Interreligiöser Frieden

Religions for Peace im interreligiösen Dialog in Westafrika

 

Gemeinsam für Friedensarbeit, Bildung und Pandemiebekämpfung

von Peter Bender

Interreligiöser Dialog und Zusammenarbeit sind eine besondere Herausforderung und Notwendigkeit in Westafrika. Religiöse, ethnische und politische Spannungen, Armut und Instabilität bis hin zu Terror und Bürgerkriegen plagen die Menschen der sprachlich, kulturell und religiös vielfältigen Region. Die weltweite interreligiöse Organisation Religions for Peace (RfP) versucht daher in Westafrika mit Friedensarbeit, Fortbildung und Gesundheitsprävention zu Sicherheit, Fortschritt und Versöhnung beizutragen – in Zusammenarbeit mit örtlichen interreligiösen Gremien und Religionsgemeinschaften sowie mit den Vereinten Nationen.

Autor

Peter Bender

ist Politikwissenschaftler und katholischer Theologe. Außerdem ist er Mitglied von Religions for Peace (RfP) Deutschland.

Religions for Peace (RfP), 1970 in Kyoto, Japan gegründet, hat seinen Hauptsitz in New York und ist in ganz Afrika aktiv durch den African Council of Religious Leaders, durch nationale interreligiöse Räte sowie durch fünf regionale Plattformen. Für Westafrika ist diese regionale Plattform der Western Africa Regional Hub, der 2018 gegründet wurde. In ihm sind acht nationale interreligiöse Räte der Länder Westafrikas, nämlich Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Guinea, Liberia, Nigeria und Sierra Leone, zusammengeschlossen. In zwei weiteren westafrikanischen Ländern, Mali und Togo, sind nationale interreligiöse Räte im Aufbau – die Stärkung und Neugründung interreligiöser Foren in verschiedenen Ländern weltweit ist ein Element des Strategieplans 2020 –2025 von Religions for Peace International, eine Folgeentscheidung nach der 10. RfP-Weltversammlung in Lindau 2019.

Der African Council of Religious Leaders, 2002 in Nairobi, Kenia gegründet, besteht aus neun gesamtafrikanischen religiösen Koordinierungsgremien (Pan African Religious Coordinating Bodies), fünf regionalen Plattformen, rund 30 nationalen interreligiösen Räten, dem Frauennetzwerk Africa Women of Faith Network und dem Jugendnetzwerk Africa Interfaith Youth Network. Zu den gesamtafrikanischen religiösen Koordinierungsgremien gehören die All Africa Conference of Churches, das African Forum for Muslim Councils, die Association of Evangelicals in Africa, der Council of Anglican Provinces in Africa, der Hindu Council of Africa, die Organisation of African Instituted Churches, die Seventh Day Adventist Church East-Central Africa Division, das Symposium of Episcopal Conferences in Africa & Madagascar (SECAM) sowie die World Union of Catholic Women’s Organisations. Die gut 150 Mitglieder der Generalversammlung des African Council of Religious Leaders wählen 17 bis 25 Mitglieder des Vorstands, dem auch mehrere Vertreterinnen und Vertreter aus Westafrika angehören. Im African Council of Religious Leaders sind Christen, Muslime, Bahá’i, Hindus und traditionelle afrikanische Religionen vertreten. Der African Council of Religious Leaders nahm auch an der 10. RfP-Weltversammlung 2019 in Lindau teil. Der Western Africa Regional Hub von Religions for Peace dient nicht nur dem Austausch zwischen den verschiedenen interreligiösen Räten der Länder in der Region. Er soll auch gezielt mit der Economic Community of West African States (ECOWAS, Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten) zusammenarbeiten. Diese regionale Staatenorganisation hat ihren Sitz in der nigerianischen Hauptstadt Abuja und auch eine regionale sicherheitspolitische Rolle in der Region. Die ECOWAS war an den Bemühungen zur Befriedung der Bürgerkriege in den 1990er-Jahren beteiligt und ist insofern auch ein potenzieller Partner, um Frieden und Stabilität in der Region zu erzielen. Eine Koordinierungsrolle für RfPs Western Africa Regional Hub hat Nigeria, den Vorsitz hält Guinea.

Auch auf der Ebene von Religions for Peace International sind führende Vertreterinnen und Vertreter der interreligiösen Zusammenarbeit aus Westafrika maßgeblich präsent. Im höchsten Gremium von Religions for Peace, dem World Council, sind gleich drei westafrikanische Persönlichkeiten als Co-Präsidenten vertreten: Muhammad Sa’ad Abubakar III, Sultan von Sokoto aus Nigeria, Philippe Kardinal Ouédraogo, Präsident der Bischofskonferenzen von Afrika und Madagaskar (SECAM) und Erzbischof von Ouagadougou aus Burkina Faso, sowie Serigne Masour Sy, Präsident der Föderation islamischer Vereinigungen aus dem Senegal. Ebenfalls im World Council als Vorsitzende von RfPs Inter national Women’s Coordinating Committee ist die nigerianische Ordensschwester Agatha Ogochukwu Chikelue, Ko-Vorsitzende des Nigerian & African Women of Faith Network.

In der Leitung der weltweiten RfP-Jugendorganisation International Youth Committee stammt eine der drei afrikanischen Repräsentanten aus Westafrika, Mirian Akuaba De-Souza, von Religions for Peace Ghana. RfP-Ehrenpräsidenten aus Westafrika sind Dah Couchoro Balogoun, Präsident des Rates traditioneller Religionen aus Benin, John Kardinal Onaiyekan, Erzbischof von Abuja aus Nigeria, und Cissé Hadja Mariama Sow, Vorsitzende der Union muslimischer Frauen in Guinea. Auch im zehnköpfigen Beraterstab der Generalsekretärin von RfP arbeitet ein Experte aus Westafrika mit, der UN-Spitzendiplomat und ehemalige UNO-Sonderberater zur Prävention von Völkermord, Adama Dieng, ein Jurist aus dem Senegal.

Religions for Peace hat in Westafrika durch nationale interreligiöse Räte und Initiativen führender bei RfP aktiver Religionsvertreterinnen und -vertreter wichtige Beiträge zu Frieden, Dialog und Versöhnung geleistet, so etwa in Liberia, Sierra Leone und Nigeria. Das Interfaith Mediation Committee (IFMC) in Liberia spielte seit den 1990er-Jahren eine unermüdliche und wichtige Rolle bei den Bemühungen um eine Befriedung des Bürgerkriegs in dem westafrikanischen Land. Das IFMC brachte zunächst die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch, fungierte nach dem Scheitern der Gespräche als neutral anerkannte Leitung einer nationalen Konferenz zur Bildung einer Übergangsregierung und erarbeitete trotz anhaltender Gewalt weitere Friedenspläne. 1999 schloss sich das interreligiöse Gremium RfP an und heißt seither Inter-Religious Council of Liberia. Dieser engagierte sich im Friedensprozess auch während der Vorbereitung und Beobachtung der Wahlen, wirkte mit bei der Kontrolle der Umsetzung des Friedensplans sowie bei Konsultationen, Fortbildungen, Workshops zu Friedensarbeit, Versöhnung, religiöser und ethnischer Toleranz. Für diesen Einsatz erhielt der Inter-Religious Council of Liberia 2003 den United Nations Peacemakers Award.

In Sierra Leone prägten gewaltsame Unruhen, Militärputsche und Militärinterventionen die 1990er-Jahre. Die Menschen litten durch willkürliche Schreckensherrschaft, Vertreibungen und gezielte Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Der Erfolg interreligiöser Vermittlung im Nachbarland Liberia motivierte die führenden Vertreter von neun muslimischen und 19 christlichen Gemeinschaften, sich gegen das Chaos zum Inter-Religious Council of Sierra Leone (IRCSL) zusammenzuschließen. Die Gründung des Rates 1997 wurde von Religions for Peace International unterstützt. Nach dem Bürgerkrieg wirkten IRCSL-Mitglieder 1999 als Beobachter und Berater an den Friedensgesprächen in Lomé, Togo, mit. Beide Konfliktparteien hatten darum gebeten. Zuvor hatten Religionsvertreter aus Sierra Leone über den interreligiösen Rat in Liberia auch den Staatspräsidenten des Nachbarlandes um Unterstützung für den Friedensprozess ersucht. Durch Gebete und Andachten in kritischen Situationen der Friedensverhandlungen erreichten die IRCSL-Vertreter eine positive Atmosphäre und konnten immer wieder eine Fortsetzung der Gespräche bewirken. Vertreterinnen und Vertreter des IRCSL waren auch nach dem Abschluss des Friedensvertrags von Lomé an Versöhnungsprozessen, humanitärer Hilfe, Menschenrechtserziehung, Demokratisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederungsprogrammen – besonders von Kindersoldaten und Kindern als Opfern des Krieges – beteiligt.

Der Inter-Religious Council of Sierra Leone wirkt auch mit an der Kampagne von Religions for Peace gegen die Corona-Pandemie – durch Fortbildung von führenden Religionsvertreterinnen und Religionsvertretern, Presseerklärungen, Radio- und Social-Media-Botschaften sowie Online-Gebeten. Glaubensmotivierte Botschaften von Hoffnung und Solidarität sollen dabei staatliche Programme ergänzen und die Einhaltung von Hygieneregeln unterstützen, gleichzeitig sollen sich die Religionen durch Lobbying, Advocacy und Seelsorge für besonders verletzliche Gruppen wie Ältere, Slumbevölkerung, Behinderte und Erkrankte einsetzen. Praktische Informationsmaterialien und Handreichungen, die auch von Partnern wie UNICEF und der Weltgesundheitsorganisation geprüft wurden, sollen Orientierung für sichere und pandemiegerechte religiöse Veranstaltungen und Rituale bieten, Unkenntnis und Misstrauen abbauen sowie Falschinformationen vorbeugen.

Nigeria ist in den vergangenen Jahren aufgrund von massiven, religiös verbrämten, zum Teil grenzüberschreitenden, extremistischen Terrorattacken wiederholt in den Fokus der internationalen Politik gerückt. Prominente nigerianische Religionsvertreterinnen und -vertreter von Religions for Peace International beziehungsweise des African Council of Religious Leaders arbeiten im bevölkerungsreichsten Land Afrikas mit Partnern wie der Cardinal John Onaiyekan Foundation for Peace zusammen und organisieren interreligiöse Netzwerke, Friedenskonferenzen, Versöhnungsworkshops, Fortbildungen gegen Hassrede und gewalttätigen Extremismus.

Auch andere internationale interreligiöse Organisationen wie das King Abdullah bin Abdulaziz International Centre for Interreligious and Intercultural Dialogue aus Wien haben Projekte und Partner in Nigeria. Das Centre unterstützt etwa das dortige Interfaith Dialogue Forum for Peace. Das Auswärtige Amt, der Ökumenische Rat der Kirchen und das US Institute of Peace stehen ebenfalls mit verschiedenen interreligiösen Foren und örtlichen Friedensinitiativen in Nigeria in Kontakt und arbeiten zusammen. Nicht nur ein Ende der Gewalt im Land, sondern auch Good Governance, also gutes Regierungshandeln und öffentliche Verwaltungspraxis, Menschenrechte, einvernehmliche Landnutzung und der Kampf gegen Korruption sind dabei Themen, die die Religionsgemeinschaften gemeinsam angehen können.

Die Aktivitäten von Religions for Peace, des African Council of Religious Leaders, der interreligiösen Räte und die interreligiöse Friedens- und Begegnungsarbeit allgemein in Westafrika sind durch Armut, Gewalt und Corona-Pandemie besonders schwierig, zum Teil sogar lebensgefährlich. Umso dankbarer können Weltkirche und Weltgesellschaft für den Einsatz und beispielgebenden Dienst der Menschen aus der Region für ein gelingendes Zusammenleben der Religionen und Völker in diesem Teil des Kontinents sein: eine echte Inspiration und Ermutigung für Glaubende über Afrika hinaus – und ein fortgesetzter Appell zu weltweiter interreligiöser Solidarität.

 

FOTO: AFRICAN COUNCIL OF RELIGIOUS LEADERS
Vertreterinnen und Vertreter des African Council of Religious Leaders nahmen 2019 an der Weltversammlung von Religions of Peace in Lindau teil.

Weiterführende Literatur

Charles Abiodun Alao/Ronke Ako Nai: About God and Violence in West Africa! Can Religious Organizations Foster Peace?, in: Okon Akiba (Hrsg.): Preventive Diplomacy, Security, and Human Rights in West Africa, Cham 2020, https://doi.org/10.1007/978-3-030-25354-7_7     (letzter Zugriff: 17.01.2020).

Matthias Basedau/Alexander De Juan: The ›Ambivalence of the Sacred‹ in Africa: The Impact of Religion on Peace and Conflict in Sub-Saharan Africirca German Institute for Global and Area Studies (GIGA), Hamburg 2008, www.jstor.org/stable/resrep07641     (letzter Zugriff: 17.01.2021).

Tsjeard Bouta/S. Ayse Kadayifci-Orellana/Mohammed Abu-Nimer: Faith-Based Peace-Building: Mapping and Analysis of Christian, Muslim and Multi-faith Actors. Netherlands Institute of International Relations ›Clingendael‹/Salam Institute for Peace and Justice, The Hague 2005.

Agatha Chikelue: Faith as a Force for Peace in Nigeria, Berkley Forum, 14. September 2015, https://tinyurl.com/pha4cvje     (letzter Zugriff: 20.02.2021), Berkley Center, Georgetown University 2015.

Margee Ensign/Jean-Pierre Karegeye (Hrsg.): Religion in War and Peace in Africa, Milton Park, Abingdon/New York 2020.

Ian Linden/Thomas Thorp: Religious Conflicts and Peace Building in Nigeria, in: Journal of Religion and Violence, Bd. 4, Nr. 1, 2016, S. 85–100, https://www.jstor.org/stable/26671488     (letzter Zugriff: 20.02.2021).

Mashood Omotosho: Managing Religious Conflicts in Nigeria: The Inter-Religious Mediation Peace Strategy, in: Africa Development – Afrique Développement, Bd. 39, 2014, S. 133–151, https://www.jstor.org/stable/afrdevafrdev.39.2.133     (letzter Zugriff: 20.02.2021).

Markus Weingardt: Religion macht Frieden. Das Friedenspotenzial von Religionen in politischen Gewaltkonflikten, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2010.