Frauen gestalten Kirche

Erzählen ist Widerstand!

150 Lebenszeugnisse mit großer Sprengkraft

von Clemens Carl

Die 150 Frauen, die im Buch »… weil Gott es so will« von ihrer Berufung zur Diakonin oder Priesterin berichten, sind mutig. Sie machen öffentlich, was lange Zeit versteckt und nicht wahrgenommen wurde. Ihre Lebenszeugnisse sind berührend, machen wütend, schüren Hoffnung. Jedes einzelne ist ein Plädoyer für die Verwirklichung der Menschenrechte in der katholischen Kirche.

Autor

Clemens Carl

arbeitet als Lektor für Theologie im Verlag Herder. Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er die Buchprojekte »… weil Gott es so will«. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin und Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich betreut, ebenso wie zuvor das von Doris Reisinger verfasste Werk Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche.

Es ist der 25. Januar 2021 – eine Woche vor Erscheinen des Buches »…weil Gott es so will«. Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin: An diesem Abend treffen sich die Autorinnen des Bandes erstmals zu einem großen Zoom-Meeting – Corona macht’s möglich. Schwester Philippa hatte mich eingeladen dazuzukommen. Als einziger Mann fühle ich mich in diesem geschützten Raum wie ein Eindringling. Für die 150 Frauen aus vier Generationen und dem gesamten deutschen Sprachraum ist es ein ganz besonderer Moment. Mehrfach kommt zur Sprache, was dieser Schritt in die Öffentlichkeit für viele der Frauen bedeutet: nämlich, dass sie mit dem Zeugnis ihrer Berufung das für sie Kostbarste, das, was sie im Kern ihrer Identität betrifft und nicht loslässt, offenbaren. Sie nehmen dafür das Risiko in Kauf, neue Verletzungen zu erleiden, eventuell sogar dienstrechtliche Konsequenzen. Doch sie wollen sich nicht länger verstecken, sondern sich als die zeigen, die sie sind. Viele sind an diesem Abend schlicht überwältigt von der Erfahrung, nicht alleine mit ihrer Berufung zur Diakonin oder Priesterin in der katholischen Kirche zu sein, sondern Teil einer so großen Gruppe von Frauen. Es sind bewegende Minuten! Ich kann nur meinen Dank für ihren Mut und meine Solidarität mit ihrem Anliegen zum Ausdruck bringen.

Das Echo der darauffolgenden Tage und Wochen ist enorm. Mit Macht wird eine Realität in der katholischen Kirche sichtbar, die vorher jahrzehntelang erfolgreich tabuisiert und marginalisiert worden war. Die sieben Frauen, die sich 2002 auf einem Donauschiff zu katholischen Priesterinnen weihen ließen, und Jacqueline Straub, die mit ihrem kämpferisch vorgetragenen Wunsch, katholische Priesterin zu werden, in den letzten Jahren medial sehr präsent war: lange schienen sie Einzelfälle zu sein, isoliert, randständig… Nun wird deutlich, dass dem mitnichten so ist!

Als Schwester Philippa mir im Sommer 2020 das Manuskript erstmals zuschickt, zögere ich. 150 Lebens- und Berufungszeugnisse! Können wir das so veröffentlichen? Sprengt das nicht jeden Rahmen? Mit Schwester Philippa bin ich davon überzeugt: wir müssen. 150 – das kann man nicht einfach wegwischen. 150 – das ist zugleich ein Schutz. 150 – dafür spricht nicht zuletzt schon die Geschichte, wie es zu dieser Textsammlung kam! Schwester Philippa hat sie immer wieder in unnachahmlicher Weise erzählt (vgl. Seite 13).

Nach der ersten Lektüre der Texte ist für mich klar: Die Texte haben das Potenzial, etwas zu verändern. Theologisch liegen die Argumente für und gegen die Priesterweihe von Frauen seit langem auf dem Tisch. Diese persönlichen Zeugnisse bringen jedoch eine ganz neue Ebene mit ein. Und sie haben eine ungeheure Sprengkraft! Die alltäglichen Diskriminierungen, plump, engstirnig, teils grob spirituell missbräuchlich; Frauen, die seit Jahrzehnten mitten in dieser Kirche engagiert sind, hoch gebildet, sozialkompetent, tragende Säulen kirchlicher Präsenz bei den Menschen; so viele Charismen, Begabungen, die schlicht ignoriert oder aktiv beschnitten werden; die damit verbundenen Leidensgeschichten, das krank machende Nicht-leben- Können der eigenen Berufung… Die Fakten sprechen für sich. Wer sich davon nicht bewegen lässt, dem kann man nicht helfen. Der Autorität dieser Frauen, die so viele Verletzungen erlebt haben – man muss ihr einfach Gehör schenken!

Mit Burkhard Hose, der zusammen mit Schwester Philippa das Antwortbuch Frauen ins Amt! Männer der Kirche solidarisieren sich herausgegeben hat, bin ich der Meinung, dass es bei der Frage des Nicht-/Ausschlusses der Frauen von den Weiheämtern letztlich um eine Frage der Verwirklichung der universellen Menschenrechte in der katholischen Kirche geht (Diskriminierungsverbot[1]). In diesem Sinn verstehe ich auch den Titel »…weil Gott es so will«. Dabei handelt es sich um ein abgekürztes Zitat aus dem anonym verfassten Text Nr. 7 im Buch: Dort geht es darum, die eigene »Berufung als Frau in dieser Kirche zu finden und zu leben, und zwar auf Augenhöhe mit den Männern dieser Kirche, weil Gott es so will«. Es geht also um Geschlechtergerechtigkeit. Wenn mir auch große Zurückhaltung hinsichtlich der Behauptung von Gottes Willen angebracht scheint,[2] die Achtung der »Sakralität der Person« (Hans Joas[3]) und damit der Menschenrechte entspricht nach meiner Überzeugung doch unzweifelhaft dem christlich geglaubten Gott. Es gilt endlich kirchenamtlich zu rezipieren, was theologisch in dieser Richtung in den letzten Jahrzehnten vorgedacht wurde. Und letztlich gilt es in diesem Sinn ein neues Kirchenrecht zu schaffen, das freiheitlich-rechtsstaatliche Standards nicht unterbietet.[4]

Nach meiner Einschätzung sind es am ehesten die Stimmen der Opfer von Machtmissbrauch in der Kirche – ihr »Lehramt« –, die dahingehend etwas bewegen können, mehr als jede noch so elaborierte Theologie. Dies haben die Erfahrungen insbesondere der letzten drei Jahre, seit Veröffentlichung der großen Missbrauchsstudie (MHG-Studie) auf ermutigende Weise gezeigt. Dieses selbstermächtigende Erzählen als Widerstand gilt es weiter zu pflegen! Es ist ein Zeichen der Hoffnung, dass mithilfe von Voices of Faith nun auch auf weltkirchlicher Ebene solche Erzählräume entstehen. Auch ausgewählte Zeugnisse des Buches »…weil Gott es so will« haben dank dieses Engagements bereits ihren Weg in die Weltkirche gefunden. Sie werden hoffentlich auch andere Frauen dazu ermutigen, sich zusammenzutun und ebenfalls ihr Schweigen zu brechen.

Und die Männer in der Kirche? Die werden sich fragen lassen müssen, ob sie auf diesen Reichtum an Charismen und Begabungen, der hier sichtbar wird, wirklich verzichten können und wollen. Sie, besonders die geweihten Amtsträger, sind aufgefordert, sich in aller Klarheit mit den Frauen zu solidarisieren, auf eigene Macht zu verzichten und – so wie die Dinge nun mal liegen, hängt es an ihnen – die notwendigen Reformen in Lehre und Kirchenrecht zu beschließen.  -

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Schwester Philippa Rath, Benediktinerin der Abtei Sankt Hildegard in Rüdesheim, und Agnes Wuckelt, stellvertretende Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), unterhalten sich in der Synodenaula auf der dritten Synodalversammlung am 4. Februar 2022 in Frankfurt.

Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu Christiane Florin, Weiberaufstand, Vortrag in Freiburg am 10.01.2020: https://www.youtube.com/watch?v=2Vk8kSmg3Z4     (Zugriff: 27.07.2022).
[2] Vgl. Doris Wagner [Reisinger], Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg i. Br. 2019; Klaus Mertes, »Geistlicher Missbrauch. Theologische Anmerkungen«, in: Stimmen der Zeit 144 (2019) 93–102. Diese Zurückhaltung stünde auch dem kirchlichen Lehramt gut an, das allzu gerne den Willen Gottes für sich in Anspruch nimmt, zum Beispiel Johannes Paul II. in Ordinatio sacerdotalis Nr. 4.
[3] Vgl. Hans Joas, Die Sakralität der Person: Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Frankfurt a. M. 2011.
[4] Vgl. dazu Daniel Bogner, Ihr macht uns die Kirche kaputt … doch wir lassen das nicht zu!, Freiburg i. Br. 2019.