Religionsfreiheit

Eine christliche, dialogbereite Perspektive auf Religionsfreiheit

 

Interview mit Katja Voges

von Marita Wagner

Was hat Sie dazu motiviert, sich intensiver mit der Bedeutung der Religionsfreiheit im christlich-muslimischen Dialog zu beschäftigen?

 

Autorin

Marita Wagner

Chefredakteurin

Katja Voges

studierte Französisch, katholische Theologie und Sport in Münster und war anschließend als Gymnasiallehrerin tätig. In den Jahren 2015 und 2016 absolvierte sie ein Zertifikatsstudium zum interkulturellen und interreligiösen Dialog in Rabat sowie ein Lizenziatsstudium am Institut Catholique de Paris mit dem Schwerpunkt interreligiöser Dialog und Theologie der Religionen. Seit Dezember 2016 ist sie Referentin für Menschenrechte und Religionsfreiheit in der Abteilung Theologische Grundlagen bei missio in Aachen.

Ausgangspunkt war meine Studienzeit am Institut OEcuménique de Théologie in Rabat im Jahr 2015. Dort habe ich im Alltag erlebt, dass die Religionsfreiheit sowohl für Christ:innen als auch Muslim:innen eingeschränkt ist. So sind beispielsweise Geld- und Haftstrafen für diejenigen vorgesehen, die den Versuch unternehmen, Muslim:innen von ihrem Glauben abzubringen. Muslime, die sich von ihrem Glauben abwenden, sind ihrerseits staatlichem und gesellschaftlichem Druck ausgesetzt. Zugleich war ich fasziniert davon, dass in Marokko ein lebendiger interreligiöser Dialog stattfindet. Da sind Christ:innen, die auf beeindruckende Weise aus ihrem Glauben heraus ihre Liebe zu ihren muslimischen Mitmenschen zum Ausdruck bringen. Und da sind Muslim:innen, die ein aufrichtiges Interesse am christlichen Glauben haben und eine große Gastfreundschaft gegenüber den – meist ausländischen – Christ:innen zeigen. Durch den interreligiösen Dialog lässt sich zwar nicht ohne Weiteres der rechtliche Rahmen im Land ändern. Aber wer im Dialog den Glauben des anderen als authentisch und wertvoll erlebt, der wird sich auch eher dafür einsetzen, dass dieser seinen Glauben frei leben kann. In diesem Sinne hat mich besonders interessiert, mit Muslim:innen ins Gespräch zu kommen, die sich aus ihrem Glauben heraus für die Religionsfreiheit einsetzen. Und das wurde schließlich zur Motivation, einen muslimischen Theologen auszuwählen, der Religionsfreiheit aus dem Islam heraus begründet. In meiner Dissertation entwickle ich eine christliche Perspektive auf den Ansatz Abdullah Saeeds, die das christlich-muslimische Dialogpotential im gemeinsamen Einsatz für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit herausstellt.

Welche gesellschaftliche Relevanz hat eine solche spezifisch christliche, dialogorientierte Perspektive auf Religionsfreiheit?

In Deutschland und weltweit sind christliche Akteure in der Menschenrechtsarbeit engagiert. Christliche Positionierungen zu menschenrechtlichen Themen nehmen Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse und Konflikte. Für die nachhaltige Wirkung ist es entscheidend, dass Christ:innen den Einsatz für Religionsfreiheit als integralen Bestandteil ihres Glaubens wahrnehmen und dabei alle Menschen gleichermaßen als Träger dieses Menschenrechts verstehen. Vor diesem Hintergrund ist es mein Anliegen, eine christlichtheologische Begründung dafür zu liefern, den Einsatz für Religionsfreiheit als eine religionsübergreifende, gemeinsame Aufgabe zu verstehen. Mit der Wahl einer solchen christlich-theologischen und dialogorientierten Perspektive reagiere ich zudem auf konkrete Problemanzeigen: Zum einen herrscht im Zusammenhang mit dem Thema Religionsfreiheit häufig eine verkürzte Sicht auf islamische Traditionen vor, die sicherlich dadurch genährt wird, dass in vielen Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit faktisch religiös- politisch motivierte Verletzungen der Religionsfreiheit stattfinden. Und auch Christ:innen laufen Gefahr, einen enggeführten Blick auf Religionsfreiheit einzunehmen und etwa ihre eigene Freiheit höher zu schätzen als die der anderen. Es gehört zur christlichen Verantwortung, freiheitsfördernde und friedensstiftende Stimmen miteinander ins Gespräch zu bringen, um gemeinsam Stärke zu gewinnen und den manchmal einseitigen Diskurs weiterzuführen. Zum anderen soll die christlich-theologische und dialogorientierte Perspektive deutlich machen, dass christliche Kirchen und theologische Traditionen in besonderer Weise gefordert sind, wenn radikale Akteure aus einer vermeintlich christlichen Haltung heraus freiheits- und dialogfeindliche Botschaften vermitteln. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn Rechtspopulisten das Thema Religionsfreiheit dafür missbrauchen, ihren Diskurs über den Untergang des christlichen Abendlandes zu verbreiten, oder wenn Menschen unter Berufung auf ihre Religionsfreiheit versuchen, spezifische religiöse Moralvorstellungen gesamtgesellschaftlich durchzusetzen. 32 Forum Weltkirche 6/2021 Schwerpunkt

Inwiefern ist der Ansatz Abdullah Saeeds in besonderer Weise dafür geeignet, Religionsfreiheit als eine gemeinsame Herausforderung für Christen und Muslime zu begreifen?

Um aus dem muslimischen Glauben heraus eine umfassende religiöse Begründung fürMenschenrechte und Religionsfreiheit vorzunehmen, ist es notwendig, die theologischen Fragen nach dem Wesen und der Auslegung des Koran und nach dem Verständnis der Offenbarung neu zu überdenken. Abdullah Saeed geht diesenWeg, indem er einen kontextuellen Ansatz in der Koranhermeneutik vertritt und eine Hierarchie der Werte im Koran entwickelt. Diese zielt darauf ab, einerseits die fundamentalen, unveränderlichen Prinzipien des Koran zu verteidigen und andererseits die Maßnahmen, die diese Prinzipien schützen sollen, durch eine angemessene, die hermeneutischen Voraussetzungen bedenkende Interpretation des Koran den aktuellen gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Auch die Offenbarung selbst versteht Saeed kontextuell. Dabei stellt er nicht die Rolle des Propheten Muhammad als passiven Empfänger der koranischen Botschaft in Frage, sondern wendet sich weiteren »Ebenen« der Offenbarung zu. Teil der Offenbarung ist für ihn die Aktualisierung der Botschaft durch die Gläubigen, die Gott selbst inspiriert und leitet. So vertritt Saeed ein dynamisches Offenbarungsverständnis, das Neuinterpretationen der Botschaft nicht nur erlaubt, sondern notwendigmacht. Zugleich versteht Saeed andere Religionen als gottgewollt. Er plädiert dafür, den christlichen Glauben als authentisch zu betrachten und einen aufrichtigen Dialog zu führen. Sein kontextueller Ansatz erlaubt es ihm, aus seinem Glauben heraus Religionsfreiheit für alle Menschen zu fordern. Spannend ist darüber hinaus, dass Saeed durch seinen Ansatz den vielfältigen Suchprozessen im Glauben eine besondere Bedeutung beimisst.

Worin bestehen Ihrer Ansicht nach die größten Herausforderungen, aber auch die größten Chancen im gemeinsamen Einsatz von Christ:innen und Muslim:innen für Religionsfreiheit?

In beiden Religionsgemeinschaften gibt es Menschen, die Andersgläubigen nicht dieselben Freiheiten zugestehen wie sich selbst. Es kann eine schwierige Aufgabe für Christ:innen und Muslim:innen sein, sich innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft für den (gemeinsamen) Einsatz für Religionsfreiheit zu rechtfertigen. In besonderer Weise gilt das für muslimische Denker. Viele Muslime, die mit ihren Ansätzen nicht den Überzeugungen konservativer Kräfte entsprechen, werden in ihren Heimatländern bedroht oder gar verfolgt. Zugleich ist der christlich-muslimische Einsatz für Religionsfreiheit in vielerlei Hinsicht eine positive Herausforderung und eine Chance: Er kann zu einer Vertiefung des eigenen Glaubens führen, etwa indem Christ:innen und Muslim:innen ihre jeweils eigene Begründung für Religionsfreiheit reflektieren und im Dialog anfragen lassen. Wer sich aus dem Glauben heraus und im Dialog für Religionsfreiheit einsetzt, der bzw. die wird zudem Fragen nach dem Stellenwert des jeweils anderen innerhalb der eigenen religiösen Tradition zulassen. Für den interreligiösen Dialog ist es eine Chance, diesen Fragen nachzugehen und gemeinsam um Antworten zu ringen. Darüber hinaus ergeben sich aus dem christlich-muslimischen Dialog relevante Themen, die Impulse für ein gemeinsames Engagement für Religionsfreiheit liefern und die es in Dialoginitiativen aufzugreifen gilt. In meiner Dissertation zeige ich anhand von Praxisbeispielen auf, wie Christen und Muslime konkret im Sinne der religiösen Freiheit zusammenarbeiten können.

»Es ergeben sich aus dem christlich-muslimischen Dialog relevante Themen, die Impulse für ein gemeinsames Engagement für Religionsfreiheit liefern und die es in Dialoginitiativen aufzugreifen gilt.«