Interview von Marita Wagner
Die Benediktinerin Schwester Philippa Rath hat in dem Buch »Weil Gott es so will«. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin authentische Lebenszeugnisse von 150 Frauen veröffentlicht. Es sind berührende Geschichten, die deutlich machen: Es gibt innerhalb der katholischen Kirche eine große Verschwendung von Begabungen und Charismen, wenn die Hälfte des Gottesvolkes von Weiheämtern ausgeschlossen ist. Das Buch ist ein Plädoyer für die Überwindung von Klerikalismus und Machtmissbrauch, ein Appell zu einem Neudenken von Kirche und einer Änderung des Amtsverständnisses.
Was hat Sie dazu motiviert, die Erfahrungen so vieler verschiedener Frauen zu sammeln und zu veröffentlichen? Gab es ein bestimmtes Ereignis, welches hierzu den Anstoß gegeben hat?
Schwester Philippa Rath: Drei Motive waren für mich ausschlaggebend: Zum einen wollte ich den bisher ungehörten Frauen und ihren Berufungsgeschichten endlich eine Stimme geben und damit die Möglichkeit, sich offen und frei zu ihrer Berufung zur Priesterin oder Diakonin zu bekennen. Bisher Unsagbares wollte ich endlich sagbar machen, was für viele dann auch wie eine Erlösung war. Viele der Autorinnen schrieben mir seinerzeit: »Ich bin in der Kirche noch nie wirklich nach meiner Berufung gefragt worden.« Zum anderen wollte ich mit den Lebenszeugnissen dieses Buches eine heilsame Erschütterung auslösen, die Amtsträger in unserer Kirche zum Nachdenken und – so Gott will – am Ende auch zu einer Bewusstseins- und Haltungsänderung bringt. Wenn überhaupt etwas aufbrechen kann in dieser Frage, dann, so meine ich, vor allem durch persönliche Geschichten. Die ungeheure Resonanz auf das Buch hat dann auch gezeigt, dass das offenbar gelungen ist. Zum dritten habe ich bei der Arbeit im Rahmen des Frauenforums im Synodalen Weg bemerkt, dass uns etwas sehr Wichtiges fehlt: Es gibt zwar sehr gute und überzeugende theologische Ausarbeitungen und Argumente zum Thema der Zulassung von Frauen zu den Weiheämtern der Kirche, aber die persönliche Ebene, der Blick auf biographisch-individuelle Berufungsgeschichten, stand bisher zu wenig im Fokus.
Der unmittelbare Auslöser für das erste Buch war dann aber ein eher banaler: Bei einem Pausenkaffee mit zwei Bischöfen während der ersten Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt vertraten diese die Meinung, dass es echte Priesterberufungen bei Frauen doch eigentlich gar nicht gäbe. Um den »Gegenbeweis « anzutreten, bat ich kurz darauf zwölf mir bekannte Frauen um ein persönliches Lebens- und Berufungszeugnis, in der Hoffnung, dass vielleicht drei bis vier Erfahrungen zurückkämen, die ich dann zur nächsten Synodalversammlung mitnehmen könnte. Innerhalb von fünf Wochen erreichten mich dann aber 150 Berufungsgeschichten. Meine E-Mail hatte Kreise gezogen und war vielfach weitergeleitet worden. So wurde daraus dann am Ende das Buch »Weil Gott es so will«. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin. Wenn Sie so wollen, also ein Buch wider Willen. Oder man könnte auch sagen: ein Buch, das dem Wehen des Geistes zu verdanken ist.
Marita Wagner
Philippa Rath
ist seit 33 Jahren Benediktinerin der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen. Sie studierte Theologie, Politikwissenschaften und Geschichte und war vor ihrem Klostereintritt Redakteurin. Sie ist Vorstand der Klosterstiftung, Delegierte im Reformprozess Synodaler Weg und dort Mitglied im Synodalforum »Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche«.
Haben die Priester und Bischöfe, die vorher daran gezweifelt haben, dass es überhaupt ausreichend Priesterinnen-Berufungen unter Frauen gibt, auf Ihr Buch in irgendeiner Form reagiert?
Ja, es erreichten mich nach Erscheinen des Buches viele Briefe, E-Mails und Anrufe. Darunter waren auch Reaktionen von Bischöfen und Priestern, die zutiefst erschüttert waren von den Leidensgeschichten der Frauen, deren Berufungen nicht ernst genommen und nie geprüft wurden. Viele der Kirchenmänner wollten sich mit den Frauen solidarisieren, denn sie wurden sich zunehmend ihrer Privilegien als Männer in der Kirche bewusst und können sich so nun zu wichtigen Verbündeten der Frauen entwickeln. Und ja, es gibt tatsächlich immer mehr Männer der Kirche, auch Amtsträger, die nicht länger »Gefangene« zugeschriebener Privilegien sein, sondern veraltete patriarchale Rollenbilder ändern wollen. Mehr Geschlechtergerechtigkeit bedeutet für sie dann auch die persönliche Befreiung von einem überhöhten Amtsverständnis, von Klerikalismus und Männerbünden. Vielen wird auch zunehmend bewusst, dass die Kirche sich selbst ungeheuer schadet, wenn sie Frauen weiterhin ihrer Gleich-Würdigkeit beraubt und so viel an Charismen und Begabungen verloren geht. Wieder andere möchten Frauen predigen hören, nicht, weil diese es besser können, sondern weil sie anders predigen und eine andere Perspektive einbringen. Sie möchten, dass Frauen die Sakramente spenden und Gemeinden leiten und vieles mehr. Durch die Lektüre solcher Resonanzen auf das erste Buch reifte dann in mir der Gedanke, einen zweiten, aus meiner Sicht ebenso wichtigen komplementären Band zu machen. Dieser ist vor einigen Wochen unter dem Titel Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich erschienen.
Mit welchen Emotionen haben Sie die Erfahrungsberichte und Zeugnisse der Frauen, die Ihnen auf Ihren Aufruf hin zugeschickt wurden, gelesen?
Ich muss gestehen, ich war zutiefst erschüttert und bewegt. Nicht selten liefen mir vor dem Computer die Tränen herunter. Es sind ja Leidensgeschichten, die da aufgeschrieben wurden. Eine Berufung nicht leben zu können, immer das Gefühl zu haben, am eigentlichen Leben vorbei zu leben, der eigenen Sehnsucht nicht folgen zu können, verlacht und ausgegrenzt zu werden, nur, weil »man« das falsche Geschlecht hat und nicht sein kann, was nicht sein darf, das ist eine tiefe Verwundung und immer neue Verletzung. Es ist ein Wunder, dass die meisten dieser Frauen überhaupt noch dabeigeblieben sind, ja, dass ein großer Teil von ihnen nach wie vor haupt- und ehrenamtlich in der Kirche engagiert ist und ungebrochen auf Veränderung und Reformen hofft. Ein ungeheures Hoffnungspotenzial wird da sichtbar, ein tiefer Glaube – und eine große innere Kraft.
Hätten Sie sich selbst vorstellen können, Priesterin zu werden? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Nein, ich habe in mir nie eine Berufung zur Diakonin oder Priesterin wahrgenommen. Für mich war immer klar, dass ich eine Ordensberufung habe und meinen Glauben in einer benediktinischen Gemeinschaft leben will. Ich musste mich nur auf die Suche nach dem für mich richtigen Ort machen und habe ihn in der Abtei St. Hildegard gefunden. Im Gegensatz zu vielen anderen konnte und kann ich meine Berufung ungehindert leben. Dafür bin ich Gott dankbar. Gerade deshalb aber setze ichmich auch mit aller Kraft und Leidenschaft für diejenigen ein, die daran gehindert werden, ihrer Berufung folgen zu können. Es geht hier ja um nichts weniger als um die Verwirklichung der Menschenrechte in der Kirche, um Geschlechtergerechtigkeit ganz im Sinne von Gal 3,28, wo es heißt: »Ihr seid jetzt nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Männer und Frauen, sondern ihr alle seid eins in Christus Jesus.«
Würde sich, wenn Frauen Priesterinnen werden dürften, automatisch auch das Priesterbild ändern? In welche Richtung sollte sich das Priesterbild ändern?
Ja, ich bin mir sicher, dass das Priesterbild sich sehr schnell ändern würde, wenn Frauen Zugang zu allen Ämtern der Kirche erhielten. Das einseitige männlichklerikale und hierarchisch-überhöhte Priesterbild würde nach und nach überwunden werden und sich wandeln zu einem geschwisterlich gelebten, eher diakonischen Amtsverständnis. Zusammen mit vielen Frauen und Männern wünsche ich mir Hirten und Hirtinnen, die gemeinsam ausgebildet und ausgesandt werden, die mit den Menschen unterwegs sind, die zusammen mit allen Getauften und Gefirmten Ausschau halten nach den besonderen Charismen in den Gemeinden vor Ort und diese fruchtbar werden lassen für den Aufbau des Reiches Gottes. Dazu würde unter anderem gehören, dass es Beauftragungen für die Spendung einzelner Sakramente durch Laien – Männer und Frauen – gibt, dass Lai:innen selbstverständlich predigen und Gemeinden leiten, dass Entscheidungen gemeinsam gefällt und umgesetzt werden. Zu all dem braucht es Frauen und Männer, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, die offen sind für die Zeichen der Zeit und die Sorgen und Nöte, Freuden und Sehnsüchte der Menschen und die wieder neu begeistern können für das Wort Gottes und die befreiende und erlösende Botschaft des Evangeliums.
Heft 5/2022