Großstadtpastoral in Kenia

Länderbericht Indonesien

 

Traditionelle Toleranz in Gefahr

Indonesien: aus dem Schatten Südostasiens getreten

Von Henry Schürmann

Nach der Unabhängigkeit gab sich das junge Indonesien eine Verfassung auf Basis der Menschenrechte, in der Nichtmuslime die gleichen Rechte erhielten wie Muslime. Seit einiger Zeit ist allerdings zu beobachten, dass die Werte der Verfassung zugunsten arabisch beeinflusster Interpretationen des Islam umgedeutet werden. Dank wachsender Rohstoffexporte ist das Inselreich vom Entwicklungs- zum Schwellenland aufgestiegen. Die Frage, welchen Weg Indonesien vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Klimakrise gehen wird, bleibt offen.

Autor

Henry Schürmann

arbeitete nach der Promotion 1995 über australische Menschenrechtsfragen beim Londoner Internationalen Sekretariat von Amnesty International. Von dort leitete er zahlreiche Einsätze in Krisengebieten Südostasiens und des Pazifiks. Ab 2005 koordinierte er die Indonesienarbeit für MISEREOR und war zwei Jahre AGEH-Fachkraft in Ostindonesien. Von 2015 bis zum Ruhestand 2021 war er Referent für entwicklungspolitische Bildung im Berliner Büro von MISEREOR.

 

Indonesien geht es wirtschaftlich gut, der Wohlstand vieler Indonesier steigt schneller als der der Chinesen. Aber trotz nachgefragter Bodenschätze und einer geostrategisch günstigen Lage in Südostasien schafft es ein Viertel der gut 270 Millionen Einwohner kaum über die Armutsgrenze. Die auf Konsum und Ausbeutung von Naturressourcen ausgerichtete Wirtschaft zerstört jährlich Artenvielfalt, klimarelevanten Regenwald und Bodenqualität in der Größe deutscher Bundesländer. Bekannt sind die Satellitenbilder brennender Waldgebiete, auf deren Flächen später Ölpalmen dem Boden die Nährstoffe entziehen. Das erzeugte Palmöl verkauft sich als »erneuerbare Energie «, verursacht in Herstellung und Vertrieb aber mehr Klimaschäden als es einspart. Die Eliten verdienen gut daran, doch die Schere zwischen Arm und Reich in einem der bevölkerungsreichsten Länder der Erde wächst rasant.

Religiöse und kulturelle Vielfalt

Im Heimatland der größten muslimischen Bevölkerung weltweit wird gern auf eine über Jahrhunderte gewachsene religiöse Toleranz verwiesen, die es so jedoch nicht mehr gibt. Aus dem indischen Kulturraum stammende Traditionen hatten sich – auch durch Handelsbeziehungen in den Nahen Osten – über mindestens 900 Jahre zu ganz eigenen Ausdrucksformen von Islam, Hinduismus und Buddhismus verwoben. Nur die von Portugal und den Niederlanden gewaltsam kolonisierten und dann christianisierten Gebiete im Osten des Inselreichs blieben hiervon kaum berührt. In abgelegenen Gebieten tragen sogenannte Naturreligionen bei zahlreichen indigenen Gruppen zur großen kulturellen und ethnischen Vielfalt der Völker Indonesiens bei. Eine Landkarte der Volksgruppen Indonesiens ist bunter als im Rest der Welt. Die Batak im Westen Sumatras leben von den Melanesiern im Osten so weit entfernt wie Bayern von Afghanen. Das nationale Motto im Landeswappen lässt sich mit »Einheit in der Vielfalt« übersetzen.

In der Verfassung sind Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung von sechs anerkannten Religionen gesichert, Atheismus aber nicht. Etwa 87 Prozent der Indonesier:innen bekennen sich zum Islam, etwa zehn Prozent sind Christen; Hinduismus, Buddhismus sowie andere Religionen spielen eine eher untergeordnete Rolle.

Auf Formularen wird selbstverständlich die Religionszugehörigkeit der Bürger:innen abgefragt; welcher jemand angehört, wissen selbst Arbeitskolleg: innen genau. Die Höflichkeit gebietet – etwa im Ramadan oder zu Ostern – mit entsprechenden Floskeln zu grüßen. Keiner Religion anzugehören verursacht Probleme im Bildungsweg oder bei Behörden.

Religionsgemeinschaften ergänzen mit ihren Organisationen das ineffiziente Sozialwesen. Indonesiens 235 Millionen Muslime haben in ihren Massenorganisationen zugleich eine starke Lobby und ein soziales Dienstleistungsnetz. Der Nahdlatul Ulama, der weltweit mitgliederstärksten islamischen Organisation, verdankt Indonesien, dass die Scharia nicht Grundlage der Verfassung ist und dass man sich von Islaminterpretationen aus Saudi- Arabien, von Al-Qaida oder den Taliban distanziert. Diese gemäßigten Bewegungen verhindern aber nicht, dass es extremistische Splittergruppen gibt, die gelegentlich Bombenattentate und Terroranschläge auch auf Kirchen ausüben, zuletzt 2021 vor der katholischen Kathedrale von Makassar.

Selbstverständnis und gesellschaftspolitische Wirkung des indonesischen Islam unterscheiden sich ohnehin je nach Region, was sich auch in der Toleranz gegenüber »humanitären« oder extremistischen Muslimen sowie in der indonesischen Sprache niederschlägt. Das aus dem Malaiischen entwickelte Indonesisch ist im Westen von Sumatra stark von arabischen Lehnwörtern geprägt. Hier wurde nach dem verheerenden Tsunami von Weihnachten 2004 erstmals auf Provinzebene die Scharia gesetzlich eingeführt. Es war ein Zugeständnis der Nationalregierung gegenüber politischen Strömungen in der zuvor durch einen Bürgerkrieg gelähmten Region Aceh. Widersprüche solcher Provinzgesetze zur Nationalverfassung wurden nie aufgelöst. Eine Wirkung des neuen islamischen Selbstverständnisses ist, dass immer mehr Frauen und Mädchen Kopftuch oder Dschilbab tragen. Manche Schülerinnen tun dies, obwohl sie gar keine Muslima sind.

Gefährdete Toleranz

Eindrucksvollstes Zeugnis der Religionsgeschichte Indonesiens ist der weltgrößte buddhistische Tempel Borobodur aus dem 9. Jahrhundert auf der Hauptinsel Java, nahe der uralten Sultansstadt Jogyakarta. Dort erneuerte die Regierung 2022 die Erlaubnis für buddhistische Gebete und bekräftigte die weltweite Bedeutung der Tempelanlage. Schon 1991 wurde sie UNESCOWelterbe, gemeinsam mit dem etwa zur gleichen Zeit erbauten Aachener Dom. So möchte man Borododur auch ein wenig Schutz vor Vandalismus durch islamische Extremisten verschaffen.

Indiz für eine gefährdete Religionstoleranz sind Dutzende zerstörte und niedergebrannte Kirchen. Vor allem über Massenmedien verunglimpfen vereinzelte Hassprediger immer wieder »gottlose« (oder angeblich nicht strenggläubig muslimische) Prominente – vom Armeegeneral bis zur Tierschützerin. Einerseits scheinen solche radikalen Stimmen keine breite Mehrheit zu überzeugen – andererseits widerspricht ihnen kaum jemand mit Entschiedenheit. Spektakuläre Einzelfälle führten bis zu Gefängnisstrafen für Blasphemie, etwa für den früheren protestantischen Gouverneur von Jakarta. Der hatte im Wahlkampf Behauptungen widersprochen, der Koran verbiete es Muslimen, von einem Christen regiert zu werden.

Der schwache Rechtsstaat zeigt sich auch vielfach machtlos gegenüber Kinderehen und Gewalt gegen Frauen. Mädchen unter 16 dürfen mit Erlaubnis eines Religionsgerichts verheiratet werden, ab 16 reicht die Zustimmung der Eltern. Für arme Familien, die sich etwa wegen der COVID-19-Einschränkungen verschuldet haben, kann der »Brautpreis« ein Weg aus der Schuldenfalle sein.

Frauen, die als Migrantinnen ihre Arbeitskraft aus Not verkaufen – ob im Inland oder zum Beispiel in Malaysia – sind zwar nicht rechtlos, aber gegen Ausbeutung und Übergriffe aller Art kaum geschützt. Immerhin verändert sich hierzu allmählich das Bewusstsein in der Allgemeinheit: Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist seit Jahren ein öffentlich diskutiertes Thema auch in Talk-Shows – nicht nur am Weltfrauentag oder zum 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen.

In Regionen mit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit sind auch längst Beispiele stabilen, friedlichen und toleranteren Zusammenlebens zu beobachten. So trug um die Hafenstadt Cilacap auf der Insel Java eine über Jahrzehnte sorgsam geförderte interreligiöse Annäherung durch praktische Zusammenarbeit entscheidend dazu bei, arme Bauern- und Fischerfamilien jedweden Glaubens oder Herkunft aus bitterer Armut zu befreien. Zwischen ihren verstreuten Siedlungen im Sumpfgebiet großer Flussdeltas bauten sie in der regenarmen Jahreszeit gemeinsam Deiche und Brücken gegen das alljährliche Hochwasser. Mit den Jahren wurden daraus feste Wege und Straßen, die ihre Reisfelder vor Versalzung schützen und Verbindungen schaffen zwischen Menschen und Dörfern, zu Märkten, Schulen und Gesundheitsposten, so dass alle davon profitieren. Als die Zahl der Dorfbewohner und Zugezogenen sechsstellig anwuchs, entdeckten Politiker das Wahlkampfpotenzial und förderten die Eigenleistungen. Heute sind unzählige Kilometer Eigenbau-Deiche bereits LKW-tauglich asphaltiert, es gibt Strom- und Handynetze.

Wo der Pfeffer wächst

Der Handel mit Pfeffer und anderen lukrativen Gewürzen, mit Kautschuk und Sandelholz führte ab dem 17. Jahrhundert zur kolonialen Ausbeutung Indonesiens durch staatlich geförderte niederländische Kaufleute und ihre Truppen, die sich bis zur Hälfte aus deutschen Freiwilligen rekrutierten. Zuvor hatten Indonesiens Königreiche, darunter auch islamische, sich heftig gegen portugiesische und zeitweise spanische Kolonialtruppen gewehrt, die den begehrten »Ostindien«-Handel für sich erobern wollten. Amsterdam stieg dank der Importe aus Indonesien zur wichtigsten Handelsstadt Europas auf, die Niederlande erlebten auch künstlerisch eine Blütezeit.

Über Jahrhunderte waren die Kolonisten immer wieder in Machtkämpfe um begehrte Handelswege und -Monopole mit Großbritannien und Portugal verwickelt. Bis heute ist die Meerenge von Malakka zwischen Singapur und dem nahen Indonesien die bedeutendste Handelsroute der Erde, durch die etwa ein Viertel des Welthandels verschifft wird. Sie ist zentrale Lieferroute für deutsche Exporte, von denen 20 Prozent in die indopazifische Region gehen.

Im Zweiten Weltkrieg sicherte sich Japan in Indonesien kriegswichtige Rohstoffreserven und bombardierte von hier aus Australien. Nach der Kapitulation Japans mussten die Niederlande unter amerikanischem Druck die schon 1943 erklärte Unabhängigkeit Indonesiens anerkennen und kontrollierten nur noch den Westen Neuguineas (Westpapua). Dort gründeten amerikanische Unternehmer die zeitweise ertragreichste Tagebau-Goldmine der Welt, eine wichtige Devisenquelle für den indonesischen Staat.

Unruhige nachkoloniale Zeit

Mit viel Idealismus und Rücksicht auf die multiethnische und -religiöse Bevölkerung gab sich das junge Indonesien eine Verfassung auf der Basis der Menschenrechte. Trotz seiner Dominanz wurde der Islam nicht zur Staatsreligion erklärt, und Nichtmuslime bekamen auf dem Papier die gleichen Rechte wie Muslime. Die Befreiung aus der Armut wurde Verfassungsaufgabe für den Staat. Seit Jahren sind allerdings Versuche zu beobachten, die Werte der Verfassung zugunsten arabisch beeinflusster Interpretationen des Islam zu relativieren oder umzudeuten.

Das selbstständige Indonesien tat sich schwer mit der Erholung von Weltkrieg und jahrhundertelanger Ausbeutung. Vor allem innenpolitisch fand das Land keinen Frieden. Misstrauisch beobachteten die Westmächte im Kalten Krieg alle Anzeichen einer Annäherung an Moskau. Ein Krieg ab 1963 mit dem gerade erst unabhängigen Nachbarn Malaysia, die verbreitete Armut und zunehmende Willkürherrschaft der Zentralregierung spielten der indonesischen Kommunistischen Partei (PKI) in die Hände. Die folgenden Jahrzehnte sahen interne Gewaltkonflikte an Indonesiens Peripherie: in Westpapua, der Provinz Aceh, in Ambon und den Molukken, auf Borneo, Sulawesi und Osttimor. Bis heute ist wenig davon historisch oder strafrechtlich aufgearbeitet.

Das Erbe der Suharto-Ära

1965 übernahm durch einen undurchsichtigen Militärputsch General Suharto die Herrschaft. Die Armee erlangte die Kontrolle über Staatsunternehmen, etwa im Transportwesen oder dem Handel mit Kraftstoffen. Präsident Suharto etablierte bis 1998 eine Herrschaft des Schreckens, in der reguläres Militär zivile Milizen gründete, um gemeinsam Massaker und Grausamkeiten an Zivilisten zu begehen. Hunderttausende mutmaßliche Kommunisten und PKI-Mitglieder, regierungskritische Studierende und Chines:innen wurden verfolgt, vergewaltigt, ermordet und bis in die übernächste Generation amtlich diskriminiert.

Indonesiens militärische Übernahme Westpapuas von den Niederlanden 1963 und eine seither geförderte Einwanderung von Nichtpapuas dorthin begünstigen bis heute andauernde Unruhen. Immer wieder reagieren Polizei und Militär heftig auf Guerilla-Aktionen gewaltbereiter Papuas. Zuletzt beklagten drei unabhängige UN-Beauftragte, dass allein zwischen April und November 2021 etwa 5.000 indigene Papuas aus Furcht vor den Sicherheitskräften aus ihren Dörfern geflohen seien. Seit 2018 seien mindestens 60.000 Papuas Vertriebene im eigenen Land geworden, während die Behörden humanitäre Hilfslieferungen für sie gezielt blockiert hätten. Selbst dem Roten Kreuz und kirchlichen Helfer:innen habe man den Zugang zu den abgelegenen Bergregionen verwehrt, in denen sie Schutz suchten. Als Folge der Einwanderungen ist der Anteil der angestammten Papua-Bevölkerung im eigenen Land inzwischen deutlich auf unter 50 Prozent gesunken; ihr Anteil am Arbeitsmarkt, in Verwaltung und Bildungswesen ist noch viel geringer. Mindestens ein Fünftel der von den Einwanderern aufgebauten Palmöl-Plantagen Papuas sind illegal; per Gesetz sollen sie rückwirkend genehmigt werden.

Als die Kolonialmacht Portugal sich 1975 aus Osttimor zurückzog, brachten Suhartos Armee und deren Milizen durch Krieg und Aushungern in 23 Jahren fast ein Viertel der Bevölkerung um. Diese hatte sich in Guerilla-Aktionen gegen die völkerrechtswidrige Besatzung durch Indonesien gewehrt. Der spätere Präsidentschaftskandidat Prabowo wurde damals durch die US-Armee als Kommando-Offizier der indonesischen Armee für den Einsatz in Osttimor fortgebildet. Ihm werden massive Menschenrechtsverletzungen durch seine Spezialeinheiten in Osttimor und Westpapua vorgeworfen.

Nach Suhartos Rücktritt 1998 und einer UN-überwachten Volksbefragung unter Osttimorern, die sich für die staatliche Unabhängigkeit aussprachen, zog sich das indonesische Militär brandschatzend aus der kleinen Provinz zurück und hinterließ ein gigantisches Trümmerfeld. Schulen, Behörden und Krankenhäuser wurden systematisch zerstört. Bewacht von UN-Blauhelmen entstand aus diesen Trümmern 2002 der unabhängige Staat Timor-Leste.

Demokratisierung mit Hindernissen

Die asiatische Finanzkrise 1997 stürzte Millionen Indonesier in plötzliche Armut und begünstigte neue Proteste gegen Suhartos Regime. Dessen Schwiegersohn Prabowo, der bereits erwähnte Kommandeur einer Elite-Militäreinheit in Osttimor, orchestrierte zwar die brutale Verfolgung von Demonstranten in Jakarta, verhinderte jedoch Suhartos Rücktritt nicht. Einer Strafverfolgung wegen Menschenrechtsvergehen entzog sich Prabowo durch Flucht nach Jordanien. Nach seiner Rückkehr nahm er zuletzt 2019 erfolglos an Präsidentschaftswahlen teil, in denen er mit Parolen von Donald Trump auftrat und sich mit Vertretern extremistischer Islamgruppen verbündete.

In den Jahren der »Reformasi« ab 1998, dem Versuch einer Demokratisierung und kulturellen Befreiung von der Suharto-Diktatur, lebte Indonesiens kulturelle und religiöse Vielfalt auf. Ein Anti-Korruptionsgericht zeigte anfänglich Erfolge, Menschenrechtsorganisationen hatten Zulauf. Umweltfragen wie der Steinkohletagebau auf Borneo und der Verlust des Regenwalds für Europas Palmölimporte wurden öffentlich diskutiert. Die Nationalregierung verlor viele Machtbefugnisse an die Provinzen und Bezirke, allerdings bei gleichzeitig nicht klar geregelter Rechtslage. Dies erleichterte Willkür bei Behörden und der Justiz.

Der vorsitzende Richter des Verfassungsgerichts zum Beispiel wurde 2013 wegen Bestechlichkeit in Wahlkampfverfahren verhaftet.

Im Zuge der Demokratisierung ließen sich zwar Teile der Polizei, jedoch nicht das Militär reformieren. So misslangen zum Beispiel Versuche, die »Kommunisten «-Verfolgungen von 1965, die systematischen Grausamkeiten gegenüber Chines:innen oder die Massaker an Zivilist: innen im Osttimorkrieg strafrechtlich aufzuarbeiten. Die Kinder der abgesetzten Eliten aus der Zeit der Diktatur konnten sich in Politik und Wirtschaft neu formieren, um vom rasanten Aufschwung zu profitieren und zweifelhafte Lizenzen für Waldrodungen, Bergbau und Plantagen zu erlangen.

So verbleibt ein Großteil des neuen Wohlstands bei den Reichen. Obwohl die reichsten Indonesier kaum Steuern zahlen, leistet sich der Staat die Verlegung der Hauptstadt Jakarta in den Regenwald der Insel Borneo, nahe der alten Hafenstadt Balikpapan. Dort soll bis 2034 die neue Hauptstadt Nusantara entstehen, eine informelle Bezeichnung für das Archipel Indonesien (nusa=Insel, antara=dazwischen). Daran verdienen nicht nur Politiker mit ihren Bau- und Transportfirmen, sondern auch Exporteure von Kohle und Palmöl aus dem Hinterland von Borneo, denn Indonesien ist weltgrößter Lieferant beider Rohstoffe. Seit dem Krieg in der Ukraine sind Börsenwerte indonesischer Kohle auf Rekordwerte gestiegen.

Jakarta kann sich als Hauptstadt nicht mehr lange halten, denn die Elf- Millionen-Metropole versinkt langsam im Meer; zwischen 20 und 40 Prozent der Stadtfläche soll bereits unter dem Meeresspiegel liegen. Alljährliche Überschwemmungen sind hier genauso legendär wie endlose Autostaus im Berufsverkehr. Smog und Trinkwasserknappheit kommen hinzu.

Indonesiens Rolle auf der Weltbühne hat das Potenzial für ein zumindest wirtschaftliches Schwergewicht. Als größte Volkswirtschaft Südostasiens und Mitglied der G20-Staaten ist das Inselreich auch dank wachsender Rohstoffexporte vom Entwicklungs- zum Schwellenland aufgestiegen. Abzuwarten bleibt, ob es zu einem nachhaltigeren Umgang mit den verlockenden Bodenschätzen kommt und es einen politischen Willen zu einer Klimapolitik gibt, welche bereit ist, die Abhängigkeit des wachsenden Wohlstands von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.

FOTO: HENRY SCHüRMANN
Jakarta ist mit elf Millionen Einwohnern die größte Stadt Südostasiens und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Indonesiens. In Jakarta leben Menschen malaiischer, arabischer, indischer, niederländischer und chinesischer Abstammung.
FOTO: HENRY SCHüRMANN
Smog liegt über der Hauptstadt Jakarta. Es ist nicht das einzige Umweltproblem der Stadt. 40 Prozent der Metropole liegen unterhalb des Meeresspiegels und werden häufig überschwemmt. Präsident Joko Widodo hat angekündigt, dass die Hauptstadt nach Borneo verlegt werden soll und zukünftig »Nusantara« heißen wird.
FOTO: HENRY SCHüRMANN
Im Hafen von Jakarta wird Zement verladen. Indonesien gilt als Schwellenland, es hat die 16. größte Volkswirtschaft der Welt. Während sich die wirtschaftliche Situation für viele aus der Mittel- und Oberschicht verbessert hat, lebt ein Viertel aller Indonesier:innen weiterhin unterhalb der Armutsgrenze.

Indonesien auf einen Blick

Hauptstadt: Jakarta
Fläche: 1.904.569 km2
Einwohner: 275 Millionen, das ist die viertgrößte Bevölkerung weltweit
Ethnische Gruppen: Javaner (40 %), Sudanesen (15 %), Malaien (3,7 %) und viele weitere Ethnien
Amtssprache: Indonesisch
Religionen: Muslime (87 %), Protestanten (7 %), Katholiken (3 %), Hindus (1,7 %) und andere
Regierungsform: Präsidialrepublik
Lebenserwartung: 73 Jahre
Durchschnittsalter: 31 Jahre
Human Development Index (2020): 107 von 189
Wirtschaft: Export von Holz, Kohle, Flüssigerdgas, Palmöl; Bergbau, Landwirtschaft, Textilindustrie, Tourismus

Quellen: Henry Schürmann

GRAFIK: AGENTUR wws
Karte Indonesien

Literaturhinweise:

  • Kristina Großmann u. a. (Hrsg.), Handbuch Indonesien, Angermünde 2015.
  • Watch Indonesia! (Hrsg.), Themenheft Demokratie in Indonesien und Timor-Leste 2021, downloadbar unter https://www.watchindonesia.de    .
  • Usman Hamid, Religionsfreiheit: Indonesien, hrsg. von missio e. V., Aachen 2021.
  • Christina Schott, Indonesien: Ein Länderportrait, Berlin 2015.