Innerhalb von nur drei Tagen haben zwei katholische Geistliche in Lateinamerika Geschichte geschrieben: Zuerst überbrachte in Kolumbiens Hauptstadt Bogota Jesuitenpater Francisco de Roux (78) als Vorsitzender der Wahrheitskommission zur Aufarbeitung des bewaffneten Konflikts seinen Landsleuten die dramatischen Zahlen des Bürgerkrieges. Dann leistete in Ecuadors Hauptstadt Quito Weihbischof David de la Torre als Generalsekretär der Ecuadorianischen Bischofskonferenz seinen Teil als Vermittler, um einen teils blutigen, fast drei Wochen langen Streik und Streit zwischen der Regierung des konservativen Präsidenten Guillermo Lasso und dem Indigenen- Verband Conaie zu beenden. »Die Parteien erklären sich damit einverstanden, einen Tisch des Dialogs mit einzurichten «, sagte de la Torre. In Arbeitsgruppen sollen nun Lösungen für die zehn Forderungen der Indigenen gefunden werden. Die Regierung erklärte sich laut einem Bericht der Zeitung »El Universo « zu einer weiteren Benzinpreissenkung bereit, der Indigenen-Verband erklärte daraufhin, den seit über zwei Wochen anhaltenden Streik beenden zu wollen. Beide Seiten hatten sich zuvor auf eine Vermittlung der Kirche verständigt. Die Bischöfe hatten friedliche Proteste als legitim bezeichnet und mehr Anstrengungen für die Verwundbarsten und Armen gefordert.
Sowohl de Roux in Kolumbien als auch de la Torre in Ecuador bestimmten nicht nur in ihren Heimatländern die Abendnachrichten. Sie zeigen, dass der Einfluss, die Glaubwürdigkeit, aber auch das Vertrauen in die Kirche in Lateinamerika deutlich höher scheint als in Europa. Die Kirche wird zwischen dem Rio Bravo und Feuerland immer noch als Konfliktlöser wahrgenommen, als eine Institution, die in schwierigsten gesellschaftlichen Fragen zu Rate gezogen wird. In Kolumbien und Ecuador ist die Arbeit damit noch nicht beendet. Der Indigenen-Verband in Ecuador forderte neben einer Reaktion auf die hohen Spritpreise auch eine Zahlungspause für Bankkredite von Kleinbauern, eine Preiskontrolle für Agrarprodukte, mehr Arbeitsplätze, die Aussetzung von Bergbaukonzessionen in indigenen Gebieten und mehr Investitionen für Gesundheit, Bildung und Sicherheit. Die ecuadorianische Kirche wird nun genau hinsehen, ob die Versprechen der Regierung auch eingelöst werden. Und in Kolumbien wird der Kirche ziemlich sicher auch eine entscheidende Rolle zukommen, den nächsten Schritt im Friedensprozess zu begleiten. Der Erzbischof der Unruhehochburg Cali, Dario Monsalve, hat bereits seine Bereitschaft erklärt, als Vermittler bei möglichen Friedensgesprächen zwischen der ELN-Guerilla und der künftigen Regierung des linksgerichteten Präsidenten Gustavo Petro zu fungieren.
Ausgabe 6/2022