Rassismus bekämpfen

James Cone

Vater der Schwarzen Befreiungstheologie

von Quinton Phillip Ceasar

James Cone (1938–2018), Vater der Black Liberation Theology (Schwarze Befreiungstheologie), war eine überragende prophetische Figur. Seine bahnbrechenden Werke Black Theology and Black Power (1969), A Black Theology of Liberation (1970) und God of the Oppressed (1975) stellten das theologische Establishment mit ihrer kraftvollen Artikulation von Gottes radikaler Identifikation mit Schwarzen Menschen in den USA auf den Kopf. Cones eloquente Darstellung von Christi eigenem Schwarzsein zerschlug dominante weiße theologische Paradigmen und entfachte weltweit eine Welle von Befreiungstheologien.

Autor

Quinton Phillip Ceasar

ist südafrikanischer Theologe.Er studierte in Stellenbosch und Berlin und ist seit 2015 Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland.

 

In der »Sprache der Ungehörten dieser Welt« (Martin Luther King Jr.) erhob Cone Anklage gegen vorherrschende zeitgenössische weiße Theologie und weiße Kirchen. Denn, so Cone, christliche Identität aus der dominanten, das heißt weißen Perspektive zu verstehen ist, »als ob man versuchen würde, Jesus aus Sicht der Römer zu verstehen«. Der christliche Glaube hat nach Cones Verständnis im Kern den Blick gerichtet auf Jesus, das gekreuzigte Opfer, dessen Blut in Jerusalem vergossen wurde. In seinem Buch The Cross and the Lynching Tree (2011) findet der gekreuzigte Jesus moderne Gestalt und Relevanz in den gelynchten und marginalisierten Schwarzen Amerikas.

Für James Cone ist glasklar: Gott ist präsent in den Menschen, die um ihr Leben kämpfen – und nicht in der metaphysischen Welt der Vernunft. Der christliche Gott ist eben »nicht ein Gott von Philosophen, nicht der Gott von Plato, Kant und Hegel«. Gott ist für ihn der »Gott des Exodus, der Propheten, der Gott von Jesus, dem Gekreuzigten«.

Geboren 1938, wuchs James Hal Cone während der Jim-Crow-Ära (eine Art US-amerikanische Apartheid) in der Kleinstadt Bearden/ Arkansas auf, in einer enggeknüpften Schwarzen Gemeinschaft. Seine Kindheit war gezeichnet von schmerzvollen rassistischen Widersprüchen in den »christlichen« Südstaaten Amerikas. Cones Damaskus-Moment kam im Jahr 1967 während antirassistischer Proteste gegen Polizeigewalt in Detroit, bei denen 43Menschen ums Leben kamen.

Bewegt von der Wut Schwarzer Menschen, die sich in den Bürgerrechts- und Black-Power-Bewegungen der 1960er-Jahre ausdrückte, schrieb Cone Black Theology and Black Power (1969). Zum allerersten Mal wurde die Befreiung der Ärmsten der Gesellschaft als zentrale Botschaft des Evangeliums interpretiert. Den Jesus von Golgatha und die Macht seines rettenden Blutes kann nur verstehen, so Cone, wer Jesus mit den Augen und der Erfahrung der von Rassismus und Ausbeutung gekreuzigten Menschen heute sieht. Nur wer in vollständiger Solidarität mit den Notleidenden, Armen und Entrechteten – oder mit Franz Fanon gesprochen, den »wretched of the earth« (den »Verdammten dieser Erde«) – steht, kann die transformative Kraft von Jesu Wirken wahrhaftig verstehen.

James Cones Leben und Werk erzählen von seiner »Liebesgeschichte mit der Wahrheit« (Cornel West), die davon geprägt ist, das Leid unterdrückter und ausgebeuteter Menschen zu Wort kommen zu lassen. Cone spricht die Wahrheit über das Leid Schwarzer Menschen aus – und legt damit die Lügen weißer Theologie und weißer Kirchen offen. Vielmehr noch legt Cone ein Glaubenszeugnis ab – und wird damit, in den Worten von Cornel West, dem prominenten und provokativen US-Intellektuellen und Freund von James Cone, zu einer »beispielhaften Figur in einer Tradition von Menschen, die 400 Jahre lang traumatisiert wurden und die Welt dennoch so viel über Heilung lehrten; Menschen, die 400 Jahre lang terrorisiert wurden und dennoch der Welt sehr viel über Freiheit beibrachten; Menschen, gehasst für 400 Jahre, die die Welt so viel über Liebe und wie man liebt lehrten«.

James Cone, für mich ein Wegbereiter und moderner Prophet, der oft missverstanden und falsch ausgelegt wurde. Ja, er war wütend und entrüstet und legte seinen Finger in die Wunde: Rassismus und weiße Vorherrschaft (auch Amerikas »Original Sin« genannt) sind Sünde. Doch das machte ihn nicht zu einem hasserfüllten Menschen. Nein, James Cone hatte so etwas wie »caritativen christlichen Hass« (Cornel West). Er hat die Sünde gehasst – und dennoch versucht, die Sünder zu lieben. Ein beispielhafter Weg bis heute.

Die Geburt der Black Liberation Theology war nichts anderes als James Cones Versuch, die »Black Truth« (die »Schwarze Wahrheit«), die in ihm brannte, hervorzubringen. Ähnlich wie Schwarze Spiritual- und Blues- Sängerinnen und -Sänger bringt Cone das Narrativ einer großen Katastrophe zu Gehör – aber er erlaubt nicht, dass diese Katastrophe das letzte Wort hat. James Cone hat nicht nur die Tür für Befreiungstheologie geöffnet. Er hält uns vor Augen, dass Befreiung zum Kern des Evangeliums gehört.

Nach George Floyds gewaltsamem Tod am 25. Mai 2020 fanden auch hierzulande viele Proteste unter dem Banner der Black-Lives-Matter-Bewegung statt. Viele BIPoC (Black, Indigenous and People of Color) und weiße Deutsche sind zusammen auf die Straße gegangen. Viel weiße Deutsche, alt und jung, haben sich zum ersten Mal mit ihrem eigenen Weißsein auseinandergesetzt – und das ist unbedingt notwendig in unserem Kampf gegen Rassismus. James Cones Theologie der Befreiung kann, gerade für weiße Theologie und weiße Kirchen in Deutschland, ein wichtiger Baustein sein, um als Glaubensgemeinschaft eine antirassistische Gesellschaft der Zukunft mitzugestalten.

 

FOTO: UNION THEOLOGICAL SEMINARY
Im Jahr 1969 nahm James Cone eine Professur am Union Theological College in New York an. Das Bild zeigt ihn während seiner Predigt in der James-Kapelle kurz nach seiner Berufung an die Hochschule. Dort war er bis zu seinem Tod im Jahr 2018 als Professor für Systematische Theologie tätig. Cones Denken stützte sich auf die »intellektuelle Dreifaltigkeit« von Malcolm X, Martin Luther King Jr. und James Baldwin. Unter Berücksichtigung ihrer Schriften suchte Cone nach Wegen, die Botschaft des Evangeliums von der Befreiung mit der Realität der Unterdrückung Schwarzer Menschen zu versöhnen.
FOTO: UNION THEOLOGICAL SEMINARY
James Cone war ein leidenschaftlicher Vertreter der Schwarzen Befreiungstheologie. Seiner Auffassung nach wurde Jesus Mensch, um die Unterdrückten zu befreien, womit er das Konzept einer Black Power (Schwarzen Macht) vertrat. Er argumentierte, dass weiße amerikanische Kirchen ein Evangelium predigten, das auf einer weißen Vorherrschaft fußte und im Gegensatz zur eigentlichen Intention des Evangeliums Jesu stand. Seine Arbeit wurde sowohl innerhalb als auch außerhalb der afroamerikanischen theologischen Gemeinschaft rezipiert und kritisiert.

Es reicht nicht aus, von der Freiheit zu singen und für ihr Kommen zu beten. Die Freiheit muss in der Geschichte durch unterdrückte Völker verwirklicht werden, die die intellektuelle Herausforderung annehmen, die Welt zu analysieren, um sie zu verändern.

James Cone, The Relationship of the Christian Faith to Political Praxis, Princeton Theological Seminary, Princeton, New Jersey, 12. März 1980