von Thérèse Mema Mapenzi
übersetzt von Katharina Helmer
Die Bevölkerung der Demokratischen Republik Kongo wird vor eine vermeintliche Wahl gestellt, die im Grunde aber zum gleichen Ergebnis führt: Entweder die Menschen befolgen die Sicherheitsauflagen zum Umgang mit der Corona-Pandemie – dann verhungern sie. Oder aber sie gehen weiterhin ihren beruflichen Tätigkeiten nach – dann riskieren sie, dem tödlichen Virus zu erliegen.
Thérèse Mema Mapenzi
stammt aus Kalehe in Süd-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Seit zehn Jahren beschäftigt sich die Diplom-Pädagogin mit der Begleitung und Heilung traumatisierter Menschen, vor allem nach sexuellen Gewalterfahrungen. Seit 2017 leitet Mema das Centre Olame, ein von missio Aachen gefördertes Schutzzentrum für Frauen und Mädchen in Bukavu. Im Rahmen der Traumatherapie arbeitet sie unter anderem eng mit dem Friedensnobelpreisträger Dr. Denis Mukwege zusammen. Er kümmert sich im Panzi-Krankenhaus um die medizinische Versorgung der Opfer, bevor die psychologische Hilfe im Centre Olame
beginnt.
Die Kongolesen hatten zwar schon aus der internationalen Presse und den sozialen Netzwerken erfahren, dass tausende Kilometer entfernt die Krankheit Covid-19 wütete, dennoch trat der erste Corona-Fall am 10. März 2020 in der Hauptstadt Kinshasa plötzlich auf. Die einen befürchteten Schlimmste, während die anderen es nicht recht glauben wollten. Es verging beinahe eine Woche zwischen dem Ausbruch der Epidemie im Kongo und einer offiziellen Stellungnahme des Präsidenten, in der er Covid-19 als ernsthafte Bedrohung bezeichnete und eine Reihe von Maßnahmen veranlasste. Durch unzureichende Kontrollen stiegen die Ansteckungszahlen aber Tag für Tag. Erst am Abend des 24. März rief der Präsident den nationalen Notstand aus.
Angesichts der ernsten Lage und des Anstiegs von Covid-19-Infektionen durchleben die Menschen weltweit eine dramatische Zeit. Von Nord nach Süd, von Ost nach West: Überall gibt es Todesfälle, Familien trauern, die Wirtschaft steht still und Flughäfen sind ebenso wie Schulen und Kirchen geschlossen. Man sieht keine Flugzeuge mehr und es wirkt, als komme der Himmel zu Atem, als erhole er sich. Das gleiche gilt für die Straßen. Weil die Belastungen in Städten auf der ganzen Welt abnehmen, kann sich die Natur regenerieren. Aber wie es Corentin Brustlein vom französischen Institut für internationale Beziehungen prognostiziert, dürften die weltweiten Eindämmungsmaßnahmen aufgrund des Coronavirus und ihre ökonomischen Folgen von der Gesundheitskrise zu einer Wirtschaftskrise führen, die sich in eine Sozial- und Finanzkrise auswachsen könnte. Besonders in der Stadt Bukavu in Süd-Kivu, aber auch im gesamten Kongo, erleben wir diesen Zustand schon jetzt.
Überall herrscht Angst: Angst vor Grenzschließungen und vor den Medienberichten, in denen ständig die tragische Entwicklung der Pandemie dargestellt wird; Angst, das Gesundheitssystem im Land des Nobelpreisträgers von 2018, Denis Mukwege, sei nicht für eine solche Epidemie gerüstet. Einige kongolesische Politiker haben Angst, sich zu infizieren, aber auch Angst davor, sich im Ausland behandeln zu lassen, wie sie es gewöhnlich (aus mangelndem Vertrauen in die Qualität ihrer eigenen Krankenhäuser) tun, und ziehen sich deshalb zurück. Dazu kommt die Angst des medizinischen Personals, sich mit dem Virus anzustecken. Es wird berichtet, ein städtisches Gesundheitszentrum habe eine Patientin abgewiesen, weil sie vorher in Europa gewesen sein soll. Das Krankenhauspersonal weigerte sich aus Furcht vor Covid-19, die Frau aufzunehmen, da sie weder in der Lage seien, die Erkrankte zu testen, noch, sie zu behandeln. Darüber hinaus fehle ihnen die notwendige Ausstattung, um die Pandemie zu bekämpfen.
Die unterschiedlichen politischen, religiösen und kulturellen Hintergründe der Menschen haben Einfluss darauf, wie sie die Situation empfinden, und tragen dazu bei, dass sich einige nicht an die Maßnahmen halten. So sucht man auch für das Auftreten des Coronavirus eine Erklärung, und nicht wenige Menschen sehen in der Krankheit eine Strafe Gottes. Traditionelle Heiler und selbsternannte Propheten rufen zu Gebeten und Erlösungsandachten auf, um das Volk zu retten. Ein kongolesischer Musiker singt in einem Lied davon, dass Gott durch die Pandemie seinen Zorn zum Ausdruck bringe. Viele Bewohner der Stadt Bukavu sind sehr gläubig. Sie leben in der Überzeugung, Gott allein könne sie schützen und vor jeglichem Unheil bewahren. Zugleich sind manche Kirchengemeinden und Gläubige der Ansicht, die Krankheit sei eine Erfindung der Satanisten, mithilfe derer sie die Gläubigen daran hindern wollten, weiter zur Kirche zu gehen. Sie fragen sich: Wie kann es sein, dass plötzlich auf der ganzen Welt die Kirchen geschlossen werden, die einzigen Orte, in die sich Menschen in Kriegszeiten flüchten können? Weil das Verbot, religiöse Stätten zu betreten, für sie eine „satanische“ Maßnahme ist, kommen einige Menschen weiterhin in ihren Kirchen und Gebetsräumen zusammen.
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