Am 22. Mai 2022 wird Pauline-Marie Jaricot in Lyon seliggesprochen. Im Interview erklärt missio-Präsident Pfarrer Bingener die bleibende Strahlkraft und Bedeutung der jungen Frau für das heutige weltkirchliche Selbstverständnis und gemeinschaftliche Agieren auf Augenhöhe.
Marita Wagner
Chefredakteurin von Forum Weltkirche
Pfarrer Dirk Bingener
ist seit September 2019 Präsident des Internationalen Katholischen Missionswerks missio Aachen e.V.
Welche Bedeutung kommt Pauline-Marie Jaricot (1799–1862) für die Gründungsgeschichte missios zu?
Pauline-Marie Jaricot ist sozusagen die Gründermutter von missio. Als Pionierin einer neuen globalen katholischen Solidarität im 19. Jahrhundert prägt sie die weltweit rund 120 katholischen Hilfswerke missio bis heute. Sie motivierte Menschen an der katholischen Basis zu kleinen Spenden für die Mission, die ihrerseits Verwandte und Bekannte für das Anliegen begeisterten. Diese ständig wachsende Bewegung informierte Pauline Jaricot mit gedruckten Nachrichten aus den Missionen in Afrika und Asien. Gleichzeitig verband sie die Mitglieder dieser Gruppen im Gebet. So wurde Pauline Jaricot zur entscheidenden Ideengeberin und zum Motor für die Gründung der Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens 1822 in ihrer Heimatstadt Lyon, dem ersten Missionsverein in Europa. Das Vorbild dieser starken Christin inspirierte in Europa in schneller Folge viele weitere Menschen aus der katholischen Zivilgesellschaft, Missionsvereine zu gründen. 1832 zum Beispiel den Arzt Heinrich Hahn in Aachen, aus dessen Franziskus-Xaverius-Verein missio Aachen entstanden ist. Die Bewegung wurde schließlich so stark, dass die Missionsvereine als Päpstliche Missionswerke 1922 im Vatikan eine Anbindung fanden. Pauline Jaricot ist die DNA von missio Aachen bis heute: Gebetssolidarität, Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising ermöglichen in diesem Dreiklang eine spürbar wirksame Zusammenarbeit mit der Kirche in Afrika, Asien und Ozeanien.
Heute wird Pauline Jaricot verehrt. Zu ihrer Zeit hatte Sie es aber durchaus schwer, Gehör zu finden. Ist ihre Seligsprechung deshalb eine Art späte Wiedergutmachung?
Da müsste man sie eigentlich selber fragen. Sie war zu ihrer Zeit eine bekannte, unkonventionelle Aktivistin. Ihre Ideen fanden Beachtung und ihre Beratung wurde geschätzt. Aber als es konkret zur Gründung der Gesellschaft zur Verbreitung des Glaubens kam, wurde sie an den Rand gedrängt und durfte als Frau nicht offiziell zu den Gründungsmitgliedern zählen. Vielleicht ist deshalb die Seligsprechung dieser Frau eine späte Wiedergutmachung. Und sie ist ein höchst aktueller Appell an die Weltkirche heute: Männer und Frauen müssen in der Kirche Macht und Einfluss gemeinsam verantworten können. Um dies zu fördern, lobt missio Aachen auch den Pauline-Jaricot- Preis für Frauen der Kirche in Afrika, Asien und Ozeanien aus, die ähnlich mutig, innovativ und mit Weitblick ihren Glauben leben, Kirche gestalten und als Paulines Schwestern Verantwortung übernehmen.