Rassismus bekämpfen

Länderbericht Deutschland

Wer ist das deutsche Volk?

von Tina Adomako

Überrascht? Hier steht sonst immer etwas über ferne, fremde Länder. Was soll denn ein Bericht über das Land, in dem Sie, liebe Leserinnen und Leser, leben? Deutschland kennen Sie schließlich aus eigener Erfahrung. Doch wie gut kennen Sie das Land und seine Geschichte wirklich?

Fast vierzig Jahre lang war Deutschland geteilt in Ost und West, in DDR und BRD, in »Ossis und Wessis«. Seit 1990 sind die Deutschen wieder ein Volk. So sagen sie. Dass sie es jetzt wieder sind, impliziert, dass sie das vor der Teilung auch schon einmal waren: ein Volk. Doch waren die Deutschen wirklich jemals ein Volk? Was ist überhaupt ein Volk? Waren sie nicht schon immer eine Mischung aus vielen Völkern? So wie Deutschland auch heute ein Einwanderungsland ist, obwohl darüber viele Jahre, ach was, Jahrzehnte lang gestritten wurde. Die Deutschen des 20. und 21. Jahrhunderts tun sich immer noch schwer damit, sich als Einwanderergesellschaft zu sehen. Und das, obwohl Migration ein wesentlicher Teil der Geschichte Deutschlands ist. Im 19. Jahrhundert zogen industrielle Zentren wie das Ruhrgebiet oder die Montanindustrie Sachsens Hunderttausende von fremden Arbeitskräften und ihre Familien an. Große Infrastrukturprojekte wie der Bau von Kanälen und Eisenbahnstrecken waren nur möglich, weil Arbeiterinnen und Arbeiter aus anderen Ländern beim Bau mitschufteten. Die Fremden trugen mit ihrer Arbeitskraft zum Aufbau Deutschlands bei, ohne sie wäre die Industrialisierung nicht möglich gewesen. Und sie trugen auch dazu bei, dass die Deutschen zu Essen bekamen. Denn auch die unattraktive saisonale Arbeit in der Landwirtschaft auf den großen Gütern östlich der Elbe brachte viele russische und polnische Landarbeiterinnen und -arbeiter ins Land. Im 20. Jahrhundert ging das so weiter. Menschen aus südlichen Ländern waren der Schmierstoff, der dafür sorgte, dass der Motor der Wirtschaft am Laufen blieb. Sie arbeiteten in den Zechen, den Autofabriken, in der Landwirtschaft, auf dem Bau oder in Krankenhäusern und sorgten dafür, dass die Deutschen ein Wirtschaftswunder erleben konnten.  

 

Lieber unter sich bleiben?  

Viele dieser Fremden sind in Deutschland geblieben. Sie heirateten hier oder holten ihre Familien nach. Im 21. Jahrhundert brachten Kriege und Unruhen wieder andere Fremde ins Land. Überwiegend junge Menschen, die irgendwann dafür sorgen werden, dass es genügend Facharbeiter gibt. Doch das gefiel und gefällt vielen Deutschen nicht. Sie wollen scheinbar lieber unter sich sein. Nach dem Motto: »Deutschland den Deutschen«. Gleichzeitig haben sie über die Jahrzehnte so manches Nichtdeutsche liebgewonnen und wollen darauf nicht verzichten. Irgendwie schizophren, dieses Verhalten. Aber: Wer sind denn diese Deutschen überhaupt, die sich so schwer tun mit dem Thema Migration und Einwanderung?

Autorin

Tina Adomako

wurde in London geboren, wo sie ihre ersten Lebensjahre verbrachte, bevor ihre Eltern nach Ghana umsiedelten. Nachdem sie ihren Bachelor in English Literature und African Studies absolviert hatte, kam sie mit einem DAAD-Stipendium nach Deutschland. An der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg studierte sie Germanistik und Romanistik (Magister). Danach arbeitete sie viele Jahre als Redakteurin bei großen Medienunternehmen, darunter als Auslandspressereferentin bei der ehemaligen Kirch Gruppe sowie als Redakteurin bei Atlas Film und RTL-Television. Tina Adomako schreibt heute als freiberufliche Journalistin über Kultur, Familie und Erziehung sowie über entwicklungspolitische Themen. Als Fachpromotorin im Eine Welt Netz NRW setzt sie sich für Themen der nachhaltigen Entwicklung ein – wie globales Lernen, fairer Handel, Migration und Entwicklung, arbeitet verstärkt in den Bereichen Empowerment und interkulturelle Öffnung und betreibt die Webseite www.diasporaNRW.net    .

Privat engagiert sie sich im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher*innen, die sich für mehr Vielfalt und eine ausgewogenere Berichterstattung in den Medien einsetzen.

Die frühen Deutschen waren Nachfahren von Germanen, Kelten und römischen Siedlern. Davor lebten auf dem Gebiet Deutschlands Sugambrer, Cherusker, Hermunduren, Langobarden, Vandalen und weitere Stämme, die sich mal mit den Römern bekriegten, mal mit ihnen verbündeten. Jahrhundertelang waren Teile Deutschlands, wenn man so will, gar nicht deutsch, sondern als Germanien Teil des römischen Reichs. Und die Germanen waren kein einheitliches Volk, sie teilten nicht einmal eine einheitliche Sprache. Als die Römer nach etwa 500 Jahren endlich weg waren, begann eine Zeit der Völkerwanderung. Die germanischen Stämme bewegten sich in ganz Europa. Sie zogen nach Westen, ins heutige Frankreich, besiedelten den Norden, Dänemark und England, oder gingen in den sonnigen Süden nach Spanien und Italien, während andere wiederum über den Balkan zogen bis nach Griechenland. So betrachtet könnten sich alle Europäer heute als ein Volk sehen, haben sie doch die gleichen Wurzeln. Von denen, die nicht wanderten, gründeten einige Herzogtümer das Heilige Römische (Deutsche) Reich. Es gilt als Ursprung des heutigen Nationalstaats Deutschland und war ein multiethnisches Reich mit vielen kleinen – überwiegend katholischen – Fürstentümern. Doch 1517 kam mit Martin Luther und der Reformation plötzlich eine zweite Konfession dazu, was für mächtig Unruhe sorgte. Nun hieß es: Krieg. Dreißig Jahre dauerte er und kostete ein Drittel der deutschen Bevölkerung das Leben. Besonders das Haus Preußen, die Familie der Hohenzollern, stieg nach dem Krieg auf. Der Große Kurfürst machte Brandenburg-Preußen zu einer führenden Macht. Und da zu dieser Zeit der transatlantische Handel einsetzte, war es nicht verwunderlich, dass Brandenburg-Preußen als große Macht mitmischte. Nicht nur Deutschland den Deutschen, sondern der Rest der Welt auch?

 

Deutschland als Kolonialmacht

Kommt man auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands zu sprechen, wundern sich manche. Deutschland hatte kaum Kolonien, glauben sie, und die auch nur für kurze Zeit. Als Kolonialmächte werden gerne die Engländer, Franzosen, Belgier oder Holländer gesehen. Deutschland hat schon mit der Geschichte des Dritten Reiches zu kämpfen. Daher wird die grausame Kolonialgeschichte gerne ausgeblendet. Dabei war es Reichskanzler Bismarck, der 1884 zur Kongokonferenz einlud. Nicht in London, nicht in Paris, sondern in Berlin, mitten in Deutschland, wurde Afrika in Stücke portioniert wie eine Torte. Mit der Expansion sollte der Erwerb von Gold, Elfenbein, Gewürzen und Sklaven vorangetrieben werden – also Rohstoffe geplündert und Menschen ausgebeutet werden, um damit das Wachstum in den Ländern des Globalen Nordens auf lange Zeit zu sichern. »Bildung«, »Religion« und »Ordnung « – die vorgeschobenen zivilisatorischen oder missionarischen Gründe waren eher Nebenprodukte, die in den angeeigneten Gebieten dazu dienten, das Hauptziel der Rohstoffgewinnung zu verfestigen. Das Jahr 1884 mit der Gründung Deutsch-Südwestafrikas, der Errichtung Togolands als Musterkolonie und der Inbesitznahme Kameruns wird oft als Beginn der deutschen Kolonialgeschichte betrachtet. Doch die Schatten der Aneignungen und Ausbeutungen reichen viel weiter zurück. Bereits 1682 wurde in Berlin die Brandenburgisch- Afrikanische Compagnie von dem Markgrafen von Brandenburg, Kurfürst Friedrich Wilhelm, gegründet. Dieser hatte in Holland gesehen, welchen Reichtum der  Handel mit Westafrika einbringen konnte, und wollte auch daran teilhaben. Die Reichtümer an diesem Küstenstreifen waren so legendär, dass die Europäer sogar die Gegenden danach benannten: Elfenbeinküste  (Republik Côte d’Ivoire), Goldküste (Ghana), Sklavenküste (Küste von Togo, Benin und dem westlichen Teil  Nigerias). Während heute allgemein bekannt ist, dass die Holländer und Portugiesen sehr früh in diesen perfiden Handel eingestiegen waren, wird Deutschlands Rolle gerne vergessen.

Am 12. Juli 1682 brach die erste ....

 

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FOTO: REUTERS/LUCY NICHOLSON
Eine Frau in Los Angeles, Kalifornien, fährt auf ihrem Fahrrad an einem mit Brettern vernagelten Laden vorbei. Auf die Bretter sind die letzten Worte von George Floyd gesprüht: »Serious man. Please. Please man. I can’t breathe.«
FOTO: IMAGO IMAGES
Der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck lud 1884/85 zur Kongokonferenz nach Berlin ein, weshalb das Treffen auch als Berliner Konferenz bekannt ist. Die Zusammenkunft steht symbolisch für den »Wettlauf um Afrika«, da das Schlussdokument die Grundlage für die Aufteilung der afrikanischen Länder in Kolonialstaaten bildete.

Deutschland auf einen Blick

Fläche: 357.022 Quadratkilometer

Einwohner: 80,15 Millionen

Hauptstadt: Berlin

Staatsform: Parlamentarische Bundesrepublik

Religionen: Katholiken 27,7 %, Protestanten 25,5 %, Muslime 5,1 %, Orthodoxe 1,9 %, sonstige Christen 1,1 %, Sonstige 9 %, Keine Religion 37,8 %

Wirtschaft: Fünftgrößte Wirtschaftskraft weltweit; führender Exporteur von Maschinen, Fahrzeugen, Chemikalien und Haushaltsgeräten

Amtssprache: Deutsch

Quelle: The World Factbook

Johannes Weitzel | 2020
Karte Deutschland 2020