von Marita Wagner
Mit dem vorliegenden Themenheft verfolgen wir das Ziel, weiße Menschen zu einer rassismuskritischen Perspektive zu ermutigen. Natürlich möchten wir nichtsdestotrotz auch Sie, liebe Schwarze Leserinnen und Leser, herzlich dazu einladen, die hier zusammengestellten Beiträge zu lesen und uns gern auch Ihre kritischen Rückmeldungen zukommen zu lassen. Uns ist bewusst, dass die Auseinandersetzung von Schwarzen Menschen und People of Color (PoC) im Kontext des Empowerments anders verläuft und dabei mitunter eine achtsamere Sprache als die hier verwendete gewählt wird. Wir möchten Ihnen daher folgende Triggerwarnung aussprechen: An einigen Stellen werden rassistische Szenen, Bilder und auch rassistische Sprache reproduziert. Wir bitten Sie, dies vor Beginn der Lektüre zu berücksichtigen.
Marita Wagner
Das Thema »Rassismus und kritisches Weißsein« ist ein sehr komplexes. Bei vielen von uns zeichnet sich eine gewisse Unsicherheit mit Blick auf den »richtigen« und damit antirassistischen Sprachgebrauch ab. Aus diesem Grund stellen wir Ihnen vorab eine Übersicht mit den wichtigsten Begrifflichkeiten bereit. Diese Fachtermini werden mitunter als politische Selbstbezeichnungen von Schwarzen Communitys und People of Color verwendet, weshalb wir sie ganz bewusst aufgreifen und in den nachfolgenden Artikeln definieren und veranschaulichen werden. Dies tun wir, um die Lebenswirklichkeit Schwarzer Menschen und People of Color wertschätzend anzuerkennen und einen offenen Dialog anzustoßen. Wir hoffen, dass Ihnen die Erklärungen dabei helfen werden, Ihre eigene gesellschaftliche Rolle als weiße Person besser zu verstehen und das Gespräch mit Schwarzen Menschen leichter suchen zu können.
Der Begriff »Schwarz« wird in diesem Heft immer – auch als Adjektiv (»Schwarze Menschen«) – großgeschrieben. Der Begriff dient oft als Selbstbezeichnung (und keine externe Zuschreibung) von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft, Schwarzen Menschen und People of Color (PoC). Das großgeschriebene »S« wird bewusst gesetzt, um eine sozio-politische Positionierung in einer mehrheitlich weiß dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren und gilt als Symbol einer emanzipatorischen Widerstandspraxis. »Schwarz« ist in diesem Fall ein soziales Konstrukt und bezieht sich daher nicht in erster Linie auf biologische Merkmale wie die Hautfarbe.
Der Begriff »weiß« basiert ebenfalls auf einem sozialen Konstrukt. Da dieser aber im Gegensatz zu »Schwarz« keine politische Selbstbezeichnung weißer Menschen aus einer Widerstandshaltung heraus meint, wird er in diesem Heft als Adjektiv kleingeschrieben. Wir sprechen somit von »weißen Menschen«.
Dass wir uns gleich zu Beginn dieses Heftes dazu veranlasst sehen, eine Einteilung in »Schwarz« und »weiß« vorzunehmen, ist eine traurige Tatsache. Es ist jedoch nicht möglich, rassistische Haltungen und Handlungen zu demaskieren und zu überwinden, ohne sich diese Konstrukte von »Schwarzen« und »Weißen« bewusst zu machen – mit dem Ziel, dass wir diese Binarität eines Tages tatsächlich nicht mehr nötig haben. Nach Beendigung der Lektüre dieses Heftes werden Sie eventuell auch feststellen, dass unser alltägliches Leben dieser Schwarz/Weiß-Binarität unterworfen ist, sich weiße Menschen darüber bislang aber womöglich wenig gesorgt oder gar aufgeregt haben, weil sie von eben jenem Ungleichheitssystem profitieren.
Es handelt sich ebenfalls um eine politische Selbstbezeichnung von Menschen, die in der weißen Mehrheitsgesellschaft als »nicht-weiß« angesehen werden und wegen ethnischer und/oder rassistischer Zuschreibungen alltäglichen, strukturellen sowie institutionellen Formen von Rassismus ausgesetzt sind. In dieser Bedeutung wird der Begriff seit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den 1960er-Jahren verwendet. Als Wiederaneignung und positive Umdeutung der abwertenden Zuschreibung »colored« beschreibt »People of Color« ein solidarisches Bündnis von unterschiedlichen Communitys, die strukturelle Ausschlusserfahrungen aufgrund von Rassismus machen. Mit dem Begriff grenzen sie sich bewusst von Bezeichnungen wie »Migrantin und Migrant« beziehungsweise »Migrationshintergrund« ab, die den sprachlichen Fokus auf die Migrationserfahrung legen und nicht den erlebten Rassismus thematisieren.
Wenn Sie dieses Heft lesen, werden Sie sich eventuell an manchen Stellen angegriffen fühlen und feststellen, dass Sie eine Abwehrreaktion entwickeln. Sich mit dem eigenen Rassismus auseinanderzusetzen, löst ein Unbehagen aus. Niemand möchte sich selbst gerne als Rassistin oder Rassist bezeichnen und erst recht nicht von anderen als solche/-r deklariert werden. Sich mit den eigenen rassistischen Denkmustern zu beschäftigen, kann daher weh tun, es ist emotional anstrengend, weil es um unser persönliches Ich-Verständnis geht. Das ist in Ordnung. Uns selbstkritisch den Spiegel vorzuhalten, kann zu Verunsicherung führen. Doch wir bitten Sie, die hier geschilderten Meinungen und Erfahrungen auf sich wirken zu lassen. Fragen Sie sich bitte, warum Sie sich angegriffen fühlen. Und ganz wichtig: Sie sind nicht allein auf diesem Weg, und dieses Wissen dürfte tröstlich sein. Sich mit rassistischen Handlungen, Denkmustern und rassistischer Sprache zu beschäftigen, eröffnet einen neuen Blick auf die Menschen, mit denen wir interagieren, auf die Welt, in der wir leben, und auf uns selbst. Durch diese Einsichten ergeben sich Möglichkeiten, eine gerechtere Welt mitzugestalten.
»Die meisten hüten und bewahren; sie nehmen an, sie würden sich selbst und das, womit sie sich identifizieren, hüten und bewahren, während sie in Wahrheit ihr Konstrukt der Wirklichkeit und ihr eigenes Selbstbild hüten und bewahren. Man kann rein gar nichts geben, ohne sich selbst zu geben – das heißt, sich selbst in die Waagschale zu werfen. Wenn man sich nicht selbst in die Waagschale werfen kann, ist man schlicht unfähig zu geben. Schließlich kann man Freiheit nur geben, indem man jemanden befreit.«
James Baldwin, Nach der Flut das Feuer. »The Fire Next Time«, München 2019, S. 96