Vom Glauben Zeugnis geben

Im Namen aller Christen …

Ruandas Bischöfe und Papst Franziskus bitten um Vergebung für den Genozid von 1994

von Katharina Peetz

Zum Abschluss des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit am 20. November 2016 bat die ruandische Bischofskonferenz um Vergebung für die Beteiligung der katholischen Kirche am Genozid von 1994. Damals war noch nicht abzusehen, dass sich Papst Franziskus am 20. März 2017 ebenfalls zur Frage der kirchlichen Verstrickung in den Genozid äußern würde. Anders als die Bischöfe räumte Franziskus eine institutionelle Mitschuld der Kirche am Genozid ein.

 

Autorin

Dr. Katharina Peetz
Theologin, arbeitet an einem Forschungsprojekt zu »Gelebter Theologie« am Beispiel Ruandas. Für dieses Vorhaben hat sie bereits mehrere Monate im Land verbracht.

 

 

In dem von langer Hand geplanten ruandischen Genozid von 1994 wurden innerhalb von nur drei Monaten zwischen 800.000 und 1.000.000 Menschen – Tutsi sowie oppositionelle Hutu – brutal ermordet. Innerhalb der Gewaltkonflikte Afrikas zeichnet sich der Genozid dadurch aus, dass seine primäre Konfliktlinie nicht religiös, sondern »ethnisch« war. Die christlichen Missionare interpretierten Hutu, Tutsi und Twa zumeist als unterschiedliche Rassen beziehungsweise Ethnien und verbanden in ihren Beschreibungen physische und charakterliche Eigenschaften: So unterschieden sie die »hamitischen« Tutsi, mit »noblem Wesen« und »hohem Körperwuchs «, von den als »typische Schwarze« bezeichneten Hutus mit »wenig anziehendem Wesen« und »gedrungenem Körperbau«, aber auch von den »zwergwüchsigen Twa«. Dabei erschienen die Tutsi als zum Herrschen geboren, die Hutu dagegen als »naturgemäß « Unterworfene. Die auf die Förderung der Tutsi gestützte Politik der Missionare schlug sich in der Verwaltung des Landes, im Aufbau der Kolonialwirtschaft, in den Schulen und Priesterseminaren sowie im täglichen Leben nieder. Diese Politik war gewaltförmig: Erstens gingen durch die Kooperation der Missionare mit den Kolonialherren Bibel und Schwert Hand in Hand, und zweitens war ihre Sicht der Bewohner Ruandas von einem strukturellen Imperialismus gekennzeichnet, da einzig europäisches Wissen als lehrens- und lernenswert galt. (Anm. 1) Auch wenn sich die Machtverhältnisse seit der Unabhängigkeit Ruandas 1962 zugunsten der zuvor sozial benachteiligten Hutus verschoben, stellte ethnische Zugehörigkeit einen scheinbar unverzichtbaren (Macht-)Faktor in der Staatspolitik, im individuellen Empfinden und im Leben der Kirche dar. Dabei zeichnete sich gerade die katholische Kirche durch eine große Nähe zu den postkolonialen, Hutudominierten politischen Regimen unter Grégoire Kayibanda (1961–1973) und Juvénal Habyarimana (1973–1994) aus. Forscher wie Timothy Longman sprechen vor diesem Hintergrund davon, dass die Verstrickung der katholischen Kirche in den Genozid durch das rassistische Ethnizitätskonzept der europäischen Missionare, die enge Verbindung zwischen Staat und Kirche sowie die Akzeptanz von ethnischer Diskriminierung durch kirchliche Leitfiguren begünstigt wurde. Zugleich hätten Machtkämpfe in den christlichen Kirchen Ruandas dazu geführt, dass einige Kirchenobere den Genozid als Instrument zur Erhaltung eigener Macht und Autorität billigend in Kauf nahmen. (Anm. 2) Während des Genozids fanden Massaker nicht nur in Schulen statt, sondern auch in Kirchen, die in früheren Konflikten immer Zufluchtsorte geblieben waren. Römisch-katholische Priester, Ordensleute und Laien waren direkt am Morden beteiligt oder riefen in Predigten dazu auf. Die Institution Kirche schaute dem Morden letztlich tatenlos zu, auch wenn einzelne Christinnen und Christen ihrer christlichen Berufung treu blieben und sich unter Gefährdung oder Verlust ihres eigenen Lebens für Verfolgte einsetzten, diese beschützten oder versteckten.

Nach dem Genozid war das Vertrauen vieler Gläubigen in die Institution zutiefst erschüttert und die Kirche wurde immer wieder zu Bekenntnis, Reue, Buße und Vergebungsbitten und letztlich auch zum Eingeständnis ihrer institutionellen Verantwortung aufgefordert: Da die Kirche in ihrer moralischen und spirituellen Orientierungsfunktion versagt habe, müsse sie ihre Schuld bekennen und bereuen, um ihre Beziehung zu Gott zu erneuern und ihre Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. (Anm. 3)

Im November 2016 veröffentlichten die katholischen Bischöfe Ruandas nun eine Vergebungsbitte, die in allen ruandischen Gemeinden verlesen wurde. Im Folgenden soll bedacht werden, welchen Stellenwert diese Vergebungsbitte im Friedens- und Versöhnungsprozess Ruandas einnimmt.

Die Vergebungsbitte der Bischöfe

Die Erklärung benennt mit dem Verweis auf das Jahr der Barmherzigkeit bereits in der ersten Zeile ihr Fundament: Gottes Barmherzigkeit. Von diesem Fundament aus ist die Erklärung aufgespannt zwischen der Auseinandersetzung mit der Realität des ruandischen Genozids (Vergangenheit), dem Bekennen von Schuld und der Bitte um Vergebung (Gegenwart) sowie der Entwicklung eines künftigen Handlungsprogramms (Zukunft). Als Ursachen für den Genozid werden »ethnischer Hass« und »Spaltung« genannt, die auch von Priestern und Ordensleuten der Kirche »geschürt« und »gesät« wurden. Der dehumanisierende Charakter des Genozids wird klar benannt. Für die genozidären Verbrechen bitten die Bischöfe um Vergebung: »Wir entschuldigen uns im Namen aller Christen für die verschiedenen Verbrechen, wir sind traurig darüber, dass einige der Unseren ihr durch die Taufe eingegangenes Gelübde brachen. […] Wir entschuldigen uns für alle Sünden des Hasses und der Spaltung, die in unserem Land geschaffen wurden, bis dahin, dass wir unsere Landsleute wegen ihrer Volkszugehörigkeit hassten. Wir bitten um Vergebung […] Wir entschuldigen uns für alle Hirten, die Konflikte schürten und die Saat des Hasses säten.« (Anm. 4) Täterschaft wird von den Bischöfen verstanden als Brechen des Gelübdes, das jede Christin und jeder Christ im Sakrament der Taufe gegenüber Gott abgelegt hat und als Ungehorsam gegenüber seinen Geboten sowie als Verletzung von fundamentalen Menschenrechten. Die Bischöfe bitten stellvertretend »im Namen aller Christen« für die genannten Kategorien der Täterinnen und Täter (Priester, Geistliche, Laien) um Vergebung, lehnen eine institutionelle Täterschaft der Kirche jedoch ab. Explizit nehmen die Bischöfe die Täterinnen und Täter des Genozids in den Blick, die umkehren, bereuen, sich versöhnen und denjenigen, die sie verletzt haben, Gutes tun sollen. Während Gott angerufen wird, die Herzen der Täter zu verwandeln, werden diese aufgerufen, sich Gottes Barmherzigkeit anzuvertrauen und wahrheitsgemäß auszusagen, um so ihre Herzen von den gegenüber Gott und dem ganzen Land begangenen Sünden zu reinigen. Die Bischöfe richten zudem den Blick auf die Opfer, die nicht explizit zur Vergebung aufgefordert werden, wenn sie die Folgen des Genozids benennen: Übrig geblieben sind, so die Bischöfe, kranke, traumatisierte, verstümmelte Menschen, Waisen, Witwen und Flüchtlinge, denen Gott neuen Herzensmut schenken soll. Daran anknüpfend entwickeln die Bischöfe die Vision eines erneuerten, christlichen und versöhnten Ruandas und beschreiben Handlungsschritte, die diese Vision realisieren sollen: So könnten und sollten beispielsweise die kirchlichen Basisgemeinden Orte der Gemeinschaft, des Teilens von Lebenswichtigem, der barmherzigen Zuwendung zum Nächsten und der Sorge für die Verletzlichen und Verletzten sein. Abschließend ordnen die Bischöfe ihre Vergebungsbitte in einen Prozess ein, der weitergehen wird und stellen ihr Bekenntnis erneut in den Kontext von Gottes je größerer Barmherzigkeit. (Anm. 5)

Die Vergebungsbitte im Spiegel der Diskussion

In der Perspektive vieler Überlebender, aber auch ruandischer Theologen und der ruandischen Regierung, war die Haltung der katholischen Kirche in den Jahren nach dem Genozid nicht von Bußfertigkeit und Schuldeinsicht geprägt. Daher ist es verständlich, dass der Erklärung vom 20. November 2016 zunächst mit Skepsis begegnet und vor allem der späte Zeitpunkt der Vergebungsbitte kritisiert wurde. Jedoch wurde in der Diskussion zumeist nicht berücksichtigt, dass diese Vergebungsbitte der Bischöfe Vorläuferinnen hat. Bereits fünf Jahre nach Ende des Genozids bat am 30. Dezember 1999 der Bischof von Kibungo stellvertretend für alle Fehler, Sünden, Versäumnisse und Handlungen, die von Ruanderinnen und Ruandern sowie insbesondere von Christinnen und Christen seiner Diözese begangen worden seien, um Vergebung. Im Heiligen Jahr 2000 nutzte der Erzbischof von Kigali den Gottesdienst zur Feier des einhundertjährigen Bestehens der katholischen Kirche in Ruanda dazu, im Namen unterschiedlicher Kategorien von Täterinnen und Tätern um Vergebung zu bitten. Der Erzbischof kritisierte in diesem Kontext sowohl den ethnischen Hass von Geweihten als auch die problematischen Beziehungen von Kirchenoberen zum ruandischen Staat sowie deren fehlenden Willen, Ungerechtigkeit und Diskriminierungen zu bekämpfen. Schließlich gab es im Februar 2001 eine öffentliche Vergebungsbitte der ruandischen Bischöfe, in der Täterschaft als Abwendung vom Glauben interpretiert und Priester dafür kritisiert wurden, dass sie, statt Barmherzigkeit zu üben, Christen gegeneinander aufgestachelt hätten. (Anm. 6) In den unterschiedlichen Bitten wird damit insgesamt nicht nur ein Versagen von Laien, sondern auch ein Versagen der Verantwortlichen in der Kirche benannt.

Die Erklärung vom 20. November 2016 ordnet sich insofern in eine Reihe von stellvertretenden Vergebungsbitten ein, die von einzelnen Bischöfen sowie der Gesamtheit der Bischöfe rund um das Heilige Jahr 2000 geäußert wurden. Sie greift dabei thematische Schwerpunkte vorangehender Erklärungen auf, hat jedoch die unterschiedlichen Ebenen menschlicher Verantwortung für den Genozid stärker im Blick: Es wird bekannt, dass Christen auf allen Verantwortungsebenen schuldig wurden – Laien, Ordensleute und Priester haben gemordet, den Genozid ausgeführt und geplant. Darüber hinaus kann die Vergebungsbitte als stellvertretende Verantwortungsübernahme der Ortskirche interpretiert werden. Repräsentanten der Ortskirche bitten hier um Vergebung für den Genozid, damit die Universalkirche durch die Gemeinde vor Ort für Überlebende, für Täterinnen und Täter (erneut) zu einer konkret erfahrbaren, hilfreichen Realität ihres Lebens werden kann. (Anm. 7)

Zugleich werden die Bischöfe durch ihre stellvertretende Verantwortungsübernahme zur Verkörperung einer Kirche, die durch ihre Erklärung ein anderes Verhältnis zu den Opfern und Überlebenden des Genozids zum Ausdruck bringen will: In der Auseinandersetzung mit der ruandischen Geschichte, im Schuldbekenntnis und der Vergebungsbitte sowie in der Vision eines versöhnten Ruandas nehmen die Bischöfe die Perspektive – nicht den Platz! – der Opfer ein. In dieser Perspektivenübernahme, die auch das Versprechen des Never Again enthält, könnte eine anfängliche Genugtuung für die Opfer liegen. (Anm. 8) Hervorzuheben ist auch, dass es den Bischöfen nicht darum geht, sich mit einer einzelnen Vergebungsbitte ein für alle Mal als Institution reinzuwaschen, sondern darum, immer wieder klare Zeichen gegen ethnische Diskriminierungen und genozidäre Ideologien zu setzen. In dieser Form kann die Vergebungsbitte auch als ein Akt symbolischer Reparation interpretiert werden. Unter dem Begriff der Reparation wird eine Bandbreite von Maßnahmen in Reaktion auf genozidäre Verbrechen wie zum Beispiel Kompensation, Restitution, Garantie der Nicht-Wiederholung oder Wiedergutmachung gefasst. Eine symbolische Dimension findet man vor allem in Reparationspraktiken, die den Wunsch der Opfer nach Anerkennung, Respekt, Würde und sicherer Zukunft im Blick haben. Dazu zählen Praktiken, die auf die »Rückgewinnung von Wahrheit« zielen, »Gedenken « ausgestalten, »Verantwortung anerkennen« oder mit einer öffentlichen »Entschuldigung« verbunden sind. Da sie auf die nichtmateriellen Bedürfnisse von Opfern eingehen, sind sie nicht weniger signifikant als finanzielle Entschädigungen. (Anm. 9) Als symbolische Reparation kann die Vergebungsbitte der Bischöfe zwar den Opfern nicht das wiedergeben, was sie verloren haben, und das Unrecht nicht wiedergutmachen. Sie kann aber gleichwohl die Überlebenden des Genozids in ihren nichtmateriellen Bedürfnissen ansprechen. Auch dies kann eine Form von anfänglicher Genugtuung für die Überlebenden sein.

Besonders umstritten – Die Frage nach der institutionellen Mitschuld der Kirche

Auf die Vergebungsbitte der Bischöfe reagierte die ruandische Regierung ungehalten und kritisierte vor allem den bischöflichen Umgang mit Schuld: Indem die Bischöfe im Namen einiger, nicht namentlich genannter Individuen um Vergebung gebeten hätten, hätten sie versucht, die katholische Kirche als Institution von jedweder Schuld für die Verbrechen des Genozids zu reinigen. Der historische Befund verweise jedoch eindeutig auf die schuldhafte Verstrickung der Institution Kirche. Willkommen sei die Vergebungsbitte daher nur als individueller Ausdruck von Reue. Als Eingeständnis der moralischen und rechtlichen Verantwortung der katholischen Kirche für den Genozid sei die Vergebungsbitte jedoch ungenügend. (Anm. 10) Tatsächlich lehnen die Bischöfe in ihrer Erklärung eine institutionelle Schuld der Kirche dezidiert ab: Es war nicht die Kirche, die Menschen mit Waffen in der Hand losgeschickt hat, um Menschen zu ermorden. Daher solle sich die Kirche – so der Vorsitzende der ruandischen Bischofskonferenz Philippe Rukamba – auch nicht als Institution entschuldigen. Die Kirche »… sollte nicht für die Verbrechen ihrer Mitglieder verantwortlich gemacht werden, die obendrein gegen das handelten, was wir predigen.« (Anm. 11) Jedoch ist gerade hinsichtlich des Ausmaßes der Gewalt und des Schuldigwerdens von Christen im ruandischen Genozid die institutionelle Seite dieses Schuldigwerdens zu betonen. Gab es in Ruanda nicht auch Frömmigkeitsformen, Theologien, liturgische Praktiken oder kirchliche Machtinteressen, die das schuldhafte Fehlverhalten des Einzelnen unterstützten oder gar erst provozierten? (Anm. 12)

Das Bekenntnis einer institutionellen Schuld der Kirche wird in Ruanda oftmals mit dem Argument abgelehnt, dass dies »dem Ansehen der katholischen Kirche schaden« würde. (Anm. 13) Lässt man sich auf den Gedanken ein, dass in der Kirche prinzipiell Strukturen der Sünde existieren können, wird dieses Argument in mehrfacher Hinsicht problematisch: Unzweifelhaft wird das Bekennen institutioneller Schuld zu einer Stigmatisierung und zu einem Ansehensverlust der Institution führen. Dies ist jedoch keine Konsequenz des Bekenntnisses, sondern erwächst schon aus der Schuldverstrickung. Klaus Mertes, der 2010 die Aufdeckung von zahlreichen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche anstieß, spricht davon, dass die Übernahme von Verantwortung Institutionen nur scheinbar schwächt, sie langfristig aber stärkt. Um Ansehensverlust und Stigmatisierung der Institution in Würde (er)tragen zu können, ist nach Mertes ein selbstkritischer Umgang mit dem Schuldigwerden der Institution geboten. Eine stellvertretende Verantwortungsübernahme setze zudem eine Identifikation mit der Institution voraus und enthalte den Auftrag zu ihrer Erneuerung. (Anm. 14) Als Papst Franziskus auf der Linie der großen (Versöhnungs-)Gesten von Papst Johannes Paul II. im März 2017 um Vergebung für die »Sünden und Fehler der Kirche und ihrer Mitglieder« (Anm. 15) in Ruanda bat, übernahm er damit in einer die Institution stärkenden Weise Verantwortung und schrieb der Kirche zugleich einen Erneuerungsauftrag ein.

Ausblick

Trotz ihrer Schwächen kann die Vergebungsbitte der Bischöfe als wichtiger Schritt im Friedens- und Versöhnungsprozess Ruandas verstanden werden. Es geht nicht darum, mit einer einzelnen Vergebungsbitte einen Schlussstrich zu ziehen, sondern die Kirche will immer wieder neu Akte symbolischer Reparation setzen. Angesichts bleibender Unversöhntheit und menschlicher Unvollkommenheit tut eine kirchliche Haltung gut, die nicht abschließen, sondern im pastoralen Einsatz für Opfer und Täter und durch symbolische wie materielle Reparationen Zukunft eröffnen will. Dieser Einsatz ist angesichts der aktuellen politischen Situation in Ruanda umso bedeutsamer: Seit dem Genozid betreibt die ruandische Regierung einen systematischen Friedensprozess, in dem sie vor allem auf nationale Einheit und Versöhnung setzt. »Einheit« und »Versöhnung« werden in diesem Prozess zu politischen Schlagwörtern und Marksteinen einer restriktiven Erinnerungspolitik. »Wir sind alle Ruander« lautet der Slogan der ruandischen Regierung, der wie ein Deckmantel über kontroverse Geschichtsinterpretationen, Erinnerungen und Bedürfnisse nach Aufarbeitung gelegt wird. (Anm. 16) Mangelnde Pressefreiheit, politische Exklusion und ein Klima der Angst prägen das kleine ostafrikanische Land, in dem im August 2017 Präsidentschaftswahlen stattgefunden haben. Paul Kagame wurde erneut zum Präsidenten von Ruanda gewählt. Vor diesem Hintergrund braucht Ruanda eine katholische Kirche, die sich dem Beispiel von Franziskus anschließt und die Mitschuld der Institution am Genozid bekennt. Nur so – scheint es – kann sie sich als Institution und zivilgesellschaftliche Akteurin glaubwürdig für Frieden, Versöhnung, Demokratisierung und Menschenrechte einsetzen.

FOTO: Friedrich Stark
Der Eingang zum Genocide Memorial in Kigali, Ruanda.
FOTO: Friedrich Stark
Fotos ermordeter Opfer des Genozids von 1994 im Genocide Memorial in Kigali, Ruanda.
FOTO: Friedrich Stark
Der Ehemann und die Kinder der Tutsi-Frau Marie Mukagasana wurden vom Hutu Valens Nteziryaya getötet. Gemeinsam mit Abbé Joseph Nayigiziki, Präsident der Kommission Justitia et Pax und Caritasdirektor der Diözese Gikongoro, stehen sie auf dem Massengrab des Genozids von 1994 und gedenken der Opfer.
FOTO: Friedrich Stark
Teilnehmer eines Seminars zur Konfliktbewältigung innerhalb der Familie und Traumaarbeit in der Pfarrei Cyanika der Diözese Gikongoro, Ruanda.
FOTO: Friedrich Stark
Tutsi-Frau Marie Mukagasana und der Mörder ihres Ehemanns und ihrer Kinder, Valens Nteziryaya, pflanzen zur Versöhnung gemeinsam einen Baum.

Anmerkungen

1 Vgl. L. Harding, Mission und Gewalt. Zum Verhältnis von missionarischem Diskurs, Geschichtsbewusstsein und Gewalt in Ruanda, in: M. Dabag u. a. (Hrsg.), Kolonialismus. Kolonialdiskurs und Gewalt, München 2004, 232–260, hier 236–38; 239–240; 255.

2 Vgl. T. Longman, Church Politics and the Genocide in Rwanda, in: Journal of Religion in Africa, 31.2 (2001), 163–186.

3 Vgl. T. Gatwa, Mission and Belgian Colonial Anthropology in Rwanda. Why the Churches Stood Accused in the 1994 Tragedy? What next?, in: Studies in World Christianity, 6 (2000), 1–21, hier 16.

4 D. Johnson, Völkermord: Katholische Kirche entschuldigt sich, in: taz.de vom 22.11.2016, Link     [Zugriff: 26.6.2017].

5 Vgl. Itangazo Ry’Abepiskopi Gatolika Bo Mu Rwanda Risoza Umwaka Wa Yubile Y’Impuhwe Z’Imana (Rwanda Catholic Bishops Announcement Which Closes The Jubilee Year of God’s Mercy), Übersetzung aus dem Kinyarwanda durch C. Mutinszi.

6 Vgl. T. Gatwa/ L. Rutinduka (Hrsg.), Histoire du christianisme au Rwanda. Des orignies à nos jours, Yaoundé 2014, 320–322.

7 Vgl. J. Werbick, Grundfragen der Ekklesiologie, Freiburg 2009, 217.

8 Vgl. S. Jütte, Kollektivsubjekte: Schuld oder Verantwortung?, in: Julia Enxing/Katharina Peetz (Hrsg.), Contritio. Annäherungen an Schuld, Scham und Reue, Leipzig 2017, 195–204, hier 202.

9 Vgl. Ron Dudai, Closing the Gap: Symbolic Reparations and Armed Groups, in: International Review of the Red Cross 93.883 (2011), 783– 808, hier 788.

10 Republic of Rwanda, Ministry of Local Government, Statement on the message of Rwandan Catholic Bishops vom 23.11.2016, Link     [Zugriff: 27.6.2017].

11 Kirche soll sich zu Kollektivschuld bekennen, Radio Vatikan vom 28.11.2016, Link     [Zugriff: 23.6.2017].

12 Vgl. D. Ansorge, »Vergib uns unsere Schuld!« Schuldbekenntnis und Versöhnungsbitten Papst Johannes Pauls II. im Heiligen Jahr 2000, in: IKaZ 42 (2013), 460– 470, hier 461.

13 Kirche soll sich zu Kollektivschuld bekennen, in: Radio Vatikan vom 28.11.2016, Link     [Zugriff: 26.6.2017]

14 Vgl. K. Mertes, Verlorenes Vertrauen. Katholisch sein in der Krise, Freiburg 2013, 47–51.

15 Papst Franziskus zum Genozid in Ruanda – Als Priester Mörder wurden, in: taz.de vom 6.4.2017, Link     [Zugriff: 17.6.2017].

16 Vgl. G. Hankel, Ruanda. Leben und Neuaufbau nach dem Völkermord. Wie Geschichte gemacht und zur offiziellen Wahrheit wird, Springe 2016, 22.