Geboren wurde Karl Gaspar am 8. Juni 1947 als drittes von acht Kindern in Davao City auf der Insel Mindanao in den Philippinen. An der Ateneo de Davao Universität studierte er Gesellschaftswissenschaften und schloss das Studium 1970 in Manila mit dem Erwerb eines Magisters in Wirtschaftswissenschaften am Asiatischen Sozial-Institut (ASI) in Manila ab. Zwischen 1970–77 unterrichtete er in Digos an einer kirchlichen Hochschule, war Mitglied eines Pastoralteams der Maryknoll- Missionare und engagiert in Gruppen tätig, die sich für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden einsetzten. In den Jahren 1977–80 war Karl Gaspar Generalsekretär der Mindanao-Sulu Pastoralkonferenz, einer Initiative der dortigen Ortskirche, in der Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien gemeinsam neue Wege der Pastoral und der ganzheitlichen Entwicklung diskutierten und entwickelten. Wichtigstes Instrument für eine neue Form lebendigen Christseins in Antwort auf die Zeichen der Zeit war der Aufbau von christlichen Basisgemeinden. Die traditionelle Pastoral in den riesigen Pfarreien des Landes hatte keine Antwort auf die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der damaligen Zeit. Die Basisgemeinden, als Zusammenschlüsse von Christen, die in denselben Barrios (Dörfern oder Stadtteilen) lebten, waren der Basis nahe, kannten die Probleme vor Ort und konnten neben den liturgischen und rituellen Angeboten der Kirche Handlungsvorlagen geben, die auf ganz konkrete Situationen bezogen waren. In diesen Basisgemeinden wurde in Reaktion auf die massiven Repressionen der Militärdiktatur vonMarcos auch die Frage diskutiert, inwieweit passiverWiderstand ausreiche oder ob unter den gegebenen Umständen weitgehender Rechtslosigkeit durch das seit 1972 verhängte Kriegsrecht nicht auch gewaltsamer Widerstand angezeigt sei. Es war die Zeit, in der einige Priester und Ordensleute in den aktiven bewaffneten Widerstand gingen. Während der Militärdiktatur von Marcos waren die Basisgemeinden die Zellen, in denen sich der Widerstand organisieren konnte. Wer nicht auf der Seite der Armen in diesem Kampf gestanden hat, kann die Theologie des Kampfes nicht verstehen und wird in ihr die Infiltration marxistischen Gedankenguts in die Kirche sehen, durch die die Theologen ihrer eigentlichen Aufgabe, das Glaubensgut zu schützen und zu erklären, entfremdet und zu politischen Aktivisten gemacht wurden. Solche Vorwürfe kamen nicht nur vom politischen Gegner sondern auch aus Reihen der Kirchenleitung, die sich gegen jede »Einmischung in die Politik« seitens kirchlicher Gruppen wandten. Manchen Bischöfen ging die Befürwortung radikaler gesellschaftlicher und kirchlicher Veränderungen in den Basisgemeinden zu weit, so dass es 1982 zu einer Spaltung kam, indem Vertreter radikaler Aktionsgruppen die Zusammenarbeit mit der Mindanao-Sulu-Pastoralkonferenz aufkündigten und sich zur Mindanao Interreligiösen Volkskonferenz (MIPC) zusammenschlossen. Karl Gaspar fand eine neue Tätigkeit im Nationalen Sekretariat für Soziales Handeln (NASSA) der philippinischen Bischofskonferenz, wo er für Ausbildungsprojekte zuständig war. Internationale Kontakte ergaben sich aus der Zusammenarbeit mit der »Ökumenischen Vereinigung der Theologen der Dritten Welt« (EATWOT), der er sich anschloss und an deren internationalen Treffen in Sri Lanka (1979) und in Genf (1983) er teilnahm und sich mit eigenen Beiträgen einbrachte.
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Die Theologie des Kampfes
Karl Gaspar ist ein herausragender Vertreter der Befreiungstheologie in den Philippinen, die als »Theologie des Kampfes« (theology of struggle) bekannt geworden ist. Die »Theologie des Kampfes« entstand in Antwort auf die wachsende Armut, die Zunahme der Auslandsverschuldung und die eskalierende Militarisierung unter dem Präsidenten Fernando Marcos im Kampf gegen die ungerechte strukturelle Unterdrückung und im Einsatz für eine gerechtere und menschlichere Welt. In diesem Kampf suchten die unterdrückten Bauern, die Angehörigen der Stammesbevölkerung und die Tausende Armen in den Städten nach Quellen, aus denen sie Kraft schöpfen konnten und entdeckten einen Gott, der in Jesus Christus sich auf die Seite der Armen gestellt und sie befreit hatte. Die christlichen Basisgemeinden in Mindanao und überall in den Philippinen wurden zu Zentren, in denen für Menschenrechte gekämpft, gesellschaftliche Programme organisiert, Friedensprogramme und neue Formen der Vernetzung entwickelt wurden. In den Basisgemeinden entstanden durch die Initiative der Laien im Rückgriff auf traditionelle Elemente philippinischer Volksfrömmigkeit und Spiritualität neue liturgische Formen, die Riten und Gebete in einer bisher nicht gekannten Weise mit den Problemen des Alltags und des Kampfes für eine menschliche Welt verbanden. Die Theologie des Kampfes distanzierte sich von den in der philippinischen Volksfrömmigkeit tief verankerten Bildern des »Santo Nino« (das Jesus als schutzbedürftiges Kind zeigt) oder des seine Leiden passiv annehmenden »Schwarzen Nazareners«, indem sie Jesus als den Befreier der Armen zeigt, der durch politische Machenschaften am Kreuz zwar stirbt, aber in seiner Auferstehung als Sieger sich erweist. Der Einsatz für Menschenrechte und der Widerstand gegen das Marcos-Regime hatten ihren Preis. Viele Leiter von Basisgemeinden und Theologen, die sich auf die Seite der Armen geschlagen haben, haben während der Militärdiktatur Verfolgung, Verhaftung und Martyrium erlitten, wodurch ihr Einsatz die Qualität authentischen christlichen Zeugnisses in der Nachfolge des Gekreuzigten erhielt. Anders als die Theologie der Befreiung Lateinamerikas, die über einen ganzen Corpus von Büchern verfügt, gibt es über die Theologie des Kampfes wenig schriftliches Material.
Das »Theater der kleinen Leute«
Im Kampf gegen das Militärregime von Marcos hat Karl Gaspar das »Volkstheater« (people’s theatre) als Kampfmittel gegen die Diktatur einzusetzen gelernt, indem in Rollenspielen die Auswüchse der Diktatur und ihre Gewalt dargestellt und Protest und Widerstand gegen sie artikuliert wurde. Theater, Lieder, Gedichte und Symbole haben als Instrument für die Mobilisierung des einfachen Volkes und Ausdrucksform des politischen Protestes sich bewährt. Karl Gaspar hat unter dem Mädchennamen seiner Mutter als Melchior M. Morante in den Jahren 1970–1990 eine Reihe von Theaterstücken geschrieben und eine Theatergruppe »Theater der kleinen Leute« (Mga Magdadulung Mayukmok) in Davao del Sur gegründet. In diesen Theaterstücken ging es um die Darstellung und das Anprangern der Probleme, unter denen die Philippinen damals litten, nämlich Korruption innerhalb der Regierung, Verbrechen, Prostitution, Kämpfe unter kriminellen Gruppen und Gewalt. Mit Ironie, Witz und scharfer Analyse werden die Missstände beim Namen genannt und die Zuschauer zur Aktion zur Besserung der Verhältnisse aufgefordert. Andere Stücke folgten dem liturgischen Kalender und machten die politischen Implikationen dieser Feste für die Ortskirche der Philippinen unter Kriegsrecht deutlich.
Verhaftet und gedemütigt
Aus seiner Arbeit in einer nationalen Organisation für Entwicklungsfragen wurde Karl Gaspar im März 1983 jäh herausgerissen, als er wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit den Kommunisten und angeblicher Umsturzpläne verhaftet und in einem Gefängnis in Manila 22 Monate festgehalten wurde, bis er im Februar 1985 wegen fehlender Beweise »vorübergehend« entlassen wurde. Über seine Erfahrungen im Gefängnis hat er später ein Buch veröffentlicht, in dem er zurückblickt auf das, was er in dieser schweren Zeit erfahren und gelernt hat. Trotz der Demütigungen seitens des Wachpersonals, denen die Gefangenen ausgesetzt waren, hat Karl Gaspar seine Menschenwürde bewahrt und durch Fasten die Behörden zu Verbesserungen der Haftbedingungen gezwungen. Im Gefängnis hat er sogar für die Gefangenen ein Erziehungsprogramm organisieren können, das unter anderem auch Theaterspielen von politisch motivierten Stücken einschloss, in denen die politische Situation kritisiert und die schlimmen Zustände in den Gefängnissen gezeigt wurden. War Karl Gaspar schon vor seiner Verhaftung national und international für seinen Einsatz für die Menschenrechte bekannt gewesen, wurde er durch seine bewegenden Briefe und Berichte aus dem Gefängnis noch bekannter – und für das Regime von Fernando Marcos ein noch ernster zu nehmender Gegner.
Ein Leben mit der Stammesbevölkerung
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis trat Karl Gaspar 1985 als Laienbruder in den Redemptoristenorden ein. Nach Noviziat und Gelübdeablegung wurde er 1987 Mitglied in einem Missionsteam seines Ordens, das in Mindanao im Stammesgebiet der Lumad arbeitete. Drei Jahrzehnte hat Karl Gaspar unter der Stammesbevölkerung gelebt und viel von ihrer Kultur, Naturverbundenheit, Ehrfurcht vor der Schöpfung, ihren Symbolen und ihrer Spiritualität gelernt. Neben der Begegnung mit der Religion der Stammesbevölkerung begann er, sich auch auf dem Gebiet des Dialogs mit den in diesen Gebieten recht stark vertretenen muslimischen Gemeinschaften zu engagieren. Die vorrangigen Probleme im Bergland von Mindanao waren dagegen ökologischer Art. Die gewaltfreie »Rosenkranzrevolution « im Februar 1986, die das Ende des Marcos-Regimes bedeutete und die darauf folgende Präsidentschaft von Corazon Aquino erfüllten die hohen Erwartungen in eine grundlegende Änderung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Philippinen nicht. Vor allem in Mindanao gingen die Ausbeutung der Bodenschätze, das Abholzen des Regenwaldes und die Ausbreitung der Monokulturen der großen Konzerne, allem voran des US-Früchteimperiums Del Monte, ungehemmt weiter. Karl Gaspar hat in dem Kampf der Basisgemeinden für die Erhaltung der Schöpfung und die Bewahrung der Wälder eine führende Rolle gespielt und den Kampf der Stammesbevölkerung und einfachen Bauern gegen die Holzfäller in San Fernando in Mindanao geteilt. Dabei setzte er sich für die Bewahrung der Vielfalt lokaler Kulturen und Traditionen angesichts der Kräfte zur Vereinheitlichung durch die Globalisierung ein. Karl Gaspar ist überzeugt, dass der Widerstand und der Kampf für Gerechtigkeit, Menschenrechte und ganzheitliche menschliche Entwicklung und Erhalt der Schöpfung gegen die Globalisierung auf der lokalen Ebene, das heißt in den Dörfern der Stammesbevölkerung in Mindanao, beginnen müssen. Hinzu kommen muss die Entwicklung neuer Kosmologien beziehungsweise das Verständnis für die Komplexität der Schöpfung und die Vielfalt von Kulturen. Der intensive Kontakt mit den Gegebenheiten und der Situation der Stammesbevölkerung in den Bergen von Mindanao und die dabei gewonnenen Einsichten waren das Material seiner Doktorarbeit, mit der er 2000 auf dem Gebiet philippinischer Landeskunde promoviert wurde. Karl Gaspar war wegen seines radikalen Einsatzes für Menschenrechte und Bewahrung der Schöpfung oft umstritten. Inzwischen wird sein Lebenswerk aber zunehmend positiv gesehen und gewertet. So hat die Ateneo de Davao Universität der Jesuiten 2008 in Anerkennung seines 30-jährigen Einsatzes »für Gerechtigkeit, Frieden und Erhalt der Schöpfung, besonders für die Stammesbevölkerung in Mindanao« ihm den Erzbischof Clovis Thibault Preis verliehen. Auch wenn Karl Gaspar regelmäßig als theologischer Lehrer für seinen Orden und andere Gruppen tätig ist, versteht er sich weniger als Theologe, sondern als Künstler, Dichter und Aktivist, der aus der Verbundenheit mit dem Leben an der Basis die Anregungen für seine Arbeit nimmt. Im Rückblick auf die prägenden Elemente in seinem Leben nennt er selber an erster Stelle das Leben mit der einheimischen Bevölkerung in den Bergen, das ihn glücklich und erfüllt sein lässt. Er stimmt dem Psalmisten zu, dass »das Heil von den Bergen kommt«.
GEORG EVERS
Missionswissenschaftler