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Kinderschutz

Länderbericht: Äthiopien - Die geklaute Braut

 

Die entführten Kinderbräute in Äthiopien

von Marita Wagner

Obwohl die traditionelle Praxis des Brautraubs in Äthiopien inzwischen verboten ist, werden Frauen in der Gesellschaft des afrikanischen Landes allzu oft noch als Eigentum betrachtet. Die katholische Kirche im Land setzt sich für ein Umdenken ein.

Autorin

Marita Wagner

ist Referentin beim Katholischen Missionswerk missio e.V. in Aachen. Dort koordiniert sie die beiden theologischen Think Tanks Netzwerk Pastoral Asien und Afrika. Zu ihren Forschungsinteressen zählen die Themen Postkoloniale Theorien, Dekolonisierung von Bildung und Wissen sowie Rassismusforschung.

 

Er wird als »Prophet«, »Superstar« und »Hoffnungsträger« von der Weltöffentlichkeit umjubelt: Der erst 44-jährige Regierungschef Äthiopiens und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed entwickelt sich seit seinem Amtsantritt im April 2018 zum Vorreiter einer demokratischen Reformbewegung. Zu dieser gehört unter anderem eine radikale Umstrukturierung des Kabinetts. Nicht nur wurde die Zahl von 28 Ministerien auf 20 gesenkt, sondern auch die Hälfte der Regierungsämter mit Frauen besetzt. Dies kommentierte Abiy Ahmed mit den Worten: »Unsere Ministerinnen werden das Sprichwort widerlegen, dass Frauen keine Führung übernehmen können.«

Eine der weiblichen Führungspersönlichkeiten, die hervorsticht, ist die Frauenrechtsaktivistin und Anwältin für Menschenrechte, Meaza Ashenafi. Als erste Frau in der äthiopischen Geschichte wurde sie im November 2018 als Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes eingeschworen. Seit Jahren setzt sich Ashenafi als Beraterin der Vereinten Nationen für die Gleichbehandlung von Frauen ein. Von 1989 bis 1992 war sie als Richterin am Gerichtshof tätig. Des Weiteren war sie an der Ausarbeitung der äthiopischen Verfassung beteiligt, welche nach Beendigung der äthiopischen Monarchie 1995 in Kraft trat. Im gleichen Jahr gründete sie die Ethiopian Women Lawyers Association (EWLA) der United National Economic Commission for Africa. Sie war Mitgründerin der 2011 ins Leben gerufenen Enat Bank (»Mutterbank « auf Amharisch), von deren Teilhabern 64 Prozent Frauen sind. Aufgrund ihres vielfältigen Einsatzes wurde sie 2004 mit dem Africa Price for Leadership ausgezeichnet und 2005 für den Friedensnobelpreis nominiert.

 

Das Mädchen Hirut

Internationale Aufmerksamkeit erregte allerdings Meaza Ashenafis vehementer Einsatz für den Schutz von Kinderbräuten. Ihr spektakulärer Gerichtsfall im Jahr 1996 diente als Vorlage für den 2014 veröffentlichten Film »Das Mädchen Hirut«. Dieser wurde von der Hollywoodschauspielerin Angelina Jolie koproduziert. Der Film setzt sich kritisch mit der äthiopischen Tradition der »Telefa«, des Brautraubs, auseinander. Die Handlung des Films beruht auf einer wahren Geschichte.

»Es ist Tradition, unsere Frauen zu entführen!« Mit diesen Worten wird die erste Szene des Films eröffnet. Es ist die Rechtfertigung eines Dorfbewohners für die Entführung eines 14-jährigen äthiopischen Mädchens namens Hirut Assefa. Sie wird auf dem Nachhauseweg von der Schule von einem Mann entführt und vergewaltigt. Indem dieser ihre Jungfräulichkeit stiehlt, glaubt er, das Recht zu erhalten, sie zu heiraten. In einem kurzen Moment, in dem Hirut unbewacht ist, kann sie mitsamt dem Gewehr des zukünftigen »Ehemannes« aus dessen Hütte fliehen. Sie kommt nicht weit, bis ihr Entführer und dessen Freunde sie einholen und in ihrem Kreis einkesseln. Trotz abgefeuerter Warnschüsse lässt der Mann nicht von Hirut ab. Aus Angst vor dem ihr bevorstehenden Schicksal einer Zwangsverheiratung erschießt sie ihn. Die Schüsse wecken die Aufmerksamkeit der örtlichen Milizsoldaten, welche zum Schauplatz herbeieilen. Hirut wird festgenommen und des Mordes angeklagt. Das Gericht verhängt das Todesurteil über sie. Dies erfährt die Frauenrechtlerin und Anwältin Meaza Ashenafi (gespielt von Meron Getnet), die daraufhin Hiruts Verteidigung vor Gericht übernimmt. Am Ende wird die 14-Jährige mit der Begründung, aus Notwehr gehandelt zu haben, von ihrer Tat freigesprochen.

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FOTO: GETTY IMAGES
Als erste Frau wurde die Menschenrechtsaktivistin und Juristin Meaza Ashenafi (links) zur Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes in Äthiopien ernannt. Sie setzte sich in der Vergangenheit dafür ein, dass die äthiopische Tradition der Telefa, des Brautraubs, offiziell verboten wurde.
FOTO: KNA
Der Ministerpräsident Abiy Ahmed gilt als großer Hoffnungsträger Äthiopiens. Auch Papst Franziskus empfing den Staatschef am 21. Januar 2019 im Vatikan zu einer Privataudienz. Im gleichen Jahr erhielt Ahmed den Friedensnobelpreis für den von ihm erwirkten Friedensschluss mit dem Nachbarland Eritrea.

Äthiopien auf einen Blick:

Fläche: 1.104.300 Quadratkilometer (etwa drei Mal so groß wie Deutschland)

Einwohner: 108 Millionen

Hauptstadt: Addis Abeba

Staatsform: Parlamentarische Bundesrepublik

Religionen: 43,5 % Äthiopisch-Orthodox, 18,6 % Protestanten, 0,7 % Katholiken, 33,9 % Muslime, 2,6 % Anhänger traditioneller Religionen, Sonstige

Wirtschaft: Kaffee ist wichtigstes Exportgut, weitere sind: Ölsamen, Gemüse, Gold, Blumen, wichtige Industrien: Lebensmittelverarbeitung, Getränke, Textil- und Bekleidungs- sowie Chemieindustrie

Amtssprachen: Amharisch, 2020 hat das Kabinett die Zulassung weiterer Amtssprachen beschlossen: Oromo, Tigrinya, Somali und Afar

Quellen: The World Fact Book

 

Karte: Johannes Weitzel 2020
Karte Äthiopien 2020