Rassismus bekämpfen

Abschied vom weißen Retter

Warum wir vielfältigere Perspektiven für den Wandel brauchen

von Marianne Pötter-Jantzen

Mit Umweg über die USA hat die Debatte über Rassismus auch die Mitte der deutschen Gesellschaft erreicht. Für Organisationen der Weltkirche und der Entwicklungszusammenarbeit berührt das Thema den Kern ihrer Arbeit. Und es bietet die Chance, endlich im 21. Jahrhundert anzukommen.

 

Anfang des Sommers fanden in vielen deutschen Städten Demonstrationen der Black-Lives-Matter- Bewegung statt. Für viele der weißen Demonstrantinnen und Demonstranten war die Polizei-Brutalität in den Vereinigten Staaten das motivierende Moment, auf die Straße zu gehen. Und auch die Medien konzentrierten sich zunächst auf diesen Aspekt. Für viele Schwarze und People of Color (PoC) ging es jedoch vor allem darum, ihr Recht einzufordern: geschützt zu sein vor rassistischer Benachteiligung in Deutschland. Denn Rassismus nimmt uns auch hier den Atem[1].

Autorin

Marianne Pötter-Jantzen

arbeitet als Referentin für Spenderkommunikation bei MISEREOR. Die Diplom-Geographin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Rassismus und ist Mitglied der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD).

Zwei Seiten einer Medaille

 

Er begegnet uns in Filmen, Büchern, Fernsehsendungen, auf Twitter, in der Schule, an Grenzen, in Unternehmen, auf dem Wohnungsmarkt… oder eben in Begegnungen mit der Polizei. Und er begegnet weißen Menschen in Form von Repräsentanz, Privilegien und Macht – an genau den gleichen Orten. Die zwei Seiten der Rassismus-Medaille heißen »Diskriminierung« und »Privileg«.

Gerade weiße Menschen, die bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) arbeiten oder sich für die Weltkirche engagieren, wollen oft keine Hautfarben sehen. Sie leben in »Happy-Land«, wie es die Antirassismustrainerin Tupoka Ogette nennt.[2] Ein Ort, wo Hautfarbe keine Rolle spielt und Rassismus angeblich überwunden ist. Leider bedeutet eine gut gemeinte Einstellung nicht automatisch, dass etwas auch gut gemacht wird. Denn im Alltag bedeutet die »Farbenblindheit« weißer Menschen das Ausblenden eigener Privilegien und das Negieren der Realitäten aller Menschen, die aufgrund äußerer Zuschreibungen, Hautfarbe oder anderer rassifizierter äußerlicher Merkmale tagtägliche Ausgrenzung erfahren. Und es bedeutet die Erklärung der weißen Perspektive zur einzig gültigen. Die Schwarze britische Autorin Reni Eddo-Lodge formuliert es so: »Weiß zu sein, heißt Mensch zu sein; weiß zu sein ist universell. Ich weiß das nur, weil ich nicht weiß bin.«[3] Um diese Aussage besser verstehen zu können, hilft ein Ausflug in die koloniale Vergangenheit.

 

Naturvölker und weiße Retter

 

Die Menschenverachtung und Brutalität des europäischen Kolonialismus, beginnend mit der Eroberung Amerikas, steht in krassem ...

 

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Die Klimaaktivistinnen Vanessa Nakate, Luisa Neubauer, Greta Thunberg, Isabelle Axelsson und Loukina Tille (von links) nahmen im Januar 2020 an einer Pressekonferenz in Davos, Schweiz, teil. In den anschließenden Berichterstattungen wird anstelle dieses Originalbildes jedoch eine Version veröffentlicht, auf dem Vanessa Nakate (ganz links) rausgeschnitten wurde. (FOTO: ASSOCIATED PRESS/MARKUS SCHREIBER)

[1] "I can't breathe" ist ein Slogan, der mit der Black-Lives-Matter-Bewegung bekannt wurde. Bei diesem Satz handelt es sich um die letzten Worte Eric Garners, einem unbewaffneten Schwarzen, der 2014 getötet wurde, nachdem er von der New Yorker Polizei in den Würgegriff genommen worden war. Der Ausdruck wird heute im weltweiten Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt verwendet.

[2] Vgl. Tupoka Ogette, exit Racis. rassismuskritisch denken lernen, 9. Auflage, Münster 2019.

[3] Reni Eddo-Lodge, Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche, 4. Auflage, Stuttgart 2019, S. 17.