Ordensfrauen und Missbrauch

Kirche und die Gewalt gegen Frauen

Aufruf zur Verantwortung aus Südafrika

von Nontando Hadebe

»Das Blut (deiner Schwester) erhebt seine Stimme und schreit zu mir vom Erdboden!« Dieses leicht abgeänderte Zitat entstammt der Passage aus Genesis 4,9–10. Darin wird die Szene beschrieben, in der Gott Rechenschaft von Kain für die Ermordung seines Bruders Abel fordert. Ebenso sollten alle Männer, darunter auch Geistliche, die  ihre Macht gegenüber Frauen ausspielen, Rechenschaft über ihr Verhalten ablegen müssen. Gleichzeitig sollten die Frauen dazu ermutigt werden, ihre Stimme zu erheben. Eine Möglichkeit dazu bietet der 1989 gegründete Circle of Concerned African Women Theologians.

Autorin

Nontando Hadebe

Dr. theol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Historical and Constructive Theology der Theologischen Fakultät der Universität des Freistaats, Bloemfontein, Südafrika

E-Mail: n.hadebe@staugustine.co.za

 

 

 

Gewalt in Südafrika

»Geschlechtsspezifische Gewalt wird nur dann enden, wenn sich Frauen wehren und ihre Stimme erheben. Aktivistinnen müssen aufbegehren und für ihre Rechte kämpfen. Auch die Mädchen müssen sie dabei berücksichtigen und sie lehren, der männlichen Dominanz und dem Patriarchat in all seinen Formen die Stirn zu bieten. Möge Gott uns Männern helfen, uns von der toxischen Männlichkeit und den kulturellen Normen zu lösen, die der Ausbeutung der Frauen Vorschub leisten.

Möge Gott uns Männer von dem Glauben befreien, Frauen seien unser Eigentum, über das wir frei verfügen können.« [1]

Diese Worte von Bischof Victor Phalana aus Klerksdorp in Südafrika waren eine Reaktion auf die anhaltende öffentliche Empörung und die Protestmärsche gegen Gewalt, die ausgelöst worden waren durch die Morde an Frauen sowie die Veröffentlichung einer Verbrechensstatistik. [2] Diese Statistik verzeichnete für die vergangenen zwölf Monate 2.771 weibliche Mordopfer, 41.483 angezeigte Fälle von Vergewaltigung (ein Zuwachs von 3,9 Prozent) und 21.022 Fälle von Totschlag (ein Zuwachs von 3,4 Prozent). Unklar ist, ob in diesen Zahlen auch lesbische Frauen erfasst sind, die häufig Opfer von »erziehender Vergewaltigung« und Mord werden. Begrüßenswert ist in diesem Zusammenhang der Aufruf von Bischof Phalana an Frauen, »aufzustehen und die Stimme zu erheben« sowie an Männer, »sich toxischer Männlichkeit und kulturellen Normen zu widersetzen, die Gewalt gegen Frauen verstetigen«. Damit macht er der Öffentlichkeit die Haltung der katholischen Kirche in dieser Frage deutlich und bietet zugleich den örtlichen Gemeinden einen Einstieg und Rahmen, um den Prozess der Auseinandersetzung mit diesen Fragen einzuleiten. Dies böte die Chance für innovative Programme wie die Schaffung sicherer Rückzugsorte für Opfer von Gewalt, an denen sie über ihr Leid berichten können, sowie von Aufklärungskampagnen für Männer (und Frauen), in deren Rahmen sich die Themen Männlichkeit, Patriarchat und Kultur erörtern sowie konkrete Haltungen und Praktiken ermitteln ließen, die das Muster der Gewalt gegen Frauen – einschließlich lesbischer Frauen – verstetigen. Begleitet werden muss dies jedoch von einem Prozess der Auseinandersetzung mit Patriarchat und Gewalt gegen Frauen in der Kirche und der Heiligen Schrift. Eine der Folgerungen aus dem Skandal um den sexuellen Missbrauch Minderjähriger war die Erkenntnis, dass in der Kirche dieselben Mechanismen von Macht und sexueller Gewalt wie in der Gesellschaft wirken, wenn auch in anderer Ausprägung.

 

Feminismus in neuem Kontext

Wenn man nach den Ursachen von Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft sucht, muss deshalb auch die Kirche einbezogen werden, die Teil der in die Gesellschaft eingebetteten institutionellen Landschaft ist. Vorreiter bei der Einbeziehung der Kirche in die Auseinandersetzung mit dem Status und der Rolle der Frau waren feministische Theologinnen in westlichen Ländern. Später weitete sich dies auf Frauen in aller Welt aus, die den Feminismus in neue Kontexte setzten und neu benannten, um ihre ganz eigene Identität zu entwickeln und den Bedürfnissen von Frauen in ihren jeweiligen Kontexten Rechnung zu tragen. In Afrika gründete sich im Jahr 1989 The Circle of Concerned African Women Theologians (nachstehend nur The Circle). Ziel der Gründung war es, den Kampf gegen die mannigfaltige Verletzung der Rechte der Frau in Religion, Kultur und Gesellschaft aufzunehmen. The Circle ist ökumenisch und interreligiös; er eint Theologinnen im gemeinsamen Kampf für die Befreiung der Frau. Angesehene katholische Theologinnen aus Afrika sind in The Circle vertreten. Die südafrikanischen Mitglieder dieses Kreises sind führende Theologinnen, die sich intensiv mit Frauenfragen und insbesondere mit dem Thema der Gewalt gegen Frauen beschäftigen. In Hinblick auf die Ausprägungen von Männlichkeit sind männliche Wissenschaftler und Theologen aus Afrika Vorreiter, wenn es darum geht, den Aspekt der männlichen Identität und ihre Erfahrungen in die Diskussionen über Gewalt gegen Frauen einzubringen. Schließlich sind die Täter ja überwiegend Männer. Unbedingt angemerkt sei hier aber auch, dass nicht alle Männer zwangsläufig Täter sind: Das spricht für die Existenz unterschiedlicher Ausprägungen von Männlichkeit und lässt darauf schließen, dass die gewalttätige und toxische Männlichkeit nur eine Form der Männlichkeit ist. Im Folgenden werden wir uns mit den Beiträgen von The Circle sowie Untersuchungen und Theologien zur Männlichkeit unter Bezugnahme auf Gewalt gegen Frauen in der Kirche und der Heiligen Schrift befassen. Zuvor werden wir jedoch kurz einen Blick auf das Wesen von Gewalt und ihre Folgen für Frauen werfen.

 

Definition von Gewalt

Häufig wird Gewalt verstanden als körperlicher Übergriff durch eine stärkere Person oder Gruppe gegenüber Schwächeren. Die Definition von Gewalt ist jedoch weiter gefasst und schließt verletzende Handlungen mit Folgen für alle Aspekte des Lebens ein, zum Beispiel seelische, psychische und soziale Aspekte (Marginalisierung, Ausgrenzung, Schlechterstellung, Diskriminierung, ungerechte Behandlung). Auch die bloße Androhung derartiger Handlungen ist eine Form von Gewalt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt Gewalt gegen Frauen als große Bedrohung für die Volksgesundheit und globale Epidemie, die die Rechte von Frauen verletzt, darunter das fundamentalste – das Recht auf Leben und Gesundheit. Legt man dieses weiter gefasste Verständnis von Gewalt zugrunde, lassen sich offenkundig einige in der Kirche gehegte Überzeugungen und Praktiken als Akte der Gewalt gegen Frauen definieren. Im nächsten Abschnitt zu The Circle werden wir dies näher untersuchen.

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FOTO: PRIVAT
Unter dem Hashtag #EnoughIsEnough demonstrieren Nontando Hadebe und ihre Schüler der Heritage High School in Johannesburg (Mitte) gegen die steigende Zahl von Vergewaltigungsfällen in Südafrika.
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Die Studierenden der katholischen Hochschule Sankt Augustin in Johannesburg versammeln sich in der Hochschulkapelle für eine Schweigeminute zum Gedenken an die jüngsten Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt. Auf dem Plakat der Studentin in der Mitte steht geschrieben: »Am I next?« (»Bin ich die Nächste«?).