Anthony Rogers

Seit Jahren gehört Anthony Rogers, Mitglied der Kongregation der De La Salle Schulbrüder (FSC), zu den herausragenden Vertretern der katholischen Soziallehre in Asien, der wegen seines Einsatzes für soziale Gerechtigkeit, Solidarität und interreligiöse Zusammenarbeit auf diesem Sektor weithin bekannt und anerkannt ist. Geboren wurde Anthony Rogers am 5. März 1949 in Pulau Pinang in Malaysia in einer aus Indien stammenden Familie. Nach seiner Schulausbildung trat er 1963 in die Gemeinschaft der De La Salle Schulbrüder ein und durchlief die ordensübliche spirituelle Ausbildung. 1969 legte er die ersten Gelübde ab. 1971–1974 studierte er an der Universität von Malaya Anglistik und Wirtschaftswissenschaften und erhielt ein Diplom in Pädagogik. Nach ersten Einsätzen als Lehrer an Schulen seiner Ordensgemeinschaft setzte er 1979 –1981 seine Studien in Manila am Asiatischen Sozialinstitut und der De La Salle Universität fort, die er mit einem Magistergrad in Pastoralsoziologie abschloss. In den 1980er Jahren war Anthony Rogers in verschiedenen nationalen Einrichtungen der Studentenseelsorge, aber dann immer intensiver im sozialen Apostolat in der Arbeit für Migranten und Flüchtlinge, für die Belange der einheimischen Bevölkerungsgruppen, für AIDS-Kranke und deren Angehörige in Malaysia tätig. Im Gefolge der von der malaysischen Regierung propagierten »Neuen Entwicklungspolitik« erlebte Malaysia in diesen Jahren eine rasante wirtschaftliche Entwicklung, die dem Land zwar den Anschluss an die so genannten Tigerstaaten (Südkorea, Hongkong, Taiwan und Singapur) brachte, aber zugleich auch mit erheblichen ökologischen Schäden und anderen sozialen Problemen verbunden war. Die Kritik aus kirchlichen Kreisen an diesen negativen Begleiterscheinungen einer überhitzten Entwicklungspolitik wurde von der Regierung unter dem Ministerpräsidenten Mohamad Mahathir nur als störend empfunden. Die von kirchlicher Seite, hier vor allem vom Nationalen Büro für menschliche Entwicklung in Kuala Lumpur, durchgeführten Schulungen und Seminare auf dem Gebiet der Menschenrechte, des sozialen Apostolats und des Aufbaus gewerkschaftlicher Gruppen wurden von der Regierung misstrauisch beobachtet. Den Aktivisten in der kirchlichen Sozialarbeit, zu denen an führender Stelle auch Anthony Rogers gehörte, wurde unterstellt, dass sie von Kommunisten unterwandert worden seien und marxistische Ideologie propagierten. Die Regierung forderte die Kirche auf, sich auf die Erfüllung ihrer »religiösen Aufgaben« zu konzentrieren und sich nicht in Politik und Menschenrechtsfragen, die sie nichts angingen, »einzumischen«. Im Oktober 1987 ging die Regierung gegen kirchliche, politische und andere Aktivisten vor und ließ, unter Berufung auf die Internal Security Act (ISA), eine noch aus der englischen Kolonialzeit bestehenden Ausnahmeregelung, nach der Personen ohne die sonst üblichen Verfahren der Beweisführung auf unbestimmte Zeit in Haft genommen werden können, 106 Personen in Haft nehmen. Den Verhafteten wurde generell vorgeworfen, einen »marxistischen Anschlag « auf die Regierung geplant zu haben. Zu den Verhafteten gehörte auch Anthony Rogers, der zu diesem Zeitpunkt der stellvertretende Direktor des nationalen Büros für menschliche Entwicklung in Kuala Lum- pur war. Erzbischof Soter Fernandez von Kuala Lumpur hat sich zusammen mit vielen anderen intensiv bei den Behörden für seinen Mitarbeiter eingesetzt. Gemeinsam veröffentlichten die malaiischen Bischöfe einen Hirtenbrief, in dem sie die Internal Security Act als unmoralisch verurteilten und das Recht der Kirche, sich auf dem sozialen Sektor zu engagieren, verteidigten. Dabei beriefen sie sich auf das Zweite Vatikanische Konzil und die pastoralen Grundsätze, welche die katholische Kirche in Malaysia 1976 erarbeitet hatte und in denen der Einsatz für soziale Gerechtigkeit ein wichtiges Element darstellte. Die Unterstützung durch seine Familie, durch die Vertreter der Kirche und vieler engagierter Menschen im In- und Ausland, die durch Tausende von Briefen und Postkarten mit ihm Kontakt hielten und für ihn beteten, haben Anthony Rogers geholfen, diese schwere Zeit physisch und psychisch durchzustehen. Anthony Rogers wurde 10 Monate lang in Haft gehalten, einige Zeit davon in Einzelhaft, ohne dass gegen ihn Anklage erhoben worden wäre. Nach exakt 303 Tagen wurde er unter Auflagen, die seine Aktivitäten in der Öffentlichkeit für weitere 2 Jahre einschränkten, wieder entlassen. Erzbischof Henry D’Souza, der Generalsekretär der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC), begrüßte die Freilassung von Anthony Rogers, der, wie der Bischof ironisch feststellte: »Große Exerzitien auf Kosten der Regierung gemacht habe und für dessen Freilassung viele Christen in Asien gebetet hätten«. In einem Interview mit dem indischen Theologen Felix Wilfred kurz nach der Entlassung hat Anthony Rogers die Zeit im Gefängnis als eine »Reise des Glaubens« bezeichnet, in der er erkannt habe, wie sehr sein soziales und politisches Engagement für soziale Gerechtigkeit eine direkte Antwort auf Jesu Aufforderung sei, ihm auf dem Weg des Kreuzes zu folgen. Dabei äußerte er sich auch zur Problematik des Verhältnisses von sozialer Aktion und Spiritualität: »Ich finde es mehr und mehr als künstlich, Glauben und Leben, das Weltliche und das Religiöse, Befreiung und Spiritualität als voneinander getrennt oder als sich widersprechend anzusehen. … Menschen, die sich ehrlich und ohne Hintergedanken auf dem sozialen Gebiet engagieren, machen die Erfahrung, dass sie durch diesen Einsatz auch auf dem spirituellen Gebiet Fortschritte machen… Ein ganzheitlicher Glaube enthält sowohl tiefe Spiritualität und zugleich ein aktives Engagement in der Gesellschaft. … Nur wenn wir uns auf die wesentlichen Aussagen des Evangeliums und das Beispiel Jesu stützen, können wir unserer prophetischen Rolle gerecht werden.« (Jeevadhara XXI, No. 121, 1991, S. 33 –34.).

Anthony Rogers war und ist in vielen nationalen und internationalen Gremien als Mitglied oder Berater tätig. Bei der Asiensynode in Rom 1998 gehörte er zu den eingeladenen Auditoren, die an den Sitzungen teilnehmen und sich auch mit eigenen Beiträgen einbringen konnten. Nach der Synode hat er ein Arbeitsbuch zum Schlussdokument »Ecclesia in Asia« verfasst, um die Ergebnisse dieser für die asiatischen Kirchen wichtigen Versammlung in die einzelnen Ortskirchen zu tragen.

Von 2002–2005 war Anthony Rogers Mitglied des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden und seit 2004 Konsultor des Päpstlichen Rates der Seelsorge für die Migranten in Rom. Um die internationale Zusammenarbeit auf diesem wichtigen pastoralen Sektor zu verstärken, bemüht sich Anthony Rogers um die Gründung eines asiatischen Zweiges der Internationalen Katholischen Kommission für Migranten (ICMC). Auch bei Caritas Internationalis und anderen internationalen Organisationen für Entwicklungsfragen wie der Asiatischen Partnerschaft für Menschliche Entwicklung hat Anthony Rogers an führender Stellung mitgearbeitet.

Seine Hauptaufgabe war und ist aber die Leitung des Büros für menschliche Entwicklung (OHD) der Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC) in Manila, das er seit 1989 leitet. Es ist wohl nicht falsch, wenn man diese langjährige und immer noch andauernde Tätigkeit in dieser Funktion als sein Lebenswerk bezeichnet. Die Aufgabe des OHD, eines von insgesamt 10 Büros der FABC, ist es, die nationalen Mitgliedskirchen auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit, des Einsatzes für Frieden und für ganzheitliche Entwicklung durch Beratung und Schulungen, durch Information und Hilfen in organisatorischen Fragen zu unterstützen. Die praktische Umsetzung dieser Aufgaben geschieht über das zentrale Büro in Manila und die jeweiligen nationalen Büros. Unter der Leitung von Anthony Rogers hat das OHD durch eine Vielzahl von Publikationen, durch eine eigene Zeitschrift sowie Bücher und andere Materialien entscheidend dazu beigetragen, die fundamentale Option der asiatischen Kirchen, eine »Kirche der Armen« zu werden, durch wertvolle Impulse und durch konkrete Handlungsmodelle in die Tat umzusetzen. Anthony Rogers hat selber eine Reihe von Büchern zur Thematik der Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit geschrieben und war noch häufiger als Herausgeber von Dokumenten der vielen Konferenzen und Konsultationen tätig, die vom OHD auf diesem Gebiet geplant und durchgeführt wurden.

In der Vorbereitung auf das neue Jahrtausend hat das OHD im Jahr 2000 in Pattaya eine Konsultation zum Thema Gerechtigkeit und Frieden im 21. Jahrhundert durchgeführt, deren Ergebnisse von ihm in dem Buch »Der Prophetische Weg zum Neuen Jahrtausend durch das Eintreten für soziale Gerechtigkeit« veröffentlicht wurden. Darin wird von den asiatischen Orts- kirchen gefordert, dass sie angesichts der rasanten gesellschaftlichen, politischen und vor allem wirtschaftlichen Entwicklungen ein neues Paradigma einer Entwicklungsstrategie entwickeln sollen, das befreiend und ganzheitlich ist und auf der vorrangigen Option für die Armen aufbaut. Aus Anlass des 40. Jahrestags der Veröffentlichung der Pastoralkonstitution »Gaudium et Spes« hat Anthony Rogers 2005 ein Arbeitsbuch mit dem Titel »Harmonie durch Versöhnung« und mit dem Untertitel »Auf der Suche nach einer ganzheitlichen und integralen Vision des Lebens im 21. Jahrhundert « veröffentlicht. In diesem Buch stellt er die Bedeutung des Begriffs der Harmonie heraus, wobei er den Aspekt der Versöhnung besonders hervorhebt, die in vielen Fällen die Voraussetzung ist, um eine gestörte Harmonie, vor allem auf den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Sektoren, wiederherzustellen oder erstmals zu schaffen. Zugleich bietet er Vorschläge an, wie auf der Grundlage der Soziallehre der Kirche konkrete Schritte zur Realisierung einer Gesellschaft aussehen könnten und wie versöhnte Harmonie gelebt werden kann.

Aus dem gleichem Anlass, nämlich des 40. Jahrestags der Veröffentlichung von Gaudium et Spes, wurde 2006 eine gesamtasiatische Konsultation in der Reihe der Seminare »Interreligiöse Begegnung in der sozialen Aktion« (FEISA VII) in Pattaya abgehalten, die ebenfalls das Thema »Harmonie durch Versöhnung« behandelte. Diese unter der Abkürzung »FEISA« vom OHD gestartete Seminarreihe wurde vom OHD aus der Erkenntnis heraus begonnen, dass soziale Aktionsprogramme der christlichen Minderheitskirchen in Asien nur dann eine über den kirchlichen Bereich hinausgehende Wirkung haben können, wenn die christlichen Gruppen die Zusammenarbeit mit Vertretern der anderen Religionsgemeinschaften suchen. Nur in interreligiöser Zusammenarbeit lassen sich soziale und gesellschaftliche Veränderungen erreichen. In seiner Einführung der Veröffentlichung der Beiträge dieser Konsultation stellt Anthony Rogers kritisch fest, dass die durch die Globalisierung ausgelösten negativen Entwicklungen den weitverbreiteten Fortschrittsglauben, dass es so etwas wie eine ständige Entwicklung zum Guten in der Welt geben könne, überall, und besonders in Asien, erschüttert haben. Die Annahmen, auf denen die Erwartung einer ständigen Entwicklung zum Besseren basierten, haben sich als trügerisch und falsch erwiesen. Die negativen Phänomene, welche die Globalisierung begleiten, machen deutlich, dass die Mehrzahl der Menschen aus einer ausschließlich materialistischen Sicht leben. Daraus resultiert die Krise der Globalisierung, die Menschen in die Armut und Ausgrenzung treibt. Mit Blick auf die asiatischen Gesellschaften hält Anthony Rogers fest, dass die globalen ökonomischen und technologischen Kräfte die lokalen Kulturen, die Wertvorstellungen und das menschliche Zusammenleben negativ verändert und entmenschlicht haben. Im Rückgriff auf die Vision der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes fordert er eine Rückkehr beziehungsweise Hinwendung zu einer Kultur des Lebens, in der der Einzelne nicht isoliert und zum Schaden seiner Umgebung und Umwelt nur seine eigenen Interessen verfolgt, sondern in Solidarität sich für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Harmonie einsetzt. In Fortsetzung dieser Bemühungen, die kirchliche Soziallehre in der gegenwärtigen, durch die Globalisierung ausgelösten Krise wirksam zu machen, fand im Jahr 2007 in Bangkok eine vom OHD organisierte Konferenz statt, bei der es um die Rezeption des Kompendiums der kirchlichen Soziallehre ging. Die Ergebnisse dieser Konferenz hat Anthony Rogers zusammengefasst und in dem Buch »Der Asiatische Weg zu einer Zivilisation der Liebe« veröffentlicht.

Anthony Rogers ist ein herausragender und durch das Zeugnis seines Lebens und Wirkens glaubwürdiger und authentischer Vertreter der kirchlichen Soziallehre in Asien. Durch seine eigene Lebenserfahrung und in Kenntnis der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in den verschiedenen Ländern Asiens ist er auf der einen Seite ein charismatischer Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, aber zugleich auch ein Realist, der die Möglichkeiten kirchlicher Aktivität auf dem sozialen Gebiet nüchtern einschätzt, wie sein Statement auf der Asiensynode in Rom 1998 deutlich macht: »Die Kirche kann in einem Meer von Not und Elend keine Inseln des Überflusses schaffen.«

GEORG EVERS
Missionswissenschaftler