Francis D’Sa kommt aus einer Familie, die ursprünglich in Goa lebte und vor über 400 Jahren getauft wurde. Darauf ist er stolz, wie auch über seine Herkunft aus einer Familie der Brahmanen, in der die Gelehrsamkeit Tradition hat. Eine Affinität zur indischen Religiosität und Kultur ist Francis D’Sa nicht in die Wiege gelegt worden. Die meist spanischen Professoren, denen er während seiner Ordensausbildung in Indien begegnete, taten das Ihrige, den Hinduismus zu verteufeln und als überholt hinzustellen. Auch wenn er im Nachhinein bedauert, ohne größere Lebenserfahrung, schon mit 17 Jahren in den Jesuitenorden eingetreten zu sein, dem er jetzt schon über 50 Jahre angehört, so ist er sich doch bewusst, im Orden eine ausgezeichnete Ausbildung genossen zu haben, für die er dankbar ist. Über seinen Werdegang hat Francis D’Sa selbst gesagt: »Mir, einen in der Tat durchschnittlich begabten Menschen, hat die Societas Jesu vieles ermöglicht: Eine Ausbildung in indischer Philosophie (M.A.) und europäischer Philosophie (Lizentiat) beides in Poona, Theologie in Innsbruck und Doktorat in Indologie in Wien.« Heute beherrscht D’Sa mehrere Sprachen, neben den indischen Sprachen Konkani und Marathi sowie dem klassischen Sanskrit kann er sich in Englisch, Latein, Griechisch und Deutsch ausdrücken.
Schon früh in seiner Laufbahn hat D’Sa gewusst, dass er sich auf seine kulturellen und religiösen Wurzeln als Inder besinnen müsse, um als Inder und Christ in seiner eigenen Heimat verwurzelt zu sein. Es ist vielleicht ironisch, dass für Francis D’Sa seine Rückbewegung auf die indische Tradition während seines Aufenthalts im Ausland ausgelöst wurde. Den Plan, ein Forschungszentrum für den interkulturellen und interreligiösen Dialog in Poona zu gründen, hat D’Sa dem damaligen General der Jesuiten Pedro Arrupe noch persönlich vortragen können. Noch heute ist er von dem Enthusiasmus beeindruckt, mit dem Arrupe auf seinen Vorschlag einging, ihm die nötigen Erlaubnisse gab und sich beim zuständigen indischen Provinzial für die Durchführung einsetzte.
Im Laufe seiner Ausbildung und späteren Tätigkeit hat er interkulturelles Denken und kontextuelles Engagement in Indien durch eine internationale Blickrichtung zu verbinden gelernt. Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit in Poona hat D’Sa immer wieder Lehraufträge in Innsbruck und Frankfurt, in Fribourg, Salzburg, Tübingen und Würzburg wahrgenommen und bei einer Vielzahl internationaler Konferenzen mitgearbeitet. Seine Tätigkeit als Gastprofessor für Missionswissenschaft und Dialog der Religionen in Würzburg während der letzten beiden Jahre hat entscheidend dazu beigetragen, dass Anfang 2004 eine Stiftungsprofessur für diese Fächer an der Universität Würzburg eingerichtet werden konnte.
Francis D’Sa ist geprägt von seiner intensiven Beschäftigung mit der hinduistischen Tradition, die er durch seine langjährigen Studien der indischen Philosophie sich zu eigen gemacht hat. Durch seine Arbeit an der Sprachphilosophie des Mimamsa, eine exegetische vedische Schule, die das Thema seiner Doktorarbeit in Wien war, hat er sich früh ein feines Gespür für Sprache, für Geschichten und für die Überlieferung von Texten erworben. Beeindruckt hat den jungen Theologen, dass in der Mimamsa-Schule von einer Offenbarung die Rede ist, die keine Ursache hat und die die Existenz Gottes negiert. Die radikale Kritik an herkömmlichen Gottesvorstellungen in dieser Schule hat ihn aufmerksam werden lassen auf Defizite in der christlichen Gotteslehre, die oft sehr anthropomorphe Vorstellungen von Gott entwickelt hat. Das intensive Studium der Bhagavadgita tat ein Übriges, das unauslotbare und bleibende Geheimnis des Göttlichen als faszinierendes Geheimnis zu erahnen. So hat er Überlegungen zur Hermeneutik der theologischen Sprache angestellt und über die Beziehung zwischen Wirklichkeit, Sprache, Geschichte und Glauben nachgedacht.
In einem Beitrag zur pluralistischen Theologie der Religionen hat er einen fiktiven Dialog zwischen dem Apostel Paulus, dem Missionar Franz Xaver und dem, wie er sich selbst beschreibt, »christlich-hinduistischen D’Sa« beschrieben, womit er auf die doppelte Loyalität anspielt, der er sich verpflichtet fühlt, das christliche und hinduistische Element seiner Identität in einem ständigen Dialog zu halten. Das Stichwort Dialog durchzieht viele seiner Veröffentlichungen. Francis D’Sa ist kein Freund einer Theologie, die in erster Linie auf Dogmen setzt. Auch Riten sind ihm suspekt. Im Dialog unter Mitgliedern verschiedener Religionen sollte es daher in erster Linie um den »Austausch heiliger Geschichten« gehen, die erzählt und mitgeteilt werden müssen, damit der jeweils andere sie »hören« kann. Das Vorstellen und die Diskussion um die jeweiligen Lehrinhalte und Doktrinen sollte dahinter zurücktreten. Im Dialog geht es ihm, so ein anderer Titel eines seiner Aufsätze: »Nicht um den kleinen Christus des populären Christentums, sondern um den universalen Christus«.
Ein weiterer zentraler Topos in seiner Theologie sind die Sakramente, deren Bedeutung er in Studien zur Sakramentenlehre in der christlichen Tradition und bei den anderen Religionen nachgegangen ist. Dabei findet er Sakramentalität nicht nur im Bereich des Heiligen, d. h. der ausdrücklichen Ausübung von religiösen Riten, sondern auch und nicht zuletzt direkt »in der Welt«, wenn er von der »Sakramentalität der Welt« spricht.
Einer Reflexion auf sein Leben und Wirken, die er kürzlich für eine Jesuitenzeitschrift veröffentlich hat, hat D’Sa den Titel: »Erfahrungen eines Grenzgängers« gegeben, um zu beschreiben, wie er sein Leben als indischer Jesuit und christlicher Theologe als eine Suchbewegung zwischen der christlichen und hinduistischen Tradition erlebt hat. Francis D’Sa ist aber mehr als ein »Grenzgänger«, er hat Zeit seines Lebens mit großem Engagement die Rolle eines Vermittlers der reichen Vielfalt indischer philosophischer, religiöser und spiritueller Traditionen ausgeübt und mit viel Einfühlungsvermögen und sprachlicher Kompetenz in europäischen Sprachen interkulturelle Kommunikation ermöglicht. So hat D’Sa sich viel mit den Unterschieden des Gottes- und Weltbildes im Christentum und Hinduismus befasst. Im Christentum ist Gott der Partner des Menschen und der Mensch als Ebenbild Gottes die Krone der Schöpfung. Die Menschwerdung des ewigen Logos ist Ausdruck der höchsten Bestimmung desMenschen, in die Gotteskindschaft aufgenommen zu werden. Im Hinduismus dagegen wird der Mensch als Teil der einen kosmischen Wirklichkeit verstanden. Gegenüber dem christlichen Verständnis einer Heilsgeschichte, in der Gott in der Geschichte »sein Volk« zum Heil und Erlösung führt, findet sich der Hindu im Strom der Zusammengehörigkeit der Gesamtheit der kosmischen Geschehnisse wieder. D’Sa ist sich bewusst, dass die Verschiedenheit der Sprachspiele, bedingt durch die Verschiedenheit der Glaubenshorizonte, nicht leicht überwunden werden kann, sondern eines intensiven langfristigen Dialogs bedarf, der mit viel Sensibilität für den anderen geführt werden muss, um sowohl die verborgene Wahrheit wie auch die Schwächen in der jeweils anderen Tradition zu entdecken und zu erfahren.
Einen großen Raum im Leben und Werk von Francis D’Sa nehmen auch Kunst und Literatur ein. So hat er sich bemüht, die »Sakramentalität« der Kunst aufzuzeigen und ihr nachzuspüren. In der Kunst sieht er eine Spiritualität am Werk, die eine non-verbale Kommunikation mit dem Heiligen ermöglicht, die eine eigene Qualität und Gesetzlichkeit hat. Das »Lied des Windes« ist die Überschrift über einen Beitrag über die »kosmische Vision des Jesus von Nazareth«, der anders als die griechischen Väter es getan haben, nicht mit den philosophischen Kategorien »Wesen«, »Natur« und »Person« den »Rabbi von Nazareth « verstehen will, sondern ihn sieht als jemanden, der in Verbindung mit der ganzen Welt eine neue Sicht des Kosmos und der Befindlichkeit des Menschen darin eröffnet hat. Einig ist sich D’Sa mit dem srilankesischen Theologen Aloysius Pieris, dass es im Kontext der Tradition des Hinduismus und Buddhismus auf dem indischen Subkontinent darum geht, die Offenbarung von Gottes Heilswirken in Jesus Christus als »Dharma« darzustellen. Da die literarische Form des »Dharma« anders als die Sprache der klassischen Dogmen in ihrer aus der griechischen Philosophie entlehnten Terminologie stärker die kosmische Qualität des Heilswirkens Gottes an den Menschen und in der Welt zum Ausdruck bringt.
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Ein ganz wichtiger Aspekt im Leben und Wirken von Francis D’Sa ist die Verbindung bzw. die Verankerung seiner akademischen Arbeit im sozialen Einsatz für Menschen, die diskriminiert und ausgegrenzt sind. Stellvertretend für eine Reihe von Projekten, die D’Sa angestoßen hat, soll hier das Projekt »MAHER« genannt werden, das im Unterhalt eines Dorfes für die Heilung, Rehabilitation und Ausbildung von geschlagenen Frauen und ihren Kindern besteht, sowie das Ishwari Institut für Kunsthandwerk und Frauenbildung. Allen Projekten gemeinsam ist, dass sie auf der Zusammenarbeit von Angehörigen verschiedener Religionen, meist Christen und Hindus, beruhen. Entgegen dem im Westen verbreiteten Vorurteil, dass es im Hinduismus sozialen Einsatz und soziale Verantwortung so gut wie nicht gibt, hat D’Sa gezeigt, dass der Begriff des »Lokasangraha« eine zentrale hinduistische Einsicht in eine Weltordnung beinhaltet, die das Wohl aller Menschen im Auge hat und damit durchaus Raum für sozialen Einsatz für Arme und Entrechtete möglich und notwendig macht. Für Francis D’Sa selber gilt, dass das Leitmotiv, das seine vielseitigen Tätigkeiten als Theologe, Lehrer, geistlicher Führer und Sozialarbeiter zusammenhält, eine trinitarische Vision ist, die sie harmonisch verbindet und zu einer Ganzheit zusammenführt.
GEORG EVERS
Missionswissenschaftler