Forum Weltkirche - Zeitschrift für Kirche und Gesellschaft mit weltweitem Blick

Rassismus bekämpfen

Vuyani Vellem

Eine lebensbejahende Theologie als Vermächtnis

von Katleho Mokoena

Der im Dezember 2019 verstorbene Pfarrer und Professor Vuyani Vellem widmete seine Arbeit einer lebensbejahenden Theologie, insbesondere für Schwarze Menschen. Denn in Südafrika hält sich die soziale Ungleichheit hartnäckig, die Folgen von Kolonialismus und Apartheid sind noch deutlich zu spüren. Und auch das Christentum trug in der Vergangenheit nicht dazu bei, die Kultur, Tradition und Spiritualität Schwarzer Menschen zu würdigen. Vellem ist gestorben, aber die Schwarze Befreiungstheologie lebt weiter.

 

Professor Vellemwar Dozent für Systematische Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät und Leiter des Centre for Public Theology an der University of Pretoria in Südafrika. Vellem war Experte für Befreiungstheologie, im Mittelpunkt seiner Forschungstätigkeit stand das Spannungsfeld zwischen Christentum und Demokratie sowie Christentum und Wirtschaft. Darüber hinaus befasste er sich mit Ekklesiologie, Spiritualität sowie Öffentlichkeits- und Befreiungstheologie. Vellem war ordinierter Pastor in der Vereinigten Presbyterianischen Kirche von Südafrika und diente seiner Kirche auch als Generalsekretär. Er war stellvertretender Sekretär des South African Council of Churches (Südafrikanischer Kirchenrat) und engagierte sich in ökumenischen Bewegungen wie der All Africa Conference of Churches (Gesamtafrikanische Konferenz der Kirchen), dem Weltmissionsrat, der Weltgemeinschaft reformierter Kirchen und dem Ökumenischen Rat der Kirchen.

Autor

Katleho Mokoena

ist Pfarrer in der Uniting Reformed Church in Southern Africa (Vereinigende Reformierte Kirche im südlichen Afrika). Darüber hinaus lehrt er als Dozent für Kirchengeschichte am Institut für Christliche Spiritualität,
Kirchengeschichte und Missiologie der Universität von Südafrika (UNISA) in Pretoria, Südafrika.

Vellem erwarb sich große Verdienste in den Bereichen Wissenschaft, Kirche, Gemeinschaft und ökumenische Bewegungen. Eine umfassende Würdigung der Leistungen dieser herausragenden Persönlichkeit, die unerschrocken gegen Machtmissbrauch und für eine gerechte Welt für die Opfer von Entrechtung, Unterdrückung, Missbrauch, Marginalisierung und Diskriminierung kämpfte, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Im Mittelpunkt sollen daher die Sicht Vellems auf den Rassismus in Südafrika und sein Beitrag zu einer lebensbejahenden und lebensstiftenden Theologie stehen.

Vuyani Vellem war mein Dozent und Doktorvater an der University of Pretoria. Begegnungen mit ihm waren stets Auslöser, meine Art der Wissensaneignung und das Gelernte zu hinterfragen. Bei jedem Treffen hatte er eine Buch- oder Artikelempfehlung. Er war ein großartiger Zuhörer und auch das Wohlergehen seiner Studierenden außerhalb der akademischen Welt lag ihm am Herzen. Dabei förderte er deren kritisches Denken und akzeptierte auch deren Kritik. Stets betonte er, er wolle nicht, dass seine Studierenden ihm nacheifern, sondern ihre eigene Persönlichkeit optimal entfalten. Als ein strenger Mentor erwartete er von seinen Schützlingen hervorragende Leistungen.

 

Spiritueller Rassismus

 

Ich stamme aus Südafrika und damit aus dem Land mit der weltweit größten sozialen Ungleichheit. Die Ursachen für diese Ungleichheit sind im Kolonialismus und in der Apartheid zu suchen. Beide historischen Phänomene hatten nicht nur materielle, sondern auch geistige Folgen. Vellem verstand Rassismus als spirituell, weil er im Glauben an die Überlegenheit oder Vormachtstellung der Weißen wurzelt. Rassistisch zu denken ist eine kognitive, aber auch eine spirituelle Angelegenheit. Man muss der Überzeugung sein, man gehöre einer überlegenen Rasse an. Damit gründet Rassismus im Geist des Zweifels – er zweifelt das Menschsein Schwarzer Menschen an. Schwarze sehen sich mit einem listigen Geist konfrontiert, der sein Gesicht und seine Sprache verändert und die Systeme und das Ethos schafft, um wiederrum eben jenen Geist zu verstetigen. Rassismus ist die Überzeugung, eine Rasse sei menschlich und eine andere unmenschlich, minderwertig oder unzivilisiert. Diese Überzeugung bildete die Rechtfertigung für den Genozid und den Epistemizid – also das systematische Auslöschen von Wissen – an den Afrikanern sowie deren Versklavung. Dieses Infragestellen des Menschseins der Schwarzen setzte sich somit auch in der Wissenschaft fort: Afrikaner wurden zu »Untersuchungsobjekten« degradiert und als solche seziert. Als René Descartes sagte: »Ich denke, also bin ich«, schloss dieses »Ich« nicht den Afrikaner ein. Man glaubte, der Afrikaner sei nicht in der Lage, logisch zu denken und zu argumentieren.

Mit den europäischen christlichen Missionaren kam das Christentum nach Südafrika – und mit ihm der Glaube an die eigene Überlegenheit sowie der Komplex, die Afrikaner erretten zu müssen. Afrikanische Kulturen, Traditionen und Spiritualität galten den Missionaren als rückständig und dämonisch. Der Kolonialismus trachtete danach, die Afrikaner zu etwas zu machen, was sie im Land ihrer Geburt nie waren. Deshalb ging die Taufe für die Afrikaner mit dem Aufzwingen eines biblischen Namens und der Ablehnung ihrer Kultur, Tradition und Spiritualität einher. Um als Afrikaner Christ zu sein, musste man zunächst humanisiert – und damit verwestlicht – werden. Erst dann konnte man sich christlich taufen lassen. Diese »Auslöschung « des Afrikanischen war kein freiwilliger, sondern ein gewaltsamer Prozess. Ramon Grosfoguel beschrieb dies wie folgt: »In den vergangenen 510 Jahren der kapitalistischen/patriarchalischen, abendländisch- und christozentrischen, kolonialen Moderne beobachten wir folgende Entwicklung: Im 16. Jahrhundert hieß es, ›werde Christ oder stirb‹, im 19. Jahrhundert ›lass dich zivilisieren oder stirb‹, im 20. Jahrhundert ›akzeptiere Entwicklungshilfe oder stirb‹, im späten 20. Jahrhundert ›lass dich neoliberalisieren oder stirb‹ und im frühen 21. Jahrhundert dann schließlich ›lass dich demokratisieren oder stirb‹«.

 

Theologie als Diskurs des Lebens

 

Das Jahr 1994 markierte eigentlich den Beginn einer demokratischen Ära, aber ein gutes Vierteljahrhundert später sind die Schwarzen immer noch arm, landlos, marginalisiert und benachteiligt. Die Verfassung, die man stolz als die beste der Welt bezeichnete, kehrte Kolonialismus und Apartheid unter den Teppich. Die Wirtschaftsstruktur des Landes ließ man unangetastet. Die liberale Wirtschaftspolitik mündete in der Verstetigung von Rassenausgrenzung, Gewalt und Ausbeutung der Schwarzen Bevölkerung. Der unheilige Bund zwischen Rassismus und Kapitalismus beraubt die Menschen ihres Lebens, und die Organe des Kapitalismus erleben eine Blüte – ungeachtet des Umstands, dass sie Leben zerstören. Das Christentum verstetigte bei den Schwarzen einen Minderwertigkeitskomplex: Sie lehnen ihr Schwarzsein ab, ignorieren ihre Unterdrückung und hoffen auf die Verheißungen des Himmels. Vuyani Vellem war der Meinung, Theologie sei ein Diskurs des Lebens, aber nicht jede Theologie sei eine Theologie des Lebens. Die Realität und die erlebte Ohnmacht oder die Auslöschung des Bewusstseins unter den harten und niederschmetternden Bedingungen der Lebenswirklichkeit Schwarzer Menschen ist die Realität des Todes, des lebendigen Todes. Die Black-Consciousness- Bewegung und die Schwarze Befreiungstheologie hingegen bejahen die Macht, das Leben und das Bewusstsein Schwarzer Menschen. Sie bejaht #BlackLives- Matter, Schwarze Frauen, LGBTQI, Menschenwürde, sozioökonomische Gerechtigkeit und Dekolonialität. Vuyani Vellem widmete sein Leben einer lebensbejahenden und lebensstiftenden Theologie für die Menschheit im Allgemeinen und Schwarze Menschen im Speziellen.

 

FOTO: KIRCHLICHE ARBEITSSTELLE SüDLICHES AFRIKA (KASA)
Vuyani Vellem hatte einen hohen Anspruch – an sich selbst und an andere, vor allem auch an seine Studierenden. Für ihn war eine bloß akademisch-theologische Auseinandersetzung mit den strukturellen globalen Ungerechtigkeiten, insbesondere dem anhaltenden Rassismus in Südafrika, undenkbar. Eine Theologie aus dem Elfenbeinturm heraus lehnte er kategorisch ab. Als Professor und Pfarrer stand er mit seiner Person für seine Ideale und Überzeugungen ein und scheute dabei auch keine Konfrontationen. Sein kritischer Geist lebt weiter in seinen zahlreichen Publikationen.