Länderbericht Osttimor

Mit der Last der Vergangenheit in eine ungewisse Zukunft

Zur politischen und kirchlichen Situation in Osttimor

von Georg Evers

Die Zeiten, in denen internationale Medien über Osttimor berichteten, sind längst vorbei. Osttimor ist wieder das, was es die meiste Zeit war – der kleine östliche Teil einer geteilten Insel, die zwar die größte der kleinen Sunda-Inseln, aber von der Fläche her etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen ist. Seit 2002 ist dieser kleine Staat unabhängig und kämpft mit der Last der Geschichte und den Herausforderungen der Zukunft.

Autor

Georg Evers
Langjähriger Asienreferent am Missionswissenschaftlichen Institut in Aachen

 

Von 1586 bis 1975 war Osttimor1 eine portugiesische Kolonie, die im großen portugiesischen Kolonialreich nur eine bescheidene Rolle als Lieferant von Kaffee, Kokosnüssen und Sandelholz spielte. Als infolge der politischen Umwälzungen in Portugal dessen Kolonialreich in Afrika und Asien zusammenbrach, erklärte sich Osttimor im November 1975 für unabhängig. Indonesien, das aus historischen und kulturellen Überlegungen Anspruch auf Osttimor erhob, intervenierte militärisch, setzte die neue Regierung ab und machte Osttimor zur 27. Provinz des indonesischen Staatenverbundes. Diese gewaltsame Annexion stieß auf den Widerstand der Bevölkerung Osttimors. Es folgte eine Periode des Guerillakriegs, in der Indonesien mit dem Eingreifen des Militärs und anderen Maßnahmen wie Zwangsumsiedlungen, Sterilisierungen von Frauen, Verbot der einheimischen Sprachen und des Portugiesischen sowie Einführung der indonesischen Sprache als Landessprache reagierte. Nicht zu Unrecht wurde Indonesien wegen der vielen Verletzungen der Menschenrechte international des Völkermordes bezichtigt, da allein für den Zeitraum 1975 –1995 die Zahl der Todesopfer auf fast 200.000 beziffert wird, was zum damaligen Zeitpunkt einem Drittel der Gesamtbevölkerung Osttimors entsprach.

Die Kirche als Anwältin und Verteidigerin der Menschenrechte

In den politischen Umwälzungen und während der militärischen Unterdrückung infolge der indonesischen Invasion erwies sich die katholische Kirche als einzige Verteidigerin der Rechte der einheimischen Bevölkerung Osttimors. Zwar hatte die katholische Kirche ihre von Portugal gewährten Privilegien verloren, dadurch aber in den Augen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit gewonnen. In der traurigen Geschichte der zahllosen Menschenrechtsverletzungen durch das indonesische Militär und die Polizei bewährte sich die katholische Kirche als Anwältin des Volkes, als kritische Beobachterin und als Schutzmacht. Da in Osttimor wie im übrigen Indonesien jeder Staatsbürger einer der fünf vom Staat anerkannten Religionen – Islam, Hinduismus, Buddhismus, Katholizismus und Protestantismus – angehören musste, entschieden sich die Angehörigen der traditionellen Religionen in Osttimor in überwältigender Mehrheit für den katholischen Glauben. Der Islam, die Religion der indonesischen Besatzungsmacht, kam dagegen nicht in Frage. In der Folge kam es zu einer großen Welle von Bekehrungen zum katholischen Glauben, durch die der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung von 30 Prozent zu Beginn der indonesischen Herrschaft 1975 auf 85 Prozent im Jahr 2001 anwuchs. In den Folgejahren ist die Zahl der Katholiken weiter gewachsen. Gegenwärtig liegt ihr Bevölkerungsanteil bei einer Bevölkerung von 1,6 Millionen Einwohner bei 96,5 Prozent, während der Anteil der Protestanten 2,2 Prozent und der des Islam gerade mal 0,3 Prozent beträgt (Zensus von 2015). Das kleine Osttimor, das mitten in Indonesien, dem zahlenmäßig größten muslimischen Land der Welt liegt, ist damit das Land in Asien, in dem das Christentum, was den Anteil an der Bevölkerung angeht, am stärksten vertreten ist.

In den ersten Jahren der Besatzung war es der portugiesischstämmige Apostolische Administrator der Diözese Dili, Martinho da Costa Lopes, der in der Öffentlichkeit die Verletzungen der Menschenrechte durch das indonesische Militär anprangerte. Zugleich bemängelte er, dass der Vatikan und auch die indonesische katholische Bischofskonferenz sich nicht stärker für die Belange der Katholiken in Osttimor einsetzten. Auf Druck der indonesischen Regierung, die da Costa zur »unerwünschten Person« (persona non grata) erklärte, enthob der Vatikan da Costa seines Amtes, so dass er 1983 des Landes verwiesen wurde und nach Portugal zurückkehren musste. An seine Stelle trat Carlos Filipe Ximenes Belo, ein junger, aus Osttimor stammender Pater des Salesianerordens, der entgegen den Erwartungen der indonesischen Besatzungsmacht sich bald als noch unbequemerer Anwalt der Rechte der Bevölkerung Osttimors national und international profilierte. Der offizielle Anlass für den Besuch von Papst Johannes Paul II. in Osttimor im Oktober 1989 war die Einweihung der neuen Kathedrale, die als Geste des guten Willens und zur Unterstreichung der Ernsthaftigkeit ihrer Integrationspolitik zu 80 Prozent von der indonesischen Regierung mitfinanziert worden war. Auch wenn Papst Johannes Paul II. in seinen Ansprachen die Menschenrechtsverletzungen der indonesischen Besatzungsmacht nicht direkt thematisierte, so stärkte sein Besuch doch den Kampf um Menschenrechte in Osttimor und sorgte für internationale Aufmerksamkeit für die von Indonesien zu verantwortenden Menschenrechtsverletzungen auf der Insel. Die ständige Politik der Unterdrückung, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die forcierte Einwanderung aus Indonesien haben vor allem unter der Zivilbevölkerung viele Opfer gefordert. Ein Höhepunkt der Gewalt gegen Zivilisten war das Massaker auf dem Friedhof Santa Cruz in Dili am 12. November 1991, als indonesische Soldaten das Feuer auf die Teilnehmer einer Beerdigung eröffneten und dabei mehr als 300 Personen töteten. Nach Erlangung der nationalen Unabhängigkeit wurde in Erinnerung an das Massaker auf dem Friedhof Santa Cruz der 12. November zum nationalen Feiertag Osttimors erklärt.

Foto: Karl-Heinz Melters
Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo im Jahr 1997. Als Bischof von Dili setzte Belo sich für die Wahrung der kulturellen und religiösen Identität der Stammeskulturen in Osttimor ein. Zusammen mit José Ramos Horta erhielt er 1996 den Friedensnobelpreis.
Foto: Karl-Heinz Melters
1997 wurde die Diözese Bacau gegründet. Die Gläubigen empfingen den ersten Bischof Basilio do Nascimento mit einer farbenprächtigen Prozession.
Foto: Karl-Heinz Melters
Kirchliche Hilfswerke engagieren sich seit Jahren in der Ausbildungsförderung in Osttimor. Ende der 1980er Jahre gehörte auf der Missionsstation Fatumaca ein Schreibmaschinenkurs zur Ausbildung.

Osttimor/Timor-Leste auf einen Blick

Fläche: 14.604 km2

Bevölkerung: 1.245.000

Amtssprachen: Tetum, Portugiesisch

Religionen: 97 % Katholiken, 2 % Protestanten, 1 % Anhänger indigener Religionen; Minderheiten von Muslimen


Quelle: Fischer Weltalmanach 2016

Bischof Belos Eintreten für Menschenrechte und Selbstbestimmung

In dieser schweren Zeit bewährte sich Bischof Belo als Hirte seiner Gemeinde, der Verwundete bei sich aufnahm, aber vor allem durch seine Interviews und Interventionen bei internationalen Organisationen auf die Repressionspolitik und die Gewalt der indonesischen Besatzung aufmerksam machte. Trotz Repressionen und Bedrohung durch die indonesischen Behörden erreichte Bischof Belo durch sein unermüdliches Eintreten für die Menschenrechte und seine unerschrockene Art in der internationalen Öffentlichkeit einen hohen Bekanntheitsgrad. Besondere Beachtung fand 1989 ein Brief an den damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Javier Pérez de Cuéllar, in dem Bischof Belo eine Volksabstimmung über das Schicksal von Osttimor forderte – eine Forderung, die 1999, zehn Jahre später, realisiert wurde und zur Unabhängigkeit Osttimors führte. Bischof Belo selber forderte von der indonesischen Regierung stets die Wahrung der kulturellen und religiösen Identität der Stammeskulturen in Osttimor, während José Ramos Horta, der außenpolitische Sprecher des Widerstandes gegen die indonesische Integrationspolitik, sich für die Unabhängigkeit Osttimors einsetzte. So kam es nicht überraschend, dass Bischof Belo zusammen mit José Ramos Horta 1996 den Friedensnobelpreis erhielt. Die indonesische Regierung sah in der Verleihung des Friedensnobelpreises an Bischof Belo und Ramos Horta einen Affront, musste aber anerkennen, dass diese Preisverleihung Ausdruck der internationalen Kritik an ihrer repressiven Politik in Osttimor war. Die indonesische Regierung erlaubte Bischof Belo, den Preis in Oslo in Empfang zu nehmen, verpflichtete ihn aber, sich jeder öffentlichen Kritik an den politischen Verhältnissen in Osttimor zu enthalten und sich nur zu pastoralen Angelegenheiten, die ihn als Bischof von Dili betrafen, zu äußern. Um nicht, wie von der Regierung angedroht, an der Wiedereinreise nach Osttimor gehindert zu werden, hielt Bischof Belo sich an diese Anweisungen. So konnte er wieder nach Osttimor zurückkehren und weiter für politische Veränderungen in seiner Heimat arbeiten.

Schwierigkeiten der Nationenwerdung

Nach dem Sturz des indonesischen Präsidenten Suharto kam es unter seinem Nachfolger Habibie im August 1999 zu einer grundlegenden Änderung der Politik gegenüber Osttimor. Die neue indonesische Regierung ließ ein Referendum zu, in dem die Bevölkerung Osttimors sich mit der überwältigenden Mehrheit von 78 Prozent für die Unabhängigkeit entschied. Die Zeit des Übergangs zur nationalen Unabhängigkeit war dann aber geprägt von Gewalt, die von proindonesischen Milizen mit Unterstützung des indonesischen Militärs verübt wurde und zu großen Zerstörungen und zum Verlust zahlreicher Menschenleben führte. Auch das Haus von Bischof Belo war Ziel eines Brandanschlages, und er selbst wurde dabei verletzt. Diese Ereignisse und die vielen Strapazen, die er in den Jahren der Auseinandersetzung mit den indonesischen Besatzern auf sich genommen hatte, haben Bischof Belo zermürbt. Körperlich erkrankt und seelisch angeschlagen, erklärte er im November 2002 seinen Rücktritt. Er hat Osttimor verlassen und ist als Missionar nach Mosambik gegangen, ein Schritt, der, wie er in einem Interview mitteilte, wohl schon lange Teil seiner Lebensplanung gewesen war.

Bis 2002 stand Osttimor unter der Verwaltung der Vereinten Nationen, bis es im Mai 2002 offiziell selbstständig und als 191. Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen wurde. Der Prozess der Nationenwerdung gestaltete sich danach weiterhin als sehr schwierig. Die mit der Erlangung der Unabhängigkeit verbundene Hoffnung auf ein Osttimor, das ein Land sein sollte, in dem »Einheit, Friede und Gerechtigkeit« herrschen, wurde herb enttäuscht. Bischof Belo hatte immer wieder angemahnt, dass der Prozess der Versöhnung nur durch die Anerkennung der Rechte der vergewaltigten Frauen, der Waisen und der anderen Geschädigten zu einem guten Ende geführt werden könne. In vielen Beiträgen haben sowohl er wie auch Bischof Basilio do Nascimento von Bacau darauf hingewiesen, dass der neue Staat Osttimor nur dann inneren Frieden und Wohlstand erreichen werde, wenn die Aufgabe gelöste werde, Versöhnung zwischen den verfeindeten Gruppen im Lande zu schaffen.

Doch die Aufarbeitung der Vergangenheit zwischen den Gruppen des Widerstandes und denen, die mit der indonesischen Besatzung kooperiert hatten, stellte sich als äußerst schwer heraus. Nach dem Referendum von 1999, in dem die Mehrheit der Bevölkerung Osttimors sich für die Unabhängigkeit entschieden hatte, flohen etwa 200.000 Einwohner Osttimors, in der Mehrzahl Personen, die mit der indonesischen Besatzungsmacht kooperiert hatten und an der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung beteiligt waren, nach Westtimor oder auf andere Inseln Indonesiens. Viele von ihnen sind im Ausland geblieben, andere kehrten erst nach vielen Jahren wieder in ihre Heimat zurück. Im August 2016 kam es zu einer größeren Rückführung von fast 100 ehemaligen Flüchtlingen. Dieser Schritt ging auf eine Initiative der katholischen Pfarrei in Gleno zurück, die zur Einweihung der neuen Pfarrkirche ihre ehemaligen Nachbarn und Bekannten eingeladen hatte.

Wegen der anhaltenden Spannungen gab es immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen. Im Mai 2006 kam es zur größten Krise in der Geschichte der jungen Nation Osttimor, die deutlich machte, wie wenig die staatlichen Institutionen im Lande innerlich gefestigt waren. Der damalige Ministerpräsident Mari Alkatiri, der als Muslim in der überwiegend christlichen Bevölkerung Osttimors wenig beliebt war, hatte 600 Soldaten, etwa 40 Prozent des gesamten Militärs des Landes, kurzfristig entlassen. Diese Soldaten zogen protestierend in die Hauptstadt Dili, wo sie Unterstützung durch andere Protestierer fanden und gemeinsam Geschäfte plünderten und andere Gewalttaten begingen. Nur durch die Entsendung einer internationalen, 3.000 Mann starken »Internationalen Stabilisierungstruppe « (ISF) konnte die bürgerkriegsähnliche Situation unter Kontrolle gebracht und die innere Ruhe wieder hergestellt werden. Um den nationalen Frieden langfristig zu sichern, wurde bis zum Jahr 2012 eine internationale Ordnungsmacht der Vereinten Nationen in Osttimor stationiert.

Versöhnung und Verständigung

Lange Zeit blieben die Beziehungen zwischen Indonesien und Osttimor wegen der vom indonesischen Militär begangenen Verletzungen der Menschenrechte belastet. Mehrfach haben Vertreter der indonesischen Regierung ihr Bedauern für das begangene Unrecht ausgesprochen. Einen ersten Schritt zur Versöhnung zwischen Indonesien und dem unabhängigen Osttimor hat Präsident Abdurrahman Wahid unternommen, als er sich im Februar 2000 in Dili für die Gewalttaten des indonesischen Militärs während der 24 Jahre dauernden Besatzung entschuldigte und zum Gedenken an die Opfer des Massakers vom November 1991 auf dem Friedhof Santa Cruz einen Kranz niederlegte. Die beiden Bischöfe Belo von Dili und do Nascimento von Bacau begrüßten diese Geste, mit der ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Versöhnung zwischen den beiden Ländern gegangen sei. Andererseits hat aber die indonesische Regierung nur sehr halbherzige Schritte unternommen, gerichtlich gegen die Täter aus den Reihen des Militärs vorzugehen. Es gab wenige Verurteilungen und die meisten der Verurteilten wurden schnell amnestiert. Ein von den Vereinten Nationen in Dili errichtetes Sondergericht ist so gut wie wirkungslos geblieben. Mit der 2004 gemeinsam von Indonesien und Osttimor errichteten Wahrheits- und Freundschaftskommission wurde aus realpolitischen Gründen von weiteren Strafprozessen abgesehen, um das Verhältnis zwischen den beiden Ländern auf eine neue freundschaftliche Basis zu stellen. Die nach der Erlangung der Unabhängigkeit in Osttimor eingerichtete »Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission« sollte in Anlehnung an das erfolgreiche Beispiel von Versöhnung in Südafrika helfen, die verfeindeten Gruppen zusammenzuführen. Die Arbeit der Kommission wurde von hohen Erwartungen begleitet und fand breite Akzeptanz. Während ihrer Tätigkeit hat sie mehr als 7.500 Aussagen von Opfern, Zeugen und Tätern bearbeitet und fast 1.500 Versöhnungsprozesse auf Gemeindeebene durchgeführt. Doch die Kommission konnte ihre Arbeit nicht zu Ende bringen und wurde 2005 aufgelöst, obwohl sie noch nicht einmal die Hälfte der anstehenden Fälle hatte aufarbeiten können.

Kirchliche Entwicklungen

Osttimor ist nach der Verfassung ein säkularer Staat, in dem Religionsfreiheit besteht. Weil die katholische Kirche zahlenmäßig so stark ist, hat sie großen Einfluss auf die Geschicke des Landes. Was die kirchliche Struktur angeht, so war die Diözese Dili mit mehr als 700.000 Gläubigen lange Zeit die einzige Diözese für ganz Osttimor. 1997 wurde die Diözese Bacau gegründet und Bischof Basilio do Nascimento als erster Bischof eingeführt. 2010 kam es zur Gründung der Diözese Malihana, die von der Diözese Dili abgetrennt wurde. Mit drei Diözesen konnte die katholische Kirche Osttimors als neue Kirchenprovinz eine eigene Bischofskonferenz gründen, die als Mitglied in die »Vereinigung Asiatischer Bischofskonferenzen« (Federation of Asian Bishops’ Conferences, FABC) aufgenommen wurde. Dass die katholische Kirche in Osttimor so viel für die Entwicklung des Landes, den Aufbau einer Zivilgesellschaft und für den inneren Frieden hat tun können und immer noch tut, verdankt sie der weltweiten Unterstützung durch ausländische Kirchen und deren Hilfsorganisationen. So hat missio Aachen in den Jahren vor der Unabhängigkeit die Ortskirche in Osttimor durch die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter unterstützt und während der indonesischen Besatzung immer wieder in Publikationen und Aktionen auf die Verletzungen der Menschenrechte aufmerksam gemacht. Das Kindermissionswerk unterstützt seit langem Kinderprojekte in Osttimor; diese Zusammenarbeit ist auch nach der Unabhängigkeit des Landes weiter entwickelt worden. Auch das Bischöfliche Hilfswerk Misereor ist seit den 1970er Jahren in Osttimor auf dem Gebiet der Ausbildung von Jugendlichen, von Frauen und Lehrern aktiv. Kolping International engagiert sich in Osttimor beim Aufbau der Infrastruktur von Schulen und Ausbildungsstätten. Neben dem Salesianerorden, der seit vielen Jahren in Osttimor führend auf dem Gebiet der schulischen und beruflichen Ausbildung ist, haben auch die Jesuiten seit den Unruhen 2006 ihr Engagement auf dem Gebiet der Förderung der kulturellen und religiösen Werte der Traditionen der Stammesbevölkerung verstärkt.

Der Beitrag der katholischen Kirche für die Nationenwerdung und Entwicklung Osttimors wird auch von der politischen Führung des Landes anerkannt. Im Mai 2005 hat Präsident Alexander Xanana Gusmao in Anerkennung der Verdienste von Martinho da Costa Lopes im Kampf für die Unabhängigkeit Osttimors die »Dom Martino da Costa Lopes Medaille« eingeführt, mit der zuerst der 1983 ins Exil geschickte und 1990 verstorbene Bischof da Costa Lopes sowie einige andere Priester und Ordensleute geehrt wurden. Bei dieser Gelegenheit erklärte Präsident Gusmao, dass der Staat, gestützt auf die Verfassung, den Beitrag von katholischen Bischöfen, Priestern und Ordensleuten zur Unabhängigkeit Osttimors anerkennen und würdigen wolle. Der Staat verleihe diese Ehre an die Heldinnen und Helden, die ihr Leben für die Befreiung Osttimors gegeben hätten. Viele Jahre später hat Ministerpräsident Rui Maria de Araujo im April 2016 beim Jahresgedächtnis für Bischof Alberto Ricardo da Silva von Dili dem Bischof sowie dem katholischen Klerus und den Ordensleuten für ihren »selbstlosen und unschätzbaren Beitrag« gedankt, den sie für die Erlangung der Unabhängigkeit des Landes von Indonesien geleistet haben. »Die katholische Kirche hat einen großen Beitrag für unser Land geleistet, und die Regierung wird dies immer im Gedächtnis behalten«, sagte der Ministerpräsident bei dieser Gelegenheit.

Das Problem mit den Sprachen

Die Bevölkerung Osttimors besteht aus vielen Stammesgesellschaften, die alle ihre eigene Sprache haben und von denen 15 laut Verfassung als Nationalsprachen gelten. Unter diesen Sprachen ist Tetum, das für 30 Prozent der Bevölkerung die Muttersprache ist und von fast 80 Prozent verstanden wird, die wichtigste Sprache. Tetum und Portugiesisch sind zusammen als Amtssprachen anerkannt, während Indonesisch (Bahasa Indonesia) und Englisch als Arbeitssprachen gelten. Die offiziellen Regelungen sind klar, aber in der Realität stellt die Vielfalt der Sprachen für die junge Nation ein großes Problem dar. Die Stammessprachen sind mit Ausnahme des Tetum wenig entwickelt und verfügen über keine schriftliche Tradition. In der Zeit der portugiesischen Kolonialherrschaft war Portugiesisch die offizielle Sprache für die Verwaltung, aber auch für die schulische Ausbildung. Mit der indonesischen Besatzung der Insel seit 1975 wurde für 24 Jahre Indonesisch die offizielle Sprache in allen öffentlichen Bereichen und in der schulischen Ausbildung. Portugiesisch wurde während dieser Zeit zunächst zurückgedrängt und dann ganz verboten.

Mit der Erreichung der Unabhängigkeit stellte sich das Sprachenproblem erneut. Für die aus Portugal oder portugiesischsprachigen Ländern zurückgekehrten Exilanten war es naheliegend oder selbstverständlich, Portugiesisch als Landessprache wieder einzuführen. Für die Mehrheit der Bevölkerung, die seit mehr als 20 Jahren in Indonesisch ausgebildet war, lag es näher, Bahasa Indonesia als offizielle Landessprache beizubehalten. Fast alle Studenten aus Osttimor studierten zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1999 an Universitäten in Indonesien. Auf der anderen Seite war Bahasa Indonesia als Sprache der Besatzer bei der Bevölkerung nicht beliebt. Die nun in der Verfassung von Osttimor getroffene Regelung, Portugiesisch und Tetum als Amtssprachen anzuerkennen und für die Schul- und Universitätsausbildung verpflichtend zu machen, ist nicht unumstritten und wird sich nicht ohne Probleme durchführen lassen. Tetum, das viele Lehnwörter aus dem Portugiesischen enthält, wird von den meisten Osttimoresen verstanden, ist grammatikalisch aber wenig ausgebildet und verfügt über so gut wie keine schriftliche Literatur. Unterstützung erhält Osttimor bei der Förderung der portugiesischen Sprache von Portugal und auch von Brasilien, die mit Lehrmaterial und Lehrern die Verbreitung der portugiesischen Sprache fördern. Viel grundsätzlicher ist aber das Problem, dass die Alphabetisierungsrate der Bevölkerung in Osttimor bei gerade mal 56 Prozent (2010) liegt. Die katholische Kirche hat als Liturgiesprache während der Kolonialzeit natürlich Latein und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neben Portugiesisch auch die anderen einheimischen Sprachen benutzt und damit gefördert. In der theologischen Ausbildung des Priesternachwuchses im Kleinen und Großen Seminar ist Portugiesisch die offizielle Unterrichtssprache.

Ausblick

Osttimor ist ein kleiner Staat, der gerade mal die Hälfte einer nicht gerade großen Insel umfasst. Lange Jahre war Osttimor eine kaum beachtete Kolonie Portugals, die erst durch die Besetzung durch das indonesische Militär und den daraus resultierenden Guerillakrieg in die Schlagzeilen geriet und internationale Aufmerksamkeit fand. Der Widerstand der Bevölkerung und die Grausamkeit, mit der das indonesische Militär dagegen vorging, erhielten durch den Beitrag von Personen wie Bischof Belo und Ramos Horta ein Gesicht. Höhepunkt der internationalen Aufmerksamkeit war die Verleihung des Friedensnobelpreises an diese beiden Protagonisten. Nach der 2002 erreichten Unabhängigkeit des neuen Staates Osttimor ließ die internationale Aufmerksamkeit schnell nach. Schließlich waren die Nachrichten aus dem kleinen Land, das nun mit dem Problem der Nationenwerdung zu kämpfen hatte, eher enttäuschend, da der Prozess der Versöhnung und der Wiederaufbau aufgrund immer wieder aufbrechender Konflikte nicht recht vorankam. Die soziale Lage ist geprägt von struktureller Armut, politischer Unsicherheit und fortwirkenden traumatischen Erfahrungen und deren fehlender Aufarbeitung. Die eigentlich vorhergesagte rasche wirtschaftliche Entwicklung lässt auf sich warten. Wirtschaftlich ist Osttimor von der Gas- und Ölförderung an seinen Küsten abhängig, die von Interessenkonflikten mit Australien immer wieder beeinträchtigt wird. Wie schon während des Kampfes um die Unabhängigkeit ist die katholische Kirche der wichtigste Stabilitätsfaktor im Land und entsprechend herausgefordert, den Erwartungen gerecht zu werden.