Million an. Es wurden Kirchen gebaut, und Pfarreien bildeten sich aus. Es entstanden katholische Vereine; und die Ortskirchen, gemeinsam mit Ordensgemeinschaften, bauten ein katholisches Sozial- und Erziehungssystem auf. Die Rolle der Kirche wurde vor allem gestärkt, nachdem 1867 Charles Lavigerie (1835–1892) zum Erzbischof von Algier ernannt worden war. Bereits 1868 gründete er die Weißen Väter und 1869 die Weißen Schwestern als Missionsgesellschaften. Ihm gelang es, in Afrika durch den sogenannten »Toast von Algier« 1890 die sich in Frankreich verfestigende Trennung von Kirche und Staat zu umgehen und den Einfluss der Kirche in Algerien weiter auszubauen, wozu auch eine Aufhebung des Missionierungsverbots gehörte.

 

Einblick

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es den Befreiungsbewegungen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Maghreb entstanden waren, sich der Kolonialherrschaft entgegenzustellen – nun aber unter der neuen ideologischen Fahne des Nationalismus. Algerien erlangte 1962 die Unabhängigkeit – nach dem weltweit größten und blutigsten Kolonialkrieg. Bereits 1926 war die erste politische Partei Algeriens, der „Nordafrikanische Stern«, gegründet worden. Die Partei forderte politische Rechte für alle Algerier, und Messali Hadj wurde ihr prominentester Vertreter. In den 1930er-Jahren kämpften militante Nationalisten gegen die repressive Kolonialherrschaft. 1954 wurde die algerische Befreiungsbewegung »Front de Libération Nationale« (FLN) gegründet, und am 1. November desselben Jahres begann der bewaffnete Aufstand gegen die französische Kolonialbesatzung. Im Befreiungskrieg wurde die zivile Bevölkerung stark in Mitleidenschaft gezogen. Zu Frankreichs Kriegsführung gehörten Internierungslager, Zwangsumsiedlungen und Folter. Nach einem Putschversuch der französischen Generäle in Algier, die den Krieg in Algerien fortsetzen wollten, begann Präsident de Gaulle 1961, mit den Algeriern zu verhandeln. Durch die Verträge von Évian wurde das Land am 5. Juli 1962 unabhängig.

Etwa eine Million »pieds noirs«, »Schwarzfüße«, die Eigenbezeichnung der Europäer in Algerien, sowie tausende Algerier, die in der französischen Armee dienten, verließen das Land. Französische Versuche, die Souveränität über die Sahara aufrechtzuerhalten, um dort weiterhin die Ölfelder und Nukleartestgebiete zu kontrollieren, wurden von der internationalen Gemeinschaft abgelehnt.

Seit der Unabhängigkeit bildet Algerien den mittleren Teil des Maghreb. Das Land hat gemeinsame Grenzen mit Tunesien, Libyen, Niger, Mali, Marokko und Mauretanien. Mit seinen 2.381.741 km2 ist es das größte Land Afrikas. Bei der Unabhängigkeit 1962 hatte Algerien neun Millionen Einwohner. 2018 wurde die Bevölkerung auf etwa 41 Millionen geschätzt, davon etwa 30 Prozent unter 15 Jahre und nur 5,8 Prozent älter als 65 Jahre.

Die Christen werden heute auf etwa 80.000 bis 90.000 geschätzt. Der Großteil (etwa 75.000 bis 80.000) gehört zwölf bis 14 verschiedenen protestantischen und charismatischen Gemeinschaften an. Nach Schätzungen freikirchlicher Organisationen und der UNO liegt die Zahl der Christen eher bei 365.000 als bei 80.000. Die Katholiken unter ihnen werden auf rund 5.000 geschätzt. Die Mitglieder der verschiedenen protestantischen und charismatischen Gemeinschaften sind fast ausschließlich Algerier, die sich zum Christentum bekehrt haben und überwiegend in dem Gebiet der Großen Kabylei wohnen.

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FOTO: KLAUS VELLGUTH
Die Augustinusbasilika in Annaba. Sie ist dem Kirchenlehrer und Heiligen Augustinus von Hippo geweiht.

Algerien auf einen Blick

Fläche: mit 2,38 Millionen Quadratkilometern der größte Staat des afrikanischen Kontinents; Algerien ist 7-mal so groß wie Deutschland

Hauptstadt: Algier

Bevölkerung: 43 Millionen, davon etwa 99 % Araber/ Berber und weniger als 1 % Europäer

Landessprachen: Amtssprachen Arabisch und Tamazight, Verkehrssprache Französisch

Religion: 99 % sunnitische Muslime (Staatsreligion), unter 1 % Christen

Regierungsform: Republik

Wirtschaft: bestimmend sind die Förderung von Erdöl und Erdgas; Abbau von Phosphor und Erzenhauptsächlich Landwirtschaft, Bergbau und Export von Rohstoffen wie Gold, Baumwolle und Düngemittel

Quellen: The World Factbook; Auswärtiges Amt