Pentekostalismus

Die afrikanische Pfingstbewegung

Eine neoliberale Wende im 21. Jahrhundert

von Asonzeh Ukah
- aus dem Englischen übersetzt von Robert Bryce

Warum wachsen pfingstlich-charismatische Bewegungen in Afrika, die ein sogenanntes ›Wohlstandsevangelium‹ predigen, explosionsartig aus dem Boden, gilt der Kontinent doch als die ärmste Region der Welt? Asonzeh Ukah thematisiert in seinem Beitrag den Zusammenhang zwischen der Dauerarmut Afrikas mit dem Reichtum dortiger pfingstlicher Prediger. Es offenbart sich ein ökonomisches Spiel mit dem göttlichen Heil.

Autor

Asonzeh Ukah

Prof. Dr., ist Associate Professor im Department of Religious Studies der Universität von Kapstadt, Südafrika. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die kulturelle Entwicklung des Pentekostalismus in Afrika

 

 

Keine Gesellschaft hat sich jemals in sozioökonomischer und materieller Hinsicht weiterentwickelt, nur weil sie Religion hervorgebracht, verbreitet und »konsumiert« oder metaphysische Ideen entwickelt hat. Mit seiner populären These von der »protestantischen Ethik«, nach der sich der Westen entwickelte, indem er sich den aufkommenden, von einer frommen calvinistischen Sekte verfochtenen »Geist des Kapitalismus« zu eigen machte und kultivierte, verfolgte der deutsche Soziologe Maximilian Karl Emil Weber (1864–1920) zwei Hauptziele, um zu beweisen, dass die calvinistische Spiritualität oder Praxis ursächlich für die wirtschaftliche Entwicklung des Westens war. Sein erstes Ziel war es nachzuweisen, dass die Rationalisierung des Denkens und Handelns eine in erster Linie westliche Leistung oder Eigenschaft war; das zweite bestand darin, den heftigen Attacken von Karl Marx auf das westliche Christentum entgegenzutreten, indem er zeigte, dass das Christentum – anders als behauptet – sehr wohl eine positive Wirkung auf die Gesellschaft habe.

Neuere wissenschaftliche Forschungen haben gezeigt, dass der Wohlstand Europas entgegen dieser Hypothese kein Nebenprodukt der calvinistischen Religion war, sondern (zum Teil) das Ergebnis der Plünderung Amerikas durch die im 15. Jahrhundert dort eintreffenden Europäer. Diese haben dort im Verlauf von 100 Jahren mehr als 59 Millionen Menschen und mit ihnen die eigentlichen Besitzer des Landes getötet und im Zuge dessen eine Umweltkatastrophe ausgelöst. [1] Dem Treiben dieser frühen Europäer in Nord- und Südamerika standen ihre Landsleute überall dort, wohin sie sich begaben, in nichts nach. Dass Weber den Wohlstand Europas, der USA und Kanadas wahlweise einer religiösen Ethik, der Rationalisierung des Denkens, der Säkularisierung der religiösen Weltanschauung oder calvinistischen Puritanern zuschreibt, spiegelt deutlich seine romantische Vorstellung von Religion wider.[2] Zum Teil getragen von dieser wohlwollenden Sichtweise von Religion verbreitete sich die Vorstellung, Religion sei gut für die Gesellschaft, in viele Teile der Welt. Das diente zum Teil dazu, die historische Tatsache zu verschleiern, dass viele westliche Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika keineswegs auf biblischer Ethik oder christlicher Moral und christlichem Arbeitsethos als Handlungsmaxime gründen, sondern vielmehr auf Völkermord und Plünderung durch europäische Christen. Die Vorstellung vom positiven Wert der Religion, und deren parteiischer Bejahung, insbesondere des Christentums, tritt besonders deutlich in Afrika zutage, wo es das pfingstkirchliche Christentum im 21. Jahrhundert zu einer enormen gesellschaftlichen Präsenz und politisch-wirtschaftlichen Macht gebracht hat.

 

Pfingstkirchliches Christentum in Afrika

Schätzungen zufolge hat Afrika »die größte christliche Bevölkerung der Welt«.[3] Die Ausbreitung und Erfahrung des pfingstkirchlichen Christentums in Afrika im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert verführten manche Theoretiker dazu, in diesem massiven Umbruch religiöser Zugehörigkeiten eine »Revolution« zu (v)erkennen. [4] Was genau an der afrikanischen Pfingstbewegung revolutionär sein soll, wurde jedoch nie angemessen erläutert oder gar mit empirischen Beweisen belegt. Wenn Theoretiker von der »pfingstlichen Revolution« sprechen, meinen sie damit zwei Dinge: zum einen, dass die pfingstlich-charismatische Bewegung unter ihren Anhängern ein neues spirituelles oder pneumatisches Bewusstsein entstehen ließ, vor allem im Hinblick auf ihre persönliche Beziehung zu Gott. Zum anderen, dass die Pfingstbewegung in Teilen von Afrika, wo Kirchen und nichtstaatliche religiöse Institutionen damit werben, soziale Infrastrukturen wie Schulen, Waisenhäuser, Krankenhäuser und Ausbildungszentren zu unterhalten, eine sozioökonomische Entwicklung angestoßen sowie soziales Vertrauen und Institutionen geschaffen haben – eine anmaßende Behauptung. Revolutionär ist der Höhenflug der Pfingstbewegung in Afrika lediglich im Hinblick auf die schiere Menge ihrer Anhänger (rund 10 Prozent der gesamten christlichen Bevölkerung mit ihren knapp 631 Millionen Menschen); auch ihre soziale Präsenz und Dynamik stehen außer Zweifel. Afrika hat im vergangenen Jahrhundert eine massive Hinwendung zum Christentum erlebt – rasanter als auf jedem anderen Kontinent. Dass die Pfingstbewegung für Afrika und einen Großteil seiner Bevölkerung eine positive Rolle gespielt haben soll, ist vor dem Hintergrund dessen fraglich beziehungsweise unbewiesen. In Anbetracht der Realitäten im heutigen Afrika dürfte die behauptete revolutionäre Kraft, Dynamik oder Wucht der Pfingstbewegung in Afrika eher ein Mythos sein. Im Mittelpunkt der afrikanischen Pfingstbewegung stehen Persönlichkeiten, die behaupten, einen besonderen Zugang zum Göttlichen zu haben und damit Wunder zu wirken und Heilsgüter zu schaffen. Deshalb präsentieren sie sich auch als Medienpersönlichkeiten und Wundertäter, die heilige Spektakel für die Massen veranstalten. Dass die Pfingstbewegung die materiellen Verhältnisse ihrer zahlreichen Anhänger ignoriert, liegt zum Teil an der Adaption neoliberaler Ideen und Praktiken, welche unter dem Begriff »Wohlstandsevangelium« zusammengefasst werden – ein Ableger der Pfingstbewegung, der stärker von einem materiellen, konsumistischen Säkularismus als von der Askese des historischen Christentums geprägt ist.

 

Der Mythos

Afrika ist ein Kontinent der Paradoxien: Noch vor fünf Jahren sprachen viele internationale Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungshilfeagenturen vom schlafenden Riesen Afrika, der kurz vor einem Entwicklungssprung stehe. Viele afrikanische Volkswirtschaften seien die weltweit am schnellsten wachsenden Wirtschaften, so hieß es damals. Dieses angebliche Wirtschaftswachstum verschleierte jedoch den Blick für die Realität. Einem kürzlich veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen ist zu entnehmen, dass rund 250 Millionen Afrikaner unter Mangelernährung leiden. Das ist jeder/jede fünfte Bewohner/-in des Kontinents.[5] Angesichts dieser dramatischen Lage mag es paradox anmuten, dass das pfingstlich-charismatische Christentum (PCC) auf dem Kontinent, insbesondere südlich der Sahara, einen ungebrochenen Aufschwung erlebt. Gibt es im Afrika des 21. Jahrhunderts einen Zusammenhang zwischen der schlechten Ernährungslage vieler Afrikaner und der Jagd nach dem pfingstlichen Heil? Viele sehen das so, und die Fakten deuten in der Tat darauf hin, dass mit dem Rückbau der postkolonialen Staaten Afrikas und deren Rückzug aus der Verantwortung gegenüber ihren Bürgern pfingstkirchliche »Unternehmer« auf den Plan traten, um das entstandene Vakuum zu füllen. Sie verheißen den Massen materielles Heil – ein Versprechen, das sie leider nicht einlösen, außer natürlich für sich selbst, indem sie auf Kosten ihrer Anhänger reich werden, in Privatjets reisen und teure Markenkleidung als Zeichen und Beleg für die besondere Gnade Gottes tragen.

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FOTO: MARITA WAGNER
Die pfingstlich-charismatische Christian Revival Church in Pretoria, Südafrika. Jeden Sonntagabend nehmen rund 700 junge Erwachsene am eigens auf sie zugeschnittenen Gottesdienst teil.
FOTO: PIUS UTOMI EKPEI/AFP/GETTY IMAGES
Ökonomische Interessen dürfen nicht gegen die spirituellen Bedürfnisse gläubiger Afrikaner ausgespielt werden.

Anmerkungen

[1]  A. Koch / C. Brierley / M. M. Maslin / S. L. Lewis, »Earth System impacts of the European Arrival and Great Dying in the Americas after 1492«, in: Quaternary Science Reviews, Bd. 207, 2019, S. 13 –36.

[2]  Martin Riesebrodt, The Promise of Salvation: A Theory of Religion, Übers. Steven Rendall, Chicago 2010, S. 67.

[3]  https://www.persecution.org/2019/04/25/africanchristian-population-largest-world/     (Zugriff am 10.08.2019).

[4]  Musa A. B. Gaiya, The Pentecostal Revolution in Nigeria, Occasional Paper, Centre of African Studies, University of Copenhagen 2002; Richard Burgess, The Civil War Revival and Its Pentecostal Progeny (1967–2006), Regnum Studies in Mission, Cumbria 2008; Ruth Marshall, Political Spiritualities: The Pentecostal Revolution in Nigeria, Chicago 2009.

[5] FAO, IFAD, UNICEF, WFP und WHO, The State of Food Security and Nutrition in the World 2019. Safeguarding against economic slowdowns and downturns, Rom 2019.