Russlands Krieg gegen die Ukraine führt zu einer Spaltung der russisch-orthodoxen Kirche. Ihr ukrainischer Zweig beschloss in Kiew seine völlige Unabhängigkeit vom Moskauer Patriarchat. Kommt es tatsächlich zum Bruch, verliert die russisch-orthodoxe Kirche etwa ein Drittel ihrer Pfarreien und Geistlichen. Nach einem Landeskonzil, an dem Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien teilnahmen, erklärte die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats: »Wir teilen nicht die Position des Patriarchen von Moskau und ganz Russland Kyrill zum Krieg in der Ukraine.« Das Konzil habe Änderungen des Kirchenstatuts angenommen, »die die volle Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche bescheinigen «. Weitere Einzelheiten zu der Loslösung vom Moskauer Patriarchat wurden zunächst nicht bekannt. Für »autokephal «, also völlig losgelöst von Moskau, erklärte sich die ukrainische Kirche bisher nicht. Für eine erfolgreiche Ablösung bräuchte sie die Zustimmung Moskaus oder ein Entgegenkommen anderer orthodoxer Kirchen, sagte die Theologin und Osteuropaexpertin Regina Elsner. Für Russlands Kirche wäre der Verlust ihres ukrainischen Zweigs mit Millionen Gläubigen und Geistlichen ein schwerer Schlag. Im Gegensatz zu Kyrill I. verurteilte das ukrainische Landeskonzil Russlands Angriffskrieg als Verstoß gegen das Gebot »Du sollst nicht töten!« Die Versammlung sprach allen Menschen, die unter dem Krieg litten, ihr Beileid aus. Die Regierungen der Ukraine und Russlands sollten den Verhandlungsprozess fortsetzen und das Blutvergießen beenden. Regina Elsner nannte den Konzilsbeschluss »beeindruckend«. »Die ukrainische Orthodoxie befreit sich damit von der toxischen Wirkung Moskaus, auch wenn der Weg bis zum Religionsfrieden in der Ukraine erst anfängt«, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Unterstützung des Moskauer Patriarchen Kyrill I. für Russlands Einmarsch in der Ukraine sorgt auch im ukrainischen Zweig seiner Kirche seit Monaten für Empörung. In der ukrainischen Kirche forderten immer mehr eine Trennung vom Moskauer Patriarchat. In 21 der 53 Diözesen stellten die örtlichen Bischöfe ihren Pfarreien frei, Kyrill I. in der Liturgie nicht mehr zu gedenken, was als schwere Sanktion gilt. Mehr als 400 Priester forderten ein »internationales Kirchentribunal« gegen Kyrill, weil er den Krieg gegen die Ukraine gesegnet habe. Schon bis dato wählte die Moskau unterstehende ukrainische Kirche ihr Oberhaupt und ihre Bischöfe selbst. Ihre bisherige Autonomie umfasste auch die Finanzen. Rund 60 Prozent der etwa 41 Millionen Ukrainer:innen bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der Ende 2018 gegründeten eigenständigen (autokephalen) Orthodoxen Kirche der Ukraine. Die moskautreue Kirche zählt in der Ukraine mit rund 12.000 Pfarreien zwar deutlich mehr als jede andere Konfession. Aber in Umfragen bekannten sich die meisten Bürger:innen zur neuen, unabhängigen orthodoxen Kirche. Zu ihr sollen in den vergangenen drei Monaten etwa 400 ehemalige Gemeinden des Moskauer Patriarchats gewechselt sein. Nach eigenen Angaben zählt sie nun etwa 7.600 Pfarreien. Als Gefolgsmann Putins hat sich Kyrill I. bei den meisten ukrainischen Laien und Geistlichen seiner Kirche vollends diskreditiert. Dennoch bemüht er sich nun um sie. »Wir haben volles Verständnis dafür, wie die ukrainisch- orthodoxe Kirche heute leidet«, sagte der Patriarch in einem Gottesdienst. Er verstehe, dass Onufri (der Kiewer Metropolit, Anm. d. Red.) so weise wie möglich handeln müsse, um »das Leben der Gläubigen nicht zu erschweren«. Den russischen Einmarsch verurteilt Kyrill I. aber weiter mit keinem Wort. Stattdessen warnte er vor »bösen Geistern«, die versuchten, »die orthodoxen Völker Russlands und der Ukraine zu spalten«.
Ausgabe 5/2022