Nordostindien

Mission heißt Brücken bauen

Menschen für den Glauben gewinnen

von Thomas Menamparampil

Aus dem Englischen übersetzt von Robert Bryce

Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gab es im Nordosten Indiens gerade einmal 2.000 Katholiken. Heute sind es rund zwei Millionen in 15 Diözesen. Das wirft die Frage auf, warum das Evangelium gerade dort auf so fruchtbaren Boden fiel. Einer der Gründe dürfte sein, dass es sich um die Stammesgebiete indigener Völker wie der Khasi, Garo, Naga, Mizo und Nyishi handelte, die noch keine der Weltreligionen angenommen hatten.

Autor

Thomas Menamparampil SDB
Von 1992 bis 2012 Erzbischof von Guwahati, von 2011 bis 2016 Apostolischer Administrator der Diözese Jowai, jahrelanger Koordinator des Joint Ecumenical Peace Team

Eine Kirche der indigenen Völker

Bereits in der frühchristlichen Geschichte breitete sich die Kirche in Kleinasien und Nordafrika schnell aus, später dann in Nordeuropa und Russland und um einiges später in Lateinamerika, Afrika und Asien. In den asiatischen Ländern, in denen die Christen die Minderheit bildeten, fand die Glaubensverkündigung dabei vor allem unter den indigenen Völkern statt. Durch ihr Christ-Sein fanden sie auch eine Möglichkeit, ihre kulturelle Identität zu verstärken. Das spricht auch solche Gemeinschaften an, die ihre traditionellen Wurzeln zum Teil verloren haben, weil sie von einer der Weltreligionen beeinflusst wurden – wie zum Beispiel in Indien vom Hinduismus, in Indonesien vom Islam, in China und Vietnam vom Buddhismus und/oder Konfuzianismus. Sie wollen unbedingt die eigene kulturelle Identität bewahren und zeigen sich deshalb für die Botschaft des Evangeliums aufgeschlossen. In Nordostindien zählen Volksgruppen wie die Bodo, Rabha, Tiwa,Mishing, Deb Barma, Riang, Tripuri und andere zu dieser Kategorie.

Unter den Adivasi (dem Stammesvolk von Mittel- und Nordindien) in Jharkhand und den benachbarten Gebieten der Munda, Oraon, Kharia und Santal haben viele das Christentum angenommen. Die Adivasi wanderten in andere Teile Indiens und so auch in den Nordosten aus. Die nicht christianisierten Gemeinschaften unter den Adivasi geraten heute stärker als je zuvor unter den Einfluss hinduistischer Gruppen. Auch in Nepal und Bhutan gibt es Stammesgemeinschaften, die hinduisiert wurden, heute aber nach anderen Optionen suchen.

Darüber hinaus gibt es Menschen, die zwar zu einer Volksgruppe gehören und ihre grundsätzlichen Haltungen und Werte noch nicht ganz aufgegeben haben, aber keine bewusste Verbindung zu ihrer Vergangenheit mehr pflegen. Zu ihnen zählen viele Menschen in Asien: zum Beispiel in Korea, Vietnam, China und Teilen von Indien. Sie sind offen gegenüber Werten aller Art und streben nach dem, »was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist« (Phil 4,8). Meines Erachtens entspricht dieses Denken in seiner ursprünglichen Einfachheit der Haltung vieler indigenen Völker. Menschen mit dieser Mentalität sind nach meiner Erfahrung offen für die Evangeliumsbotschaft.

Weiterhin gibt es im Osten (und vielleicht auch im Westen) viele »halbsäkularisierte« Gesellschaften. Sie haben noch nicht gänzlich die Grundwerte ihrer religiösen Tradition beziehungsweise ihres Glaubens aufgegeben und würden nur zu gern nach den Zielen streben, die ihre »abgelegte« Religion oder Tradition ihnen vorgibt. Jedoch »die Sorgen dieser Welt und der trügerische Reichtum ersticken es und es bleibt ohne Frucht« (Mt 13,22). Dessen ungeachtet sind auch sie möglicherweise offen für das Evangelium, wenn es ihnen so präsentiert wird, dass es in ihrem Kontext Relevanz erhält.

Der Missionar als Brückenbauer

Um die Begegnung eines Missionars mit einer neuen Kultur genauer zu beschreiben, hilft es, die oben zitierte Stelle aus dem Philipperbrief heranzuziehen: Es gilt nach dem zu streben, »was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, liebenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist« (Phil 4,8). Ein Missionar muss offen für das sein, »was immer wahrhaft« (im philosophischen Verständnis dieser Kultur), »edel« (in ihrer sozialen Ethik), »gerecht« (in ihren sozialen/strukturellen Beziehungen), »lauter« (in ihrer sittlichen Ordnung), »liebenswert« (in ihrer schöpferischen Kunst), »ansprechend « (in ihrem Verständnis von gesellschaftlicher Kultiviertheit), von »Tugend« (in ihren religiösen Erfahrungen/spirituellen Traditionen) und »lobenswert « (in ihren materiellen Errungenschaften) ist. Das ist der erste Schritt in Richtung Inkulturation und Weitergabe des Glaubens.

So wie Gabriel einem Mädchen namens Maria in Nazareth die Frohbotschaft bringt (Mat 1,26 –38), wie Natanaël plötzlich den entdeckt, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben hatten  (Joh 1,45 –51), so wie es der Samariterin am Brunnen und den Dorfbewohnern (Joh 4,19–42), dem römischen Hauptmann am Fuße des Kreuzes (Mk 15,39) und dem Kämmerer aus Äthiopien auf dem Heimweg von Jerusalem erging und wie es in der kurzen Erklärung von Philippus (Apg 8,30–39) heißt, so wird es bei jedem erneut geschehen, der in unseren Tagen von ganzem Herzen sucht (Jer 29,13, Mt 7,7). Was Gott fordert, ist »Lauterkeit und Wahrheit«, und im Geheimnis des Herzens wird er jeden, der aufrichtig sucht, Weisheit lehren (Ps 51,6). In einem solchen intensiven Moment der persönlichen Suche wird Jesus sein Antlitz offenbaren.
Für die frühen Missionare war die Sache einfacher: Sie passten sich unter Entbehrungen und Schwierigkeiten den Menschen und deren Kultur an. Ihre Worte hatten Überzeugungskraft bei den Dorfbewohnern. Menschen aus den abgelegensten Orten wie Raliang (Mawkyndeng) in Meghalaya ließen sich zum christlichen Glauben bekehren. Häufige Besuche bei den Gemeinden und intensive Beziehungen zu den Menschen bewirkten viel.

Priester und Schwestern reisten von Dorf zu Dorf, blieben bei den Menschen, besuchten sie zu Hause und erzogen die Gemeinde in deren Glauben. Eine Reihe von Jugendlichen schickten sie in Internate und ließen ihnen während ihres Studiums eine strukturiertere Ausbildung in christlichen Lehren und Traditionen angedeihen. Katechisten vertieften den Glauben der Menschen im Kontext ihres eigenen Zuhauses. Sie zogen in neue Dörfer, sprachen neue Familien und Gemeinschaften an, vermittelten das Evangelium im persönlichen Austausch und luden die Menschen ein, die Botschaft anzunehmen. Und viele nahmen diese Einladung an. Die Gemeinden wuchsen wie in der Apostelgeschichte.

Schon früh gab es Vereinigungen für Jugendliche, Mütter, Eltern und andere Gruppen. Jeden Monat fanden Treffen und Schulungen für Katechisten, Exerzitien und andere Animationsveranstaltungen für die Laien sowie die gesamte Gemeinde statt. Das jährliche Gemeindefest war mehr als nur eine Feier; es war eine dreitägige Reflexion über die christliche Lehre. Der Ehevorbereitungskurs dauerte mindestens zehn Tage. Während des gesamten Winters (Trockenzeit) gab es in den Pfarrgemeinden ständig Animationsprogramme. Sie motivierten Einzelne und ganze Gemeinden. Kein Wunder also, dass die Kirche sichtbar, konstant und nachhaltig wuchs. Ständig wurden neue Kontakte geknüpft und gepflegt. Und all dies war vom Segen Gottes begleitet.

Foto: Annika Reisch
Eine Tanzgruppe in der traditionellen assamesischen Tracht. Die assamesische Sprache konnte nur dank der Arbeit der ersten Baptistenmissionare bewahrt werden. Sie gaben die Bibel, Bücher und Zeitschriften in der assamesischen Sprache heraus und verhinderten so, dass sie in die Bedeutungslosigkeit gedrängt wurde.

Evangelisierung durch Bildung

In den frühen Tagen unserer Missionsgeschichte gab es außer in Guwahati und Shillong und später auch in Dibrugarh und Tezpur nur sehr wenige Einrichtungen. Nahezu von Beginn an bot jedoch jedes Gemeindezentrum eine Ausbildung an – unterstützt von bescheidenen Jungen- und Mädcheninternaten. Es dauerte seine Zeit bis die Grundschulen um Mittel- und Oberschulen ergänzt wurden. Heute gibt es an fast jedem Gemeindezentrum eine Oberschule. Das sichert der Pfarrgemeinde die Zukunft, weil die Jugendlichen die Grundschule absolvieren und dann zum Teil auf höhere Schulen wechseln. Die Einkünfte der Schule sorgen auch für einen gewissen finanziellen Spielraum bei der Unterstützung der pastoralen und karitativen Initiativen der Gemeinde.

Selbstkritisch müssen wir jedoch eingestehen, dass der organisatorische und administrative Aufwand für die Unterhaltung einer Schule das Gemeindepersonal von seinen pastoralen Aufgaben abhalten kann. Zudem besteht die Gefahr, dass die Einkünfte, die sich mit einer Bildungseinrichtung erzielen lassen, die Behörden verleiten, sie für andere Zwecke als die bloße Bildung zu missbrauchen. Trotz dieser Hemmnisse haben wir eine beeindruckend große Laienschaft ausgebildet, die Führungskräfte in allen Bereichen hervorgebracht hat, darunter Politiker und viele Verwaltungsfachleute. Neben den Pfarrgemeinden eröffneten auch religiöse Orden höhere Schulen. An verschiedenen Orten entstanden Hochschulen, und inzwischen gibt es in der Region auch zwei katholische Universitäten (Guwahati und Kohima). Die katholischen Bildungseinrichtungen dienten immer auch der Verbreitung des Evangeliums: Sie sollten den Glauben der christlichen Jugend vertiefen und zudem anderen die Werte des Evangeliums näherbringen.

Die Friedensarbeit der Kirche

Ein weiterer Kontext, in dem sich die christliche Botschaft konkret manifestiert, ist die Friedensarbeit der Kirche. Diese Arbeit ist zwar in allen gesellschaftlichen Kontexten ein Muss, besonders galt das jedoch im Jahr 1996 während des Bodo-Adivasi-Konflikts. Mehr als 250.000 Menschen hatten damals Zuflucht in provisorischen Lagern gesucht und benötigten umfassende humanitäre Hilfe. Diese leisteten wir in Zusammenarbeit mit den anderen christlichen Kirchen. Was als Kooperation in der humanitären Hilfe begann, entwickelte sich unter dem Namen Joint Peace Mission Team of Northeast India (JPMT) zu einer ökumenischen Zusammenarbeit in der Friedensarbeit.
In der öffentlichen Wahrnehmung erwarb sich diese Kooperation allmählich einen guten Ruf und man wurde so zur Vermittlung bei weiteren Konflikten zwischen Stämmen hinzugezogen: Bodo – Adivasi (1996), Kuki – Paite (1998), Dimasa – Hmar (2003) und Karbi – Kuki (2003), Dimasa – Karbi (2004), Karbi – Rengma Naga, Bodo –Muslime in Udalguri (2010), Rabha – Garo (2011), Naga – Adivasi (2014) und Bodo – Adivasi (2015).

Vor allem weil die Protestanten die Erfolge dieser Kooperation würdigten, rückte sie in den Fokus internationaler Agenturen wie der Berliner Berghof Foundation, die sie in ihre weltweit praktizierten rund 50 Modelle der Friedensarbeit aufnahm. Nach einer Reihe gewaltsamer ethnischer Auseinandersetzungen in den 1990ern und den ersten zehn Jahren des neuen Jahrtausends in verschiedenen Teilen der Nordostregion herrscht gegenwärtig eine Zeit des relativ stabilen Friedens zwischen den Volksgruppen. Das ist zum Teil auch der Erfolg der Friedensarbeit des JPMT. Darüber hinaus läuft in unseren Einrichtungen die Friedenserziehung weiter – über verschiedene Organisationen, unsere sozialen Aktionsgruppen und speziell geplante Programme zur Friedenserziehung.

Kirche in der Öffentlichkeit

Generell berichten die säkularen Medien der Region nur sehr wenig über die christlichen Kirchen, auch zu Ostern oder Weihnachten. In den landessprachlichen Publikationen haben wir uns bisher auf innerkirchliche Angelegenheiten beschränkt: die Übersetzung der Bibel, der liturgischen Texte und der Katechismusreihe. Lediglich in der Khasi-Sprache gibt es etwas weitergehende Bemühungen. Es gibt jedoch theologische Abhandlungen, die sich insbesondere um folgende Themen drehen: Evangelisierung, Inkulturation, Stammeskultur, indigene Gemeinschaften und ihre Traditionen, Stammesethos, Stammeswerte, Stammesspiritualität und damit in Zusammenhang stehende anthropologische Überlegungen. Insgesamt sind die aus dem Nordosten stammenden Schriften zur Evangelisierung stärker erfahrungsgestützt und praktisch als akademisch und eher lebensbezogen als philosophisch-theologischer Art. Auf nationaler Ebene haben sie in den theologischen Kreisen dennoch ihre Spuren hinterlassen.

All diese Aktivitäten haben zweifellos ihre Wirkung auf die Gesellschaft als Ganzes. Die Kirche in der gesamten Region wird von der Mehrheitsbevölkerung als positive Kraft wahrgenommen. Wenn wir genauer hinschauen, stellen wir jedoch fest, dass die katholische Kirche lediglich in Meghalaya und in gewissem Maß noch in den übrigen vorwiegend bergigen Bundesstaaten eine große Anhängerschaft aufzuweisen hat. In Assam und Tripura spielen wir keine Rolle. In Manipur liegen wir prozentual weit hinter den Hindus und anderen christlichen Kirchen; in Mizoram ist unser Anteil sogar noch niedriger. In Arunachal Pradesh könnte unser Anteil steigen. In Assam werden wir auch bei wachsenden Anhängerzahlen nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung von 35 Millionen bleiben. Trotzdem ist unser Einfluss in der Zivilgesellschaft größer als es unsere zahlenmäßige Stärke vermuten lässt. Die Öffentlichkeit weiß, dass christliche Führungskräfte gut ausgebildet sind, dass Katholiken hoch motiviert sind, dass die christliche Jugend um sozialen Aufstieg bemüht ist, dass die Christen die Gesellschaft immens bereichern und dass sie bei allem, was sie in Angriff nehmen, auch gute Ergebnisse erzielen. Aus diesem Grund genießt die christliche Gemeinschaft Respekt.

Salz der Erde sein

Was wir hier in der Gemeinsprache als »öffentlichen Einfluss« bezeichnet haben, ließe sich in der Sprache der Bibel umschreiben mit »Salz der Erde« und »Licht der Welt« (Mt 5,13–16) oder »Sauerteig in der Gesellschaft sein«.Wir müssen jedoch zugeben, dass es das eine ist, dem Gemeinwohl zu dienen, und etwas völlig anderes, dieses Wirken als gelebtes Zeugnis zu vermitteln. Angesichts der Zunahme unserer Aktivitäten kann ein Außenstehender schnell den Eindruck gewinnen, dass wir uns unberührt von den Ängsten und Sorgen der übrigen Gesellschaft ein eigenes »nach innen gerichtetes Reich« erschaffen. Es bedarf jedoch im Gegenteil einer kulturellen und gesellschaftlichen Integration in das Gesamtumfeld – sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Das bedeutet den häufigen Austausch mit den Menschen im direkten Umfeld, unabhängig von ihrer Überzeugung (Angehörige anderer Religionen, Agnostiker, Anhänger verschiedener Weltanschauungen). Es setzt voraus, dass der Missionar die örtliche Kultur versteht (nicht nur durch angelesenes Wissen, sondern aus dem eigenen Erleben heraus) und mit Stolz und Freude Teil der Gemeinschaft ist. Für jeden Missionar muss es eine Freude sein, sich mit anderen zusammenzutun, um bei allem, was das Gemeinwohl betrifft (Gesundheits- und Wasserversorgung, Straßen, Hochwasserhilfe, Feste, friedliche Koexistenz), Motivation und Unterstützung zu leisten. Das wird häufig als »Dialog des Lebens« bezeichnet.

Im Dialog bleiben

Ein Dialog anderer Art ist ebenfalls wichtig: das ständige Suchen des Gesprächs mit den Intellektuellen in der Gesellschaft: mit denen, die Denkanstöße geben, Meinungen prägen, Werte und Ziele definieren, Ideale vorgeben, Visionen entwickeln, gesellschaftliche Dynamik erzeugen und die Seele inspirieren. Zu den Intellektuellen zähle ich Denker, Dichter, Schriftsteller, Journalisten, Komponisten, Künstler, Redner, Impulsgeber usw. Wenn die Ziele der Missonare hehr bleiben, verdienen sie sich den Respekt der Elite; wenn sie wirklich »menschlich« bleiben, können sie sich der begeisterten Unterstützung der Massen sicher sein. Ich wünschte, das würde uns in beiden Bereichen gelingen.

Nur wenn Missionare von derartiger Unerschütterlichkeit getragen sind, erarbeiten sie sich in einer Gesellschaft eine gewisse moralische Autorität. Auch wenn die Mehrheit vielleicht nicht zur christlichen Glaubensgemeinschaft gehört, orientiert sie sich an hehren Idealen und moralischen Normen, an denen sie sich selbst misst. Wenn sich diese edlen Ideale den Werten des Evangeliums nähern, kommen wir als Missionare den uns gesteckten Zielen näher. In solchen Momenten stellen wir unter Umständen fest, dass sich das Reich Gottes »buchstäblich« mitten unter uns befindet (Lk 17,21). Vor dem jetzigen Hintergrund des Dienstes an der breiteren Gesellschaft in einem multireligiösen und säkularen Umfeld ist dies ein realistisches Ziel, das wir in der gegenwärtigen Phase anstreben können.

Für die Zukunft gilt es, weiter Brücken zu bauen und in einen fruchtbringenden Austausch mit denen zu kommen, die das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft prägen. Um es mit den Worten aus dem 2. Korintherbrief auszudrücken: Es heißt, »alles Denken gefangen zu nehmen, sodass es Christus gehorcht« (2 Kor 10,5). Das Denken wird zur »Brücke«: das Gedankengut (Werte, Einstellungen, Vorlieben, Prioritäten, moralische Maßstäbe), das in der Kultur einer Gesellschaft verwurzelt ist und Relevanz für die Auseinandersetzung mit den täglichen Problemen der Menschen hat, wird zum Ansatzpunkt des Dialogs.

Mission ist also ein erstaunlich komplexes Unterfangen: zuhören, bereichern, korrigieren, ergänzen, gemeinsam denken: Lasst Christen auch miteinander reden, lasst Gläubige einander zuhören, lasst Menschen mit verschiedensten Sichtweisen voneinander lernen. Wir Christen sind der Überzeugung, dass Geschichte nicht ausschließlich auf Schlachtfeldern entschieden wird, sondern in Hörsälen, Denkertreffs, Studiengruppen, Workshops, Unterrichtsräumen, Bibliotheken, Labors, Ateliers, Heiligenkapellen und Klöstern… in Ausbildungszentren für Katechisten und bei den Dorfbesuchen von Missionaren! Aus diesem Grund sind wir an all diesen Orten mit vielfältigen Ansätzen präsent.

Mission im Nordosten heute

Die Kirche in Nordostindien, die für so manchen auf nationaler Ebene als unbedeutender Winkel Indiens gilt, erfreut sich mittlerweile großer Anerkennung. Zudem steigt im Nordosten die Zahl der Berufungen, während sie in den traditionell berufungsreichen Gegenden sinkt. Bei kleiner werdenden Familien in den älteren katholischen Hochburgen Indiens scheint der Nordosten für eine wachsende Zahl von Kongregationen zu einem verheißungsvollen Ort zu werden, was die Berufungen angeht. Noch ermutigender ist der Umstand, dass diese junge Kirche Missionare in alle Ecken der Welt entsandt hat: von der Mongolei über Mexiko, Mosambik, Myanmar, Manila, London, Rom, Sudan, Ho-Chi-Minh-Stadt, Ungarn, Polen, Tunesien und Äthiopien bis Madagaskar. In Indien selbst werden die Missionare aus dem Nordosten mit Sicherheit einen größeren Anteil ausmachen.

Was werden die Berge und Täler des Nordostens der Welt schenken? Ihre missionarische Dynamik im Geiste der Freude? Zum jetzigen Zeitpunkt ist das schwer zu beurteilen. Eines ist jedoch klar: Das Ausmaß des Beitrags, den der Nordosten leistet, wird von der Qualität des Miteinanders und kollektiven Denkens abhängen, das die Kirche in der Region kultivieren und stärken wird – neben der traditionellen Freude und Begeisterung. Möge dies eine großartige Erfahrung sein!

Ausblick

Die meisten Christen in der Region haben den Glauben in den zurückliegenden Generationen angenommen. Daher bleibt noch viel Arbeit, um ihr Verständnis und die Akzeptanz der christlichen Lehren zu vertiefen. Diese Menschen zu einer tieferen Aneignung ihres Glaubens zu führen, wird auch weiterhin eine wichtige Aufgabe sein. Das Geschenk des Evangeliums muss aber auch nach wie vor den Menschen angeboten werden, die noch nichts von der Frohbotschaft vernommen haben. Zudem ist es in der heutigen Zeit wichtig, nicht den Kontakt zu den Menschen aus unserer Region zu verlieren, die es als Studenten oder Arbeiter in andere Gegenden Indiens zieht.
Meine Botschaft an die Missionare, die von außerhalb der Region kamen, bestand in erster Linie immer darin, sich an die Menschen, die Kulturen und die Geisteshaltungen ihrer Gesellschaft anzupassen. Jetzt, da immer mehr Geistliche und Ordensleute aus der Region selbst stammen, gilt es auch, den Blick über das unmittelbare Umfeld hinauszurichten. Die örtlichen Geistlichen und Ordensmitglieder müssen Anteil nehmen an den wichtigen Fragen der Zivilgesellschaft über den eigenen Kontext hinaus: im Blick auf benachbarte Gruppen und Gemeinden, andere Bundesstaaten, andere Landesteile Indiens und die Welt. Das Wort »katholisch« muss in seiner vollen Bedeutung mit Leben erfüllt werden.

Abschließend ein letzter Gedanke: Wir Christen in Indien durchleben gerade schwierige Zeiten. Noch schwerere Zeiten stehen uns möglicherweise bevor, wenn die Hindu-Rechte über das Schicksal der Nation bestimmt. Unabhängig von möglichen Wahlsiegen wird uns der Hindu-Nationalismus als kulturelle Kraft mit Sicherheit begleiten. Auch wenn die Menschen im Nordosten nach unseren Beobachtungen nicht besonders empfänglich für diese extreme Ideologie sind, werden sie sich ihrem Einfluss nicht gänzlich entziehen können.

Statt uns zu große Sorgen zu machen oder das Problem nur in Form öffentlicher Proteste anzusprechen, müssen wir lernen, in den Dialog mit den moderaten Kräften unter den Hindu-Rechten zu treten, damit diese sich gegen die extremsten Auswüchse ihrer Gruppe stemmen. Mit dieser Ideologie leben zu lernen, wird uns nur gelingen, wenn wir intelligente, kooperative und gelegentlich kritische Nachbarn sind. Wenn das Christentum in Indien 2.000 Jahre überdauert hat, dann deshalb, weil unsere Gesellschaft sich tolerant gezeigt hat. Ich beschließe diese Ausführungen voller Optimismus und Vertrauen, dass die geschilderten Schwierigkeiten auch als Chance zu sehen sind. Wenn wir im Fadenkreuz unserer Feinde stehen, dann schenken sie unseren Worten und Taten Aufmerksamkeit. Mag in ihnen eine Botschaft stecken, die bewirkt, dass die von ihnen so gefürchtete »Konversion« auch zu einer Option wird – zumindest in dem Sinne, dass ihnen eine neue Sicht der Wahrheit vermittelt wird.

Foto: Hartmut Schwarzbach
Abgeschieden in den Ausläufern des Himalayas liegt die Diözese Itanagar im Bundesstaat Arunachal Pradesh. Nach einem gemeinsamen Gebet in einem traditionellen Nyshi-Haus segnet der Priester die Gläubigen. Die Evangelisierung begann in der Region erst um 1970 und hat Frieden, Bildung und wirtschaftlichen Fortschritt mit sich gebracht.

Touring Sisters

Ordensfrauen wandern oft tagelang von Dorf zu Dorf, denn Straßen gibt es in den Bergen Nordostindiens nur wenige. Sie bezeichnen ihre Einsätze als »Touring«. Vor Ort machen sie Hausbesuche, beten mit den Menschen und leisten medizinische Hilfe.

Schwester Agnes hat die Blutegel, die an ihrer Wade hochklettern, gerade noch rechtzeitig entdeckt. Mit einem Ast versucht sie, die nur zwei Zentimeter langen Würmer abzustreifen. Vergebens. Erst ein Mädchen, das die Ordensfrau begleitet, löst die hartnäckigen Blutsauger vom Bein. Agnes Haokip ist Franziskanerin. Die ausgebildete Krankenschwester besucht mehrmals im Jahr Dörfer in Arunachal Pradesh. Die Region gehört zu den unwegsamsten in ganz Indien.

Von den Blutegeln befreit, nimmt die Schwester den rutschigen Weg hinauf in Angriff. Im Nebel oben liegt eine kleine Kirche. Davor hat sich im Nieselregen die Gemeinde versammelt. Die Gläubigen gehören zur Volksgruppe der Nyishi. Einige Männer tragen die traditionelle Kopfbedeckung: Helme mit dem Schnabel des Nashornvogels. Es ist ein besonderer Tag im Dorf Yangte: Die Gemeinde feiert eine Taufe. Später suchen Frauen mit ihren Kindern medizinischen Rat bei Schwester Agnes. Die Ordensfrau hilft, wo sie kann. Der nächste Arzt ist weit entfernt. Oft kann sie schon mit einfachen Mitteln ein Leben retten. Immer wieder laden Familien die Schwester zu sich nach Hause ein. »Die Menschen sind gastfreundlich und sehr herzlich. Wir beten und singen mit ihnen«, erzählt Schwester Agnes. »Viele wollen mehr über den Glauben erfahren. « Die »Touring Sister« bricht zum nächsten Dorf auf, wo schon Familien auf ihren Hausbesuch warten. Sie geht schnell. So hofft sie, den Blutegeln auf dem Pfad hinab zu entkommen.

Bettina Tiburzy

Redakteurin in der Pressestelle von missio Aachen - www.missio-hilft.de/weltmissionssonntag    

 

 

Foto: Hartmut Schwarzbach
Schwester Agnes arbeitet als Touring Sister und besucht regelmäßig Bergdörfer der Nyishi.

Sr. Philomena Matthew MSMHC

Wir geben den Menschen in Nordostindien den Glauben, Bildung, fördern soziale Entwicklung und befähigen sie, die Herausforderungen des Lebens zu meistern.

Foto: Annika Reisch
Sr. Philomena Matthew MSMHC

Fr. Jose Chirackal (Diözese Tura)

In Nordostindien wird der christliche Glaube in Fülle gelebt. Es gibt zwar Herausforderungen wie Armut, fehlende Kommunikations-möglichkeiten und wenig Bildung, trotzdem ist es eine Freude,den christlichen Glauben hier zu leben und ein Leben gemäß christlicher Werte führen zu können.

Foto: Annika Reisch
Fr. Jose Chirackal (Diözese Tura)

Sr. Lissamma Parathanal CSSC

Ich bin Schwester geworden, um mich anderen Menschen widmen zu können. Als Schwester kann ich andere Menschen zu Jesus führen.

Foto: Annika Reisch
Sr. Lissamma Parathanal CSSC (WMS-Gast 2019)

Bischof Victor Lyngdoh (Diözese Jowai)

Es ist mein großer Wunsch, alle Menschen in dieser Diözese (Jowai) – unabhängig davon, ob sie Protestanten, Katholiken oder Nichtgläubige sind oder einer anderen Konfession angehören – zu vereinen, um ihnen Harmonie, Einheit und Frieden zu bringen.

Foto: Annika Reisch
Bischof Victor Lyngdoh (Diözese Jowai)